Konversionskonzept: Digitale Bürgerbeteiligung in Hessen

Versammlungen, Foren, Workshops, Stadtteil-Spaziergänge – in Corona-Zeiten undenkbar. Kommunale Planungen und Stadtentwicklungsprojekte geraten ins Stocken, weil die vorgeschriebene Beteiligung der Bürger so nicht realisierbar ist. Doch warum nicht einfach online? Ein Ort in Hessen macht es vor.

Im hessischen Friedberg (Wetteraukreis) hat die Projektstadt, die Stadtentwicklungsmarke der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW), in Kooperation mit der Stadt und der "Wer denkt was" GmbH, einem 2010 geründeten Spin-off der TU Darmstadt, ein interaktives Beteiligungsformat realisiert. Das ersetzte ein wegen Corona ausgefallenes Bürgerforum zum Konversionskonzept für die ehemalige US-amerikanische Militäransiedlung Ray Barracks.

Beteiligung online: Virtueller Dialog zwischen Stadt und Bürgerschaft

Die Resonanz seitens der Bevölkerung war groß, das Resultat überzeugend. 116 Ideen, 109 Kommentare und 186 Bewertungen sind das Ergebnis der Internet-Plattform für Friedberg.

"Das ist ein wertvoller Input für die weiteren Planungen und zeigt, dass den Friedbergern die Zukunft unseres Kasernengeländes am Herzen liegt." Dirk Antkowiak (CDU), Bürgermeister Friedberg / Hessen

Trotz Pandemie-Kontaktbeschränkungen sei so ein virtueller Dialog zwischen Stadt und Bürgerschaft entstanden, ergänzt Marius Becker, verantwortlicher Moderator der Projektstadt. Die netzbasierte Partizipation habe "ein noch breiteres Spektrum an Meinungen und Ideen" eingebracht als vergleichbare Offline-Formen, ist Becker überzeugt. Zielgruppen wie Jugendliche oder – generationenübergreifend – ganze Familien nutzten eher das Online-Angebot. Daher empfehle sich auch in virenfreien Zeiten der crossmediale Einsatz verschiedener Kanäle und Formate.

Modulares System: Digitale Lösungen schnell umgesetzt

In nur vier Wochen Konzeptions- und Entwicklungszeit stand die Plattform im Netz. 14 Tage lang konnten sich die Bürger anmelden und Vorschläge, Anmerkungen und Kommentare zu der von der Bauland-Offensive Hessen (BOH) erarbeiteten Machbarkeitsstudie eingeben. Doch digitale Lösungen benötigen Vorbereitung.

"Uns kam in der Krise sehr zugute, dass wir einen modularen Baukasten anbieten und die Anpassung der IT-Systeme mit unserer jahrelangen Erfahrung schnell umsetzen können." Theresa Lotichius, Geschäftsführerin "Wer denkt was" GmbH

Die Entwicklung der Online-Plattformen und die Konfiguration der Verfahren seien in Friedberg nicht nur in kürzester Zeit, sondern auch kostengünstig realisiert worden, sagt Lotichius. Dazu hätte auch eine gute Öffentlichkeitsarbeit – vor allem seitens der Kommune – beigetragen. Die Verwaltung habe sich zudem sehr flexibel gezeigt: Der geplante Beteiligungsprozess wurde kurzfristig umstrukturiert und zusätzliche "Mitmachmöglichkeiten" geschaffen – wie der Einsatz städtischer Litfaßsäulen und die Schaltung eines Anrufbeantworters.

Ansicht Ideenkarte Friedberg Ray Barracks

Ideen und Vorschläge auf verschiedenen Ebenen

Kernstück der Plattform www.friedberg-mitmachen.de ist eine sogenannte Open Crowd Map. Auf diesem digital beschreibbaren Stadtplan kann der Nutzer innerhalb eines Gebiets Marker setzen, Ideen formulieren, kommentieren und mit anderen Interessenten über die Vorschläge diskutieren.

Um die vier zur Debatte stehenden Themenbereiche – Grünordnung, Nutzungssynergien, Nutzungsverteilung, Mobilität – abzubilden, hatte die Entwicklungsabteilung der "Wer denkt was" GmbH die interaktive Karte mit verschiedenen, anklickbaren Schichten versehen. Parallel sind auf der Plattform die wesentlichen Informationen über das Projekt, das Gelände und die bislang diskutierten Planungen dargestellt.

Ray Barracks in Friedberg: Auf Elvis Spuren

Musikliebhabern ist Friedberg als die Stadt bekannt, in der der King of Rock ‘n‘ Roll, Elvis Presley, seinen Militärdienst leistete. Seit dem Abzug der US-amerikanischen Soldaten im Jahr 2007 liegt das Militärareal brach. Mit seinen 74 Hektar bietet das Gelände jedoch viel Potenzial, das die Stadt nun entfalten will. Deshalb hatte sie die BOH mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt.

Im Oktober 2019 startete der Prozess mit einem "Tag der offenen Kaserne", bei dem erste Ideen aus der Bevölkerung gesammelt wurden. Es folgte der städtebauliche Rahmenplan. Die Kommune will das Kasernenareal in ein gemischt genutztes Quartier umwandeln. Vor allem bezahlbarer Wohnraum soll entstehen. Geplant sind außerdem ein Elvis-Presley-Museum, ein Hotel, Einzelhandel, eine Sporthalle, ein Feuerwehr-Stützpunkt, Kindertagesstätten, eine Grundschule sowie die Erweiterung des Campus der Technischen Hochschule Mittelhessen.

Transparenz motiviert die Bürger zum Mitmachen

Ein klassisches Bürgerforum dafür war in Planung. Wegen Corona wurde es schließlich eine interaktive Bürgerbeteiligung. Diese Plattform will die Stadt Friedberg auch im weiteren Verlauf des Planverfahrens immer wieder nutzen. Maßgeblich für den Erfolg solcher digitaler Lösungen ist laut Marius Becker "vollständige Transparenz über den Ablauf".

Bürger wollten heute nicht mehr nur wissen, was entschieden wird, sondern auch wie. Sie seien oft erst dann bereit zum Mitmachen, wenn sie alle Beteiligungs- und Rückkopplungsmöglichkeiten im Verlauf des Verfahrens genau kennen würden. Noch wichtiger aber sei die Dokumentation des Prozesses. "Nutzer wollen nachvollziehen, wie die bisherigen Ergebnisse entstanden sind. Wir sprechen hierbei von einem Beteiligungsgedächtnis", so Becker abschließend.


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