Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung und Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts
Leitsatz (amtlich)
Macht der Arbeitnehmer berechtigterweise ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Arbeitskraft wegen offenstehender Vergütungsansprüche geltend, so ist regelmäßig eine deswegen ausgesprochene außerordentliche und/oder ordentliche Kündigung unwirksam (im Anschluß an Senatsurteil vom 25. Oktober 1984 – 2 AZR 417/83 – AP Nr. 3 zu § 273 BGB).
Normenkette
BGB §§ 273, 626; KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Dezember 1994 – 2 Sa 632/94 – aufgehoben.
- Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 2. Februar 1994 – 4 Ca 2420/93 – abgeändert.
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche und ordentliche Kündigung der Beklagten vom 20. September 1993 nicht aufgelöst worden ist.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war zunächst aufgrund Anstellungsvertrages vom 24. Mai 1989 für die Beklagte tätig, und zwar mit dem Aufbau einer Niederlassung in Portugal, wobei der Kläger in den ersten sechs Monaten die Produktfertigung und die Produktions- und Betriebsabläufe im Werk B… der Beklagten kennenlernen sollte; in Ziff. 3 des Arbeitsvertrages war geregelt, daß der Kläger in den ersten sechs Monaten eine Bruttovergütung von 6.500,-- DM monatlich und danach von 8.333,-- DM erhalten sollte. In Ziff. 6 des Arbeitsvertrages war u. a. bestimmt, daß die Beklagte die Umzugskosten von Deutschland nach Portugal übernehmen sollte. Dieser Vertrag wurde durch einen neuen Vertrag vom 19. April 1990 abgelöst, in dem der Kläger für die Betriebsstätte R… in Pacos de Ferreira (Portugal) als Betriebsleiter bestellt wurde. Daneben existiert ein weiterer Vertrag vom 19. April 1990 zwischen dem Kläger und der Fa. Bo… Ldta., Pacos de Ferreira, wonach der Kläger als Geschäftsführer der Fa. Bo… bestellt wurde. Dieser Vertrag ist vom Kläger und der Beklagten unterzeichnet, wobei die Gesellschafter beider Firmen die Eheleute P… Be… und dessen Ehefrau H… sind. Aufgrund des Anstellungsvertrages vom 19. April 1990 mit der Beklagten erhielt der Kläger zuletzt eine Vergütung von 3.350,-- DM und daneben nach Ziff. 10 des Bo… -Vertrages eine Vergütung von 5.428,-- DM. Im Anstellungsvertrag vom 19. April 1990 ist u. a. geregelt, der Kläger erhalte einen Jahresurlaub von 28 Tagen “inklusive seines Urlaubsanspruches bei der Bo…”, ferner stellte die Beklagte ein Firmenfahrzeug auch für die Erledigungen der Fa. Bo… zur Verfügung und schließlich ist in Ziff. 8 dieses Vertrages geregelt: Dieser Vertrag ergänzt den Bo… -Vertrag.
Um die Jahreswende 1992/93 hatte der Gesellschafter Be… dem Kläger namens der Fa. Bo… mitgeteilt, der auf drei Jahre befristete Bo… -Vertrag werde nicht verlängert. Im Hinblick darauf, daß die Beklagte mit Schreiben vom 4. Februar 1991 für den Fall, daß der Bo… -Vertrag nicht um weitere drei Jahre verlängert werde, die Übernahme der Rückumzugskosten zugesagt hatte, wurde eine portugiesische Firma von der Beklagten mit dem Umzug für die Familie des Klägers beauftragt, was die Beklagte dem Kläger unter dem 23. März 1993 bestätigte. Mit Rücksicht auf den nach ihrer Ansicht beendeten Bo… -Vertrag kündigte die Beklagte erstmals dem Kläger das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Schreiben vom 1. April 1993. Durch Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 28. Juli 1993, zugestellt der Beklagten am 15. September 1993 (– 4 Ca 979/93 –), ist die Unwirksamkeit dieser Kündigung festgestellt worden; die Beklagte hat dieses Urteil rechtskräftig werden lassen.
Mit Schreiben vom 5. August 1993 erklärte die Beklagte im Hinblick auf ein Arbeitskraft-Angebot des Klägers sich bereit, den Kläger “bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Kündigungsschutzverfahren zum Gehalt von 3.350,-- DM in Portugal zu beschäftigen”; gleichzeitig forderte sie den Kläger zur unverzüglichen Aufnahme seiner Arbeit auf. Der Kläger erwiderte hierauf mit Schreiben vom 9. August 1993, da die Beklagte positiv auf sein Arbeitsangebot eingehe, bitte er um Bestätigung, daß er mit vertragsgerechten Konditionen bei Wiederaufnahme seiner Arbeit rechnen könne; darunter verstehe er die Gestellung eines Geschäftswagens, ferner verlange er entweder von der Beklagten die Zahlung eines Gesamtgehaltes oder, daß die Fa. Bo… sein bisheriges Gehalt zuzüglich arbeitgeberseitigen Sozialanteils auszahle. Ferner machte der Kläger in diesem Schreiben geltend, die Beklagte habe die Gehälter für April, Mai und Juni gesetzwidrig einbehalten, außerdem bestehe er auf einer Regelung über offenstehende Posten, wie Gehälter, Urlaubsgeld, Umzugskosten, Reisegeld usw. Das Schreiben endet mit der Bemerkung, für den Fall, daß er entweder nach Bodenheim kommen oder nach Pacos de Ferreira fahren solle, bitte er um Hin- und Rückflugtickets sowie um einen Reisekostenvorschuß in entsprechender Höhe. Die Beklagte erwiderte hierauf mit Schreiben vom 11. August 1993, ihr Schreiben vom 5. August 1993 beziehe sich lediglich auf den Arbeitsvertrag mit ihr, nicht auf den Geschäftsführervertrag mit der Fa. Bo… der Hinweis des Klägers auf ein “Gesamtgehalt” sei nicht relevant, vielmehr habe die Aufnahme des Arbeitsverhältnisses zu dem im Schreiben vom 5. August 1993 festgelegten Gehalt zu erfolgen; außerdem sei der Arbeitsplatz des Kläges in Portugal, so daß die angesprochenen Kosten nicht übernommen würden; die noch angesprochenen offenstehenden Posten würden nach Abzug von Gegenforderungen zu gegebenem Zeitpunkt verrechnet; im übrigen habe man die Ablehnung der Arbeitsaufnahme des Klägers laut Schreiben vom 9. August 1993 zur Kenntnis genommen.
Der Kläger hat in der Folgezeit seine Tätigkeit in Portugal nicht wieder aufgenommen, allerdings hat er die Fa. Bo… vor einem portugiesischem Gericht auf Feststellung der Unwirksamkeit einer von der Fa. Bo… zum 31. Mai 1993 ausgesprochenen Kündigung verklagt. Ferner hatte der Kläger die Beklagte wegen seiner rückständigen Gehälter für April, Mai und Juni 1993 in Anspruch genommen und beim Arbeitsgericht Mainz (– 4 Ca 2047/93 –) insoweit ein obsiegendes Urteil erzielt, während seine weitergehende Klage auf Zahlung des anteiligen Bo… -Gehaltes rechtskräftig abgewiesen worden ist.
Im Hinblick darauf, daß der Kläger die Arbeit in Portugal nicht wieder aufnahm, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 20. September 1993 das Anstellungsverhältnis zwischen den Parteien fristlos und vorsorglich ordentlich zum 31. Dezember 1993. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger im vorliegenden Prozeß.
Er hat geltend gemacht, wegen der ausstehenden Gehälter und der von ihm verauslagten Umzugskosten habe er ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Arbeitsaufforderung gegenüber der Beklagten geltend machen dürfen, zumal die Beklagte auf sein Schreiben vom 15. Juli 1993 wegen der Erstattung der verauslagten Umzugskosten nicht reagiert habe. Im übrigen habe er wegen eines schriftlich von der Fa. Bo… erteilten Hausverbotes die Arbeit dort nicht wieder aufnehmen können.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche und ordentliche Kündigung der Beklagten vom 20. September 1993 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, der Kläger habe vertragswidrig die Arbeit in Portugal nicht aufgenommen. Zu Unrecht vermenge der Kläger die Verträge mit ihr, der Beklagten, und mit der Fa. Bo…. Zur Erstattung der Umzugskosten bestehe keine Veranlassung, da sich der Kläger bisher auf den Standpunkt gestellt habe, sein Vertragsverhältnis in Portugal bestehe fort. Deshalb habe für einen Umzug nach Deutschland keine Veranlassung bestanden. Hinsichtlich der Lohnansprüche verkenne der Kläger, daß hierüber erst im Oktober 1993 vom Arbeitsgericht entschieden worden sei, während zum Zeitpunkt der Arbeitsaufforderung Anfang August 1993 das Schicksal der Lohnzahlungsklage noch völlig offen gewesen sei, worauf sie im Schreiben vom 11. August 1993 auch ausdrücklich hingewiesen habe. Es sei Sache des Klägers gewesen, auf ihr Schreiben vom 11. August 1993 zu reagieren und seinen Standpunkt zu erläutern. Da dies nicht geschehen sei, sei das Verhalten des Klägers als beharrliche Arbeitsverweigerung zu werten, so daß die außerordentliche Kündigung begründet sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger eine Entscheidung nach seinem Klageantrag.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorinstanzurteile und zur Feststellung, daß die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 20. September 1993 unwirksam ist, §§ 1, 13 KSchG, 626 BGB.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung sei gemäß § 626 BGB aufgrund einer beharrlichen Arbeitsverweigerung begründet, weil der Kläger verpflichtet gewesen sei, die vertraglich geschuldete Leistung in Portugal zu erfüllen, dies jedoch im Hinblick auf vermeintliche Gegenansprüche zu Unrecht abgelehnt habe. Ein Zurückbehaltungsrecht habe dem Kläger nicht zugestanden, weil die Vergütungsansprüche bis zur rechtskräftigen Zuerkennung aufschiebend bedingt seien. Erst das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 27. Oktober 1993 habe insoweit Klarheit geschaffen. Auch wegen der Umzugskosten stehe dem Kläger kein Zurückbehaltungsrecht zu, weil die Beendigung des Geschäftsführervertrages noch nicht rechtskräftig feststehe; bis dahin sei der Gegenanspruch des Klägers einredebehaftet. Da der Kläger noch nicht einmal auf das Schreiben der Beklagten vom 11. August 1993 geantwortet habe, sei der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar geworden.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zu Recht eine Verletzung der §§ 273, 615 BGB, insbesondere werde der Begriff der fälligen Gegenforderung im Sinne von § 273 BGB verkannt.
1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung, ob ein bestimmter Sachverhalt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes erfüllt, ist vorrangig Sache des Tatsachengerichts. Es handelt sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Diese kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat (ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. Urteil vom 6. August 1987 – 2 AZR 226/87 – AP Nr. 97 zu § 626 BGB und zuletzt Urteil vom 9. März 1995 – 2 AZR 497/94 – AP Nr. 123, aaO, zu II 2 der Gründe). Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.
a) Die Revision rügt zu Recht, zumindest im Hinblick auf das geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht (vgl. dazu nachfolgend unter c) könne von einer beharrlichen Arbeitsverweigerung nicht die Rede sein. Richtig ist, daß in Fällen einer sog. beharrlichen Arbeitsverweigerung in aller Regel eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein kann (vgl. etwa BAG Urteile vom 12. Juli 1984 – 2 AZR 290/83 – nicht veröffentlicht und vom 31. Januar 1985 – 2 AZR 486/83 – AP Nr. 6 zu § 8a MuSchG 1968; LAG München Urteil vom 19. Januar 1989 – 6 Sa 611/88 – LAGE § 626 BGB Nr. 38; LAG Berlin Urteil vom 17. Mai 1993 – 9 Sa 141/92 – LAGE § 626 BGB Nr. 72; KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB Rz 307; KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 417; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rz 515). Die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt in der Person des Arbeitnehmers im Willen eine Nachhaltigkeit voraus; der Arbeitnehmer muß die ihm übertragene Arbeit bewußt und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, daß der Arbeitnehmer eine Weisung unbeachtet läßt, sondern die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt voraus, daß eine intensive Weigerung des Arbeitnehmers vorliegt. Zwar kann das Moment der Beharrlichkeit auch darin zu sehen sein, daß in einem einmaligen Falle der Arbeitnehmer eine Anweisung nicht befolgt, das muß dann aber z. B. durch eine vorhergehende, erfolglose Abmahnung verdeutlicht werden.
Schon in dieser Hinsicht bestehen vorliegend erhebliche Bedenken, das Merkmal der Beharrlichkeit anzunehmen, nachdem die Beklagte es versäumt hat, den Kläger vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 20. September 1993 abzumahnen. Zwar hat der Kläger auf das Schreiben der Beklagten vom 11. August 1993 nicht mehr reagiert, aber er hatte noch im Schreiben vom 9. August 1993 zumindest mit der Schlußwendung zu erkennen gegeben, daß er bereit sei, entweder nach B… zu kommen oder nach Pacos de Ferreira zu fahren, wenn die Beklagte hinsichtlich der Reisekosten einen Vorschuß zu zahlen bereit sei. Die Beklagte hat auch ihrerseits im Schreiben vom 11. August 1993 den Kläger nicht etwa vor die Alternative gestellt, die Arbeit aufzunehmen oder mit einer Kündigung konfrontiert zu werden. Die Schlußpassage, das Schreiben des Klägers vom 9. August 1993 werde als Ablehnung der Arbeitsaufnahme gewertet, die man zur Kenntnis nehme, kann auch dahin verstanden werden, die Beklagte wolle damit die Sache auf sich beruhen lassen. Schon wegen dieser unklaren Reaktion der Beklagten kann eine beharrliche Arbeitsverweigerung als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB nicht festgestellt werden. Das Landesarbeitsgericht hat dazu keinerlei Wertung vorgenommen, sondern nur von einer Unzumutbarkeit für die Beklagte gesprochen, “unter diesen Gegebenheiten” das Arbeitsverhältnis für die Dauer der Kündigungsfrist fortzusetzen, hat damit also einen wesentlichen Gesichtspunkt im Sinne der Vorbemerkung zu II 1 außer Acht gelassen.
b) Davon abgesehen liegt eine beharrliche Arbeitsverweigerung auch deshalb nicht vor, weil schon eine Arbeitsverpflichtung des Klägers in dem seinerzeit gekündigten Arbeitsverhältnis nicht ohne weiteres bejaht werden kann. Die Beklagte hat im Schreiben vom 5. August 1993 nach dem Arbeitskraft-Angebot des Kläges sich nur bereit erklärt, ihn “bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Kündigungsschutzverfahren” zu beschäftigen und hat den Kläger in diesem Zusammenhang zur unverzüglichen Aufnahme der Arbeit aufgefordert. Die Beklagte hat sich also nicht von ihrer Kündigung vom 1. April 1993 distanziert, sondern hat vielmehr zu erkennen gegeben, daß sie das Urteil vom 28. Juli 1993 (– 4 Ca 979/93 –), das die Unwirksamkeit dieser Kündigung feststellte, zumindest noch nicht gegen sich gelten lassen wollte. Die Rechtskraft dieser Entscheidung, auf die die Beklagte im Schreiben vom 5. August 1993 abstellt, trat gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG erst einen Monat nach Zustellung der Urteilsbegründung am 15. September 1993, also am 15. Oktober 1993 ein. Es braucht nicht erörtert zu werden, ob eine Nichtaufnahme der Arbeit gegebenenfalls als Böswilligkeit im Sinne des § 615 BGB zu interpretieren ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 24. November 1994 – 2 AZR 179/94 – AP Nr. 60 zu § 615 BGB, zu II 2c der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen), jedenfalls bestand eine Verpflichtung zur Wiederaufnahme der Arbeit solange nicht, als nicht die Beklagte unmißverständlich klarstellte, daß sie das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 28. Juli 1993 gegen sich gelten lassen wollte. Jede andere Beurteilung liefe darauf hinaus, das zwiespältige Verhalten der Beklagten anzuerkennen, nämlich einmal dem Kläger mit der außerordentlichen Kündigung vom 1. April 1993 die Tür zu weisen und andererseits ihm während des Streits um die Unwirksamkeit dieser Kündigung vorzuhalten, daß er die Arbeit nicht wieder aufnehme. Dieses Verhalten stellt einen klassischen Fall des venire contra factum proprium (§ 242 BGB) dar.
c) Eine beharrliche Arbeitsverweigerung als wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 626 BGB liegt schließlich auch deshalb nicht vor, weil der Kläger zu Recht ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht hat. Insofern ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß keine unzulässige Arbeitsverweigerung vorliegt, wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht hat (BAG Urteil vom 15. Februar 1978 – 1 AZR 76/76 – BAGE 30, 50 = AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, mit Anm. von Konzen; Urteile vom 25. Oktober 1984 – 2 AZR 414/83 – nicht veröffentlicht und – 2 AZR 417/83 – AP Nr. 3 zu § 273 BGB und vom 20. Dezember 1963 – 1 AZR 428/62 – BAGE 15, 174, 186 = AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu B I 1 der Gründe). Davon geht im Ansatz auch das Landesarbeitsgericht aus, das aber zu Unrecht die Fälligkeit des Gegenanspruchs wegen der unstreitig seinerzeit offenstehenden Vergütungsbeträge für die Monate April, Mai und Juni 1993 verneint hat, was die Revision zutreffend rügt.
Im ursprünglichen Arbeitsvertrag des Klägers vom 24. Mai 1989 war vereinbart, daß die Bruttovergütung monatlich nachträglich gezahlt werde. Zwar ist dieser Arbeitsvertrag durch den neuen Anstellungsvertrag vom 19. April 1990 überholt worden, damit hat sich jedoch im Zweifel nichts an der Tatsache geändert, daß die monatliche Bruttovergütung jeweils am Monatsende nachträglich zu zahlen und damit fällig war, §§ 611, 614, 271 BGB. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts, daß nämlich auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über die Vergütungsansprüche abzustellen sei, findet im Gesetz keine Stütze; sie läuft auch auf das rechtlich unhaltbare Ergebnis hinaus, daß mit Einlegung von weiteren Rechtsmitteln der Schuldner – hier die Beklagte – es in der Hand hätte, die Fälligkeit eines Gegenanspruchs mangels Eintritts der Rechtskraft weiter hinauszuschieben. Soweit sich das Landesarbeitsgericht zur Stützung seiner gegenteiligen Ansicht u. a. auf OLG Köln (DB 1974, 2301) beruft, geschieht dies zu Unrecht, weil das OLG Köln die Fälligkeit nur für drohende nicht bezifferte Schadensersatzansprüche verneint, deren sich der Gläubiger im Wege des Zurückbehaltungsrechts berühmt.
Da im August 1993 die Vergütungsansprüche für insgesamt vier Monate offenstanden, nämlich für April bis einschließlich Juli 1993 (§§ 615, 293 f. BGB), kann auch angesichts der Höhe der geltend gemachten Forderung von ca. 14.000,-- DM nicht davon die Rede sein, es handele sich um einen verhältnismäßig geringfügigen Lohnrückstand, so daß der Kläger unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Arbeit nicht hätte verweigern dürfe (Senatsurteil vom 25. Oktober 1984 – 2 AZR 417/83 – AP, aaO). Auch war eine anderweitige Sicherung des Anspruchs nicht gegeben, vielmehr verweigerte die Beklagte – wie inzwischen im Arbeitsgerichtsprozeß – 4 Ca 2047/93 – rechtskräftig festgestellt worden ist – grundlos die rechtzeitige Zahlung der Vergütung.
Es braucht daher nicht mehr darauf abgestellt zu werden, ob der Kläger außerdem wegen der durch den Umzug in der Zeit vom 3. bis 9. Juni 1993 angefallenen und von ihm verauslagten Kosten in Höhe von 10.411,34 DM ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen konnte.
2. Ist demnach die außerordentliche Kündigung unwirksam, so kann diese zwar gemäß § 140 BGB, wie von der Beklagten erklärt, in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden. Eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung ist jedoch mangels sozialer Rechtfertigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) ebenfalls unwirksam: Auch insofern gilt, daß der Kläger zu Recht von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen durfte, so daß von einer von ihm zu vertretenden, verhaltensbedingten Leistungsverweigerung nicht die Rede sein kann.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Binzek, Engel
Fundstellen
NJW 1997, 274 |
NZA 1996, 1085 |
ZIP 1996, 1841 |