Leitsatz (amtlich)
1. Durch das UMAG eingeführte Änderungen des Aktiengesetzes (hier §§ 243 Abs. 4, 245 Nr. 1 und 3 AktG) sind auch in laufenden Freigabe- und Anfechtungsverfahren zu berücksichtigen (sog. unechte Rückwirkung).
2. Offensichtlich unbegründet i.S.d. § 16 Abs. 3 UmwG ist eine aktienrechtliche Anfechtungsklage, wenn sich unter den Bedingungen des Eilverfahrens ihre Unbegründet mit hoher Sicherheit vorhersagen lässt, ohne dass es auf den hierfür erforderlichen Prüfungsaufwand ankommt.
3. Verschmelzungsbeschlüsse unterliegen als unternehmerische Grundentscheidung keiner Inhaltskontrolle auf ihre sachliche Rechtfertigung hin.
4. Gesetzlich vorgesehene Folgen der Verschmelzung sind in der Regel kein Sondervorteil gem. § 243 Abs. 2 AktG. Es ist nicht entscheidend ob überwiegend oder ausschließlich der Mehrheitsaktionär von der Verschmelzung profitiert. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Verschmelzung zur Durchsetzung sachfremder Ziele instrumentalisiert wird.
5. Ein gezieltes Ausnutzen kapitalmarktrechtlicher Mechanismen durch den Mehrheitsaktionär zum Nachteil der Minderheitsaktionäre kann eine gesellschaftsrechtliche Treuepflichtverletzung beinhalten.
6. Der sog. "Top-Down-Ansatz" ist bei der Darstellung von Unternehmensgruppen im Verschmelzungsbericht zulässig. Neben den Angaben zur Gruppe sind weitere Angaben zu verbundenen Unternehmen der nachgeordneten Konzerngruppe - unabhängig von dem Wert in Relation zum Wert des Mutterunternehmens - erforderlich, soweit sie für die Verschmelzung von wesentlicher Bedeutung sind.
7. Im Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG ist die Rechtsbeschwerde statthaft.
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Beschluss vom 29.11.2005; Aktenzeichen 12 O 491/05) |
Nachgehend
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Kammer für Handelssachen des LG Darmstadt vom 29.11.2005 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die vor dem LG Darmstadt gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 28./29.4.2005 (Tagungsordnungspunkt 9 - Zustimmung zum Verschmelzungsvertrag vom 8.3.2005 zwischen der Antragstellerin und der Deutschen Telekom AG) erhobenen Klagen (Aktenzeichen 12 O 301/05, 12 O 302/05, 12 O 311/05, 12 O 312/05, 12 O 321/05, 12 O 322/05, 12 O 323/05, 12 O 331/05, 12 O 332/05, 12 O 341/05, 12 O 342/05, 12 O 343/05, 12 O 352/05, 12 O 361/05, 12 O 362/05, 12 O 363/05, 12 O 371/05, 12 372/05, 12 O 381/05, 12 O 382/05, 12 O 383/05, 12 O 391/05, 12 O 392/05, 12 O 412/05) der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister des Sitzes der Antragstellerin sowie der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister des Sitzes der Deutschen Telekom AG nicht entgegenstehen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin haben die Antragsgegner je zu 1/37 zu tragen. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten haben die Antragsgegner und die Streithelfer jeweils selbst zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Beschwerdewert: 500.000 EUR.
Gründe
A. 1983 führte die Deutsche Bundespost, Rechtsvorgängerin der Deutschen Telekom AG (nachfolgend DTAG), den Informations- und E-Commerce Dienst Bildschirmtext (Btx) am Markt ein. Dieser 1992 weiterentwickelte Online-Dienst wurde an die wachsende Zahl der PC-Nutzer vermarktet und 1995 der Internetzugang "T-Online" eingeführt. Ende 1995 gründete die DTAG die Online Pro Dienste Beteiligungs-GmbH und mit dieser zusammen die Online Pro Dienste Beteiligungs-GmbH & Co. KG, auf die sie alle Vermögenswerte einschließlich Kundenstamm und Know-how übertrug und den Sitz nach Darmstadt verlegte. Ende 1997 wurden durch Austritt der DTAG aus der Kommanditgesellschaft sämtliche Aktiva und Passiva der KG durch Anwachsung auf die GmbH übertragen und diese in Deutsche Telekom Online Service GmbH umfirmiert. Zwischen ihr und ihrer Alleingesellschafterin DTAG bestand bis Ende 1999 ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, als sie in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und in T-Online International AG umfirmiert wurde. Das auf 1.000.000.000 EUR erhöhte Grundkapital hielt allein die DTAG, als die auf den Namen lautenden Aktien (§ 4 Abs. 2 der Satzung) am 17.4.2000 zum Börsenhandel zugelassen wurden.
Im Zuge des Börsengangs wurden 114.100.000 Aktien zu je 1 EUR (davon 7.800.000 an Mitarbeiter) ausgegeben und 92.200.000 und 14.100.000 zu einem im sog. Bookbuilding-Verfahren ermittelten Kurs von 27 EUR am Kapitalmarkt verkauft. Im Verkaufsprospekt der Antragstellerin vom 14.4.2000 wurde neben allgemeinen Risiken (S. 15-21) auf solche sich aus dem Konzernverbund mit der DTAG ergebende (S. 21-23) hingewiesen. Unter anderem heißt es:
"Da die DTAG über die erforderliche Stimmenmehrheit für sämtliche Beschlüsse der Hauptversammlung, wie etwa Beschlüsse über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder (die die Vorstandsmitglieder bestellen) und Ausschüttung von Dividenden, verfügt, wird die DTAG in der Lage sein, erheblichen Ein...