Entscheidungsstichwort (Thema)

Stahlbiege- und -flechtarbeiten als bauliche Leistungen

 

Leitsatz (amtlich)

Verlegt ein Betrieb arbeitszeitlich überwiegend die von ihm eingekauften und sodann auf der Baustelle gebogenen und verflochtenen Baustähle und Baustahlmatten in der Verschalung des vorgesehenen Betonbettes, so wird er vom Geltungsbereich des VTV erfaßt, weil er damit “andere bauliche Leistungen” i. S. von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 28 VTV erbringt.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Bau; Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 12. November 1986 i. d. Fassung vom 30. Oktober 1990, 18. Dezember 1990 und 11. Februar 1991 § 24

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 10.11.1992; Aktenzeichen 5/14 Sa 512/92)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 14.01.1992; Aktenzeichen 2 Ca 3117/91)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10. November 1992 – 5/14 Sa 512/92 – aufgehoben.
  • Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 14. Januar 1992 – 2 Ca 3117/91 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung und der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte im Klagezeitraum einen Baubetrieb i.S. der Sozialkassentarifverträge unterhalten hat und daher zur Beitragszahlung an die Klägerin verpflichtet ist.

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt die Beklagte nach Maßgabe der Sozialkassentarifverträge für die Monate April bis August 1991 auf Zahlung der Sozialkassenbeiträge in Anspruch.

Die Beklagte unterhielt im streitigen Zeitraum einen Stahlbiegebetrieb. Sie kauft lose Baustähle und geflochtene vorgefertigte Baustahlmatten ein, die sodann von ihren Arbeitnehmern auf den Baustellen teilweise durch Verflechten, teilweise durch Aneinanderbinden mittels Stahlhaken und Drähten miteinander verbunden werden. Seit dem 19. Juni 1990 ist die Beklagte bei der Handwerkskammer Lübeck mit dem “Beton- und Stahlbetonbauerhandwerk” eingetragen. Laut Handelsregister ist Gegenstand des Unternehmens “Stahlbetonbewehrungsarbeiten und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte”.

Nach § 1 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 12. November 1986 i. d. Fassung vom 30. Oktober 1990, 18. Dezember 1990 und 11. Februar 1991 fallen unter dessen Geltungsbereich:

  • “§ 1

    Geltungsbereich

    • Betrieblicher Geltungsbereich:

      Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.

  • Abschnitt I

    Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen.

  • Abschnitt II

    Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.

  • Abschnitt III

    Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I oder II erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen.

  • Abschnitt V

    Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z.B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden:

    • Beton-, Stahlbeton- und Armierungsarbeiten;
    • Stahlbiege- und -flechtarbeiten, soweit sie zur Erbringung anderer baulicher Leistungen des Betriebes ausgeführt werden;
  • … ”

Die ZVK ist der Ansicht, das Einbringen des Baustahls in die Baustellen durch Verlegen sei eine bauliche Leistung, so daß der Betrieb der Beklagten dem VTV unterfalle. Die ZVK hat beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 3.544,91 DM zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, das Verflechten und Verlegen des Baustahls auf der Baustelle sei keine Bauleistung. Im Berufsgruppenverzeichnis des Anhangs zum BRTV sei bei Eisenbiegern und Eisenflechtern auch enthalten: “Einteilen und Einbauen von Stahlbetonbewehrungen.” Damit gehöre das Verlegen von Baustählen zu den originären Aufgaben der Stahlbiege- und -flechtbetriebe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die ZVK die Wiederherstellung des klagestattgebenden Ersturteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der ZVK ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts. Der ZVK stehen die mit der Klage geltend gemachten Beitragsansprüche für die Monate April bis August 1991 zu, weil der Betrieb der Beklagten dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV in der jeweils maßgeblichen Fassung unterfällt.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Klageabweisung ausgeführt, der Betrieb der Beklagten falle nicht unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV vom 12. November 1986 in der Fassung vom 30. Oktober 1990, weil im Betrieb der Beklagten zwar Stahlbiege- und -flechtarbeiten, aber keine “anderen” baulichen Leistungen ausgeführt wurden. Somit treffe die von den Tarifvertragsparteien als Voraussetzung für die Erfassung solcher Betriebe normierte Einschränkung nicht zu. Das Einbringen der Baustähle in das zu erstellende Bauwerk gehöre zum Stahlbiegen und -flechten und sei daher keine andere bauliche Leistung. Die Arbeitnehmer der Beklagten hätten ihre Arbeit erst dann beendet, wenn die Stahlbewehrungen so miteinander verbunden seien, daß unmittelbar darauf der Beton gegossen werden könne. Diesen Zustand erreichten die Baustähle und Baumatten durch weiteres Verflechten und Verbiegen an der Stelle, an der sie verbleiben sollten. Das Biegen und Verflechten der Baustähle an Ort und Stelle habe den Vorteil, daß kein den Zusammenhalt gefährdender Transport der für den Betonguß passend gemachten Bewehrungen erforderlich sei. Der Ort, an dem die Biege- und Verflechtarbeiten ausgeführt würden, sei für die Charakterisierung dieser Tätigkeiten unerheblich. Würden die Arbeitnehmer des Betriebes die Matten auf der Baustelle, jedoch außerhalb des Gebäudes zur erforderlichen Größe zusammenfügen und anschließend ein Kran die zusammengefügten Matten in die Deckenkonstruktion des zu erstellenden Bauwerks heben, wäre auch keine “andere” bauliche Leistung des Betriebes gegeben.

II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden. Mit dieser Begründung kann der Beitragsanspruch der ZVK nicht verneint werden.

1. Der Betrieb der Beklagten wird vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV in der hier maßgeblichen Fassung erfaßt. Der VTV ist für allgemeinverbindlich erklärt und gilt daher mit unmittelbarer und zwingender Wirkung (§ 5 Abs. 4 in Verb. mit § 4 Abs. 2 TVG).

Ein Betrieb unterfällt dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV, wenn im Anspruchszeitraum arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die in § 1 Abs. 2 VTV aufgeführt sind (BAGE 56, 227, 230 = AP Nr. 88 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fallen Betriebe, in denen überwiegend in den Beispielen des Abschnitts V des § 1 Abs. 2 VTV genannte Tätigkeiten ausgeführt werden, in den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, ohne daß die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III geprüft werden müssen (BAGE 45, 11 = AP Nr. 60 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG Urteil vom 26. April 1989 – 4 AZR 49/89 – AP Nr. 110 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG Urteil vom 27. Januar 1993 – 10 AZR 203/91 – n. v.).

2. Nach diesen Grundsätzen wird der Betrieb der Beklagten im Klagezeitraum von dem betrieblichen bzw. fachlichen Geltungsbereich des maßgeblichen, für allgemeinverbindlich erklärten Verfahrenstarifvertrags für das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe erfaßt, so daß die Beklagte nach Maßgabe des § 24 VTV zur Zahlung der begehrten Beiträge verpflichtet ist. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 561 Abs. 2 ZPO), kauft die Beklagte lose Baustähle und geflochtene vorgefertigte Baustahlmatten ein, die von ihren Arbeitnehmern arbeitszeitlich überwiegend auf den jeweiligen Baustellen miteinander verbunden werden. Das Landesarbeitsgericht geht in seinen Entscheidungsgründen davon aus, daß die Arbeitnehmer der Beklagten ihre Arbeit erst dann beendet haben, wenn die Stahlbewehrungen so miteinander verbunden sind, daß unmittelbar darauf der Beton gegossen werden kann.

a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erfüllt der Betrieb der Beklagten mit diesen Tätigkeiten die Voraussetzungen des Merkmals “Stahlbiege- und -flechtarbeiten, soweit sie zur Erbringung anderer baulicher Leistungen des Betriebes ausgeführt werden” in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 28 VTV. Mit diesem Merkmal wollten die Tarifvertragsparteien diejenigen Stahlbiege- und -flechtbetriebe erfassen, die solche Arbeiten zur Erbringung anderer baulicher Leistungen des Betriebes ausführen. Damit haben die Tarifvertragsparteien ab dem 1. Januar 1990 den Geltungsbereich des Abschnitts V eingeschränkt, weil Stahlbiege- und – flechtarbeiten nur noch insoweit erfaßt werden, als sie in unmittelbarem Zusammenhang mit anderen baulichen Leistungen durchgeführt werden. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dem früheren Tarifmerkmal, also ohne den Halbsatz “soweit sie zur Erbringung anderer baulicher Leistungen des Betriebes ausgeführt werden” (BAG Urteil vom 26. April 1989 – 4 AZR 610/88 – AP Nr. 114 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) ist somit nicht mehr einschlägig.

b) Der Betrieb der Beklagten erfüllt die Voraussetzungen des geänderten Tarifmerkmals. Die Beklagte kauft die losen Baustähle und vorgefertigten Baustahlmatten bei Drittfirmen ein und bringt sie auf die Baustelle. Dieses Verbringen der Baustähle und Baumatten auf die Baustelle und das Verflechten und Zurechtbiegen auf die richtige Größe an Ort und Stelle überwiegt arbeitszeitlich im Betrieb der Beklagten.

Damit steht fest, daß die Stahlbiege- und -flechtarbeiten zur Erbringung anderer baulicher Leistungen des Betriebs der Beklagten ausgeführt werden. Unter den anderen baulichen Leistungen sind dabei aufgrund der Auslegung des VTV anhand seines Wortlauts, dem Sinn und Zweck und dem Gesamtzusammenhang solche bauliche Leistungen zu verstehen, wie sie die Tarifvertragsparteien in § 1 Abs. 2, insbesondere Abschnitt V, aufgezählt haben.

c) Die von der Tarifnorm geforderten anderen baulichen Leistungen liegen in dem Verlegen der zuvor von der Beklagten bei Drittfirmen eingekauften, auf die Baustelle verbrachten, zurechtgebogenen und verflochtenen Baustähle und Baustahlmatten in die Verschalung des vorgesehenen Betonbettes. Die Verlegung der Baustähle und Baustahlmatten auf der Baustelle an dem Ort, an dem sie anschließend als Bestandteil des Stahlbetons verbleiben sollen, ist als Armierungsarbeit eine bauliche Leistung i. S. von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 4 VTV (BAG Urteil vom 29. Mai 1991 – 4 AZR 524/90 – AP Nr. 142 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

d) Der Bewertung der Verlegung des Baustahls als bauliche Leistung i. S. von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 4 VTV steht nicht entgegen, daß im Anhang zum BRTV für das Baugewerbe – Berufsgruppen für die Berufe des Baugewerbes – unter V 2.3 als Tätigkeitsmerkmale der Betonstahlbieger und Betonstahlflechter (Eisenbieger und Eisenflechter) u. a. das “Einbauen von Stahlbetonbewehrungen” aufgeführt ist. Danach gehört die Verlegung von Baustahl zwar zur Tätigkeit von Betonstahlbiegern und Betonstahlflechtern. Damit ist aber nicht ausgesagt, daß die Verlegung von Bewehrungen (Baustählen und Baustahlmatten) nicht als bauliche Leistung angesehen werden kann. Das mit Wirkung ab dem 1. Januar 1990 in Nr. 4 des § 1 Abs. 2 Abschnitt V aufgenommene Merkmal der “Armierungsarbeiten” erfaßt diese Arbeiten auch dann als bauliche Leistungen, wenn sie von Betonstahlbiegern und Betonstahlflechtern durchgeführt werden. § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 28 VTV sagt dagegen nur, daß die reinen Stahlbiege- und -flechtarbeiten, soweit sie nicht für die Erbringung baulicher Leistungen ausgeführt werden, wenn also die Baustähle und Baustahlmatten z.B. bereits verlegt sind oder für andere Firmen gebogen und geflochten werden, die sie sodann verlegen, nicht in den Geltungsbereich des VTV fallen.

e) Für dieses Ergebnis spricht auch die Eintragung der Beklagten bei der Handwerkskammer Lübeck mit dem “Beton- und Stahlbetonbauerhandwerk” sowie der im Handelsregister eingetragene Unternehmensgegenstand “Stahlbetonbewehrungsarbeiten und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte”.

f) Dahingestellt bleiben kann, ob der Betrieb der Beklagten bereits nach Nr. 4 des § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV als Betrieb des Baugewerbes anzusehen wäre, da die ZVK nicht vorgetragen hat, daß allein das Einbringen der Baustähle und Baustahlmatten in die Baustellen als Armierungsarbeiten arbeitszeitlich überwiegt.

g) Ein Zurückgreifen auf die Abschn. I bis III des § 1 Abs. 2 VTV erübrigt sich, da nach den vorstehenden Ausführungen der Betrieb der Beklagten bereits von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 28 VTV erfaßt wird.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Weinmann, Bacher

 

Fundstellen

Haufe-Index 856630

BB 1994, 1359

NZA 1994, 952

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