Normenkette

BGB §§ 133, 157, 412, 404, 613a, 425; AFG §§ 141m, 141h; TVG § 4 Ausschlußfristen

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 31.05.1990; Aktenzeichen 14 Sa 43/89)

ArbG Berlin (Urteil vom 21.03.1989; Aktenzeichen 10 Ca 231/88)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 31. Mai 1990 – 14 Sa 43/89 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte als Betriebsübernehmerin für Ansprüche auf Arbeitsentgelt haftet, die auf die klagende Bundesanstalt wegen Gewährung von Konkursausfallgeld übergegangen sind.

Die Klägerin zahlte an 12 Arbeitnehmer der S. und S. Anlagenbau GmbH Konkursausfallgeld. Die genannte Gesellschaft beantragte am 19. Dezember 1986 die Eröffnung des Konkursverfahrens. Am 30. Januar 1987 stellte sie den Geschäftsbetrieb ein. Der Konkurs über ihr Vermögen wurde am 28. Februar 1987 eröffnet.

Von den 12 Arbeitnehmern, denen die Klägerin Konkursausfallgeld gewährte, schieden vier Arbeitnehmer durch Kündigung der Gemeinschuldnerin zum 31. März 1987 aus. Nach Betriebseinstellung waren sie von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt worden. Weitere sieben Arbeitnehmer schlossen mit der Gemeinschuldnerin Aufhebungsverträge zum 30. Januar 1987. Einem anderen Arbeitnehmer war zum 31. Januar 1987 gekündigt worden. Mit diesen acht Arbeitnehmern schloß die Beklagte am 27. Januar 1987 Arbeitsverträge mit Arbeitsbeginn ab 1. Februar 1987.

Die Beklagte wurde am 25. März 1987 in das Handelsregister eingetragen. Sie verfolgt den gleichen Geschäftszweck wie vorher die Gemeinschuldnerin. Einer ihrer Gesellschafter und Geschäftsführer war auch Gesellschafter und Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin. Die Beklagte führt ihren Betrieb in den Geschäftsräumen, die zuvor die Gemeinschuldnerin genutzt hatte. Vermieterin ist die G. GmbH. Die Beklagte übernahm den Telefonanschluß der Gemeinschuldnerin. Die Büro- und Werkstatteinrichtung mietete sie, wie zuvor die Gemeinschuldnerin, von der S. und S. OHG. Die beiden wesentlichen Aufträge, die beim wirtschaftlichen Zusammenbruch der Gemeinschuldnerin vorhanden waren, wurden von der Beklagten ab Februar 1987 weitergeführt.

Die Arbeitsverträge der 12 Arbeitnehmer nehmen in sechs Fällen die jeweils geltenden tariflichen Bestimmungen der Berliner Metallindustrie in bezug. In den Arbeitsverträgen der übrigen sechs Arbeitnehmer ist der Einstellungslohn nach dem geltenden Manteltarifvertrag der Berliner Metallindustrie ausgewiesen; ferner heißt es dort, daß für die Regelung der Urlaubsansprüche, Weihnachtsgratifikationen und Kündigungszeiten sowie für Überstundenabgeltung die Bestimmungen der Berliner Metallindustrie gelten sollen.

Die Klägerin zahlte an die acht Arbeitnehmer, welche die Beklagte ab 1. Februar 1987 beschäftigte, Konkursausfallgeld für den Bezugszeitraum vom 1. November 1986 bis zum 31. Januar 1987. Den übrigen vier Arbeitnehmern gewährte sie Konkursausfallgeld für den Bezugs Zeitraum vom 1. Dezember 1986 bis zum 28. Februar 1987. Die Höhe des Konkursausfallgeldes berechnete sie nach den Verdienstbescheinigungen, die der Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin zwischen dem 20. März und dem 13. April 1987 erteilt hat. Die Anträge der Arbeitnehmer auf Konkursausfallgeld datieren vom 13. bzw. 15. Januar 1987.

Die Klägerin prüfte in der Folgezeit, ob die Beklagte den Betrieb der Gemeinschuldnerin rechtsgeschäftlich übernommen habe. Auf eine entsprechende Antrage an die AOK erhielt sie unter dem 15. September 1987 die Mitteilung, welche früheren Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin ab 1. Februar 1987 von der Beklagten zur AOK angemeldet worden seien. Am 12. Februar 1988 erhielt sie ein Schreiben der Firma S., in dem bestätigt wurde, daß die Beklagte ab 19. Februar 1987 Aufträge der Gemeinschuldnerin weitergeführt und am 4. März 1987 erstmals eine Rechnung erstellt habe.

Mit der am 6. Juli 1988 eingegangenen Klage hat die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von zunächst 65.873,83 DM verlangt, diesen Anspruch aber später im Berufungsverfahren auf 59.391,87 DM ermäßigt. Die Differenz ergibt sich daraus, daß die Klage in Höhe der Beträge zurückgenommen wurde, die die Klägerin vier Arbeitnehmern für die Zeit vom 1. bis zum 28. Februar 1987 an Konkursausfallgeld gezahlt hat.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte habe den Betrieb der Gemeinschuldnerin ab 1. Februar 1987 rechtsgeschäftlich übernommen und hafte damit für die noch offenen Entgeltansprüche gemäß § 613 a Abs. 2 BGB. Diese Ansprüche seien nicht verfallen, weil die einschlägige tarifliche Ausschlußklausel nicht anzuwenden sei. In den Arbeitsverträgen fehle es an einer klaren Inbezugnahme dieser Klausel. Überdies müsse die Beklagte sich die vom Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin abgegebenen Verdienstbescheinigungen als Anerkenntnis entgegenhalten lassen.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 59.391,87 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 5. April 1989 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat einen Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB bestritten und weiter vorgetragen, mögliche Ansprüche der Klägerin seien jedenfalls wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung innerhalb der tariflichen Ausschluß fristen verfallen. Die Verdienstbescheinigungen habe der Konkursverwalter nicht zeitgleich mit der Stellung der Anträge auf Konkursausfallgeld gefertigt, sondern erst später im Laufe des Monats Februar 1987. Das darin liegende Anerkenntnis wirke nur für und gegen die Gemeinschuldnerin, nicht aber gegen sie, die Beklagte, deshalb hätte die Klägerin ihre Forderungen rechtzeitig vor Ablauf der tariflichen Ausschlußfristen ihr gegenüber geltend machen müssen. Das sei jedoch nicht geschehen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach einem Streitwert von 65.873,88 DM abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 59.391,87 DM nebst Zinsen zu zahlen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht der erhobene Anspruch gegen die Beklagte aufgrund übergegangenen Rechts (§ 141 m Abs. 1 AFG) zu, weil sie 12 Arbeitnehmern der Gemeinschuldnerin, deren Arbeitsverhältnisse auf die Beklagte übergegangen sind (§ 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB), für den Zeitraum vom 1. November 1986 bis zum 31. Januar 1987 Konkursausfallgeld gewährt und weil sie für die Geltendmachung ihrer Forderung Ausschluß fristen nicht versäumt hat.

I. Das Landesarbeitsgericht hat aufgrund des von ihm als unstreitig festgestellten Sachverhalts einen rechtsgeschäftlichen Übergang des Betriebes der Gemeinschuldnerin auf die Beklagte im Sinne des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB ab 1. Februar 1987 angenommen. An die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden, weil es an einer zulässigen Verfahrensrüge fehlt und weil die Beklagte keinen Antrag auf Tatbestandsberichtigung gestellt hat (§ 320 ZPO). Soweit das Landesarbeitsgericht auf den von ihm festgestellten Sachverhalt die Bestimmung des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB und die vom Bundesarbeitsgericht hierzu entwickelten Rechtsgrundsätze angewandt hat, ist seine Entscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie wird insoweit von der Revision auch nicht mehr angegriffen. Der Senat hat daher davon auszugehen, daß die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer, denen die Klägerin Konkursausfallgeld gezahlt hat, auf die Beklagte als Betriebsübernehmerin übergegangen sind.

II. Soweit das Landesarbeitsgericht den Verfall der Klageforderung aufgrund der einschlägigen Ausschlußklauseln der Manteltarifverträge und Urlaubstarifverträge für die Arbeiter bzw. Angestellten in der Berliner Metallindustrie verneint hat, ist ihm im Ergebnis ebenfalls zu folgen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat die Arbeitsverträge von sechs Arbeitnehmern der Gemeinschuldnerin dahin ausgelegt, daß nur für ganz bestimmte, genau bezeichnete Ansprüche eine Verweisung auf die Tarifwerke vorliege, daß im übrigen aber eine Inbezugnahme der einschlägigen tariflichen Ausschlußklauseln fehle. Bei dieser Auslegung ist ein Verstoß gegen die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) nicht erkennbar. Bezugnahmen auf tarifliche Ausschlußklauseln müssen aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit eindeutig sein. Daran fehlt es hier. Letztlich kann dieser Gesichtspunkt aber auf sich beruhen; denn selbst wenn eine klare Verweisung vorläge, würde sich an dem rechtlichen Ergebnis nichts ändern. Für die weiteren sechs Arbeitsverhältnisse ist – mit dem Landesarbeitsgericht – von einer Bezugnahme auszugehen, so daß zugunsten der Beklagten angenommen werden kann, es liege in allen Fällen eine zulässige Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge für die Berliner Metallindustrie mit ihren jeweiligen Ausschlußklauseln (Ausschlußfrist: drei Monate) vor.

2. Die Klägerin hat die zu wahrenden Ausschluß fristen nicht versäumt. Einer besonderen Geltendmachung der Klageforderung gegenüber der Beklagten bedurfte es nämlich nicht mehr, nachdem der Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin die Entgeltforderungen der Arbeitnehmer anerkannt hatte und die Beklagte diese Anerkenntnisse gegen sich gelten lassen muß.

a) Unstreitig hat der Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin zwischen dem 20. März und dem 13. April 1987 Verdienstbescheinigungen erteilt, wonach die Klägerin in der Lage war, die Höhe des Konkursausfallgeldes für insgesamt 12 Arbeitnehmer für die Zeit von November 1986 bis Januar 1987 zu berechnen. In der Erteilung dieser Verdienstbescheinigungen liegt jeweils ein Anerkenntnis der Arbeitnehmerforderungen. Dieses Anerkenntnis muß die Beklagte als Betriebsübernehmerin gegen sich gelten lassen.

b) Als Rechtsnachfolgerin der Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin ist die Klägerin an die tariflichen Verfallfristen gebunden (§ 141 m AFG, §§ 412, 404 BGB). Dies entspricht ständiger Rechtsprechung (vgl. nur Senatsurteil vom 8. August 1979 – 5 AZR 660/77 – AP Nr. 67 zu § 4 TVG Ausschluß fristen, zu II 2 der Gründe, m.w.N.). Tarifliche Ausschluß fristen sollen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden dienen. Der Schuldner soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfristen nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Umgekehrt soll der Gläubiger angehalten werden, innerhalb kurzer Fristen Begründetheit und Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen (vgl. Senatsurteil vom 8. August 1979 – 5 AZR 660/77 – AP, a.a.O. zu II 3 a der Gründe, mit Hinweis auf Wiedemann/Stumpf, TVG. 5. Aufl., § 4 Rz 367). Soweit der Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin Verdienstbescheinigungen erteilt hat, hat er damit zumindest in Höhe des später gezahlten Konkursausfallgeldes die bestehenden Rückstände streitlos gestellt. Hierin liegt ein Anerkenntnis der Arbeitnehmerforderungen. Wenn nämlich der Friedensfunktion einer tariflichen Ausschlußfrist schon dann Rechnung getragen ist, wenn der Gläubiger innerhalb der Ausschluß fristen seine Ansprüche geltend macht, so muß dies erst recht gelten, wenn der Schuldner von sich aus die Ansprüche klarstellt. Insoweit kann er nicht damit rechnen, daß seine Arbeitnehmer oder ihr Rechtsnachfolger die Vergütungsansprüche nicht mehr verfolgen wollen (so bereits Senatsurteil vom 8. August 1979 – 5 AZR 660/77 – AP, a.a.O., zu I 3 b der Gründe).

c) Nach § 613 a Abs. 2 BGB haftet der bisherige Arbeitgeber neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Abs. 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Nach der Auslegungsregel des § 425 Abs. 1 BGB wirken nur Erfüllung, Erlaß und Gläubigerverzug für und gegen jeden Gesamtschuldner. Andere Tatsachen wirken nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Das gilt aber nur, „soweit sich nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt”. Das ist hier jedoch der Fall.

Einer der Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten war auch Gesellschafter und Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin. Insoweit liegt eine personelle Identität zwischen Gesellschafter und Geschäftsführer vor. Mit der Eröffnung des Konkursverfahrens verliert der Gemeinschuldner die Befugnis, sein zur Konkursmasse gehöriges Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen (§ 6 Abs. 1 KO). Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht wird vielmehr durch einen Konkursverwalter ausgeübt (§ 6 Abs. 2 KO). Der Konkursverwalter ist nach § 141 h AFG zur Erteilung von Verdienstbescheinigungen verpflichtet. Dabei muß ihm unter anderem auch der Arbeitgeber alle erforderlichen Auskünfte erteilen (§ 141 h Abs. 2 AFG).

Bei einer Ausgestaltung des Gesamtschuldnerverhältnisses im Sinne des § 613 a Abs. 2 BGB, wie sie im Streitfall insbesondere aufgrund der persönlichen Identität zwischen einem Gesellschafter und Geschäftsführer auf Übergeber- wie auf Übernehmerseite vorliegt, muß das in der Erteilung von Verdienstbescheinigungen liegende Anerkenntnis des Gemeinschuldners auch gegenüber dem anderen Gesamtschuldner gelten. Eine andere Betrachtungsweise wäre formalistisch und lebensfremd (vgl. Senatsurteil vom 11. November 1971 – 5 AZR 272/71 – AP Nr. 47 zu § 4 TVG Ausschluß fristen; sowie BAG Urteil vom 21. März 1991 – 2 AZR 577/90 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, besonders zu II 2 a sowie II 3 c aa der Gründe).

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Werner, Dr. Hirt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1074047

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