Leitsatz (amtlich)
1. Behauptet der Kläger eine Verletzung der Aufklärungspflicht bei Verschreibung von Medikamenten durch einen Schweizer Arzt in seiner in der Schweiz gelegenen Praxis und erfolgt absprachegemäß die Einnahme der Medikamente durch den Kläger an seinem Wohnsitz im Inland mit der Folge erheblicher gesundheitsschädlicher Nebenwirkungen, so liegt der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, im Inland und ist die internationale Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 des Luganer Übereinkommens (LugÜ) bzw. nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO am Wohnsitz des Klägers gegeben.
2. Auch bei Abschluss eines Arztbehandlungsvertrages scheidet ein Nebeneinander von Vertrags- und Deliktsgerichtsstand nicht von vorneherein aus. Im Delikts gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ bzw. nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO können Klagen aus deliktischen Ansprüchen erhoben werden, die zwar mit vertraglichen oder anderen gesetzlichen Ansprüchen konkurrieren, aber nicht direkt an einen Vertrag anknüpfen.
Verfahrensgang
LG Waldshut-Tiengen (Urteil vom 10.07.2006; Aktenzeichen 1 O 36/06) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Zwischenurteil des LG Waldshut-Tiengen vom 10.7.2006 - 1 O 36/06 - wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Kläger nicht i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 172.600 EUR festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Zwischenurteil Bezug genommen.
Der Beklagte begehrt mit der Berufung die Abweisung der Klage als unzulässig wegen fehlender internationaler Zuständigkeit, über die das Zwischenurteil entschieden hat.
II. Die Berufung des Beklagten ist zulässig aber nicht begründet. Das LG hat mit Zwischenurteil im Ergebnis zu Recht seine internationale Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 des Luganer Übereinkommens (LugÜ) bejaht. Der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, liegt in Deutschland.
Als Erfolgsort ist dabei der Ort zu verstehen, an dem das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt hat (EuGH NJW 1991, 631, 632), während der bloße Ort des Schadenseintritts nicht ausreichend ist. Erfolgsort ist danach der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (MK-Gottwald, ZPO, 2. Aufl. 2001, Rz. 43 zu Art. 5 EuGVÜ) bzw. der Ort des Primärschadens (Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl. 2005, Rz. 27 zu Art. 5 EuGVVO).
Nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien liegt der Erfolgsort in Deutschland, weil dort das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt hat (vgl. EuGH a.a.O.) bzw. dort in das geschützte Rechtsgut, nämlich Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit, eingegriffen wurde. Unstreitig ist, dass der Kläger vom Beklagten in der Schweiz behandelt wurde und ihm eine Medikamententherapie empfohlen wurde, wie sich dies aus dem Schreiben des Kantonsspitals B. vom 27.7.2004 (Anlage A 3, AS. I 45) ergibt. Der Beklagte hat dem Kläger ein Rezept für Pegasys und Ribavirin (Copegus) ausgestellt. Diese Medikamente hat sich der Kläger nach Rückkehr nach Deutschland bei seiner Apotheke beschafft. Die Medikamenteneinnahme erfolgte dann in Deutschland mit einer Ausnahme, dass sich der Kläger am 30.7.2004 in das Kantonsspital B. begab und dort eine Einweisung in die Handhabung der Pegasys Spritzen erhielt. Bei dieser Gelegenheit hat sich der Kläger selbst die erste Spritze gesetzt, worauf sich sein entsprechender Vortrag in der Klage bezieht. Diese Vorgehensweise ist im Übrigen bereits im Schreiben vom 27.7.2004 angesprochen.
Aufgrund dieses Sachverhalts liegt der Erfolgsort in Deutschland, weil die nachteiligen gesundheitlichen Folgen der Medikamenteneinahme am Wohnsitz des Klägers eingetreten sind. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist bei einem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Aufklärungspflicht als Erfolgsort nicht der Ort anzusehen, an dem die Aufklärungspflicht verletzt worden ist. Haftungsauslösendes Ereignis ist bei einer Aufklärungspflichtverletzung nämlich nicht bereits die unterlassene Aufklärung des Patienten, sondern der im weitesten Sinne ärztliche Eingriff (s. dazu BGH v. 15.3.2005 - VI ZR 289/03, BGHReport 2005, 906 = MDR 2005, 989 = GesR 2005, 257 = NJW 2005, 1716) durch die nachfolgende Einnahme der Medikamente, die mangels ordnungsgemäßer Aufklärung ohne wirksame Einwilligung des Patienten erfolgt. Bei der aufklärungspflichtigen Verschreibung von Medikamenten sind sämtliche Tatbestandsmerkmale der Haftung erst dann verwirklicht, wenn die Medikamente eingenommen werden. Erst dadurch tritt der Primärschaden ein und wird in das geschützte Rechtsgut eingegriffen.
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