Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Leitsatz (amtlich)
Verweisungen an das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes (§§ 12 – 18 ZPO) sind dann nicht bindend, wenn das verweisende Gericht aufgrund falscher Angaben des Klägers über den (Wohn)Sitz des Beklagten geirrt hat (Weiterführung von BAG Beschluß vom 31. Januar 1994 – 5 AS 23/93 – AP Nr. 44 zu § 36 ZPO).
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6; ArbGG § 48 Abs. 1 n.F.; GVG § 17a n.F.
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Beschluss vom 29.08.1996; Aktenzeichen 11 Ca 7423/96) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Nürnberg bestimmt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten um Arbeitsentgelt und Urlaubsabgeltung aus beendetem Arbeitsverhältnis. Die beklagte Arbeitgeberin ist geschäftsansässig B…, 96172 Mühlhausen, das im Arbeitsgerichtsbezirk Nürnberg liegt. In der beim Arbeitsgericht Gotha eingereichten Klageschrift wurde die Adresse des Beklagten fälschlich mit “99974 Mühlhausen” angegeben. Die Klage wurde dem Beklagten unter dieser Adresse zugestellt. In der zur Akte gelangten Postzustellungsurkunde ist die Postleitzahl nicht berichtigt worden.
Das Arbeitsgericht Gotha wies die Parteien auf seine örtliche Unzuständigkeit hin und gewährte rechtliches Gehör zu der Absicht, den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Eisenach – Außenkammern Mühlhausen – zu verweisen. Der Kläger beantragte daraufhin Verweisung an dieses Gericht; der Beklagte äußerte sich nicht. Daraufhin erklärte sich das Arbeitsgericht Gotha durch Beschluß vom 9. Mai 1996 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Eisenach.
Gegenüber dem Arbeitsgericht Eisenach – Außenkammern Mühlhausen – wies der Beklagte darauf hin, daß er nicht in 99974 Mühlhausen/Thüringen, sondern in 96172 Mühlhausen/Mittelfranken ansässig sei. Der Kläger bestätigte die Richtigkeit dieser Angaben und berichtigte das Passivrubrum entsprechend.
Nach Gewährung rechtlichen Gehörs erklärte sich das Arbeitsgericht Eisenach – Außenkammern Mühlhausen – durch Kammerbeschluß vom 15. August 1996 für unzuständig und verwies den Rechtsstreit weiter an das Arbeitsgericht Nürnberg.
Dieses hat die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und ihn dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II. Zuständig ist das Arbeitsgericht Nürnberg. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Gotha bindet das Arbeitsgericht Eisenach nicht. Dagegen bindet dessen Verweisungsbeschluß das Arbeitsgericht Nürnberg.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Die Arbeitsgerichte Gotha, Eisenach und Nürnberg haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt, letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Beschluß vom 29. August 1996, der als im Sinne des § 36 ZPO rechtskräftige (Rück)Verweisung anzusehen ist (BGHZ 102, 338, 340 = NJW 1988, 1794, 1795).
2. Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – AP Nr. 11 zu § 17a GVG = EzA § 36 ZPO Nr. 18 = NZA 1994, 479 ff.). Nur so kann der Zweck des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. In diesem Fall ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.
3. Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – BAGE 70, 374 = AP Nr. 39 zu § 36 ZPO = EzA § 17a GVG Nr. 1). Mit Beschluß vom 31. Januar 1994 (– 5 AS 23/93 – AP Nr. 44 zu § 36 ZPO) hat der Senat entschieden, daß Beschlüsse, durch die der Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit verwiesen wird, ausnahmsweise dann nicht bindend sind, wenn das verweisende Gericht über die Zuordnung des von ihm für maßgeblich gehaltenen Ortes (Wohnsitz, Sitz, Erfüllungsort, Begehungsort usw.) zu dem Bezirk des Gerichts, an das verwiesen worden ist, offensichtlich geirrt hat. Gleiches gilt, wenn das verweisende Gericht offensichtlich über den Wohnsitz, Sitz, Erfüllungsort, Begehungsort usw. geirrt hat (BAG Beschluß vom 30. März 1994 – 5 AS 6/94 –, n.v.). Das gilt auch dann, wenn der Irrtum des Gerichts auf falschen Angaben des Klägers beruht.
4. So liegen die Dinge hier. Das Arbeitsgericht Gotha wollte – wie die Gründe seines Verweisungsbeschlusses ausweisen – an das für den (Wohn)Sitz zuständige Gericht verweisen. Das ist aber das Arbeitsgericht Nürnberg, nicht das Arbeitsgericht Eisenach. Das Arbeitsgericht Gotha hat also – für die Parteien offensichtlich, worauf es hier ankommt – über den (Wohn)Sitz des Beklagten geirrt. Diesen Irrtum hat der Kläger durch die Angabe einer falschen Postleitzahl verursacht.
Dagegen ist der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Eisenach – Außenkammern Mühlhausen – bindend. Es hat an das für den (Wohn)Sitz des Beklagten zuständige Arbeitsgerichts verwiesen, was auch schon das Arbeitsgericht Gotha beabsichtigte. Es hat nur dessen Irrtum über den (Wohn)Sitz des Beklagten berichtigt.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke
Fundstellen
NJW 1997, 1091 |
NZA 1997, 228 |