Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht bei Durchführung einer vor allem aus kosmetischen Gründen begehrten Bauchdeckenplastik nebst Liposuktion.

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Aktenzeichen 8 O 1465/98)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 12.11.1999 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Oldenburg wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Klägerin wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert der Beschwer übersteigt für die Beklagten 60.000 DM.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und auf Feststellung in Anspruch.

Die Klägerin wurde am 18.7.1994 in das von der Beklagten zu 1) betriebene R. wegen ihrer adipösen Bauchdecke zur Durchführung einer Bauchdeckenplastik nebst Liposuktion aufgenommen. Der Beklagte zu 2) ist dort als Chefarzt der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung tätig. Die Klägerin hatte zuvor am 4. und 11.7.1994 Eigenblutspenden abgegeben. Ihr Körpergewicht betrug bei einer Größe von 1,62 m 87,9 kg. Zur medikamentösen Thromboseprophylaxe wurde der Klägerin noch am Abend des 18.7.1994 eine Ampulle Mono-Embolex verabreicht. Am 19.7.1994 führte der Beklagte zu 2) bei der Klägerin eine Bauchhautstraffung und eine Doppelung der Muskelfaszien durch. Außerdem wurde ihr im Bereich der Hüften und der Oberschenkelaußenseite Fettgewebe abgesaugt. Insgesamt wurden 1.400 g Fettgewebe entnommen; wie nunmehr unstreitig ist, wurden bei der Liposuktion 200 bis maximal 300 g Fett abgesaugt.

Nachdem die Klägerin bereits am Operationstage erstmals mobilisiert worden war, kam es in der folgenden Nacht zu Arrhythmien. Am Morgen des 20.7.1994 erlitt die Klägerin einen Ohnmachtsanfall, bald danach einen Schwächeanfall und eine zungenbißähnliche Verkrampfung. Unter der Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie, die sich alsbald bestätigte, wurde die Klägerin auf die Intensivstation verlegt, wo sie wegen eines Herzstillstandes intubiert und reanimiert wurde. Sie erlitt einen hypoxischen Hirnschaden und lag mehrere Monate im Wachkoma, bevor sie langsam erwachte. Die Klägerin ist heute mehrfach schwerstbehindert und wird Zeit ihres Lebens auf Hilfe und Fürsorge Dritter angewiesen sein.

Die Klägerin hat dem Beklagten zu 2) vorgeworfen, sie fehlerhaft gynäkologisch beraten zu haben. Die bei ihr vorliegende Adipositas und die sich daraus ergebenden psychischen Beeinträchtigungen seien nicht so schwerwiegend gewesen, dass die Durchführung einer Bauchdeckenplastik nebst Liposuktion medizinisch indiziert gewesen sei. Der Beklagte zu 2) hätte ihr vielmehr zunächst die Einhaltung einer Diät sowie krankengymnastische Übungen empfehlen müssen. Stattdessen habe er ihr suggeriert, dass ihre Körperdeformität lediglich durch operative Eingriffe zu beheben sei.

Auf die mit dem Eingriff verbundenen Risiken sei sie nicht ausreichend hingewiesen worden. Insbesondere sei sie nicht über die Gefahren aufgeklärt worden, die durch die Kombination einer Abdomino-Plastik mit zusätzlicher Liposuktion entstünden. Der von ihr unterzeichnete Aufklärungsbogen enthalte keinerlei Hinweise auf die geplante Liposuktion sowie auf das erhöhte Thromboserisiko bei Einnahme eines Ovulationshemmers. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie insbesondere angesichts der Tatsache, dass lediglich ein ästhetisch-chirurgischer Eingriff habe vorgenommen werden sollen, von der Operation Abstand genommen.

Schließlich seien die am 20.7.1994 durchgeführten Reanimationsmaßnahmen unzulänglich gewesen. Es wäre geboten gewesen, sie in der Nacht vom 19. zum 20.7.1994 intensiver zu überwachen und sofort einen Arzt beizuziehen, nachdem sie erstmals kollabiert sei.

Angesichts ihrer Schwerstbehinderungen, die sie – wie unstreitig ist – weitgehend bei Bewusstsein erlebe, sei ein Schmerzensgeld von 400.000 DM angemessen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 400.000 DM nebst 2 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank, mindestens jedoch 4 % Zinsen ab Klagezustellung zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen zukünftigen materiellen Schaden zu ersetzen, der auf die fehlerhafte gynäkologische Beratung in der Zeit von März 1994 bis Juni 1994 sowie auf die nachfolgende operative und postoperative Versorgung am 19. und 20.7.1994 zurückzuführen ist, soweit nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben darauf hingewiesen, dass die medizinische Indika...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge