Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle der Kostenarmut ist für den Bginn der Widereinsetzungsfrist gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ausschließlich auf den Zeitpunkt des Zugangs des Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschlusses abzustellen. Es kommt nicht darauf an, wann der Beschluss über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist zugestellt wurde. Im Falle des Wechsels des Prozessbevollmächtigten ist auch der Zugang des Beschlusses über dessen Beiordnung für den Fristbeginn nach § 234 Abs. 2 ZPO nicht maßgeblich.

2. Für eine Auslegung des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO mit der Folge einer zweimonatigen Begründungsfrist nach Prozesskostenhilfebewilligung ist - trotz der im Vorfeld der Verabschiedung des Justizmodernisierungsgesetzes vom BGH geäußerten Bedenken - angesichts des klaren gesetzgeberischen Willens und des eindeutigen Wortlauts kein Raum.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 11.04.2005; Aktenzeichen 27 O 515/04)

 

Tenor

1. Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 11.4.2005 - Az.: 27 O 515/04 - gewährt.

2. Der Antrag des Beklagten vom 15.3.2006 auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 11.4.2005 - Az.: 27 O 515/04 - wird zurückgewiesen.

3. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 11.4.2005 - Az.: 27 O 515/04 - wird als unzulässig verworfen.

4. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

5. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 6.120 EUR.

 

Gründe

I. Mit Urt. v. 11.4.2005 hat das LG Stuttgart den Beklagten zur Zahlung rückständigen Mietzinses sowie zur Räumung von Lager- bzw. Gewerberäumen verurteilt (Bl. 108-116 d.A.). Unter dem 17.5.2005 beantragte der Beklagte die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren gegen das ihm am 14.4.2005 zugestellte Urteil (Bl. 116b d.A.). Die erste Begründung des anwaltlich nicht vertretenen Beklagten ging am 5.7.2005 beim OLG ein (Bl. 237 ff. d.A.). Nachdem sich die Parteien im Rahmen eines im Prozesskostenhilfeverfahren anberaumten Gütetermins am 13.2.2006 nicht einigen konnten (Protokoll Bl. 396 ff. d.A.), hielt der Beklagte an seinem Prozesskostenhilfeantrag fest und vertiefte seine Begründung mit dem am 15.2.2006 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 406 ff. d.A.). Mit Beschl. v. 24.2.2006, dem Beklagten zugegangen am 1.3.2006 (Bl. 457 f. d.A.), wurde ihm Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz bewilligt und Rechtsanwalt W. (Name) beigeordnet (Bl. 456 d.A.). Rechtsanwalt W. (Name), der den Beklagten schon vorher vertreten (Bl. 28 d.A.) und den der Beklagte im Termin vom 13.2.2006 als möglichen, ihm beizuordnenden Anwalt benannt hatte, hatte seine Zustimmung zur Beiordnung erklärt (Bl. 445 d.A.). Mit Schriftsatz vom 2.3.2006 teilte Rechtsanwalt W. (Name) die Niederlegung des Mandats mit (Bl. 460 d.A.). Am 15.3.2006 legte der Beklagte dann über den zwischenzeitlich von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt L. Berufung ein und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowohl gegen die Versäumung der Berufungs- als auch der Berufungsbegründungsfrist (Bl. 464 ff. d.A.). Rechtsanwalt L. wurde dem Beklagten mit Beschl. v. 5.4.2006 als Prozessbevollmächtigter beigeordnet (Bl. 484 d.A.). Die Berufungsbegründungsschrift des Beklagten ging am 2.5.2006 ein (Bl. 507 ff. d.A.). Der gleichzeitig gestellte Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wurde mit Verfügung vom 4.5.2006 abgelehnt (Bl. 518 d.A.).

II. Die Berufung war gem. § 522 Abs. 1 ZPO wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig zu verwerfen. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen zwar bezüglich der versäumten Berufungsfrist, nicht aber hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vor.

1. Die Versäumung der am 17.5.2005 abgelaufenen Berufungsfrist steht der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen, da insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist am 15.3.2006 eingegangen (Bl. 465 d.A.), mithin innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO, die gem. § 234 Abs. 2 ZPO mit Zustellung des Beschlusses des Senats über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe am 1.3.2006 zu laufen begann (Bl. 457 d.A.). Auch hat der Beklagte zeitgleich mit seinem Wiedereinsetzungsantrag die Berufung eingelegt (§ 236 Abs. 2 S. 2 ZPO).

Ferner sind die Voraussetzungen des § 233 ZPO gewahrt. Einer bedürftigen Partei kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist gewährt werden, wenn sie innerhalb dieser Frist einen den gesetzlichen Anforderungen genügenden Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingereicht hat (st. Rspr., s. nur BGH v. 16.3.1983 - IVb ZB 73/82, MDR 1983, 833 = FamRZ 1983...

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