Leitsatz (amtlich)
1. Aufgrund der besonders schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe der Tatsachenfeststellung, der Beweiswürdigung und der Rechtsanwendung darf die Entscheidung und Beweiserhebung im Arzthaftungsprozess grundsätzlich nicht durch den Einzelrichter erfolgen.
2. Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Klage ist es zwar grundsätzlich zulässig, bereits vorliegende Gutachten zur Beurteilung heranzuziehen. Auch insoweit ist jedoch das Gericht im Arzthaftungsprozess aufgerufen, sachverständige Stellungnahmen kritisch zu würdigen und etwaige Widersprüche zu klären. Die Notwendigkeit dieser Klärung begründet zwar nicht stets aber doch im allgemeinen die hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung.
Normenkette
ZPO §§ 114, 348a Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Beschluss vom 15.04.2005; Aktenzeichen 5 O 111/05) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des LG Karlsruhe vom 15.4.2005 - 5 O 111/05 - geändert.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Antragsgegner zu 1, 4 und 5 unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. B., K. mit den Anträgen bewilligt:
a) Die genannten Antragsgegner als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 35.000 EUR zu zahlen;
b) festzustellen, dass die genannten Antragsgegner als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Antragsteller allen materiellen und zukünftigen weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Behandlung vom 6./7.3.2002 im Krankenhaus der Antragsgegnerin zu 1) entsteht, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialleistungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Raten sind nicht zu zahlen.
Gründe
I. Der Antragsteller wurde nach stationärer Aufnahme in der chirurgischen Klinik der Antragsgegnerin zu 1), deren Direktor der Antragsgegner zu 2) ist, am 28.2.2002 vom Antragsgegner zu 3) wegen einer Sigmadivertikulitis unter Resektion eines Teils des Darms operiert. Am 6.3.2002 bekam der Kläger starke Schmerzen. Die Antragsgegner zu 4) und 5) als diensthabende Ärzte verordneten dem Kläger Novalgin (das er bereits in den Tagen vor der Operation erhalten hatte) und über eine Venenverweilkanüle Buscopan (vgl. den Pflegebericht vom 6.3.2002 in den Krankenunterlagen). Am Mittag des 7.3.2002 brach der Kläger zusammen. Es trat stuhlverdächtiges Sekret aus der Stelle aus, an der die bereits entfernte Drainage gelegen hatte. Wegen einer Insuffizienz der Anastomose erfolgte auf Anordnung des Antragsgegners zu 2) eine Notoperation. Es zeigte sich eine ausgeprägte Vierquadranten-Peritonitis. Der Antragsteller lag in der Folge teils im Koma bis zum 2.5.2002 auf der Intensivstation. Es entwickelte sich ein ausgeprägtes septisches Krankheitsbild im Sinn einer Systemic Inflammatory Response Syndrome (SIRS) sowie einer Aspergillus-Pneunomie und in der Folge ein komplett infizierter Platzbauch mit sekundärer Wundheilung. Mehrere Revisionsoperationen waren erforderlich.
Der Antragsteller trägt vor, all dies, wie auch der Verlust seines Arbeitsplatzes, seine fortdauernde Schwerbehinderung (Grad der Behinderung: 70) sei darauf zurück zu führen, dass er nicht bereits am 6.3.2002, als die Schmerzen aufgetreten seien, operiert worden sei, und begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Schmerzensgeld und auf Ersatz teils bezifferten weiteren materiellen und immateriellen Schadens.
Das LG hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag abgewiesen.
II. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde ist zum Teil begründet.
1. Die Auffassung des LG, die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei mutwillig und habe auch keine Aussicht auf Erfolg, weil - wie sich aus dem Gutachten Prof. Dr. M. vom 13.7.2004 im Verfahren vor der Gutachterkommission ergebe - der Verlauf bei früherer Operation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht anders als tatsächlich gewesen wäre und deshalb mit einem anderen Beweisergebnis auch im gerichtlichen Verfahren nicht zu rechnen sei, sodass selbst unter Annahme eines groben Behandlungsfehlers die Klage aussichtslos sei, ist nicht haltbar. Sie verstößt gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit und beachtet die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Verfahrensgrundsätzen im Arzthaftungsprozess nicht.
Dies mag dadurch veranlasst sein, dass der vom BGH aufgestellte (BGH v. 23.3.1993 - VI ZR 26/92, MDR 1993, 623 = VersR 1993, 836 [838], m. N.), vom Senat (OLG Karlsruhe v. 3.3.1993 - 7 U 180/91, VersR 1994, 860) ebenso wie von anderen Obergerichten (OLG Brandenburg v. 8.11.2000 - 1 U 6/99, VersR 2001, 1241) geteilte Grundsatz nicht beachtet worden ist, wonach wegen der besonders schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe der Tatsachenfeststellung, der Beweiswürdigung und Rechtsanwendung die Entscheidung und Beweiserhebung im Arzthaftungsprozess grundsätzlich nicht durch den Einzelrichter zu erfolgen hat, sodass sich sowohl eine Übertragung auf den - hier n...