Leitsatz (amtlich)

Bei Behandlung deutscher Patienten in Schweizer Kantonsspitälern können die nach Schweizer Recht nicht haftenden Ärzte zu einer deliktischen Haftung nach deutschem Recht nicht herangezogen werden, weil der Sachverhalt wegen des Behandlungsvertrages mit dem Kantonsspital nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB eine wesentlich engere Verbindung zum Schweizer Recht als zum deutschen Recht aufweist und deshalb Schweizer Recht Anwendung findet.

 

Verfahrensgang

LG Waldshut-Tiengen (Urteil vom 26.11.2009; Aktenzeichen 1 O 36/06)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Waldshut-Tiengen vom 26.11.2009 - 1 O 36/06 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung i.H.v. jeweils 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags Sicherheit leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 172.600 festgesetzt.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Der Kläger verfolgt mit der Berufung die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das LG Waldshut-Tiengen.

Im Senatstermin wurde mit den Parteien erörtert, ob gem. Art. 41 EGBGB Schweizer Recht anzuwenden ist.

II. Die Berufung ist mit der Maßgabe als unbegründet zurückzuweisen, dass die Klage nicht nur zzt. unbegründet ist, wobei dem das Verschlechterungsverbot nicht entgegensteht (BGHZ 104, 212). Anders als das LG geht der Senat davon aus, dass nach Art. 41 EGBGB Schweizer Recht Anwendung finden muss mit der Folge, dass eine Haftung des Beklagten entsprechend dem Spitalgesetz des Kantons Basel-Stadt und dem kantonalen Haftungsgesetz ausscheidet.

1. Anwendung Schweizer Rechts:

Entgegen der Auffassung des LG ist die Wahl Deutschen Rechts nach Art. 40 EGBGB ausgeschlossen, weil der Sachverhalt nach Art. 41 EGBGB eine wesentlich engere Verbindung zum Schweizer Recht als zum deutschen Recht aufweist. Art. 41 EGBGB verdrängt die einseitige Rechtswahl nach Art. 40 Abs. 2 EGBGB (allgem. Auffassung - vgl. BGH, Urt. v. 23.3.2010 - VI ZR 57/09 - Rz. 13 Jurisausdruck; Kropholler Intern. Privatrecht 6. Aufl. S. 530).

Gemäß Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB ist auch auf das deliktische Schuldverhältnis Schweizer Recht anzuwenden. Nach dieser Vorschrift ergibt sich die wesentlich engere Verbindung "aus einer besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Beziehung zwischen den Beteiligten im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis". Der Kläger hat - wie er im Berufungsverfahren auch nicht mehr bestreitet - mit dem Kantonsspital Basel einen Behandlungsvertrag abgeschlossen, in dessen Ausführung er vom Beklagten behandelt worden ist und der eine besondere rechtliche oder tatsächliche Beziehung zwischen den Beteiligten im Sinne des Kollisionsrechts begründet. Der Behandlungsvertrag mit dem Kantonsspital unterliegt nach Art. 27, 28 EGBGB Schweizer Recht (jetzt ebenso Art. 4 I b ROM I - Dienstleistungsvertrag).

Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB behandelt die akzessorische Anknüpfung als möglichen Anwendungsfall (Regelbeispiel) der allgemeinen Ausweichklausel. Der Grundsatz der akzessorischen Anknüpfung entspricht der kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit: Danach ist möglichst der gesamte Lebenssachverhalt einer einheitlichen Rechtsordnung zu unterstellen und nicht in verschiedene Rechtsbeziehungen aufzusplittern, die jeweils unterschiedlichen Rechtsordnungen unterstehen (vgl. Staudinger/v. Hofmann BGB 2001 Art. 41 EGBGB Rz. 9). Platz für eine akzessorische Anknüpfung besteht dort, wo der Vertrag als Sonderordnung eines Gesamtsachverhalts Pflichten entwickelt, die auch allgemeine Verhaltenspflichten prägen, die deliktsrechtlich sanktioniert sind (Erman/Hohloch BGB, 12. Aufl. 2008 Art. 41 EGBGB Rz. 11). Die akzessorische Anknüpfung vereinfacht die Rechtsanwendung, indem sie einen Gleichlauf konkurrierender Vertrags- und Deliktsansprüche bewirkt und mit einer klaren und einfachen Lösung schwierige nachträgliche Korrekturen vermeidet, die bei einer getrennten Anknüpfung unausweichlich wären. So macht die Unterstellung deliktischer Ansprüche unter das Statut des Sonderverhältnisses die Sonderanknüpfung von Teilfragen wie etwa Haftungsprivilegien überflüssig (Staudinger/v. Hofmann, a.a.O.).

Dass der Behandlungsvertrag nicht zwischen den Parteien geschlossen wurde, was das LG für entscheidend hält, steht der Annahme einer wesentlich engeren Verbindung gem. Art. 41 EGBGB nicht entgegen. Allerdings erfordert die akzessorische Anknüpfung grundsätzlich ein vertragliches oder sonstiges Rechtsverhältnis zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten (Parteiidentität - s. dazu Staudinger/v. Hofmann, a.a.O., Rz. 13; MK/Junker BGB, 4. Auf...

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