Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 13.07.2007; Aktenzeichen 12 A 2085/05) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Juli 2007 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 20 000 € festgesetzt (§ 52 GKG).
Gründe
Die Beschwerde ist mit einer Rüge zur verfahrensfehlerhaften Ablehnung von Beweisanträgen (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zulässig und begründet (1.); im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg (2., 3.). Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurück.
1. Zu Recht rügt die Beschwerde die Ablehnung des Beweisantrags der Kläger auf Einholung eines Sachverständigengutachtens bzw. einer Auskunft des Bundesarchivs.
1.1 Die Kläger haben im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO schriftsätzlich beantragt, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bzw. einer Auskunft des Bundesarchivs Beweis darüber zu erheben, ob die Großmutter väterlicherseits der Klägerin zu 1 in Abteilung II oder III der Deutschen Volksliste der Ukraine eingetragen war. Das Berufungsgericht ist dem Antrag nicht nachgekommen und hat dies in dem angefochtenen Beschluss damit begründet, dass es sich um einen “unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag, der erst zur Ermittlung derjenigen tatsächlichen Umstände führen soll, die vorzubringen den Klägern obliegt” (BA S. 19) handele. In Ermangelung der Darlegung konkreter, substanziierter Anhaltspunkte, die auf eine Eintragung der Großmutter der Klägerin zu 1 in die Deutsche Volksliste der Ukraine schließen ließen, sowie der fehlenden Darlegung zur Erfüllung der materiellen Eintragungsvoraussetzungen sei der Senat nicht gehalten, “ins Blaue hinein” in eine diesbezügliche Beweiserhebung einzutreten.
1.2 Die auf diese Erwägungen gestützte Ablehnung des Beweisbegehrens der Kläger ist verfahrensfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat den Beweisantrag damit nicht im Wege tatrichterlichen Ermessens (§ 98 VwGO i.V.m. § 412 ZPO in entsprechender Anwendung) mit Blick auf bereits ausreichend vorhandene zeitgeschichtliche Erkenntnismittel oder eine insoweit ausreichend bestehende eigene Sachkunde abgelehnt (vgl. dazu etwa Beschlüsse vom 27. März 2000 – BVerwG 9 B 518.99 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60 und vom 30. Januar 2002 – BVerwG 1 B 326.01 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69); eine solche tatrichterliche Ermessensentscheidung kann auch nicht im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht ersetzt werden (vgl. Beschluss vom 27. März 2000, a.a.O.). Es hat die Ablehnung des Sachverständigenbeweisantrags bzw. des Antrags auf Einholung einer amtlichen Auskunft vielmehr damit begründet, dass es sich um einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag handele. Diese Begründung trägt die Ablehnung jedoch nicht.
Ein als unzulässig ablehnbarer Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich “aus der Luft gegriffen”, “ins Blaue hinein”, also “erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage” erhoben worden sind (vgl. etwa Beschluss vom 29. April 2002 – BVerwG 1 B 59.02 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; ebenso BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. August 1996 – 2 BvR 1968/94 – juris). Die Kläger haben hinreichend substanziiert dargelegt, welche Indizien aus ihrer Sicht für eine Eintragung der Großmutter väterlicherseits der Klägerin zu 1 in die Deutsche Volksliste der Ukraine sprechen bzw. diese zumindest als möglich erscheinen lassen (so etwa Evakuierung und Durchschleusung der Großmutter im Wege des EWZ-Verfahrens, “Schaffung ins Altreich”, unterbliebene Abschiebung der Großmutter, Vergabe von Lebensmittelkarten etc.). Das Berufungsgerichts bewertet diese Indizien als “weder für sich genommen noch in der Gesamtschau geeignet, dem Senat über eine nicht quantifizierbare Wahrscheinlichkeit hinaus die Gewissheit oder zumindest eine nach der Lebenserfahrung der Gewissheit gleichkommende oder vernünftige Zweifel Einhalt gebietende Wahrscheinlichkeit für eine Eintragung der Großmutter in die Deutsche Volksliste der Ukraine zu vermitteln” (vgl. BA S. 12). Diese Würdigung der Umstände, vor allem auch in Anbetracht der vom Berufungsgericht angenommenen “nicht quantifizierbaren Wahrscheinlichkeit” für eine Eintragung in die Deutsche Volksliste der Ukraine, lässt die Beweisbehauptung der Kläger jedoch nicht als “völlig aus der Luft gegriffen” erscheinen, vielmehr haben die Kläger damit hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dargelegt, die ihre Tatsachenbehauptung als möglich erscheinen lassen. Auch setzt ein Antrag auf Sachverständigenbeweis – anders als ein solcher auf Zeugenbeweis – nicht voraus, dass einzelne konkrete Tatsachen in das Wissen der auskunftgebenden Stelle gestellt werden, da der Sachverständige sein Gutachten über das Beweisthema ggf. aufgrund von Tatsachenermittlungen zu erstatten hat. Zur Substanziierung eines Sachverständigenbeweisantrags kann es daher genügen, wenn wie hier das Beweisthema im Beweisantrag hinreichend konkret umschrieben ist (vgl. etwa Beschluss vom 24. Mai 2006 – BVerwG 1 B 128.05 – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 17). Auf die Tauglichkeit der bezeichneten Beweismittel, die jedenfalls hinsichtlich des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zweifelhaft sein mag, hat das Berufungsgericht nicht abgestellt.
Die Ablehnung der beantragten Beweiserhebung mit der gegebenen Begründung eines unzulässigen Ausforschungsbeweisantrags findet mithin im Gesetz keine Stütze; sie verletzt die Kläger in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) und verstößt zugleich gegen die Pflicht des Berufungsgerichts zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Die Berufungsentscheidung kann daher insgesamt keinen Bestand haben.
2. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht den mit Schriftsatz vom 17. Juni 2005 gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, dass nicht ukrainisches, sondern sowjetisches materielles Recht auf die Ehe der Großeltern väterlicherseits der Klägerin zu 1 Anwendung finde, abgelehnt. Denn die Frage nach der Anwendbarkeit des materiellen Familienrechts richtet sich nach deutschem Recht – wie das Oberverwaltungsgericht an anderer Stelle zutreffend ausführt (BA S. 4) –, nämlich nach Art. 220 Abs. 1 EGBGB i.V.m. Art. 11 Abs. 1 Satz 2, Art. 13 Abs. 1 EGBGB a.F. Die Frage der Anwendung und Auslegung inländischen Rechts ist originäre Aufgabe des Berufungsgerichts und deshalb einem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich.
3. Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit der Frage nach der Möglichkeit einer Registrierung der Ehe der Großeltern nach nationalsozialistischem Besatzungsrecht bzw. ukrainischem oder sowjetischem Recht weiter erhobene Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO entspricht bereits nicht den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht die substanziierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundlegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. Urteil vom 22. Januar 1969 – BVerwG 6 C 52.65 – BVerwGE 31, 212, 217 f.; Beschluss vom 13. Juli 2007 – BVerwG 9 B 1.07 – juris). Eine derartige substanziierte Darlegung enthält die Beschwerdebegründung nicht.
4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Unterschriften
Hund, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen