Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Prämienlohnarbeit ohne Betriebsvereinbarung. TVG § 1 Auslegung. keine Prämienlohnarbeit ohne Betriebsvereinbarung. Auslegung des § 23 Ziff. 3 Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie: Grundlage eines Individualanspruchs oder tarifliche Öffnungsklausel mit inhaltlichen Vorgaben an die Betriebsparteien. Tarifauslegung
Leitsatz (amtlich)
Haben sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht über die Bedingungen der Prämienlohnarbeit nach dem Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 1. Dezember 1973 idF vom 1. November 1997 – Stand: 1. Januar 1998 – (MTV) geeinigt und ist die tarifvertraglich vorgesehene Schnellschlichtung nicht durchgeführt, besteht schon deswegen kein Anspruch auf Prämienlohn, weil keine Prämienlohnarbeit iSd. MTV vorliegt.
Orientierungssatz
- Eine Prämienlohnarbeit im Sinne des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie liegt nur dann vor, wenn sich Betriebsrat und Arbeitgeber über die Bedingungen der Prämienlohnarbeit geeinigt haben oder die Schnellschlichtung nach § 29 MTV durchgeführt worden ist.
- Der MTV gibt den einzelnen Arbeitnehmern, die Prämienlohnarbeit leisten, mit § 23 Nr. 3 Satz 2 keinen individuellen Anspruch auf Zahlung einer Prämienentlohnung in Höhe von 14 % über dem Tariflohn. Dieser Wert ist ein Durchschnittswert und nur ein Richtmaß für die Betriebsparteien und stellt die Mindestgröße für den Durchschnittswert der Prämien dar, wenn Prämienlohnarbeit vereinbart wird. Die Betriebsparteien können für unterschiedliche (Bezugs)Größen der zu prämierenden Tätigkeiten unterschiedliche Prämienvergütungen vereinbaren; die einzelnen Arbeitnehmer können in diesem Rahmen unterschiedlich hohe Prämien erzielen.
- Der Arbeitgeber macht sich nicht schadensersatzpflichtig, wenn er die Schnellschlichtung nicht von sich aus einschaltet.
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 05.06.2002; Aktenzeichen 9 Sa 956/01) |
ArbG Kempten (Urteil vom 23.08.2001; Aktenzeichen 6 Ca 118/01 KF) |
Tenor
- Die Revision der Kläger und Klägerinnen gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. Juni 2002 – 9 Sa 956/01 – wird zurückgewiesen.
- Die Kläger und Klägerinnen haben die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Beklagte und die tarifgebundenen Kläger/Klägerinnen streiten über Ansprüche auf Prämienlohn.
Am 8. April 1986 schlossen die Beklagte, die zu diesem Zeitpunkt nicht tarifgebunden war, und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat eine Rahmenbetriebsvereinbarung über Prämienzahlungen, der mehrere Betriebsvereinbarungen nachfolgten, die Details der Prämienzahlungen festlegten.
Im Anschluss an eine Unternehmensumstrukturierung im Jahre 1994 verständigten sich die Beklagte, die zu diesem Zeitpunkt tarifgebunden war, mit dem Betriebsrat unter dem 9. Oktober 1995 auf eine Rahmenbetriebsvereinbarung. Die Vereinbarung, die nach ihrer Ziffer 1 für alle gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten gilt, regelt ua. Folgendes:
“2. Entlohnungsarten
Es werden folgende tarifliche Entlohnungsarten vereinbart:
2.1 Zeitlohnarbeit gemäß § 14 Ziffer 2 in Verbindung mit § 13, § 20 und Anhang 6 MTV.
2.2 Prämienlohnarbeit gemäß § 14 Ziffer 4 in Verbindung mit § 13 und § 23 des MTV und mit § 87 Abs. (1) Ziffern 10 und 11 BetrVG.
3. Hinweise zur Entlohnungsart Prämienlohn
Zum Entlohnungsgrundsatz Prämienlohnarbeit wird zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen.
Prämienlohn gemäß Ziffer 2.2 kann nach Vereinbarung mit dem Betriebsrat
– als Einzelarbeit
– oder als Gruppenarbeit vergeben werden.”
Der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 1. Dezember 1973 in der Fassung vom 1. November 1997 – Stand: 1. Januar 1998 – (im Folgenden MTV) lautet auszugsweise wie folgt:
“§ 14 Allgemeine Bestimmungen über die Formen der Arbeit und ihre Entlohnung
1. Die Beschäftigung der Arbeitnehmer erfolgt je nach der Organisation des Arbeitsablaufes und der Voraussetzungen der Arbeit an den Arbeitsplätzen. Die Arbeit wird einzeln oder in Gruppen ausgeführt. Sie wird in Zeit-, Akkord- oder Prämienlohn vergeben.
Die Einführung dieser Entlohnungsarten und die damit verbundene Festlegung des Geltungsbereichs ist mit dem Betriebsrat zu vereinbaren.
Im Nichteinigungsfall ist gem. § 29 Abschn. D zu verfahren.
…
4. Prämienlohnarbeit ist solche Arbeit, bei der vorher durch Betriebsvereinbarung ein bestimmter Arbeitserfolg (Qualität, Materialeinsparung u.a.) festgelegt ist.
…
8. Andere Formen der Arbeit und ihre Entlohnung bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Tarifvertragsparteien.
…
§ 16 Monatslohn
1. (I) Das Arbeitsentgelt ist als Monatslohn gem. den Ziffern 2 bis 8 zu zahlen.
…
3. Der Monatslohn setzt sich aus
– den gleichmäßigen Bestandteilen des Arbeitsentgelts und
– den variablen Bestandteilen des Arbeitsentgelts zusammen.
…
5. (I) Zu den variablen Bestandteilen des Monatslohns gehören
– leistungsabhängige Bestandteile des Arbeitsentgelts und
– zeitabhängige Bestandteile des Arbeitsentgelts.
(II) Die variablen leistungsabhängigen Bestandteile, nämlich Akkord- und Prämienmehrverdienste sind als Prozentsatz zum Monatsgrundlohn in Höhe des Leistungsdurchschnitts des vorhergehenden Kalendermonats oder des Abrechnungsmonats zu ermitteln und zu vergüten.
…
…
§ 23 Prämienlohn
1. Die Prämienlohnarbeit ist auf sachbezogene mess- oder zählbare Größen aufzubauen; dabei bezieht sich der Begriff ‘mess- oder zählbare Größen’ nicht auf die bei der Ausführung der Arbeit gegebenen Bedingungen des Arbeitsplatzes und dermgebung.
Die Prämienbedingungen sind mit dem Betriebsrat zu vereinbaren.
Im Nichteinigungsfall ist gemäß § 29 Abschn. D zu verfahren.
Die Normen einer gekündigten Betriebsvereinbarung wirken bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung nach. Wird durch Betriebsvereinbarung eine andere Entlohnungsart eingeführt, so endet mit dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens dieser Vereinbarung die Prämienregelung.
…
3. Der Verdienst der Prämienlohnarbeiter richtet sich im Rahmen der betrieblichen Regelung nach der erbrachten Leistung bzw. dem erzielten Arbeitsergebnis.
Der Prämienverdienst muss im Durchschnitt aller Prämienlohnarbeiter des Betriebes mindestens 14 Prozent über den Tariflöhnen liegen.
Wird ein Arbeitnehmer nach mehr als sechswöchiger Beschäftigung im Zeitlohn erstmals im Prämienlohn beschäftigt, so erhält er für die Dauer von zwei Monaten mindestens seinen bisherigen tatsächlichen Stundenverdienst.
4. Treten bei der Erledigung von Arbeitsaufgaben unvorhergesehene Umstände ein, so ist in diesen Fällen die Vergütung mit dem Betriebsrat zu vereinbaren.
Im Nichteinigungsfall ist nach § 29 Abschn. D zu verfahren. …
§ 29 Schlichtung von Streitigkeiten
…
D. Regelungsstreitigkeiten
Über die Regelung von Streitfällen, die aus … § 23 Ziff. 1 und 4 … dieses Manteltarifvertrages entstehen, entscheidet die Schlichtungsstelle im Schnellverfahren endgültig.
…
Die Schlichtungsstelle hat innerhalb von 6 Tagen, in Fällen der §§ 14 bis 23 innerhalb von 14 Tagen nach Anrufung ihre Entscheidung zu treffen.
Sollte die Schlichtungsstelle innerhalb dieser Frist keine Entscheidung treffen, so ist der ursprüngliche Zustand wieder herzustellen.”
Die Rahmenbetriebsvereinbarung vom 9. Oktober 1995 wurde im Mai 1997 gekündigt. Sodann schlossen die Beklagte und der Betriebsrat bei der Beklagten am 2. Juli 1997 eine “Übergangsvereinbarung zur Entlohnung für den Zeitraum der Restrukturierungsmaßnahmen” mit ua. folgenden Regelungen:
“1.0 Geltungsbereich
Diese Vereinbarung gilt für alle gewerblichen Mitarbeiter/innen der Firma S… GmbH mit Standort F…, die derzeit in der Entlohnungsform Prämie beschäftigt sind.
Zum Entlohnungsgrundsatz Prämienlohnarbeit wird zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen.
2.0 Ziel dieser Vereinbarung
Mit dieser Vereinbarung soll folgendes erreicht werden:
2.1 Mitarbeiter/innen sollen in Bezug auf die Entlohnung während der Restrukturierungsmaßnahmen nicht benachteiligt werden. …
3.0 Regelungsabsprache
3.1 Es wird vereinbart, dass alle Mitarbeiter/innen die nicht gemäß § 20 Ziffer 3 MTV der bayerischen Metallindustrie unter die Leistungsbeurteilung fallen, mit dem Durchschnitt der letzten 6 vollständig abgerechneten Monate entlohnt werden.
4.0 Inkrafttreten und Geltungsdauer
Diese Vereinbarung … endet am 31.12.1997. Bis zum 31.12.1997 ist zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat gemäß § 23 MTV der bayerischen Metallindustrie eine Prämienvereinbarung abzuschließen.
Ist in Teilbereichen bis zum 31.12.1997 keine Vereinbarung getroffen, wird die Geschäftsleitung und der Betriebsrat über eine Verlängerung der Übergangsvereinbarung verhandeln. …
In der Folgezeit rechnete die Beklagte die Prämien gegenüber den Klägern gemäß dieser Betriebsvereinbarung ab und zahlte den sich ergebenden Betrag an die Kläger aus.
Am 29. Juni 1998 einigten sich die Betriebspartner auf eine für den Bereich Coe Getriebe sowie den Bereich FC Synchronkörper geltende sogenannte “Pilotrahmenvereinbarung zur Einführung eines Gruppenprämienmodells”. Diese enthielt ua. folgende Regelungen:
“13. Allgemeine Regelungen
13.1 Pilotphase
…
Zieltermin für den Start der Pilotphase ist 1. Juli 1998.
…
15. Flächendeckende Einführung
Vor der flächendeckenden Einführung des Prämienmodells in allen FC's wird zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung eine Betriebsvereinbarung über Gruppenarbeit und Prämie, unter Berücksichtigung der in der Pilotphase erzielten Ergebnisse abgeschlossen.
16. Schlussbestimmungen
Diese Vereinbarung (Pilotprogramm) tritt am 01.07.1998 in Kraft. Diese Vereinbarung gilt probeweise bis 30.06.1999 und endet zum vorgenannten Termin ohne das es einer Kündigung bedarf und ohne Nachwirkung.
…”
Diese Pilotvereinbarung wurde nicht durchgeführt, insbesondere wurde der in der Vereinbarung avisierte Prämienfaktor nicht erhoben.
Für die Monate August bis Oktober 2000 machten die Kläger/Klägerinnen erfolglos die jeweiligen Differenzbeträge zwischen der an sie ausgekehrten Vergütung, die die Beklagte auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 2. Juli 1997 berechnet hatte, und einem Prämienverdienst in Höhe von 14 % über den jeweils geltenden Tariflöhnen schriftlich geltend. Mit ihrer am 10. Januar 2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen und später erweiterten Klage begehren die Kläger/Klägerinnen von der Beklagten für die Monate August 2000 bis einschließlich April 2001 die Zahlung der Differenzbeträge zwischen der an sie ausgekehrten Vergütung und einem Prämienverdienst in Höhe von 14 % über den Tariflöhnen zuzüglich Zinsen.
Die Kläger/Klägerinnen haben die Ansicht vertreten, die Regelung des § 23 Ziff. 3 MTV stelle eine Inhaltsnorm im Sinne des § 1 Abs. 1 TVG dar und gewähre ihnen als solche einen individualrechtlichen Anspruch auf Prämienlohn in Höhe von 14 % über dem Tariflohn. Zumindest stünden ihnen gegen die Beklagte entsprechende Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung zu. Die Beklagte habe die Prämienermittlung vereitelt und damit gegen ihre tarifvertraglichen Pflichten aus § 23 Ziff. 3 MTV verstoßen. Solange die Beklagte ihrer Verpflichtung zum Abschluss einer die Prämienansprüche der Kläger/Klägerinnen regelnden Betriebsvereinbarung nicht nachkomme, sei sie verpflichtet, an jeden Kläger/jede Klägerin den tariflich vorgegebenen Durchschnittssatz zu zahlen. Die Beklagte befinde sich mit der Verpflichtung der Prämienermittlung seit dem Jahre 1989 in Verzug. Da die Prämienermittlung nur durch entsprechende Zeit- und Stückaufnahmen durch die Beklagte erfolgen könne, habe sie den Verzug zu vertreten. Der Durchschnitt aller Prämienlöhne liege nur 8,2 % über dem Tarifentgelt. Die Durchführung eines Schlichtungsverfahren nach § 29 Abschn. D MTV sei vor Klageerhebung nicht erforderlich.
Die Kläger/Klägerinnen haben – soweit für das Revisionsverfahren von Belang – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerinnen und Kläger jeweils bezifferte Einzelbeträge von insgesamt 72.208,28 Euro nebst Staffelzinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte, die den Anspruch dem Grunde, nicht aber der Höhe nach bestreitet, hat die Auffassung vertreten, § 23 Ziff. 3 MTV sei eine Rahmenregelung, die allein die Betriebspartner verpflichte. Zudem sei die Vergütung eines jeden Klägers und einer jeden Klägerin variabel, so dass eine für alle Kläger/Klägerinnen einheitliche Prämienhöhe von 14 % über den Tariflöhnen nicht gerechtfertigt sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der durch Beschluss des Dritten Senats vom 10. Dezember 2002 – 3 AZN 513/02 – zugelassenen Revision verfolgen die Kläger/Klägerinnen ihre Zahlungsansprüche mit Modifikationen hinsichtlich der Zinsforderungen weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Den Klägern/Klägerinnen steht der von ihnen geforderte Prämienlohn nicht zu. Dies haben die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend erkannt.
1. Der von den Klägern und Klägerinnen geltend gemachte Prämienlohnanspruch scheitert schon daran, dass keine Prämienlohnarbeit iSd. MTV vorliegt.
Nach § 14 Ziff. 4 MTV ist Prämienlohnarbeit eine solche Arbeit, bei der vorher durch Betriebsvereinbarung ein bestimmter Arbeitserfolg (Qualität, Materialeinsparung ua.) festgelegt ist. Nach § 23 MTV – Prämienlohn – sind die Prämienbedingungen mit dem Betriebsrat zu vereinbaren (Ziff. 1), wobei sich der Verdienst der Prämienlohnarbeiter im Rahmen der betrieblichen Regelung nach der erbrachten Leistung bzw. dem erzielten Arbeitsergebnis richtet und der Prämienverdienst im Durchschnitt aller Prämienlohnarbeiter des Betriebes mindestens 14 % über den Tariflöhnen liegen muss. Einigen sich der Betriebsrat und der Arbeitgeber nicht über die Einführung von Prämienlohnarbeit und/oder die Prämienbedingungen, so sieht der Tarifvertrag eine sog. Schnellschlichtung vor, § 29 MTV.
Im vorliegenden Fall haben sich Betriebsrat und Arbeitgeber für den streitigen Zeitraum August 2000 bis April 2001 nicht über die Bedingungen der Prämienlohnarbeit geeinigt.
a) Die ursprünglich geltende Rahmenbetriebsvereinbarung vom 8. April 1986 ist durch die nachfolgende Rahmenbetriebsvereinbarung vom 9. Oktober 1995, welche bereits auf den Vorgaben des § 23 MTV basiert, abgelöst worden. Unter Ziff. 3 dieser Betriebsvereinbarung kamen die Betriebspartner überein, zum Entlohnungsgrundsatz Prämienlohnarbeit eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. Eine Nachfolgevereinbarung, welche die Rahmenvereinbarung vom 9. Oktober 1995 ausgestaltete und insbesondere die Entlohnungsgrundsätze und Entlohnungsmethode en detail festlegte, schlossen die Betriebspartner nicht ab.
b) Die Übergangsbetriebsvereinbarung vom 2. Juli 1997, die für den Zeitraum vom 1. Juni 1997 bis zum 31. Dezember 1997 befristet war, Ziff. 4.0 Satz 1 der Betriebsvereinbarung, orientiert den Prämienlohn nicht an den Vorgaben des § 23 MTV, sondern bestimmt unter Ziff. 3.1, dass die Mitarbeiter mit dem Durchschnitt der letzten sechs vollständig abgerechneten Monate zu entlohnen sind. Demgemäß rechnete die Beklagte die Prämien gegenüber den Klägern/Klägerinnen ab und zahlte die Prämien an die Kläger/Klägerinnen aus. Weitergehende Ansprüche, insbesondere die klageweise geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung des Differenzbetrages zu einem Prämienlohn in Höhe von 14 % über dem Tariflohn, können die Kläger/Klägerinnen aus dieser Betriebsvereinbarung nicht mit Erfolg herleiten.
c) Dem Vorbringen der Kläger/Klägerinnen lässt sich nicht entnehmen, dass sie ihre Zahlungsansprüche mit Erfolg auf die Pilotrahmenbetriebsvereinbarung vom 29. Juni 1998 stützen können.
Die Pilotrahmenbetriebsvereinbarung gilt lediglich für die Mitarbeiter der Abteilungen Coe Getriebe und FC Synchronkörper. Aus dem Vortrag der Kläger und Klägerinnen geht nicht hervor, ob und gegebenenfalls welche Kläger/Klägerinnen innerhalb welcher Zeiträume in dieser Abteilung gearbeitet haben. Schon das Arbeitsgericht hatte die Zahlungsansprüche deswegen abgewiesen. Die Kläger/Klägerinnen haben ihren Vortrag in der zweiten Instanz nicht ergänzt. Das Landesarbeitsgericht ist daher von einem unzureichenden Klägervortrag ausgegangen. Eine Verfahrensrüge haben die Kläger/Klägerinnen insoweit nicht erhoben.
d) Eine Schnellschlichtung ist nicht durchgeführt worden.
2. Der Tarifvertrag gibt den einzelnen Arbeitnehmern, die die in Rede stehende Prämienlohnarbeit leisten, keinen individualrechtlichen Anspruch auf Zahlung einer Prämienentlohnung in Höhe von 14 % über dem Tariflohn. Es fehlt an der tatbestandlichen Voraussetzung der Leistung von Prämienlohnarbeit iSd. § 23 MTV iVm. § 14 Ziff. 4 MTV.
a) Zwar formuliert das Landesarbeitsgericht im Berufungsurteil, die Kläger und Klägerinnen leisteten “Prämienlohnarbeit”. Darin liegt keine, das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO bindende tatsächliche Feststellung, sondern die bloße – ungeprüfte – Wiederholung eines unzutreffenden subsumierenden Sprachgebrauchs der Parteien. Denn darüber, ob Prämienlohnarbeit rechtlich iSd. § 23 iVm. § 14 Ziff. 4 MTV vorliegt und wie sie zu vergüten ist, streiten die Parteien gerade.
b) Die Voraussetzung, dass die Kläger/Klägerinnen Prämienlohnarbeit iSd. § 23 iVm. § 14 Ziff. 4 MTV leisten, ist nicht gegeben; Vergütungsansprüche nach § 23 Ziff. 3 Satz 1 MTV stehen ihnen schon dem Grunde nach nicht zu.
aa) Die Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (Senat 29. August 2001 – 4 AZR 337/00 – BAGE 99, 24, 28 f. = AP TVG § 1 Auslegung Nr. 174 = EzA BGB § 622 Tarifvertrag Nr. 2).
bb) Nach dem Wortlaut des § 23 Ziff. 3 Satz 1 MTV richtet sich der Verdienst der Prämienlohnarbeiter “im Rahmen der betrieblichen Regelung” nach der erbrachten Leistung bzw. dem erzielten Arbeitsergebnis. Die Tarifvorschrift erhebt damit die betriebliche Regelung zum selbständigen Tatbestandsmerkmal. Dies belegt der systematische Zusammenhang, in den die Regelung eingebettet ist. Die Formulierung “im Rahmen der betrieblichen Regelung” bezieht sich auf die Vorschrift des § 23 Ziff. 1 Satz 2 MTV, nach der die Prämienbedingungen mit dem Betriebsrat zu vereinbaren sind. Diese Bestimmung korrespondiert mit der Vorschrift des § 14 Ziff. 1 Abs. 2 MTV, derzufolge die Einführung einer Entlohnungsart im Sinne von § 14 Ziff. 1 Abs. 1 MTV mit dem Betriebsrat zu vereinbaren ist. Dem entspricht die tarifliche Definition in § 14 Ziff. 4 MTV, die Prämienlohnarbeit als solche Arbeit kennzeichnet, bei der vorher durch Betriebsvereinbarung ein bestimmter Arbeitserfolg (Qualität, Materialeinsparung ua.) festgelegt wird, wobei der Prämienlohn einen variablen leistungsabhängigen Bestandteil des Monatslohns darstellt (§ 16 Ziff. 5 II, I 1. Spiegelstrich, Ziff. 3 2. Spiegelstrich MTV). Das Regelungskonzept, das dem Zusammenspiel dieser drei Tarifnormen zugrunde liegt, weist dem Betriebsrat eine konstitutive Rolle sowohl bei der Einführung des Prämienlohnsystems als auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Prämienlohnes zu.
cc) Gegen die Annahme, § 23 Ziff. 3 Satz 1 MTV gewähre Prämienlohnarbeitern individualrechtliche Ansprüche, sprechen Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. § 23 Ziff. 3 Satz 1 MTV ist eine tarifvertragliche Öffnungsklausel. Die Funktion der Vorschrift wird vor dem Hintergrund der im Betriebsverfassungsrecht geltenden sogenannten Tarifsperre deutlich. Gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Ergänzt wird die gesetzliche Regelung durch § 87 Abs. 1 BetrVG, der eine erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten nur in den Fällen zulässt, in denen tarifliche Regelungen nicht bestehen. Die Beschränkung der Regelungsbefugnis der Betriebsparteien erklärt sich aus Folgendem: Die Tarifsperre, die die Funktionsfähigkeit der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie gewährleistet (vgl. BAG 29. Januar 2002 – 1 AZR 267/01 – EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 71), soll einer Normsetzung der Betriebsparteien vorbeugen, die zu derjenigen der Tarifvertragsparteien in Konkurrenz treten würde (vgl. BAG 24. Januar 1996 – 1 AZR 597/95 – BAGE 82, 89 = AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 55). Zu diesem Zweck räumt das Betriebsverfassungsgesetz den Tarifvertragsparteien den Vorrang bei der Regelung von Arbeitsbedingungen ein. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen weder abweichende noch auch nur ergänzende Betriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung für den Betrieb abschließen können (vgl. Senat 5. März 1997 – 4 AZR 532/95 – BAGE 85, 208 = AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 10 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 58; BAG 24. Februar 1987 – 1 ABR 18/85 – BAGE 54, 191 = AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 = EzA BetrVG 1972 § 87 Nr. 10). Für die Vereinbarung betriebsnaher Regelungen stehen Firmentarifverträge als kollektivrechtliches Gestaltungsmittel zur Verfügung (Senat 5. März 1997 – 4 AZR 532/95 – aaO). Den Tarifvertragsparteien steht es indes frei, die Tarifsperre aufzuheben und die Regelung der Arbeitsbedingungen den Betriebsparteien zu überantworten. So bestimmt § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG, dass die Tarifsperre nicht eingreift, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. § 23 Ziff. 3 MTV ist eine derartige Öffnungsklausel, die den Betriebsparteien eine betriebsnahe Ausgestaltung der betrieblichen Lohnfindung ermöglicht. Zugleich setzt diese Vorschrift Rahmenbedingungen für den möglichen Inhalt einer Betriebsvereinbarung über Prämienlohnarbeit, indem sie den Betriebspartnern bestimmte inhaltliche Vorgaben macht. So muss der Prämienverdienst im Durchschnitt aller Prämienlohnarbeiter des Betriebes mindestens 14 Prozent über den Tariflöhnen liegen. Dieser Durchschnittswert ist aber nur ein Richtmaß für die Betriebsparteien und stellt eine Mindestgröße für den Durchschnittswert aller Prämien dar, wenn Prämienlohn vereinbart wird. Die Betriebsparteien können für unterschiedliche (Bezugs)-Größen (§ 23 Ziff. 1 MTV) der zu prämierenden Tätigkeiten unterschiedlich hohe Prämienvergütungen vereinbaren, die einzelnen Arbeitnehmer können in diesem Rahmen durchaus unterschiedlich hohe Prämien erzielen.
dd) Dieses Ergebnis wird durch folgende Erwägung gestützt:
Mäße man § 23 Ziff. 3 Satz 1 MTV ohne eine die tariflichen Vorgaben ausfüllende Betriebsvereinbarung anspruchsbegründende Wirkung bei, führte dies zu nicht praktikablen Ergebnissen. Mangels einer die Prämiensätze festschreibenden Betriebsvereinbarung wäre unklar, für welche Leistungen ein Arbeitnehmer welche Prämie in welcher jeweiligen Höhe verdiente. Ein Rückgriff auf § 23 Ziff. 3 Satz 2 MTV, wie die Klägerseite meint, ist nicht möglich. Nach § 23 Ziff. 3 Satz 2 MTV muss der Prämienverdienst aller Prämienlohnarbeiter des Betriebes mindestens 14 Prozent über den Tariflöhnen liegen. Die Tarifvertragsparteien haben bezüglich der Prämienhöhe einen kollektiven Mindestmaßstab gewählt, nicht aber einen individuellen Anspruch normiert. Auf welche Weise der vorgegebene Durchschnittswert verwirklicht wird, hängt allein von der konkreten Ausgestaltung des Prämiensystems durch die Betriebsparteien ab. Nur ein denkbares Regelungsmodell ist es, jedem Arbeitnehmer einen Prämienanspruch in derselben Höhe einzuräumen. Aber auch eine Betriebsvereinbarung, die die Prämien an den jeweiligen Arbeitsleistungen orientiert und damit stärker individualisiert, genügt den tariflichen Vorgaben, sofern nur die tarifvertraglich vorgesehene Durchschnittshöhe erreicht wird. Diese stellt lediglich die festgeschriebene Untergrenze dar. Den Betriebspartnern bleibt es unbenommen, die Prämien so auszugestalten, dass die im Prämienlohnsystem tätigen Mitarbeiter des Betriebes einen Lohn erzielen, der im Durchschnitt mehr als 14 Prozent über Tarif beträgt.
3. Die Klageforderungen sind auch nicht als Schadensersatzanspruch begründet.
a) Die Vorinstanzen haben ausgeführt, die Kläger/Klägerinnen hätten nicht vorgetragen, inwiefern die Beklagte eine ihr gegenüber den Klägern/Klägerinnen obliegende Pflicht verletzt habe. Für eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten fehle es am Sachvortrag. Zudem könne nicht einseitig der Beklagten angelastet werden, dass eine Betriebsvereinbarung über Prämienzahlungen nicht zustande gekommen sei. Der Betriebsrat habe die Möglichkeit gehabt, ein Schlichtungsverfahren nach § 29 Abschn. D MTV einzuleiten und auf diesem Wege eine Betriebsvereinbarung zu erzwingen.
b) Die Kläger/Klägerinnen verweisen insoweit nur darauf, das Landesarbeitsgericht gehe zu Unrecht davon aus, der Betriebsrat könne die Prämienhöhe im Wege des Schlichtungsverfahrens nach § 29 Abschn. D MTV erzwingen. Die Mindestregelung des § 23 Ziff. 3 Satz 2 MTV sei einer Schnellschlichtung nicht unterworfen. Demgegenüber verweist die Beklagte zutreffend darauf, dass das erzwingbare Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bereits aus der gesetzlichen Regelung des § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG folgt. Der Betriebsrat hat bei einem Prämienlohn nach § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG über den Verlauf der Prämienkurve, zu dem auch die Zuordnung von Geldbeträgen zu bestimmten Leistungsgraden gehört, mitzubestimmen (vgl. BAG 16. Dezember 1986 – 1 ABR 26/85 – BAGE 54, 46 = AP BetrVG 1972 § 87 Prämie Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 87 Leistungslohn Nr. 14). Macht der Betriebsrat hiervon keinen Gebrauch und wird auch die Schnellschlichtung nicht oder nicht mit der Folge angerufen, dass es zu einer Betriebsvereinbarung über Prämienlohnarbeit kommt, so hat dies nur zur Folge, dass eine solche Arbeit nicht stattfindet und auch kein Prämienlohn zu zahlen ist.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Der Vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht Schliemann ist seit dem 8. Juli 2004 Justizminister des Freistaates Thüringen.
Friedrich
Bott, Friedrich, v. Dassel, Jürgens
Fundstellen
Haufe-Index 1244348 |
BB 2004, 2472 |
DB 2005, 394 |
ARST 2004, 215 |
FA 2004, 222 |
FA 2005, 29 |
SAE 2005, 138 |
AP, 0 |
AuA 2004, 40 |
EzA-SD 2004, 16 |
EzA-SD 2004, 3 |
EzA |
NZA-RR 2005, 81 |
AUR 2004, 230 |
AUR 2004, 478 |
ArbRB 2004, 368 |
GuS 2004, 56 |
PayRoll 2005, 43 |
SPA 2004, 3 |