Leitsatz (amtlich)
Eine Unterbilanzhaftung wegen unterlassener Offenlegung der "wirtschaftlichen Neugründung" einer Vorrats-GmbH kommt nicht in Betracht, wenn das statutarische Stammkapital der Gesellschaft vollständig eingezahlt und bei Aufnahme der Geschäftstätigkeit noch unverbraucht vorhanden ist (Abgrenzung zu BGHZ 153, 158 und BGHZ 155, 318).
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 02.02.2009; Aktenzeichen 99 O 103/07) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2.2.2009 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 99 des LG Berlin geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithilfe zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten oder der Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Parteien streiten um die Frage, ob die in den Entscheidungen des BGH v. 9.12.2002 - II ZB 12/02 (BGHZ 153, 158) und 7.7.2003 - II ZB 4/02 (BGHZ 155, 318) für den Fall der Aktivierung einer Vorrats-GmbH angesprochenen Grundsätze der Unterbilanzhaftung auch dann Anwendung finden, wenn die in den genannten Entscheidungen geforderte Offenlegung der "Neugründung" und Versicherung nach § 8 II 1 GmbHG unterblieben ist, das Stammkapital im Zeitpunkt der Aufnahme der operativen Tätigkeit aber unstreitig vollständig vorhanden war.
Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter der Gesellschaft von dem Beklagten zu 1) als Gesellschafter entsprechend dessen Geschäftsanteil Zahlung von 96 % des zur Erfüllung der zur Tabelle festgestellten Forderungen (4.861,49 EUR) erforderlichen Betrages. Von dem Beklagten zu 2) als Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter verlangt er gesamtschuldnerisch denselben Betrag sowie die fehlenden 4 %. Darüber hinaus begehrt der Kläger unter Hinweis auf weitere, teilweise noch bestrittene Forderungen i.H.v. 379.094 EUR die Feststellung, dass die Beklagten in demselben Verhältnis verpflichtet sind, ggf. die zur Befriedigung dieser Forderungen erforderlichen Beträge zu zahlen.
Das LG hat der Klage mit Urteil vom 2.2.2009, auf dessen Inhalt und tatsächliche Feststellungen verwiesen wird, antragsgemäß stattgegeben. Die Beklagten und der Streithelfer haben gegen das den Beklagten am 5.2.2009 zugestellte Urteil am 3.3.2009 Berufung eingelegt. Der Streithelfer hat die Berufung am 1.4.2009 begründet, die Beklagten haben sie innerhalb verlängerter Frist am 27.4.2009 begründet.
Die Beklagten und der beurkundende Notar als ihr Streithelfer halten die Entscheidung des LG, dass die Beklagten wegen unterlassener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung und unterlassener Versicherung nach § 8 II 1 GmbHG für die nach Eintragung der Gesellschaft entstanden Verluste haften, für rechtsfehlerhaft; eine Haftung des Beklagten zu 2) nach § 9a I GmbHG scheide ebenfalls aus. Die Beklagten und der Streithelfer sind außerdem der Ansicht, dass der Tatbestand einer wirtschaftlichen Neugründung auch ohne ausdrückliche Erklärung für das Registergericht nach den Umständen und auf Grund der Tatsache, dass die Gesellschafter der übernommenen GmbH als gewerbliche Verkäufer von Vorrats-GmbHs jeweils fast gleichlautender Firmierung gerichtsbekannt gewesen seien, erkennbar gewesen sei.
Die Beklagten und ihr Streithelfer beantragen, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
II. Die Berufung der Beklagten wahrt die gesetzlichen Formen und Fristen und ist daher zulässig.
Die Berufung ist begründet. Die Beklagten haften weder nach den Grundsätzen der Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung) noch entsprechend § 9a I GmbHG für die nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit entstandenen Verluste der Gesellschaft.
1. Eine Haftung des Beklagten zu 2) als Geschäftsführer entsprechend § 9a I GmbHG wegen unterlassener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung der Gesellschaft und/oder unterlassener Angaben über den Bestand der Stammeinlagen kommt im Ergebnis schon deswegen nicht in Betracht, weil sich der Anspruch - wenn er dem Grunde nach bestünde - jedenfalls nur auf Herstellung des Zustandes richtete, der bestünde, wenn die unterbliebenen Erklärungen abgegeben worden wären und richtig gewesen wären (vgl. OLG Köln ZIP 2002, 713 Rz. 77 m.w.N.). Richtigerweise hätte der Beklagte zu 2) dem Registergericht wahrheitsgemäß versichern müssen, dass das statutarische Stammkapital, soweit nach § 7 II, III GmbHG erforderlich, eingezahlt und durch keinerlei Auszahlungen oder Passiva gemindert war. Tatsächlich war die Vermögenslage der GmbH bei der Anmeldung des Anteilserwerbs sogar besser, denn das Stammkapital war vollständig eingezahlt und wertmäßig in voller Höhe vorhande...