Baubranche – droht die ganz große Krise?


Baubranche – droht die ganz große Krise?

400.000 Wohnungen sollten dieses Jahr gebaut werden. Die Realität sieht anders aus. Auch Wohnungsunternehmen stoppen Bauvorhaben bis auf weiteres. Im August kam es zu etwa 200 Pleiten im Baugewerbe. Natürlich müssen die Unternehmen das Risiko tragen. Aber die Rahmenbedingungen sind weiter nicht optimal.

Die Expo Real fand in diesem Jahr unter fast normalen Bedingungen statt. Es war geschäftig und kommunikativ. Die Fragezeichen in den Augen der Kolleginnen und Kollegen aus Projektentwicklung und Bauwirtschaft waren aber deutlich zu erkennen. Materialengpässe, hohe Baukosten, Zinsanstieg, Reduzierung von Förderungen, erhöhte Anforderungen an Gebäudestandards: Das wirkt sich bereits jetzt auf die Baubranche aus. Und die langfristigen Folgen sind noch gar nicht abzusehen.

Wohnungsbau: Kleine und mittlere Unternehmen unter Druck

Besonders im Wohnungsbau gibt es weiterhin viele Stornierungen: Der Anteil der betroffenen Firmen lag im Oktober 2022 bei 14,5 Prozent. Während große Bauriesen mit breit gestreutem Portfolio und genügend Eigenkapital noch Luft für eine längere finanzielle "Durstecke" haben oder strategisch in Märkte und Opportunitäten hineingehen, sind kleine und mittelständische Unternehmen besonders stark unter Druck.  

"Termin- sowie Preiszusagen sind kaum noch möglich, Unsicherheit bestimmt das Geschehen. Auftraggeber ziehen sich häufiger zurück, schieben oder streichen Investitionen", heißt es bei Johannes Bau, einem mittelständischen Familienunternehmen mit dem Fokus auf schlüsselfertigem Gewerbe- und Industriebau. Umsatzvolumen zuletzt immerhin etwa 50 Millionen Euro pro Jahr.

Prof. Dietmar Walberg von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen GmbH erinnert sich an frühere Krisenszenarien am Bau, wo kleinere Steine verordnet wurden, um so die Bauzeit strecken und die eigenen Leute auf der Baustelle überhaupt noch beschäftigen zu können.

Musterrechnung: 16 Euro Monatsmiete für die Refinanzierung

Der Bedarf an Wohnraum ist nach wie vor hoch. Aber die am Markt erzielbaren Mieten, reichen nicht aus, um zu bauen. Eine Modellrechnung des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft GdW zeigt: Wenn im Jahr 2021 noch zirka elf Euro Monatsmiete pro Quadratmeter gereicht haben, um die Kosten für einen Neubau zu refinanzieren, sind aktuell nach Baukostenzuwachs von 30 Prozent und einem Zinsanstieg von einem Prozent auf drei Prozent mehr als 16 Euro Monatsmiete pro Quadratmeter erforderlich. Die sind auf einem breiteren Markt in Deutschland nicht erzielbar.

Bauunternehmen mit 20 und mehr Beschäftigten hätten für August 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat ein reales Orderminus von 14,2 Prozent gemeldet, erklärte jüngst der Hauptverband der Bauindustrie. Auch die öffentliche Hand spare bei Bauinvestitionen. Das ist problematisch!

Gerade die kleineren Unternehmen, noch dazu wenn sie sich einseitig auf den privaten Wohnungsbau und dazu auf einzelne Segmente wie den Reihenhaus-Neubau fokussieren, könnten in arge Bedrängnis kommen. Dass hier Stellen abgebaut werden müssen, ist nicht unwahrscheinlich, auch wenn es das Instrument der Kurzarbeit gibt.

Öffentliche Hand gefragt – und neues Denken

Peter Hübner, Präsident der Bauindustrie, befürchtet, dass nun auch die öffentliche Hand – angesichts hoher Ausgaben für die Kompensation gestiegener Energiekosten – bei den Bauinvestitionen sparen und die inflationsbedingten Preiseffekte nicht ausgleichen können wird. Bleibt angesichts maroder Brücken, Straßen und Schulen ein Appell an Bund, Länder und Gemeinden, sich der Verantwortung hinsichtlich einer funktionierenden Infrastruktur bewusst zu sein.

Sollte sich die Nachfrageschwäche in der Baubranche zu einer Krise ausweiten, so könnte das auch hier bereits vorhandene Trends beschleunigen. Schon lange besteht die Forderung und der Druck, die Produktivität im Bau durch industrialisiertes, modulares Bauen zu erhöhen. Auch die Forderung nach Reduzierung der im internationalen Vergleich sehr hohen deutschen Standards und Vorgaben für Gebäude könnte angesichts fehlenden Wohnraums und sozialer Spannungen in der Politik Gehör finden.

Und die Forderung nach einer Kreislaufwirtschaft und mehr Nachhaltigkeit beim Bauen, was zentrale Maßnahmen zur Reduzierung der hohen CO2-Emissionen der Baustoffherstellung und des Bauens sind, könnte helfen, mehr Wohnraum bei knappen Budgets zu realisieren. So oder so, innovative Lösungen sind gefragt, die Anpassungsfähigen werden die Nase vorne haben.