Leitsatz (amtlich)
1. Auch in einem Belegkrankenhaus muss dessen Träger organisatorische Vorsorge dafür treffen, dass stets eine zeitnahe (fach-)ärztliche Eingangsuntersuchung des frisch aufgenommenen Patienten erfolgt.
2. Wird keine organisatorische Vorsorge in dem vorbeschriebenen Sinne getroffen, ist von einem schweren Organisationsfehler auszugehen.
3. Bei einem Geburtsgewicht von möglicherweise 4.000 g oder mehr hat der Arzt die Gebärende über die der Vaginalgeburt inhärente Gefahr einer Schulterdystokie aufzuklären, auch wenn er selbst eine Sectio caesaris für nicht indiziert erachtet, denn es ist allein Sache der Mutter zu entscheiden, welche Art der Entbindung sie wählt.
Normenkette
BGB §§ 823, 847
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Aktenzeichen 13 O 190/94) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten zu 2) gegen das am 3.9.1998 verkündete Teilurteil der 13. Zivilkammer des LG Darmstadt wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil der 13. Zivilkammer des LG Darmstadt zur Ziff. 1) der Entscheidungsformel abgeändert und der Beklagte zu 2) – ggf. als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 1) – verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 51.129,19 Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 27.5.1994 zu zahlen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu 2) zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zzgl. 15 % hieraus abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jew. zu vollstreckenden Betrages zzgl. 15 % hieraus leistet.
Die Revision wird in Bezug auf den Haftungsgrund zugelassen.
Tatbestand
Der am 21.1.1990 geborene und von seinen Eltern gesetzlich vertretene Kläger erlitt bei seiner Geburt in einem in D. gelegenen Krankenhaus, dessen Träger der Beklagte zu 2) ist, einen schweren Geburtsschaden: Clavikulafraktur und Erb'sche Lähmung aufgrund vorangegangener Schulterdystokie. Infolge der Armplexuslähmung rechts ist der Kläger zu 80 % behindert. Im vorliegenden Verfahren nimmt er den seine Geburt betreuenden Arzt, den Beklagten zu 1), und den Träger des Belegkrankenhauses, den Beklagten zu 2), auf Schadensersatz in Anspruch.
Vor dem Kläger gebar nach Episiotomie seine Mutter bereits am 24.3.1987 eine 3.230 g schwere und 52 cm große Tochter. Im Mutterpass wird für die hier relevante Schwangerschaft eine Gewichtszunahme der Mutter des Klägers von 60,7 kg in der 6. Schwangerschaftswoche auf 81,7 kg in der 39. Schwangerschaftswoche verlautbart. Am Samstag, den 20.1.1990 fand bei der Mutter des Klägers in den späten Abendstunden ein Blasensprung statt, woraufhin sich die Mutter des Klägers in das von dem Beklagten zu 2) betriebene Hospital begab. Dort wurde sie als 33-jährige II Gravida, I-Para – also einen Tag nach dem errechneten Geburtstermin – am Sonntag, den 21.1.1990 um 0.25 Uhr stationär aufgenommen. Nach einer nicht ärztlichen vaginalen Untersuchung durch die Hebamme wurde die Mutter des Klägers zur Station geschickt. Im Krankenblatt werden um 3.00 Uhr „starke Wehen” angegeben. Weiterhin wird dokumentiert, dass die Mutter des Klägers um 4.15 Uhr im Kreißsaal aufgenommen wurde und nach einem medianen Dammschnitt eine „schwere Schulterdystokie” eintrat. Die Geburtszeit des Klägers wird mit 5.05 Uhr und sein Geburtsgewicht mit 4.230 g sowie seine Größe mit 55 cm und sein Schulterumfang mit 39 cm angegeben.
In der Folgezeit wurde von der Gutachter- und Schlichtungsstelle für ärztliche Behandlungen bei der Landesärztekammer Hessen ein Verfahren eingeleitet, in dessen Verlauf der Chefarzt für Frauenheilkunde und Geburtshelfer Dr. L. unter dem 17.3.1992 ein Gutachten erstattete, das zu dem Ergebnis kam, dass den Ärzten die Komplikationen nicht angelastet werden könnten. Hiergegen wandten sich die Eltern des Klägers und beantragten die Überprüfung des Bescheides vom 17.3.1992 durch die Gutachterkommission, die mit Beschluss vom 23.10.1992 den Elternantrag vom 5.5.1992 verwarf; d.h., auch sie kam zu dem Ergebnis, es lasse sich nicht feststellen, dass die Schulterdystokie und die Clavikulafraktur sowie die Plexusparese sicher hätten vermieden werden können. Der Einzelheiten wegen wird auf die beiden Bescheide Bezug genommen. Mit Schreiben vom 24.8.1992 zeigte die T.-Versicherung ggü. den Eltern des Klägers an, dass sie die Haftpflichtversicherin des Beklagten zu 2) sei und die Angelegenheit prüfen werde. Die Versicherungsgesellschaft führte im Schreiben weiter aus, eine Verjährung eventueller Ersatzansprüche drohe in der nächsten Zeit nicht; i.Ü. werde der Verlauf der Verjährungsfrist durch das Elternschreiben vom 5.8.1992 gehemmt.
Der Kläger hat behauptet, seine Mutter habe bei dem Eintreffen im Hospital eine „völlig überforderte Hebamme” angetroffen, die bereits drei werdende Mütter zu betreuen gehabt habe. In aller Hektik habe die Hebamme bei seiner Mutter ein CTG angefertigt. Weder seien weitere Untersuchungen – im Be...