Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsinteresse für Fortsetzungsfeststellungsklage (hier: “Kollegialgerichts-Richtlinie”). berechtigtes Interesse für Fortsetzungsfeststellungsklage (hier: “Kollegialgerichts-Richtlinie”). kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach “Kollegialgerichts-Richtlinie”
Leitsatz (amtlich)
Nach der sog. “Kollegialgerichts-Richtlinie” ist eine Amtshaftungsklage auch dann offensichtlich aussichtslos, wenn das Verwaltungshandeln durch ein Kollegialgericht (nur) in 1. Instanz als rechtmäßig beurteilt worden ist.
Normenkette
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 26.06.2002; Aktenzeichen 4 LB 80/02) |
VG Osnabrück (Urteil vom 22.11.2001; Aktenzeichen 4 A 102/00) |
Tenor
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2002 wird aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 22. November 2001 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Der Kläger betrieb bis einschließlich September 2002 ein Lebensmittelgeschäft im Stadtgebiet der Beklagten. Diese hatte im Jahre 2000 die Firma “I.C.A.” beauftragt, für nach den §§ 1, 3 ff. AsylbLG Leistungsberechtigte ein auf Chipkarten basierendes Dienstleistungssystem zu betreiben, aufgrund dessen ausgewählte Geschäfte (so genannte Akzeptanzstellen) mit speziellen Lesegeräten ausgestattet wurden, die von den Guthabenkonten der Leistungsberechtigten Entgelte für von ihnen in diesen Geschäften erworbene Waren abbuchten. Die Beklagte hatte die Akzeptanzstellen in den Monaten April und Mai 1999 u.a. danach ausgewählt, wie die Geschäfte zu bestehenden bzw. noch möglichen Wohnheimstandorten von Leistungsberechtigten, zu von ihnen bewohnten Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt und zu Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs gelegen waren. Das Geschäft des Klägers wurde hierbei nicht berücksichtigt. Durch Schreiben vom 24. September 1999 teilte die Beklagte dem Kläger mit, es bestehe über die bereits geworbenen Akzeptanzstellen hinaus kein weiterer Bedarf. Mit Schreiben vom 14. und 29. Februar 2000 berief die Beklagte sich darauf, die Zahl der Leistungsberechtigten sei seit Juli 1999 um ca. 24 % rückläufig, ab Juni 2000 würden in einer Vielzahl von Fällen Barleistungen analog dem Bundessozialhilfegesetz erbracht werden, so dass eine flächendeckende Versorgung der verbleibenden Leistungsberechtigten durch die bestehenden Akzeptanzstellen gewährleistet sei; für den Fall eines steigenden Bedarfs kündigte die Beklagte an, den Kläger unaufgefordert zu benachrichtigen.
Mit der Begründung, er habe einen Bedarf auch in Bezug auf sein Geschäft durch der Beklagten vorgelegte Erklärungen von Leistungsberechtigten belegt, die nachträgliche Berücksichtigung eines anderen Geschäftes zeige, dass es nicht unwirtschaftlich sei, weitere Akzeptanzstellen einzurichten, ihm sei die Einbeziehung in das Chipkartensystem unter bestimmten, von ihm inzwischen erfüllten Bedingungen mündlich zugesagt worden, hat der Kläger zunächst Klage auf Ermöglichung des Anschlusses an das Chipkartensystem erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Beklagte durch ihre Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Einrichtung einer Akzeptanzstelle nicht die von ihr aufgestellten Vergaberichtlinien verletzt, sondern sich ermessensfehlerfrei daran orientiert habe. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte im Wesentlichen mit der Begründung zur Neubescheidung des Klägers verpflichtet, sie habe nicht hinreichend konkret, substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, dass sachgerechte Gründe der Aufnahme des Geschäfts des Klägers in das Chipkartensystem entgegenstünden.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt und die Aufhebung des Berufungsurteils beantragt. Der Kläger hat sein Lebensmittelgeschäft am 30. September 2002 aufgegeben und erklärt, das Verfahren nunmehr “als Fortsetzungsfeststellungsklage zu führen”, da er auf der Grundlage des Berufungsurteils Schadensersatzklage gegen die Beklagte erheben wolle.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht infolge des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet.
Das Berufungsurteil kann nicht aufrechterhalten bleiben, da der Kläger sein Lebensmittelgeschäft inzwischen aufgegeben und dies zur Unzulässigkeit des Klagebegehrens geführt hat. Auch im Zeitpunkt der Entscheidung über eine Revision muss eine Klage, wenn sie Erfolg bzw. ein ihr stattgebendes vorinstanzliches Urteil Bestand haben soll, sämtliche Voraussetzungen für das Ergehen eines Sachurteils erfüllen. Dies ist hier nicht der Fall.
Dabei ist nicht der von der Beklagten unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. September 2000 – KZR 34/01 – (NJW 2003, 504) erneut aufgeworfenen Frage nachzugehen, ob für die vorliegende Streitigkeit überhaupt der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (§ 40 Abs. 1 VwGO); denn nach § 17a Abs. 5 GVG prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.
Die Klage ist jedenfalls infolge der Geschäftsaufgabe durch den Kläger unzulässig geworden. Für das ursprüngliche, auf Einbeziehung in das Chipkartensystem gerichtete Klagebegehren ist die mit der Nichteinbeziehung des Klägers verbundene Beschwer entfallen. Ein berechtigtes Interesse des Klägers i.S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO daran, dass die Rechtswidrigkeit der Nichteinbeziehung festgestellt werde, ist nicht zu erkennen.
Der Kläger begründet ein solches Interesse damit, dass er die Beklagte wegen Umsatzeinbußen infolge ihres ablehnenden Verhaltens vor dem Landgericht Osnabrück auf Schadensersatz nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Anspruch nehmen wolle. Hiermit kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse aber nicht begründet werden, wenn die beabsichtigte Schadensersatzklage offensichtlich aussichtslos ist (siehe z.B. BVerwG, Urteile vom 28. August 1987 – BVerwG 4 C 31.86 – ≪Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 173≫ und vom 17. Dezember 1991 – BVerwG 1 C 42.90 – ≪Buchholz a.a.O. Nr. 238≫; stRspr). Davon ist beispielsweise auszugehen, wenn offensichtlich das für einen Amtshaftungsanspruch erforderliche Verschulden fehlt. So liegen die Dinge hier. Sowohl vom Bundesverwaltungsgericht (siehe z.B. Urteil vom 22. Januar 1998 – BVerwG 2 C 4.97 – ≪Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 113≫ m.w.N.) als insbesondere auch von den für die Durchführung von Amtshaftungsprozessen zuständigen Zivilgerichten (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 28. November 2002 – III ZR 122/02 – ≪BGHReport 2003, 171 = NVwZ-RR 2003, 166 = DÖV 2003, 296 = MDR 2003, 265≫) wird als Regel angenommen, dass einen Beamten kein Verschulden treffe, wenn ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat (sog. “Kollegialgerichts-Richtlinie”). Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu; denn das Verwaltungsgericht hat – in Kammerbesetzung – die Klage abgewiesen, weil “die Vergabepraxis der Beklagten … ermessensgerecht und keineswegs willkürlich” sei und auch “die in den Vergaberichtlinien festgehaltenen Auswahlkriterien … keinen Ermessensfehler erkennen” ließen, so dass die “Nichtberücksichtigung (des Klägers) nicht willkürlich (sei) und … keinen rechtlichen Bedenken (begegne)”. Zwar hat dieses Urteil im Berufungsverfahren keinen Bestand gehabt. Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, “die Weigerung der Beklagten, das Geschäft des Klägers in das Chipkartensystem aufzunehmen, (verletze) bei der gegebenen Sachlage den Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung”. Daran scheitert die schuldausschließende Wirkung der erstinstanzlichen Kollegialentscheidung indessen nicht (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. August 1992 – BVerwG 2 C 29.90 – ≪Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 250≫; auch in jenem Verfahren hatte das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht dieses Urteil aber – wie im vorliegenden Fall – aufgehoben und den Beklagten zur Neubescheidung des Klägers verpflichtet).
Das angefochtene Urteil ist darum aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Wegen des Sachzusammenhangs mit dem Asylbewerberleistungsgesetz ist das Verfahren nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
Haufe-Index 981834 |
DÖV 2004, 628 |
FEVS 2004, 99 |
ZfSH/SGB 2004, 55 |
BayVBl. 2004, 153 |