Entwickelt sich die schleppende Digitalisierung der Verwaltung zum Standortnachteil?
Die Grünen-Abgeordnete Misbah Khan sieht schwerwiegende negative Folgen der schleppenden Digitalisierung auf Deutschland zukommen. «Die mangelhafte Digitalisierung unserer Verwaltung wird langsam, aber sicher zu einem ernstzunehmenden Standortnachteil», sagte die Innenpolitikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Ziele des Onlinezugangsgesetzes nicht erreicht
Bund und Länder hatten eigentlich fünf Jahre Zeit, um ihre Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren. Dazu sollte das Onlinezugangsgesetz (OZG) dienen, das im August 2017 vom Bundestag beschlossen wurde. Es gab den Ländern Zeit bis Ende 2022, alle 575 Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren und online anzubieten. Doch die Zielmarke wurde nicht einmal ansatzweise erreicht.
Wer sich durch das sogenannte OZG-Dashboard klickt, das Bürgerinnen und Bürgern einen Überblick verschaffen soll, stellt fest: Nur 148 Leistungen sind bislang flächendeckend in Deutschland digital verfügbar.
Der Vorsitzende des Normenkontrollrats, Lutz Goebel, warf dem zuständigen Bundesinnenministerium im November mangelnde Transparenz vor. Das Onlinezugangsgesetz und dessen Umsetzung seien aus Sicht des Normenkontrollrates sozusagen «im Keller verschwunden». Der Normenkontrollrat ist ein unabhängiges Expertengremium, das die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat zu Bürokratieabbau und besserer Rechtsetzung berät.
Laut OZG würde es schon als Erfolg zählen, wenn eine Behördenleistung etwa in einem Bundesland digitalisiert ist. Andere Länder könnten die Anwendung dann einfach übernehmen, so die Idee. Doch das Prinzip «Einer für alle» hat viel zu selten richtig funktioniert. Es seien zu wenig «Wiederverwendungspotenziale» erschlossen worden, monierte der Bundesrechnungshof in einem Bericht zum OZG.
Einsatz von Open Source Software
Bei der Neuauflage des OZG will man deshalb vermehrt auf sogenannte Open Source Software setzen. Dabei sind Programmcodes offen einsehbar und können durch Nutzer kontrolliert und verbessert werden. Oft sind damit freie Lizenzmodelle verbunden. Das wichtigste Open-Source-Projekt ist das Betriebssystem Linux, das auch Grundlage für das Android-Betriebssystem von Google ist. Behörden könnten so ohne aufwendige Lizenzverfahren digitale Lösungen anderer Behörden übernehmen.
«Wenn Steuergelder für die Softwareentwicklung ausgeben werden, sollte auch der Quellcode bereitgestellt werden», meint Khan. «Durch Open Source verringern wir Herstellerabhängigkeiten, stärken die digitale Souveränität und ermöglichen eine bessere Nachnutzung und Weiterentwicklung.»
Mit der Neuauflage des OZG - dem OZG 2.0 - will die Bundesregierung auch komplett auf Fristen verzichten. Die Novelle legt einen Schwerpunkt darauf, Verwaltungsabläufe komplett auf digitale Prozesse umzustellen. Damit soll beispielsweise verhindert werden, dass Daten zwar über Webformulare digital erfasst, dann aber in den Behörden nur ausgedruckt und wie gewohnt analog abgearbeitet werden. Das Kabinett verabschiedete die Reform bereits im Mai, der Bundestag hat sie allerdings noch nicht beschlossen.
Mangel an IT-Fachkräften bremst Digitalisierung
Hinzu kommt ein Mangel an IT-Fachkräften, den der Digitalverband Bitkom beklagt. «Zu wenig Fachkräfte und zu viel Regulierung bremsen das digitale Deutschland», erklärte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst kürzlich. «Davon ist neben den Unternehmen zunehmend auch die öffentliche Verwaltung betroffen, die unbedingt mehr Digitalkompetenz braucht.»
Grünen-Politikerin Khan beschreibt die Digitalisierung als Sisyphusarbeit und verweist dabei auf Fehler voriger Regierungen. «Am sinnvollsten wäre es, einen Rechtsanspruch auf einen digitalen Staat zu schaffen», sagt sie. «Das wäre ein starkes Signal und ein mächtiger Treiber für einen Digitalisierungsschub.»
Lesen Sie auch:
Raus aus dem Mittelmaß: 4 Maßnahmen für die Digitalisierung Deutschlands
-
Personalakten im öffentlichen Dienst
3351
-
Schafft das Mitarbeitergespräch ab!
118
-
Ist der Fachkräftemangel zu Ende?
91
-
Öffentliche Verwaltung ohne Personal? 4 Wege aus der Krise!
80
-
Arbeitsverträge künftig per E-Mail möglich
69
-
Faxgeräte in Behörden - Bann oder Beibehaltung?
68
-
Bis Ende 2025 alle Dienstleistungen für die Wirtschaft digital
60
-
Studie: Bedarf und Wachstumspotenziale von KI in der Verwaltung noch größer als im Privatsektor
42
-
Wie Behörden erfolgreich kommunizieren
422
-
Führung braucht eine (R)Evolution!
33
-
Flexibilität weiter denken
16.12.2024
-
Bis Ende 2025 alle Dienstleistungen für die Wirtschaft digital
04.12.2024
-
Bürgerbeauftragter: Digitale Verwaltung muss verständlich bleiben
26.11.2024
-
Deutsche Bürokratie kostet jährlich 146 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung
20.11.2024
-
Projekt KERN erhält Preis für „Gute Verwaltung“: Ein UX-Standard für die gesamte deutsche Verwaltung
12.11.2024
-
Studie: Bedarf und Wachstumspotenziale von KI in der Verwaltung noch größer als im Privatsektor
28.10.2024
-
Landkreis darf auf Homepage kein kostenloses Stellenportal führen
25.10.2024
-
Bürger erwarten bessere digitale Dienstleistungen der Verwaltung
18.10.2024
-
Nicht mehr aufs Amt: Digitale Wohnsitzanmeldung in Schleswig-Holstein landesweit möglich
11.10.2024
-
Lasst sie einfach ihren Job machen!
02.10.2024