Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Fristenkontrolle

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Organisationserfordernissen, die zur Vermeidung von Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristensachen – hier Wahrung der Revisionsfrist – aufgrund anwaltlicher Sorge geboten sind, gehört eine wirksame End- oder Ausgangskontrolle. Die Gewährleistung einer rechtzeitigen Aktenvorlage zur Bearbeitung durch den Rechtsanwalt reicht dazu allein nicht aus (Anschluß an BGH Beschluß vom 29. Januar 1981 – VII ZB 26/80 – AP Nr. 5 zu § 233 ZPO 1977).

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2, §§ 233, 236, 554a; ArbGG § 74; BGB §§ 187-188

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 21.07.1992; Aktenzeichen 7 Sa 157/92)

ArbG Kassel (Urteil vom 20.12.1991; Aktenzeichen 5 Ca 492/91)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 21. Juli 1992 – 7 Sa 157/92 – wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

 

Tatbestand

I. Der Kläger war bei der Beklagten als Dienstordnungsangestellter auf Lebenszeit beschäftigt. Durch Beschluß ihres Vorstandes vom 23. September 1990 nahm die Beklagte die Ernennung des Klägers gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG wegen arglistiger Täuschung zurück. Die vom Kläger hiergegen erhobene Klage auf Feststellung, daß sein Dienstverhältnis durch die Rücknahme der Ernennung nicht beendet worden sei, hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben.

Das am 21. Juli 1992 verkündete Urteil des Landesarbeitsgerichts ist den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 20. November 1992 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 1992, beim erkennenden Gericht eingegangen am selben Tag, haben die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten Revision eingelegt, gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist beantragt und inzwischen die Revision rechtzeitig begründet.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Auszubildenden ihrer Anwälte, Frau H…, sowie einer Kopie des Fristenkalenders ihrer Anwälte vom 21. Dezember 1992 vorgetragen:

Ihr Prozeßbevollmächtigter sei am 28. Dezember 1992 auf die Versäumung der Revisionsfrist aufmerksam geworden, als er routinemäßig mit Rücksicht auf das nahe Jahresende seine Akten auf eventuelle Veranlassungen überprüft habe. Zu der Fristversäumung sei es aus folgenden Gründen gekommen. Im Büro ihrer Bevollmächtigten werde nach einem festen, im Voraus bestimmten Dienstplan der Kalender von einer Auszubildenden jedem einzelnen Anwalt der Sozietät zusammen mit den Akten vorgelegt. Mit der Vorlage des Fristenkalenders sei an diesem Tag die Auszubildende H… beauftragt gewesen. Diese habe zunächst Rechtsanwalt K… die Fristen abzeichnen lassen. Danach sei sie zu Rechtsanwalt W… gegangen, dessen Sekretärin ihr erklärt habe, daß der zuständige Sachbearbeiter in der vorliegenden Sache nicht Rechtsanwalt W…, sondern Rechtsanwalt L… sei. Rechtsanwalt W… habe lediglich den Termin in der II. Instanz wahrgenommen. Die Auszubildende habe das Fristenbuch sodann den Rechtsanwälten R… und G… vorgelegt. Danach habe sie den Kalender Rechtsanwalt B… vorgelegt, der an diesem Tag drei Fristen abzuzeichnen gehabt habe. Zum Zwecke der Übersichtlichkeit habe Rechtsanwalt B… mit einem senkrechten schwarzen Strich blockweise diejenigen Fristen insgesamt gestrichen, die aus seiner Sicht von den Sachbearbeitern bereits abgezeichnet gewesen seien. So habe er im ersten Viertel der linken Spalte des Fristenkalenders einen senkrechten schwarzen Strich angebracht, dabei jedoch übersehen, daß die vorliegende Sache weder gestrichen noch abgezeichnet gewesen sei. Die Auszubildende habe dies zwar bemerkt, Rechtsanwalt B… jedoch nichts gesagt, sondern vielmehr beschlossen, Rechtsanwalt L… bei der Vorlage des Fristenbuches auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Rechtsanwalt L… habe die in Wahrheit noch offene Frist nicht bemerkt. Die Auszubildende habe inzwischen vergessen, Rechtsanwalt L… auf die in dem gestrichenen Block für ihn noch steckende Frist aufmerksam zu machen, obwohl es für sie offenkundig gewesen sei. Frau H… habe Rechtsanwalt L… auch nicht die Akte als Fristenakte vorgelegt, wodurch der Fehler möglicherweise noch habe aufgedeckt werden können.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Beklagten ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden ist.

1. Die Beklagte hat die einmonatige Revisionsfrist versäumt. Diese ist mit der Zustellung des Berufungsurteils am 20. November 1992 in Lauf gesetzt worden und am Montag, dem 21. Dezember 1992, abgelaufen, da der letzte Tag der Frist, der 20. Dezember 1992, ein Sonntag war. Die Revisionsschrift ist jedoch erst am 30. Dezember 1992 und damit verspätet beim Bundesarbeitsgericht eingegangen (§§ 74 ArbGG, 554a, 222 Abs. 2 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB).

2. Gemäß §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO darf der Beklagten nur dann Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn ihren Prozeßbevollmächtigten an der Versäumung der Revisionsfrist kein Verschulden trifft. Das ist vorliegend nicht hinreichend dargetan.

Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristensachen verlangt zuverlässige Vorkehrungen zur Sicherstellung des rechtzeitigen Ausgangs der fristwahrenden Schriftsätze. Er hat durch entsprechende Organisation seines Büros für die Beachtung der Fristen zu sorgen. Der Prozeßbevollmächtigte einer Partei muß wegen der verfahrensrechtlichen Bedeutung von Fristen dafür Sorge tragen, daß ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und auch innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingereicht wird. Dafür reicht es nicht aus, wenn er seine Kanzlei so organisiert, daß ihm Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittelfristen laufen, rechtzeitig zur Bearbeitung vorgelegt werden (vgl. BGH Urteil vom 28. November 1990 – XII ZB 19/90 – NJW 1991, 1178). Er muß vielmehr zusätzlich die organisatorischen Maßnahmen für eine wirksame Ausgangskontrolle treffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, daß fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich hinausgehen. Eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle fristwahrender Maßnahmen erfordert, daß Notfristen erst dann im Fristenkalender gelöscht werden dürfen, wenn das fristwahrende Schriftstück auch wirklich abgesendet ist oder jedenfalls sichere Vorsorge dafür getroffen ist, daß das “postfertige” Schriftstück tatsächlich hinausgeht. Nur bei einer solchen Handhabung kann die Eintragung im Fristenkalender ihren Sicherungszweck erfüllen (vgl. BGH Beschluß vom 29. Januar 1981 – VII ZB 26/80 – AP Nr. 5 zu § 233 ZPO 1977; vom 8. November 1988 – VI ZB 26/88 – NJW 1989, 1157; vom 28. September 1989 – VII ZB 9/89 – NJW 1990, 187; Urteil vom 28. November 1990, aaO). Eine derartige End- oder Ausgangskontrolle gehört zu den Organisationserfordernissen, die zur Vermeidung von Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen geboten sind.

Die Einrichtung und Anwendung einer derartigen Endkontrolle bei den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten läßt sich dem Vorbringen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages nicht entnehmen, obwohl die Beklagte darin nach § 236 Abs. 2 ZPO grundsätzlich alle Umstände darzulegen und ggf. glaubhaft zu machen hatte, die für die Frage Bedeutung haben, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Fristversäumung gekommen ist. Die Beklagte hat insoweit vorgetragen, die Aufgabe der Auszubildenden habe darin bestanden, den Anwälten das Fristenbuch vorzulegen und nochmals nach Beendigung dieser Tätigkeit zu kontrollieren, ob auch alle Fristen abgezeichnet sind.

Die Beklagte hat mit diesem Vorbringen nicht dargetan, daß die Büroorganisation ihrer Prozeßbevollmächtigten eine End- oder Ausgangskontrolle vorsieht und sich nicht nur auf die Gewährleistung einer rechtzeitigen Vorlage der Akten zur Bearbeitung durch den Rechtsanwalt beschränkt, was nach der dargelegten Rechtsprechung zur Vermeidung möglicher Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen nicht ausreicht.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Bitter, Kremhelmer

 

Fundstellen

Haufe-Index 845822

BB 1993, 1296

NZA 1993, 616

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