Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Senkung tariflicher Weihnachtsgratifikation
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Vertrauen in die Fortgeltung einer Tarifnorm ist zB dann nicht mehr schutzwürdig, wenn und sobald der Normunterworfene mit deren Änderung rechnen muß.
2. Auch wenn die Tarifnorm nicht oder nicht wirksam gekündigt worden ist, kann das schutzwürdige Vertrauen in ihren Fortbestand beseitigt werden. Hierzu bedarf es keiner Ankündigung der beabsichtigten Tarifänderung durch eine gemeinsame Erklärung oder übereinstimmende Erklärungen der Tarifvertragsparteien; auch andere Umstände können dazu geeignet sein.
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 5. Februar 1999 - 7 Sa 1042/98 -
wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger die rückwirkende tarifvertragliche Kürzung der tariflichen Weihnachtsgratifikation hinnehmen muß.
Der Beklagte, nachfolgend "IB", ist als gemeinnütziger Verein organisiert und betreibt zahlreiche Einrichtungen der Sozialarbeit und der Berufsbildung in der Bundesrepublik Deutschland, in denen er ca. 8000 Arbeitnehmer beschäftigt. Ua. werden die Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer in mit der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (im folgenden: ÖTV) ausgehandelten Firmentarifverträgen geregelt. Diese wendet der IB in ihrer jeweils gültigen Fassung auf alle Arbeitnehmer an, unabhängig davon, ob sie Mitglied der ÖTV sind, ob die Tarifanwendung ausdrücklich vertraglich vereinbart ist oder ob - wie in älteren Arbeitsverträgen - nur auf die Arbeitsordnung des IB Bezug genommen ist, die als Gesamtbetriebsvereinbarung in den Betrieben des IB gilt und die in § 9 Abs. 1 die Anwendung der jeweils geltenden Tarifverträge vorsieht.
Der Kläger ist seit dem 1. März 1983 als Ausbilder in dem Berufsbildungszentrum des IB in F. beschäftigt. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 11./15. April 1983 ist in § 3 bestimmt, daß "die Satzung des IB in jeweils geltender Fassung, der Manteltarifvertrag vom 28. August 1980 und die ihn ergänzenden oder ändernden Tarifverträge und die Arbeitsordnung des IB in jeweils geltender Fassung ... Bestandteile des Arbeitsvertrages" sind. Dazu zählt der "Tarifvertrag über eine Weihnachtsgratifikation" vom 28. August 1980. Er ist zum 30. Juni eines jeden Jahres schriftlich kündbar. § 2 dieses Tarifvertrages in der Fassung vom 10. November 1994 - nachfolgend: TV-Weihnachtsgratifikation 1994 - lautet auszugsweise:
Anspruchsvoraussetzungen und Höhe der Weihnachtsgratifikation (1)
Der Arbeitnehmer erhält in jedem Kalenderjahr eine
Weihnachtsgratifikation, sofern er den ganzen Monat Dezember
in einem Arbeitsverhältnis zum IB steht.
(2) Die Höhe der Gratifikation beträgt 100 v. H. der
Bruttobezüge einschließlich regelmäßig zu zahlenden
Überstundenvergütungen, Zulagen und Zuschläge des Monats
Oktober.
Der IB gewährt für jedes Kind, für das die erhöhten Orts- bzw.
Sozialzuschläge gezahlt werden, 50,-- DM Weihnachtsgeld.
Sofern für den Monat Oktober keine Bezüge gezahlt wurden, wird
die Gesamtvergütung zugrunde gelegt, die bei normaler
Arbeitsleistung hätte gezahlt werden müssen.
(3) Hat der Arbeitnehmer nicht während des gesamten
Kalenderjahres Bezüge (einschließlich Mutterschaftsgeld)
erhalten, vermindert sich die Gratifikation um 1/12 für jeden
Kalendermonat, für den der Arbeitnehmer keine Bezüge erhalten
hat.
...
(4) Scheidet ein Arbeitnehmer vor dem 31. März des folgenden
Kalenderjahres auf eigenen Wunsch oder durch
verhaltensbedingte Kündigung aus den Diensten des IB aus,
entfällt der Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation. Hat der
Arbeitnehmer in diesen Fällen die Weihnachtsgratifikation
erhalten, so hat er sie in voller Höhe zurückzuzahlen.
...
(5) Die Auszahlung der Weihnachtsgratifikation für alle
Arbeitnehmer im IB erfolgt mit der Auszahlung der Bezüge für
den Monat November.
...
Die "Bezüge" sind beim IB jeweils am Monatsende fällig.
Gemäß Ziff. 4 einer Niederschrift der Tarifvertragsparteien zu den Tarifverhandlungen vom 5. Mai 1994 war die Weihnachtsgratifikation für die Jahre 1994, 1995 und 1996 unter Zugrundelegung der im November 1993 geltenden Vergütungstarifverträge zu berechnen.
Die massive Expansion der Geschäftstätigkeit des IB führte dazu, daß sich sein Umsatz zwischen 1990 und 1994 mehr als verdoppelte. Im Jahre 1995 geriet der IB in die Verlustzone. Nach einem von der ÖTV in Auftrag gegebenen Gutachten der Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen e.V. (FORBA) aus September 1996 zeichnete sich ein Fehlbetrag von 29 Millionen DM ab.
Am 11. Oktober 1996 tagte die Tarifkommission der ÖTV. Das Ergebnis wurde in einem an die Arbeitnehmer des IB verteilten Flugblatt vom 12. Oktober 1996 wie folgt zusammengefaßt: "Die Tarifkommission der ÖTV hat in den Verhandlungen am 11.10.1996 zur "Problematik Weihnachtsgeld" Lösungsmöglichkeiten unterbreitet, die allerdings von der Arbeitgeberseite als nicht akzeptabel bezeichnet wurden. Insbesondere hat die ÖTV angeboten, bei den Auszahlungsmodalitäten gesprächsbereit zu sein. Allerdings hat die ÖTV auch erklärt, daß an der Höhe des Weihnachtsgeldes nicht gerüttelt werden kann. So haben wir angeboten, jeweils 25 % im November und Dezember 1996 auszubezahlen und die anderen 50 % auf das Jahr 1997 zu verteilen. Der Arbeitgeber IB hat unter Hinweis auf die Finanzlage eindeutig und unmißverständlich für sich erklärt, daß er sich nicht in der Lage sehe, das volle Weihnachtsgeld für 1996 zu bezahlen ... Für eine Zahlung des ... Weihnachtsgeldes 1997 sehe er überhaupt keine Möglichkeit.
Durch diese kompromißlose Haltung des IB war eine Einigung nicht
möglich]
Obwohl die Verhandlungen als Folge der verhärteten Fronten bereits
in der Mittagszeit vertagt wurden, hat sich die
ÖTV-Tarifkommission bereit erklärt, am 29.10.1996 ... mit einem
noch zu benennenden neutralen Dritten Lösungswege zu suchen.
Wir rufen alle Kolleginnen und Kollegen auf, ... deutlich zu
machen, daß sie die Forderungen der ÖTV nach vollem Weihnachtsgeld
für 1996 ... mittragen und unterstützen."
Am 29. Oktober 1996 fand unter Leitung des Oberbürgermeisters a.D. zwischen der ÖTV und dem IB eine Schlichtungsverhandlung statt, deren Ergebnis eine "Schlichtungsempfehlung" des Schlichters war. Bezüglich der Weihnachtsgratifikation für 1996 sah diese vor: "Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1996 in Höhe von 75 %, zahlbar zu jeweils 25 % im November 1996, Dezember 1996 und Mai 1997". Die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1997 sollte auf 50 % entsprechend "der Berechnungsformel der vorigen Jahre" gesenkt werden. Die Schlichtungskommission der ÖTV und der IB erklärten ihre Zustimmung zu dieser Empfehlung "unter Vorbehalt der Zustimmung" bzw. "Beratung ihrer zuständigen Gremien" und vereinbarten insoweit eine Erklärungsfrist bis zum 8. November 1996. Der Inhalt der Schlichtungsempfehlung wurde durch den IB in dessen sämtlichen Betrieben per Rundschreiben sowie durch die ÖTV und die Betriebsräte bekanntgegeben. Mit Beschluß vom 8. November 1996 lehnte die Tarifkommission der ÖTV die Schlichtungsempfehlung ab.
Der IB kündigte daraufhin den Tarifvertrag über eine Weihnachtsgratifikation fristlos mit Schreiben vom 8. November 1996. Dieses Verhalten begründete er gegenüber seinen Mitarbeitern mit Schreiben vom selben Tage, in dem er anführte, die außerordentliche Kündigung sei das letzte Mittel, "einen existenzgefährdenden Schaden abzuwenden". Er werde als freiwillige Leistung im November und Dezember 1996 eine Auszahlung in Höhe von jeweils 25 % der Summe vornehmen, die aufgrund des gekündigten Tarifvertrages auszuzahlen gewesen wäre.
Die ÖTV äußerte sich dazu in einem Flugblatt vom 11. November 1996 wie folgt:
"Die Tarifkommission der ... ÖTV hat weiterhin beschlossen, den IB zu weiteren Tarifverhandlungen aufzufordern mit dem Ziel:
- jeweils 25 % der Weihnachtsgratifikation für 1996 in den
Monaten November und Dezember d.J. auszubezahlen;
- die restlichen 50 % der Weihnachtsgratifikation für 1996 bis
spätestens 30. Juni 1997 auszubezahlen ...
Der geschäftsführende Hauptvorstand der ... ÖTV ist den Vorschlägen der ÖTV-Tarifkommission für den IB gefolgt ... Die Geschäftsleitung des IB hat ... den Tarifvertrag über eine Weihnachtsgratifikation ... außerordentlich gekündigt. Der Internationale Bund hat jedoch seine Bereitschaft bekundet, in Verhandlungen mit der ... ÖTV noch zu einer Lösung zu gelangen, die dem IB unter Berücksichtigung seiner Interessen zumutbar ist und den Mitarbeitern/innen wenigstens einen Teil der Weihnachtsgratifikation, wenn auch zeitverzögert, zukommen läßt."
Mit Flugblatt vom 18. November 1996 informierte die ÖTV die Mitarbeiter des IB über weitere Verhandlungen mit diesem im Dezember 1996 und verwies ihre Mitglieder auf die Nachwirkung des Tarifvertrages. Sie führte weiter aus: "In den Tarifverhandlungen und der freiwillig vereinbarten Schlichtung sind die akuten Liquiditätsschwierigkeiten des IB auch von der Gewerkschaft ÖTV anerkannt worden. Der Beschluß des geschäftsführenden Hauptvorstandes vom 12. November 1996 und der Tarifkommission vom 7. November 1996 trägt dem Rechnung: Es besteht die Bereitschaft zu vereinbaren, daß die Weihnachtsgratifikation ratenweise gezahlt wird ...
Es ist wichtigste Aufgabe von Vorstand und Zentraler
Geschäftsführung des IB, schnellstens Maßnahmen zur Konsolidierung
und Reorganisation umzusetzen, um wieder eine solide
wirtschaftliche Basis herzustellen. Es besteht insofern kein Anlaß
für materielle Vorleistungen der Beschäftigten. Inwieweit und ob
überhaupt materielle Abstriche an tariflichen Leistungen zur
Begleitung von Konsolidierungsmaßnahmen notwendig werden, hängt
von der Umsetzung eines schlüssigen Sanierungskonzeptes ab. Dies
wird sich erst im Verlauf des Jahres 1997 zeigen und kann erst
dann - sofern erforderlich - Gegenstand von Tarifverhandlungen
werden. ..."
Gleichzeitig reichte die ÖTV beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eine auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung des TV-Weihnachtsgratifikation 1994 gerichtete Klage (Az.: 16 Ca 9110/96) gegen den IB ein. Dies gab die ÖTV mit einem Rundschreiben vom 25. November 1996 bekannt.
Mit Schreiben vom 3. Dezember 1996 kündigte die ÖTV gegenüber den Mitgliedern ihrer Tarifkommission die Wiederaufnahme der Tarifverhandlungen an und führte darin aus: "Wir sind uns darüber einig, daß am Ende der Tarifverhandlungen für 1996 eine ratenweise Zahlung der Gratifikation stehen wird. Das ist eine Abweichung vom geltenden Tarifvertrag."
Am 14. Dezember 1996 einigten sich die Verhandlungskommissionen der ÖTV und des IB auf einen Änderungstarifvertrag zum TV-Weihnachtsgratifikation 1994, der folgende Regelungen enthält: "§ 2 Weihnachtsgratifikation 1996 und 1997
Dem § 2 ... wird folgende Protokollerklärung angefügt:
Protokollerklärung:
Die Bemessungsgrundlage für die Weihnachtsgratifikation im Jahr
1996 beträgt 95 v.H. (Ost 71,25 v.H.), im Jahr 1997 93,78 v.H.
(Ost 70,34 v.H.) der Bruttobezüge einschließlich der regelmäßig zu
zahlenden Überstundenvergütungen, Zulagen und Zuschläge des Monat
Oktober des jeweiligen Jahres. Die Höhe der Gratifikation beträgt
hiervon 75 %.
Abweichend von § 2 Abs. 5 erfolgt die Auszahlung der Gratifikation
1996 in 3 gleichen Raten mit den Bezügen für die Monate November
und Dezember 1996 sowie März 1997.
...
§ 3 Inkrafttreten
Dieser Tarifvertrag tritt mit Wirkung vom 1. November 1996 in
Kraft."
Der Hauptvorstand der ÖTV stimmte dem Änderungstarifvertrag am 20. Januar 1997 zu. Der IB nahm daraufhin mit Schreiben vom 23. Januar 1997 die außerordentliche Kündigung des TV-Weihnachtsgratifikation 1994 zurück und billigte das Tarifergebnis vom 14. Dezember 1996 in seiner Vorstandssitzung vom 31. Januar/1. Februar 1997. Entsprechend diesem Änderungstarifvertrag (nachfolgend: ÄnderungsTV 1996) zahlte der IB die Weihnachtsgratifikation für 1996 an seine Mitarbeiter. Dies ergab eine Personalkostenersparnis von 8,5 Mio. DM im Vergleich zur ungekürzten Weihnachtsgratifikation.
Mit seiner Klage nimmt der Kläger den IB auf Zahlung von restlicher Weihnachtsgratifikation für 1996 in Höhe von 25 % seiner Monatsbezüge in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.335,54 DM brutto in Anspruch.
Er hat behauptet, wegen des verfassungsrechtlichen Verbots rückwirkender Verschlechterungen habe der ÄnderungsTV 1996 nicht rückwirkend in Ansprüche auf Weihnachtsgratifikation für 1996 eingreifen dürfen. Den Arbeitnehmern sei jedenfalls vor dem 13./14. Dezember 1996 niemals kundgetan worden, daß die Höhe der Weihnachtsgratifikation 1996 zur Disposition der Tarifvertragsparteien gestellt werde. Das Ergebnis der Tarifverhandlungen vom 13./14. Dezember 1996 sei daher - so der Kläger - "wie ein Schlag ins Kontor" gewesen. Die fristlose Kündigung des Tarifvertrages und der Schlichtungsvorschlag änderten hieran nichts. Die Liquiditätsprobleme des IB im Jahr 1996 hätten die Gratifikationssenkung nicht erforderlich gemacht und seien keineswegs existenzgefährdend gewesen.
Er - der Kläger - habe auf den Fortbestand des tariflichen Anspruches in ungekürzter Höhe vertrauen dürfen. Dieses Vertrauen hätte allenfalls durch eine gemeinsame Erklärung beider Tarifvertragsparteien erschüttert werden können. Da aber die ÖTV die Höhe der Gratifikation nie für verhandelbar erklärt habe, habe das Vertrauen trotz der Verlautbarungen des IB betreffend die von ihm angestrebte Kürzung der Weihnachtsgratifikation 1996 fortbestanden. Auch in früheren Jahren habe der IB bei der Auszahlung des Weihnachtsgeldes immer Schwierigkeiten gemacht; dennoch sei es stets ausgezahlt worden.
Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den
Kläger 1.335,54 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus
ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Juli 1997 zu zahlen.
Der IB hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Gratifikationsregelung in der Fassung des TV-Weihnachtsgratifikation 1994 sei wirksam durch den ÄnderungsTV 1996 zum 1. November 1996 abgelöst worden. Ab dem Zeitpunkt, in dem seine Mitarbeiter erfahren hätten, daß er an dem Tarifvertrag nicht mehr festhalten wolle, sei kein schützenswertes Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand mehr gegeben; dies sei seit Mitte des Jahres 1996 der Fall gewesen. Außerdem sei die Änderung des TV-Weihnachtsgratifikation 1994 auch durch die existenzbedrohende Lage gerechtfertigt gewesen, in der er sich befunden habe. Die tarifvertraglich vereinbarte Kürzung der Weihnachtsgratifikation für 1996 sei zumutbar.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Der IB beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die volle Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1996 nach dem TV-Weihnachtsgratifikation 1994.
1. Nach § 3 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 11./15. April 1983 ist auch die Anwendung des TV-Weihnachtsgratifikation 1994 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien vereinbart, der in § 2 Abs. 2 Unterabs. 1 die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation in Höhe eines vollen Monatsverdienstes der tariflichen Bemessungsgrundlage vorsah.
2. Es kann hier zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß diese tarifliche Regelung wegen der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des TV-Weihnachtsgratifikation 1994 durch den IB mit Schreiben vom 8. November 1996 auch noch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1996 am 30. November 1996 galt, so daß der Anspruch des Klägers auf die volle Weihnachtsgratifikation nach dem TV-Weihnachtsgratifikation 1994 zum genannten Zeitpunkt entstanden war. Denn auch dann steht dem Kläger nur die gewährte Weihnachtsgratifikation für 1996 von 75 % der tariflichen Bemessungsgrundlage zu. Er hat jedoch keinen Anspruch auf 100 % Weihnachtsgratifikation gem. § 2 Abs. 2 Unterabs. 1 TV-Weihnachtsgratifikation 1994. Der Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation 1996 ist durch den ÄnderungsTV 1996 rückwirkend wirksam auf 75 % der Bemessungsgrundlage gesenkt worden. Dies hat das Landesarbeitsgericht - in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht - rechtsfehlerfrei erkannt.
a) Auch bereits entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche, die aus einer Tarifnorm folgen (sogenannte "wohlerworbene Rechte"), können während der Laufzeit des Tarifvertrages rückwirkend verändert, also auch gesenkt werden. Der Senat hat dies in seiner Grundsatzentscheidung vom 23. November 1994 (- 4 AZR 879/93 - BAGE 78, 309) ausführlich begründet (vgl. Senat 14. Juni 1995 - 4 AZR 225/94 - AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 13 und 9. Juli 1997 - 4 AZR 635/95 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 233). Der Zweite und der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts haben sich den Grundsätzen dieser Rechtsprechung angeschlossen (15. November 1995 - 2 AZR 521/95 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 20; 25. Juni 1997 - 10 AZR 79/97 - nv. und 18. September 1997 - 2 AZR 614/96 - RzK I 3 e Nr. 67). Das Schrifttum stimmt ihr ebenfalls im wesentlichen zu (Wiedemann 1. Anm. zu AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 12; Buchner 2. Anm. ebendort; derselbe Anm. zu Senat 23. November 1994 - 4 AZR 879/93 - AR-Blattei ES 1550.6 Nr. 38; Beckers ZTR 1999, 145; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 35; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. I S 762 f.). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung, die auch der Kläger nicht angreift, fest.
b) Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen ist durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt. Es gelten insoweit die gleichen Regeln wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen (Senat 23. November 1994 - 4 AZR 879/93 - aaO). Dementsprechend ist der Normunterworfene, wovon auch die Vorinstanzen mit Recht und vom Kläger unbeanstandet ausgegangen sind, zB dann nicht schutzwürdig, wenn und sobald der Normunterworfene mit Änderungen der bestehenden Normen eines Tarifvertrages rechnen mußte. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Parteien des Arbeitsverhältnisses gilt oder ob dessen Anwendung in seiner jeweils geltenden Fassung von ihnen arbeitsvertraglich vereinbart ist, wie der Kläger mit Recht geltend macht. Denn im einen wie im anderen Fall haben sie selbst die Grundlage für die Geltung bzw. Anwendung des Tarifvertrages in seiner jeweils geltenden Fassung geschaffen.
aa) Aus der Entscheidung des Senats vom 23. November 1994 (- 4 AZR 879/93 - aaO) schließt der Kläger, mit einer rückwirkenden Änderung einer tariflichen Rechtsnorm müsse der Tarifunterworfene während der Laufzeit eines ungekündigten Tarifvertrages nur dann rechnen, wenn diese durch eine gemeinsame Erklärung der Tarifvertragsparteien angekündigt worden sei. Daher, so wirft er dem Landesarbeitsgericht vor, sei es rechtsfehlerhaft, wenn dieses abweichend davon bei "singulären Äußerungen der beiden Tarifparteien" das Vertrauen der Normunterworfenen in den Fortbestand einer Tarifnorm als nicht mehr schutzwürdig bewerte.
Diese Rüge des Klägers geht fehl. In der Entscheidung vom 23. November 1994 (- 4 AZR 879/93 - aaO) hat der Senat vielmehr den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, das Vertrauen der Tarifunterworfenen in den Fortbestand einer Tarifnorm sei nicht mehr schutzwürdig, wenn die Tarifunterworfenen mit deren Änderung rechnen mußten. Fallbezogen hat er sich dann damit auseinandergesetzt, ob dies anzunehmen sei, wenn die Änderung eines ungekündigten Tarifvertrages durch eine gemeinsame Erklärung der Tarifvertragsparteien angekündigt worden sei, und dies bejaht, ohne sich zu anderen Fallgestaltungen zu äußern und ohne insbesondere den abstrakten Rechtssatz aufzustellen, stets erfordere der Wegfall des Vertrauensschutzes der Tarifunterworfenen eine Ankündigung der beabsichtigten Änderung des ungekündigten Tarifvertrages durch eine gemeinsame Erklärung oder auch nur inhaltlich übereinstimmende Erklärungen der Tarifvertragsparteien. Davon sind die Vorinstanzen mit Recht ausgegangen.
bb) Ob und wann die Tarifunterworfenen mit einer tariflichen Neuregelung rechnen müssen, ist eine Frage des Einzelfalles. Eine gemeinsame Erklärung der Tarifvertragsparteien, eine ungekündigte tarifliche Regelung werde zu einem bestimmten Zeitpunkt einen näher beschriebenen anderen Inhalt erhalten, wie sie im Falle der Entscheidung des Senats vom 23. November 1994 (- 4 AZR 879/93 - aaO) vorlag, ist wohl das Paradebeispiel dafür, daß das Vertrauen der Normunterworfenen in den Fortbestand dieser Regelung über den bekanntgegebenen Zeitpunkt ihrer Änderung hinaus nicht mehr schutzwürdig ist. Es bedarf aber nicht notwendig der Ankündigung einer Tarifvertragsänderung mit Rückwirkung durch eine gemeinsame Erklärung der Tarifvertragsparteien, um das Vertrauen der Tarifunterworfenen in die Fortgeltung einer ungekündigten Tarifnorm zu erschüttern. Auch andere Umstände können eine rückwirkende Änderung ungekündigter kollektiver Normen ankündigen und damit das schutzwürdige Vertrauen in den unveränderten Bestand der Tarifregelung beseitigen.
c) Davon ausgehend haben die Vorinstanzen die Umstände des vorliegenden Falles mit Recht dahin gewürdigt, daß der Kläger bei "Fälligwerden der Weihnachtsgratifikation, also Ende November 1996", mit einer Verschlechterung bei der Weihnachtsgratifikation schon für das Jahr 1996 rechnen mußte.
Die Arbeitnehmer des IB waren zunächst einmal durch das Flugblatt der ÖTV vom 12. Oktober 1996 darüber informiert, daß der Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation 1996 Gegenstand von Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft und dem IB war, obgleich der zeitlich nicht befristete TV-Weihnachtsgratifikation 1994 zu jenem Zeitpunkt von keiner der Tarifvertragsparteien gekündigt war. Zum Fortgang der Tarifverhandlungen führte die ÖTV in dem Flugblatt aus, obwohl die Verhandlungen als Folge der verhärteten Fronten bereits in der Mittagszeit des 11. Oktober 1996 vertagt worden seien, habe sich die ÖTV-Tarifkommission bereit erklärt, am 29. Oktober 1996 mit einem noch zu benennenden neutralen Dritten Lösungswege zu suchen, und bat ihre Mitglieder um Unterstützung bei ihren "Forderungen ... nach vollem Weihnachtsgeld für 1996". Die erwähnte Schlichtung führte zu der Schlichtungsempfehlung des Schlichters, für das Jahr 1996 an die Arbeitnehmer des IB eine Weihnachtsgratifikation von 75 % - scil: der tariflichen Bemessungsgrundlage - in drei gleichen Raten zu zahlen. Dieser Empfehlung stimmte die ÖTV - ebenso wie der IB - "unter Vorbehalt der Zustimmung ihrer zuständigen Gremien" zu. Darüber wurden die Arbeitnehmer des IB von diesem durch ein Rundschreiben sowie durch Informationen der Betriebsräte und der ÖTV ins Bild gesetzt. Auch die außerordentliche Kündigung des TV-Weihnachtsgratifikation 1994 durch den IB mit Schreiben vom 8. November 1996 führte nicht zum Abbruch der Tarifvertragsverhandlungen über die Weihnachtsgratifikation 1996 durch die ÖTV. In einem Flugblatt vom 11. November 1996 gab diese vielmehr bekannt, ihre Tarifkommission habe weiterhin beschlossen, den IB zu weiteren Tarifverhandlungen aufzufordern "mit dem Ziel", die Weihnachtsgratifikation 1996 zwar ratenweise, aber in voller Höhe auszuzahlen. Zugleich heißt es darin, der IB sei zu Verhandlungen über eine Lösung bereit, die den Mitarbeitern "wenigstens einen Teil der Weihnachtsgratifikation" zukommen lasse. In dem Flugblatt der ÖTV vom 18. November 1996 ist ausgeführt, "die akuten Liquiditätsschwierigkeiten des IB" seien "auch von der ÖTV anerkannt worden". Es bestehe "die Bereitschaft zu vereinbaren, daß die Weihnachtsgratifikation ratenweise gezahlt wird".
Bei der Gesamtbetrachtung dieses Geschehensablaufs und seiner Ursache - der schwierigen wirtschaftlichen Lage des IB - konnten dessen Arbeitnehmer nicht auf den unveränderten Fortbestand der Regelungen des TV-Weihnachtsgratifikation 1994 vertrauen. Trotz der Forderung der ÖTV "nach vollem Weihnachtsgeld für 1996" nach dem Scheitern der Schlichtung mußten sie damit rechnen, die ÖTV werde angesichts der "akuten Liquiditätsschwierigkeiten" des IB im Interesse der Sicherung der Arbeitsplätze Abstriche bei der Weihnachtsgratifikation 1996 hinnehmen. Die Tarifpraxis zeigt, daß von den Tarifvertragsparteien bei Verhandlungsbeginn verkündete Verhandlungsziele regelmäßig nicht voll durchgesetzt werden. Zudem hat die ÖTV schon im November 1996 nur noch die Forderung nach einer ratenweisen Zahlung der vollen Weihnachtsgratifikation 1996 aufgestellt, die allein eine Abweichung vom genannten Tarifvertrag gewesen wäre. Darauf hat sie in ihrem Schreiben vom 3. Dezember 1996 an die Mitglieder der Tarifkommission ausdrücklich hingewiesen. Die mit Rückwirkung erfolgte, hinsichtlich der Weihnachtsgratifikation 1996 weitgehend der Schlichtungsempfehlung entsprechende Tarifänderung lag im Rahmen dessen, was die seit Oktober 1996 zwischen der Gewerkschaft ÖTV und dem IB geführten, dessen Mitarbeitern ihrem Inhalt nach im wesentlichen bekannten Tarifverhandlungen erwarten ließen. Daß insoweit für Arbeitnehmer des IB in fremdfinanzierten Bereichen ein Unterschied bestehe, macht der Kläger selbst nicht mehr geltend.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Schliemann
Wolter Bott Fieberg
Kiefer
Fundstellen
BAGE, 349 |
BB 2000, 1147 |
BB 2000, 2416 |
DB 2000, 1077 |
DB 2000, 2481 |
NWB 2000, 2063 |
ARST 2000, 213 |
FA 2000, 231 |
FA 2000, 394 |
JR 2001, 396 |
NZA 2000, 1297 |
SAE 2001, 190 |
ZTR 2001, 24 |
AP, 0 |
AuA 2000, 330 |
AuA 2001, 330 |
MDR 2001, 158 |
PERSONAL 2001, 232 |
AuS 2000, 62 |