Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässiges Teilurteil gegen einen Streitgenossen. Arzthaftungsprozess. Mutterschaftsrichtlinien. Aufklärung über Schnittentbindung
Leitsatz (amtlich)
a) Besteht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen, ist der Erlass eines Teilurteils gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen (hier: Belegarzt und Träger des Belegkrankenhauses) unzulässig.
b) Kommt es im Arzthaftungsprozess auf den Inhalt der Mutterschafts-Richtlinien an, so hat das Gericht in geeigneter Weise zu klären, welche Fassung in dem für die Haftungsfrage maßgeblichen Zeitraum gegolten hat.
c) Zu der Frage, ob im Jahr 1990 eine werdende Mutter bei einem möglicherweise makrosomen Kind vom Arzt über die Möglichkeit einer Schnittentbindung aufzuklären war.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1; ZPO §§ 286, 301
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.12.2002) |
LG Darmstadt |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten zu 2) wird das Urteil des 13. Zivilsenats des OLG Frankfurt am Main v. 11.12.2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Mutter des Klägers begab sich am 21.1.1990 nach Mitternacht in der 41. Schwangerschaftswoche mit einem vorzeitigen Blasensprung in die Geburtshilfeabteilung des Belegkrankenhauses des Beklagten zu 2). Die Geburt des Klägers, die von dem Beklagten zu 1), einem Belegarzt, betreut wurde, erfolgte gegen 5 Uhr. Dabei erlitt der Kläger, der bei der Geburt 4.230g wog, eine Schulterdystokie und nachfolgend eine Clavikulafraktur und eine Erb'sche Lähmung. Infolge der Armplexuslähmung ist der Kläger zu 80 % behindert. Er wirft dem Erstbeklagten ärztliche Behandlungsfehler und dem Zweitbeklagten Organisationsmängel vor, die den Gesundheitsschaden verursacht hätten. Er nimmt deshalb beide Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung ihrer Ersatzpflicht in Anspruch.
Das LG hat den Beklagten zu 2) durch Teilurteil verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 60.000 DM zu zahlen; ferner hat es die Ersatzpflicht des Zweitbeklagten für die materiellen und immateriellen Schäden festgestellt, die dem Kläger auf Grund der bei seiner Geburt eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen noch entstehen. Das OLG hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten zu 2) zurückgewiesen und ihn auf die Berufung des Klägers zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 51.129,19 Euro verurteilt. Mit der beschränkt auf den Haftungsgrund zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte zu 2) das Ziel einer Abweisung der gegen ihn gerichteten Klage weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht führt in dem angefochtenen Urteil (veröffentlicht in OLG Frankfurt v. 11.12.2002 - 13 U 199/98, OLGReport Frankfurt 2003, 55) aus:
Das LG habe zulässigerweise durch Teilurteil entschieden, weil sich die Entscheidung abschließend gegen einen der verklagten Streitgenossen richte.
Es habe auch im Ergebnis zutreffend ein zum Schadensersatz verpflichtendes Organisationsverschulden bejaht. Es habe schon 1990 zum allgemeinen Krankenhausstandard gehört, dass eine vor der Entbindung stehende Patientin einer fachärztlichen Eingangsuntersuchung zu unterziehen sei. Dies hätte auch in dem Belegkrankenhaus des Beklagten zu 2) durch organisatorische Anweisungen sichergestellt werden müssen. Eine ärztliche Eingangsuntersuchung sei vorliegend umso mehr angezeigt gewesen, als die Mutter des Klägers einen vorzeitigen Blasensprung gehabt habe. Auch schon die 1990 geltenden Mutterschafts-Richtlinien hätten in einem vorzeitigen Blasensprung eine Indikation für eine Ultraschalluntersuchung gesehen. Dies habe der von dem Senat bestellte Sachverständige auf gerichtliches Befragen ausdrücklich erklärt. An der erforderlichen Organisationsanweisung habe es vorliegend gefehlt. Der Organisationsmangel sei schlechterdings nicht nachvollziehbar und deshalb als grob zu bewerten. Auch in einem Belegkrankenhaus habe der Träger dafür Sorge zu tragen, dass jederzeit ein ausreichend qualifizierter Arzt für die indizierte Behandlung zur Verfügung stehe.
Wäre die gebotene (fach-)ärztliche Aufnahmeuntersuchung durchgeführt worden, so wäre die Patientin auch sonographiert worden. Auf Grund der bei vorzeitigem Blasensprung von den Mutterschafts-Richtlinien verlangten Ultraschalluntersuchung, die im Übrigen auch wegen der seit der letzten derartigen Untersuchung verstrichenen Zeit und der verstärkten Gewichtszunahme der Kindesmutter erforderlich gewesen sei, hätte sich der Arzt einen Eindruck über Lage und Stellung des Fötus verschaffen können.
Zwar seien 1990 die technischen und diagnostischen Möglichkeiten, ein makrosomes Kind eindeutig zu erkennen, gegenüber heute eingeschränkt gewesen. Deshalb wäre die Makrosomie des Klägers möglicherweise selbst bei der gebotenen Ultraschalluntersuchung nicht erkannt worden. Insoweit kämen dem Kläger wegen des groben Organisationsverschuldens des Beklagten zu 2) aber Beweiserleichterungen zugute. Es müsse von einer Umkehr der Beweislast ausgegangen werden. Den Beweis, dass auch bei Durchführung aller gebotenen Untersuchungen das Übergewicht des Klägers nicht erkannt worden wäre, habe der Beklagte zu 2) nicht angetreten.
Die Kausalität zwischen dem Unterlassen der Eingangsuntersuchung und dem geltend gemachten Schaden sei zu bejahen. Wären die gebotenen Untersuchungen ordnungsgemäß durchgeführt worden, so wäre die Mutter des Klägers über das Schulterdystokierisiko aufzuklären gewesen. Der Senat sei auf Grund ihrer Anhörung davon überzeugt, dass sie sich dann - auch entgegen möglicher ärztlicher Empfehlung - für einen Kaiserschnitt entschieden hätte. Insofern müsse deutlich unterschieden werden zwischen der Risikoaufklärung einerseits und der Schnittentbindungsindikation andererseits.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Das angefochtene Urteil ist auf die Rüge der Revision bereits deshalb aufzuheben, weil es unzutreffend annimmt, das LG habe über den gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Anspruch durch Teilurteil entscheiden dürfen. Die dafür gegebene Begründung, das Teilurteil sei zulässig, weil es nur einen der beiden verklagten Streitgenossen betreffe, entspricht nicht der Rechtsprechung des BGH.
a) Danach darf ein Teilurteil nur dann ergehen, wenn es von der Entscheidung über den Rest des geltend gemachten prozessualen Anspruchs unabhängig ist, so dass die Gefahr einander widerstreitender Erkenntnisse, auch durch das Rechtsmittelgericht, nicht besteht (vgl. BGH v. 8.12.1992 - VI ZR 349/91, BGHZ 120, 376 [380] = MDR 1993, 425; v. 23.1.1996 - VI ZR 387/94, MDR 1996, 520 = VersR 1996, 779 [780]; und v. 12.1.1999 - VI ZR 77/98, MDR 1999, 496 = VersR 1999, 734 f.; v. 26.4.1989 - IVb ZR 48/88, BGHZ 107, 236 [242] = MDR 1989, 895; Urt. v. 5.6.2002 - XII ZR 194/00, BGHReport 2002, 829 = MDR 2002, 1068 = FamRZ 2002, 1097 jeweils m. w. N.). Das gilt auch bei Klagen gegen mehrere einfache Streitgenossen (BGH v. 12.1.1999 - VI ZR 77/98, MDR 1999, 496 = VersR 1999, 734 f.; Urt. v. 19.12.2002 - VII ZR 176/02, ZIP 2003, 594; vgl. auch OLG München v. 28.4.1994 - 24 U 737/93, NJW-RR 1994, 1278 f.; LG Köln v. 23.8.2000 - 9 S 105/00, MDR 2001, 232 mit Anm. von E. Schneider; Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl., § 301 Rz. 8; Zöller/ Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 301 Rz. 4, 7). Ein Teilurteil ist schon dann unzulässig, wenn die bloße Möglichkeit besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt (vgl. BGH v. 12.1.1999 - VI ZR 77/98, MDR 1999, 496 = VersR 1999, 734 f. m. w. N.). Das vorliegende Verfahren gibt keinen Anlass, diese Rechtsprechung infrage zu stellen.
b) Dem vom Berufungsgericht für seine Entscheidung angeführten Urteil des BGH v. 7.7.1983 (BGH v. 7.7.1983 - III ZR 119/82, BGHZ 88, 85 = MDR 1984, 207 = NJW 1984, 615) ist nichts Abweichendes zu entnehmen. Dort geht es nicht um die Zulässigkeit eines Teilurteils, sondern darum, unter welchen Umständen eine Beschränkung der Revisionszulassung möglich ist. Soweit den dortigen Ausführungen entnommen werden kann, dass bei einer Klage gegen einfache Streitgenossen der Erlass eines Teilurteils grundsätzlich denkbar ist, ist dies zweifellos richtig. Dies besagt aber nichts darüber, ob ein Teilurteil bei subjektiver Klagehäufung erlassen werden darf, obwohl dem Gebot der Widerspruchsfreiheit nicht genügt ist.
c) Im vorliegenden Fall ist die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nicht auszuschließen. Nach dem Vortrag des Klägers stehen die behauptete unzureichende Organisation des Krankenhauses der Zweitbeklagten und die ebenfalls behauptete fehlerhafte Betreuung der Geburt durch den Erstbeklagten in einem unmittelbaren Zusammenhang. Es handelt sich um einen komplexen einheitlichen Lebenssachverhalt, der auch dadurch geprägt ist, dass die Tätigkeit der anwesenden Hebamme je nach Zeitabschnitt und rechtlicher Sicht dem Beklagten zu 1) oder dem Beklagten zu 2) zugeordnet werden kann. Da das Berufungsgericht ein - durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellendes - ärztliches Tätigwerden im Vorfeld des Geburtsvorgangs für erforderlich hält, kann es für die Haftung beider Beklagter darauf ankommen, welche ärztlichen Maßnahmen situationsbedingt erforderlich waren. Dass hier eine ausreichend deutliche zeitliche oder sachbedingte Zäsur vorliegt, die eine widerspruchsfreie, völlig getrennte Beurteilung beider Verantwortungsbereiche ermöglicht, lässt sich auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen nicht ausreichend sicher sagen.
d) Das Berufungsgericht hätte die Unzulässigkeit des Teilurteils von Amts wegen (vgl. BGH v. 12.1.1999 - VI ZR 77/98, MDR 1999, 496 = VersR 1999, 734 f. m. w. N.), aber auch deshalb berücksichtigen müssen, weil sie in der Berufungsbegründung des Beklagten zu 2) gerügt war. Schon dieser Fehler führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht (dazu unten III).
2. Unabhängig davon sind wesentliche Feststellungen, die das Berufungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung zu Grunde legt, nicht in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise getroffen worden. Der für die Entscheidung des Berufungsgerichts wesentlichen Annahme, bei der Aufnahme der Mutter des Klägers wäre eine Ultraschalluntersuchung (Sonographie) durchzuführen gewesen, fehlt eine ausreichende tatsächliche Grundlage.
a) Das Berufungsgericht meint, dass im Rahmen der für erforderlich erachteten Eingangsuntersuchung eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt und dabei möglicherweise die Übergewichtigkeit (Makrosomie) des Klägers entdeckt worden wäre und dass sodann die Mutter des Klägers über die bestehenden Risiken, insbesondere einer Schulterdystokie, und die Möglichkeit einer Schnittentbindung hätte aufgeklärt werden müssen, für die sie sich nach der Überzeugung des Berufungsgerichts entschieden hätte.
b) Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung, bei der Eingangsuntersuchung wäre eine Sonographie durchzuführen gewesen, auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen. Dieser hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, "laut Mutterschaftsrichtlinien" stelle der vorzeitige Blasensprung eine Indikation für eine Ultraschalluntersuchung dar; diese sei auch wegen der verstärkten Gewichtszunahme der Mutter und deshalb zu fordern gewesen, weil die letzte derartige Untersuchung acht Wochen zurückgelegen habe. Die Revision zeigt jedoch einen Widerspruch zwischen den Äußerungen des Sachverständigen und den für den Zeitpunkt der Geburt des Klägers geltenden Mutterschafts-Richtlinien auf, dem das Berufungsgericht hätte nachgehen müssen.
Ersichtlich hat der Sachverständige seinem schriftlichen Gutachten die Mutterschafts-Richtlinien nach dem Stand von 1999 zu Grunde gelegt. Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Sachverständige sodann auf Fragen des Gerichts erklärt, die Mutterschaftsrichtlinien hätten auch schon zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers bei einem vorzeitigen Blasensprung eine Indikation für eine Ultraschalluntersuchung vorgesehen. Das hat der Zweitbeklagte mit nachgelassenem Schriftsatz in Abrede gestellt. Diesem Widerspruch hätte das Berufungsgericht in geeigneter Weise nachgehen müssen.
Die Mutterschafts-Richtlinien werden vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gem. § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) i. V. m. § 196 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. § 23 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1972) beschlossen. Sie dienen der Sicherung einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen ärztlichen Betreuung der Versicherten während der Schwangerschaft und nach der Entbindung (§§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 28 Abs. 1, 70 Abs. 1 und 73 Abs. 2 SGB V). Die jeweiligen Fassungen sind im Bundesanzeiger bzw. im Bundesarbeitsblatt veröffentlicht und lassen sich bis zu der für den Eingriff maßgeblichen Fassung zurückverfolgen.
Im Hinblick darauf erscheint es als bedenklich, wenn das Gericht, sofern es auf die zu einem bestimmten Zeitpunkt geltende Fassung der Richtlinien ankommt, hierfür lediglich in der mündlichen Verhandlung den Sachverständigen befragt, der sich auf diese Frage erkennbar nicht hat vorbereiten können.
c) Die Revision zeigt auf, dass hier ein Widerspruch zwischen den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen und den für den Behandlungszeitpunkt maßgeblichen Mutterschafts-Richtlinien vorliegt. Sie beruft sich mit Recht darauf, dass die Mutterschafts-Richtlinien in der 1990 geltenden Fassung sonographische Untersuchungen lediglich in der 16. bis 20. und in der 32. bis 36. Schwangerschaftswoche vorsahen (Abschnitt A Nr. 5) und dass darüber hinausgehende Ultraschalluntersuchungen nur nach Maßgabe des Indikationskataloges nach Anlage 1 der Richtlinien angezeigt waren (Abschnitt B Nr. 4a), dessen Voraussetzungen hier nicht vorlagen. Daraus folgert die Revision zutreffend, dass sich eine Verpflichtung des Zweitbeklagten, bei stationärer Aufnahme von Schwangeren in die gynäkologische Abteilung eine Ultraschalluntersuchung sicherzustellen, aus den 1990 geltenden Mutterschafts-Richtlinien nicht herleiten lässt.
d) Bei dieser Sachlage beruhen die tatsächlichen Feststellungen, aus denen das Berufungsgericht einen für den Schaden des Klägers möglicherweise ursächlichen Organisationsfehler herleiten will, auf einem durchgreifenden Verfahrensfehler. Das angefochtene Urteil ist demnach auch wegen fehlerhafter Feststellungen aufzuheben.
3. Da das Berufungsurteil schon aus den oben (zu 1 und 2) erörterten Gründen keinen Bestand haben kann, bedarf es keiner abschließenden Erörterung der Revisionsrügen, nach denen das Berufungsgericht zu Unrecht einen groben Organisationsfehler mit der Folge einer Beweislastumkehr bejaht hat. Für das weitere Verfahren weist der erk. Senat lediglich auf Folgendes hin:
a) Das Berufungsgericht geht ersichtlich davon aus, dass die Makrosomie des Klägers nur hätte entdeckt werden können, wenn im Rahmen der von ihm für erforderlich gehaltenen Eingangsuntersuchung eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt worden wäre. Sollte die Ergänzung der Beweisaufnahme - wofür derzeit nichts spricht - ergeben, dass eine solche Untersuchung auch unter Berücksichtigung der bereits 1990 geltenden Mutterschafts-Richtlinien durchzuführen war, wird es darauf ankommen, ob die Durchführung einer Eingangsuntersuchung zu den Organisationspflichten des Beklagten zu 2) als Träger des Belegkrankenhauses gehörte. Dafür kann sprechen, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ein Belegkrankenhaus ungeachtet der Tatsache, dass es grundsätzlich keine ärztlichen Leistungen schuldet, für schuldhafte Versäumnisse innerhalb seines Verantwortungsbereichs, die zu einem Schaden des Patienten führen, einzustehen hat (BGH v. 14.2.1995 - VI ZR 272/93, BGHZ 129, 6 [13 f.] = MDR 1995, 698; und v. 16.4.1996 - VI ZR 190/95, MDR 1996, 1016 = VersR 1996, 976 [977]). Auf die in den genannten Entscheidungen entwickelten Grundsätze wird ggf. zurückzugreifen sein.
b) Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der von ihm bejahte Organisationsfehler sei als grob zu bewerten. Insoweit verweist die Revision mit Recht darauf, dass das Berufungsgericht ausreichende tatsächliche Feststellungen, die diese Wertung tragen, nicht getroffen hat. Inwieweit sich das Organisationsversäumnis auch unter Berücksichtigung dessen als besonders schwer wiegend darstellt, dass die Mutter des Klägers von der anwesenden Hebamme betreut wurde und ärztliche Hilfe, wie die Hinzuziehung des Beklagten zu 1 zu der Geburt zeigt, zur Verfügung stand, legt das Berufungsgericht nicht dar. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Frage Gegenstand der Befragung des Sachverständigen war. Der Senat hat aber bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass der Tatrichter einen groben Behandlungsfehler nicht ohne ausreichende Grundlage in den medizinischen Darlegungen des Sachverständigen bejahen darf (zuletzt BGH, Urt. v. 3.7.2001 - VI ZR 418/99, BGHReport 2001, 683 = VersR 2001, 1116 [117]; und v. 28.5.2002 - VI ZR 42/01, BGHReport 2002, 827 = MDR 2002, 1120 = VersR 2002, 1026 [1027 f.] jeweils m. w. N.). Entsprechendes kann auch für einen Organisationsfehler des Krankenhausträgers gelten, soweit es um die Anforderungen an die Organisation aus medizinischer Sicht geht.
c) Erheblichen Bedenken begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, die aus dem von ihm bejahten groben Organisationsverschulden hergeleitete Beweiserleichterung reiche so weit, dass zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen werden könne, die Makrosomie wäre entdeckt worden. Mit Recht macht die Revision geltend, das Berufungsgericht habe nicht ausreichend beachtet, dass ein Verstoß gegen die bei der Eingangsuntersuchung aus medizinischer Sicht gebotene Befunderhebung im Wege der Beweiserleichterung auf ein reaktionspflichtiges positives Befundergebnis nur schließen lässt, wenn dies hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. BGH v. 13.12.1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47 [50 ff.] = MDR 1996, 694; und v. 6.7.1999 - VI ZR 290/98, MDR 1999, 1265 = VersR 1999, 1282 [1283]). Beweiserleichterungen sind jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang "äußerst unwahrscheinlich" ist (BGH v. 21.9.1982 - VI ZR 302/80, BGHZ 85, 212 [216 f.] = MDR 1983, 219; v. 14.2.1995 - VI ZR 272/93, BGHZ 129, 6 [12] = MDR 1995, 698; v. 13.1.1998 - VI ZR 242/98, BGHZ 138, 1 [8]; v. 1.10.1996 - VI ZR 10/96, MDR 1997, 147 = VersR 1997, 362 [363 f.] m. w. N.). Das Berufungsgericht erkennt selbst, dass eine Makrosomie des Klägers angesichts der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten im Jahr 1990 möglicherweise nicht entdeckt worden wäre. Auf Grund welcher Erwägungen die gegenteilige Feststellung im Streitfall gleichwohl als gerechtfertigt erscheint, ist den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil nicht ausreichend deutlich zu entnehmen.
d) Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen auch nicht hinreichend klar erkennen, ob es sich bei der Annahme, dem Kläger komme eine mehrstufige Beweiserleichterung zugute, der Voraussetzungen bewusst gewesen ist, die nach der Rechtsprechung des erkennenden Senat insoweit zu beachten sind (vgl. BGH v. 13.2.1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47 [50 ff.] = MDR 1996, 694; v. 13.1.1998 - VI ZR 242/98, BGHZ 138, 1 [4 ff.]; v. 4.10.1994 - VI ZR 205/93, MDR 1994, 1187 = VersR 1995, 46 f.; v. 21.11.1995 - VI ZR 341/94, MDR 1996, 261 = VersR 1996, 330 ff.; v. 6.7.1999 - VI ZR 290/98, MDR 1999, 1265 = VersR 1999, 1282 [1283]). Dem muss indes im Hinblick auf die verschiedenen vorrangig zu prüfenden, bisher nicht zu beantwortenden Fragen nicht weiter nachgegangen werden.
e) Der erk. Senat muss angesichts der zahlreichen ungeklärten Vorfragen auch nicht abschließend zu der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Zulassungsfrage Stellung nehmen, ob die Mutter des Klägers über die Möglichkeit einer Schnittentbindung hätte aufgeklärt werden müssen.
aa) Das Berufungsgericht erkennt selbst, dass seine Ansicht, diese Frage sei zu bejahen, im Widerspruch zur Mehrheit der dazu publizierten Entscheidungen steht (vgl. OLG Frankfurt AHRS 2500, 159; OLG Hamm v. 30.1.1989 - 3 U 28/88, VersR 1990, 52; AHRS 2500, 169; OLG München AHRS 2500/110; OLG Schleswig v. 12.1.2000 - 4 U 71/97, VersR 2000, 1544; OLG Stuttgart v. 19.5.1988 - 14 U 34/87, VersR 1989, 519; OLG Zweibrücken v. 16.1.1996 - 5 U 45/94, VersR 1997, 1103). Ob es sich mit Recht auf die von ihm als abweichend bezeichneten Urteile (OLG Hamm v. 24.6.1996 - 3 U 179/94; OLG Koblenz v. 17.4.2001 - 3 U 1158/96, NJW-RR 2002, 310; OLG Köln v. 11.6.1997 - 5 U 15/96, OLGReport Köln 1997, 296) berufen kann oder ob diese Entscheidungen, wie die Revision meint, durch besondere Sachverhaltsgestaltungen veranlasst waren, kann hier dahinstehen. Festzuhalten ist aber, dass die Ausführungen des Berufungsgerichts schwerlich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats stehen. Nach dieser muss über die Möglichkeit einer Schnittentbindung nur aufgeklärt werden, wenn sie aus medizinischer Sicht indiziert ist, weil für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, ernst zu nehmende Gefahren für das Kind drohen und daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen, wobei diese auch unter Berücksichtigung der Konstitution und Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alt. darstellen muss (BGH v. 6.12.1988 - VI ZR 132/88, BGHZ 106 153 [157] = MDR 1989, 437; v. 12.11.1991 - VI ZR 369/90, MDR 1992, 651 = VersR 1992, 237; v. 19.1.1993 - VI ZR 60/92, MDR 1993, 742 = VersR 1993, 835; v. 16.2.1993 - VI ZR 300/91, MDR 1993, 741 = VersR 1993, 703). Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, von diesen Grundsätzen abzuweichen.
bb) Mit Recht weist die Revision auch darauf hin, dass sich das Berufungsgericht für seine Auffassung nicht auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen berufen kann. Dieser hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, nach dem ärztlichen Standard von 1990 sei ein Hinweis auf die Schulterdystokie und auf die Alt. einer Sectio angesichts der Unsicherheiten bei der ultrasonographischen Gewichtsschätzung "höchstens als erwägenswert zu bewerten" gewesen, zumal zum damaligen Zeitpunkt der Umstand, dass ein "großes" Kind zu erwarten sei, keine Indikation zu einer Schnittentbindung dargestellt habe. In diesem Sinne hat sich der Sachverständige auch zunächst bei seiner mündlichen Anhörung durch das Berufungsgericht geäußert. Seine im späteren Verlauf der Anhörung vorgebrachte scheinbar abweichende Äußerung beruht auf einem zumindest missverständlichen Vorhalt des Berufungsgerichts zur Rechtslage und ist deshalb nicht aussagekräftig.
III.
Auf die Revision ist das angefochtene Urteil danach aufzuheben. Der erk. Senat verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Zwar ist das Teilurteil des LG unzulässig, so dass eine Zurückverweisung der Sache an das LG in Betracht kommt. Das Berufungsgericht kann den beim LG verbliebenen Teil des Rechtsstreits jedoch an sich ziehen (BGH v. 12.1.1999 - VI ZR 77/98, MDR 1999, 496 = VersR 1999, 734 f. m. w. N.). Inwieweit diese Möglichkeit auf Grund der ab dem 1.1.2002 geltenden Vorschriften über das Berufungsverfahren möglicherweise eingeschränkt ist, kann dahinstehen. Im vorliegenden Fall sind für das Berufungsverfahren nach Zurückverweisung der Sache noch die am 31.12.2001 geltenden Vorschriften weiterhin anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung vor dem LG am 16.7.1998 geschlossen worden ist (vgl. § 26 Nr. 5 EGZPO). Eine abschließende Entscheidung der Sache durch das Berufungsgericht erscheint als sachdienlich (§ 540 ZPO a. F.). Zur Verantwortlichkeit des Beklagten zu 1) ist in erster Instanz bereits verhandelt und Beweis erhoben worden. Der Gesamtablauf des Behandlungsgeschehens bedarf möglicherweise, zumindest in Teilaspekten, einer einheitlichen Betrachtung. Nicht zuletzt fällt auch ins Gewicht, dass der Rechtsstreit seit mehr als neun Jahren anhängig ist, so dass das Interesse an einer alsbaldigen abschließenden Entscheidung hinsichtlich sämtlicher Streitgegenstände das Interesse, den Verlust einer Instanz zu vermeiden, deutlich überwiegt.
Fundstellen
Haufe-Index 1101295 |
NJW 2004, 1452 |
BGHR 2004, 626 |
EBE/BGH 2004, 4 |
FamRZ 2004, 619 |
MDR 2004, 589 |
NZV 2004, 242 |
VersR 2004, 645 |
GesR 2004, 132 |
ProzRB 2004, 118 |