Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
- Eine als Telekopie übermittelte Revisionsbegründung wird beim Revisionsgericht i.S.v. § 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO “eingereicht”, sobald die Empfangssignale vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig aufgezeichnet worden sind. Unerheblich ist, ob das nach Dienstschluß der Geschäftsstelle geschieht. Ein vom Geschäftstellenbeamten nach Wiederaufnahme des Dienstes angebrachter Vermerk, in dem als Eingangsdatum der Tag bezeichnet wird, an dem ihm der Ausdruck des gerichtlichen Telefaxgeräts vorgelegt worden ist, ist für die Beurteilung der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist unbeachtlich.
- Dem Arbeitgeber obliegt es als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung, dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung zu ermöglichen. Dazu muß er den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher konkretisieren. Kommt der Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne daß es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf (Fortführung der Rechtsprechung BAG Urteile vom 9. August 1984 – 2 AZR 374/83 – BAGE 46, 234, 244 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB; vom 24. November 1994 – 2 AZR 179/94 – BAGE 78, 333 = AP Nr. 60 zu § 615 BGB).
- Ist der Arbeitgeber nach einer unwirksamen Kündigungserklärung mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in Verzug gekommen, so muß er zur Beendigung des Annahmeverzugs die versäumte Arbeitsaufforderung nachholen.
Normenkette
BGB §§ 203, 295-296, 615; ArbGG § 74; ZPO § 130 Nr. 6, § 554
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29. September 1997 – 19 Sa 589/97 – insoweit geändert, als die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 19. Februar 1997 – 2 Ca 1964/96 – zurückgewiesen worden ist.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 19. Februar 1997 – 2 Ca 1964/96 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 1.335,60 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 30. November 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin die Fortzahlung des Arbeitsentgelts für den 29. Oktober 1996 bis 13. November 1996 schuldet.
Die Beklagte betreibt eine Bäckerei mit zahlreichen Verkaufsstellen in P… und Umgebung. Sie stellte am 1. August 1996 die Klägerin befristet für ein Jahr als Verkäuferin ein. Die Klägerin wurde zunächst in der Filiale “I…” eingearbeitet. Der arbeitstägliche Einsatz der Klägerin war so geregelt, daß Beginn und Ende der Arbeitszeit in einer Art Schichtsystem entsprechend den Bedürfnissen der Verkaufsstelle festgelegt werden sollten. Am 2. Oktober 1996 kündigte die Beklagte der schwangeren Klägerin das Arbeitsverhältnis “betriebsbedingt”. Nach Erhebung der Kündigungsschutzklage schrieben die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten der Klägerin am 21. Oktober 1996:
“Nachdem Sie unserer Mandantschaft den Nachweis über die bestehende Schwangerschaft vorgelegt haben, erklären wir namens und im Auftrage unserer Mandantin, daß die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 02.10.1996 zurückgenommen wird.”
Darauf erklärte die Klägerin am 29. Oktober 1996 die Klagerücknahme. Am 13. November 1996 erkundigte sich die für den Personaleinsatz zuständige Angestellte der Beklagten nach dem Gesundheitszustand der Klägerin und teilte ihr mit, sie solle am nächsten Tag in der Filiale E… zu einer bestimmten Uhrzeit die Arbeit aufnehmen. Nach der Wiederaufnahme der Arbeit verweigerte die Beklagte die Zahlung des Entgelts für die Zeit vom 23. Oktober bis 13. November 1996. Mit der am 21. November 1996 erhobenen Klage hat die Klägerin den Entgeltanspruch für Oktober und mit der am 28. Januar 1997 erweiterten Klage den Entgeltanspruch für November 1996 geltend gemacht. Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.339,70 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung auf die sich ergebenen Nettobeträge abzüglich bereits gezahlter 999,39 DM und 180,70 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt, für die Zeit bis zum 28. Oktober 1996 einschließlich 2.004,10 DM brutto abzüglich bereits gezahlter 1.180,09 DM netto zuzüglich Zinsen seit dem 21. November 1996 zu zahlen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die vollständige Verurteilung der Beklagten, wobei sie Verzugszinsen erst ab dem 30. November 1996 geltend macht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden.
Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG betragen Revisionsfrist und Revisionsbegründungsfrist je einen Monat. Diese Frist ist entgegen der Ansicht der Beklagten gewahrt.
Das angefochtene Urteil ist der Klägerin am 30. Oktober 1997 zugestellt worden. Die Revision ist am Montag, dem 1. Dezember 1997 beim Bundesarbeitsgericht fristwahrend eingegangen und die Revisionsbegründungsfrist auf den Antrag der Klägerin vom 19. Dezember 1997 bis zum 2. Februar 1998 nach § 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG verlängert worden. Die Revisionsbegründungsschrift ist dem Bundesarbeitsgericht am 2. Februar 1998 “vorab als Telekopie” gesendet worden. Der Sendevorgang ist vom Empfangsgerät des Bundesarbeitsgerichts zwar nach Dienstschluß der Geschäftsstelle, aber noch vor Mitternacht, aufgezeichnet worden. Die empfangene Telekopie gibt, wie das per Post zugesandte und am 4. Februar 1998 eingegangene Original zeigt, die Unterschrift der postulationsfähigen Urheberin des Originals wieder. Damit sind die Anforderungen erfüllt, die das Bundesarbeitsgerichts an die Einhaltung der Schriftform (§ 130 Nr. 6 ZPO) für durch Telekopie übermittelte Rechtsmittelschriften aufstellt (vgl. BAG Beschluß vom 14. März 1989 – 1 AZB 26/88 – BAGE 61, 201 = AP Nr. 10 zu § 130 ZPO; BAG Urteil vom 27. März 1996 – 5 AZR 576/94 – AP Nr. 67 zu § 518 ZPO; Düwell, NZA 1999, 291 ff., m.w.N.).
Soweit die Geschäftsstelle des Bundesarbeitsgerichts auf dem Original der Revisionsbegründung den Vermerk “Per Telefax eingegangen am 03.02.98” angebracht hat und der Beklagten mitgeteilt worden ist, liegt dem eine falsche rechtliche Würdigung des nach Dienstschluß stattgefundenen Telefaxempfangs zugrunde. Bei der in § 72 Abs. 5 ArbGG, § 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorgeschriebenen “Einreichung” handelt es sich um eine Prozeßhandlung, die keiner Mitwirkung eines Bediensteten des Gerichtes bedarf (vgl. BVerfG Beschluß vom 3. Oktober 1979 – 1 BvR 726/78 – BVerfGE 52, 203, 208). Für die Beurteilung, ob eine auf fermeldetechnischem Weg übermittelte Rechtsmittelschrift in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt ist, ist allein darauf abzustellen, ob die ankommenden Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Rechtsmittelgerichts empfangen werden (BVerfG Beschluß vom 1. August 1996 – 1 BvR 121/95 – NJW 1996, 2857). Das ist hier ausweislich des Sendeprotokolls des Telefaxgeräts des Bundesarbeitsgerichts am 2. Februar 1998 nach Schluß der Dienststunden der Geschäftsstelle um 16.21 Uhr geschehen. Der bei Wiederaufnahme des Dienstes am nächsten Arbeitstag angebrachte Eingangsvermerk gibt somit nicht den Zeitpunkt an, zu dem die Revisionsbegründung in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Bundesarbeitsgerichts gelangt ist. Er bindet den Senat nicht.
Die Revision ist begründet. Die Beklagte war in der Zeit vom 29. Oktober bis 13. November 1996 mit der Annahme der Dienste der Klägerin in Verzug (§ 615 Satz 1 BGB), ohne daß es eines Arbeitsangebots der Klägerin bedurfte (§§ 294, 295 296 BGB). Die Klägerin hat Anspruch auf weitere 1.335,60 DM Arbeitsentgelt nebst Verzugszinsen.
- Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges richten sich nach den §§ 293 ff. BGB. Ist für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es nach § 296 BGB keines Angebots des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers darin gesehen, dem Arbeitnehmer für jeden Arbeitstag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Nach einer unwirksamer Kündigung müsse deshalb der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, wenn er nicht in Annahmeverzug geraten wolle, die Arbeit wieder zuweisen (BAG Urteile vom 9. August 1984 – 2 AZR 374/83 – BAGE 46, 234, 244 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB, zu II 5b der Gründe; vom 21. März 1985 – 2 AZR 201/84 – AP Nr. 35 zu § 615 BGB; vom 19. April 1990 – 2 AZR 591/89 – BAGE 65, 98 = AP Nr. 45 zu § 615 BGB; vom 21. Januar 1992 – 2 AZR 309/92 – AP Nr. 53 zu § 615 BGB; vom 24. November 1994 – 2 AZR 179/94 – BAGE 78, 333 = AP Nr. 60 zu § 615 BGB, mit Anm. Ramrath; vom 21. Januar 1994 – 2 AZR 584/93 – AP Nr. 32 zu § 2 KSchG 1969; vom 21. November 1996 – 2 AZR 660/95 – RzK I 13b Nr. 31; vom 28. Mai 1998 – 2 AZR 496/97 – n.v.). Dem stimmt der erkennende Senat zu. Dem Arbeitgeber obliegt es als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung, dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung zu ermöglichen. Dazu muß er den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit näher konkretisieren. Kommt der Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne daß es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf.
Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des Annahmeverzuges (§§ 293, 296 BGB) sind im Streitfall erfüllt.
- Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der schwangeren Arbeitnehmerin durch die Beklagte war nach § 9 MuschG unzulässig und daher nach § 134 BGB nichtig. Das Arbeitsverhältnis bestand daher ununterbrochen. Mit der einvernehmlichen “Kündigungsrücknahme” haben die Parteien diese Rechtslage nur bestätigt.
- Die Beklagte ist am 13. Oktober 1996 mit der Annahme der Leistung der Klägerin in Verzug gekommen, weil sie die erforderliche Mitwirkungshandlung unterlassen hat (§ 295 Satz 1 2. Alt. BGB). Mit Ablauf der Kündigungsfrist hatte die Beklagte der Klägerin am 12. Oktober 1996 die Möglichkeit, als Verkäuferin zu arbeiten, entzogen. Ohne Zuweisung einer bestimmten Verkaufsstelle und ohne Einteilung für den in der jeweiligen Verkaufsstelle bestehenden Dienstplan konnte die Klägerin nicht die geschuldete Leistung als Verkäuferin bewirken.
- Die Beklagte mußte die Zuweisung einer bestimmten Verkaufsstelle und die Einteilung zum Dienst auch zu einer nach dem Kalender bestimmten Zeit vornehmen (§ 296 Satz 1 BGB). Denn im bestehenden Arbeitsverhältnis hat der Arbeitgeber für jeden Tag mit Arbeitsverpflichtung einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.
Der Annahmeverzug ist entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht vor dem 14. November 1996 beendet worden.
Die Beendigung des Annahmeverzuges ist gesetzlich nicht besonders geregelt. Das ist auch nicht erforderlich. Ein Annahmeverzug endet, sobald seine Voraussetzungen entfallen. Das kann dadurch geschehen, daß der Arbeitgeber das beseitigt, was den Annahmeverzug begründet hat. Hier hat die Beklagte die versäumte Zuweisung erst am 13. November 1996 für den folgenden Tag nachgeholt.
Zwar hat die Beklagte durch das Schreiben ihrer Anwälte vom 21. Oktober 1996 erklärt, daß das Arbeitsverhältnis trotz der ausgesprochenen Kündigung fortbestehen soll. Damit ist aber nicht der Grund für den Annahmeverzug beseitigt worden. Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, daß der Annahmeverzug nicht durch die Kündigung, sondern dadurch begründet worden ist, daß der Arbeitgeber vom 13. Oktober 1996 an der Klägerin keine Arbeit mehr zugewiesen hat.
Eine erneute Zuweisung der Arbeit war hier auch erforderlich. Der Klägerin war nicht ohne weiteres erkennbar, wann und wo sie ihre Arbeit hätte wiederaufnehmen sollen. Die Beklagte hatte gegenüber der Klägerin erklärt, das Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen zu kündigen. Auch nach “Rücknahme der Kündigung” war es ungewiß, ob die Klägerin am letzten Einsatzort in der Verkaufsstelle “I…” die Arbeit aufnehmen sollte. Die Klägerin mußte damit rechnen, daß ihr letzter Arbeitsplatz weggefallen oder nach einmonatiger Abwesenheitszeit anderweitig besetzt war. Hinzu kommt, daß die Klägerin nicht dauerhaft einer bestimmten Verkaufsstelle zugewiesen war, sondern je nach örtlichem und zeitlichem Bedarf eingesetzt werden sollte. Tatsächlich ist die Klägerin am 13. November 1996 auch nicht wieder zur Arbeit zur Verkaufsstelle “I…” bestellt worden, sondern ihr ist eine andere Verkaufsstelle zugewiesen worden.
Die Klägerin konnte auch nicht aus dem Schreiben der Rechtsanwälte der Beklagten vom 21. Oktober 1996 eine Aufforderung zum Arbeitsantritt an einer bestimmten Stelle entnehmen. Dieses Schreiben enthält lediglich die Erklärung der Kündigungsrücknahme, ohne eine Aussage zum Ort oder zum Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme zu treffen.
Die Beklagte hat die ihr obliegende Mitwirkungshandlung erst am 13. November 1996 vorgenommen, indem sie die Klägerin für den 14. November 1996 zur Arbeitsaufnahme in die Verkaufsstelle nach E… bestellt hat. Erst damit hat die Beklagte die ihr nach § 296 BGB obliegende Mitwirkungshandlung vorgenommen. Bis dahin hat der Annahmeverzug fortgedauert.
- Nach § 615 Satz 1 BGB hat die Beklagte für die Zeit des Annahmeverzuges die für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste vereinbarte Vergütung zu zahlen. Das sind rechnerisch unstreitig für den 29. Oktober 1996 bis 13. November 1996 1.335,60 DM brutto.
- Der Anspruch auf Prozeßzinsen ergibt sich aus § 291 Satz 1 i.V.m. § 614 BGB, § 288 Abs. 1 BGB.
Unterschriften
Leinemann, Reinecke, Düwell, Otto, Schodde
Fundstellen
BAGE, 329 |
BB 1999, 1822 |
BB 1999, 268 |
DB 1999, 1864 |
NWB 1999, 3377 |
EBE/BAG 1999, 135 |
ARST 1999, 249 |
ARST 1999, 285 |
ARST 2000, 68 |
EWiR 1999, 1051 |
FA 1999, 100 |
FA 1999, 299 |
FA 1999, 304 |
JurBüro 2000, 51 |
NZA 1999, 925 |
AP, 0 |
MDR 1999, 1333 |
SGb 2000, 129 |
ZfPR 2000, 80 |