Entscheidungsstichwort (Thema)

Überbrückungsbeihilfe. Anrechnung einer Witwenrente

 

Leitsatz (amtlich)

Auf eine Überbrückungsbeihilfe nach § 4 TV SozSich ist nach § 5 Buchst. b TV SozSich eine Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen. Diese Regelung ist nicht deshalb gleichheitswidrig, weil Unterhaltsleistungen des Ehegatten eines Anspruchsberechtigten von der Anrechnung ausgenommen sind.

 

Normenkette

Tarifvertrag vom 10. April 1974 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den alliierten Behörden und Streitkräften in Berlin – TV Soziale Sicherung – (TV SozSich) §§ 2, 4-5; SGB I §§ 12, 23 Abs. 2 Nr. 1; SGB IV § 29 Abs. 1; SGB VI § 33 Abs. 4 Nr. 1, § 125 Nr. 1, § 126 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 09.05.1994; Aktenzeichen 17 Sa 42/94)

ArbG Berlin (Urteil vom 25.01.1994; Aktenzeichen 59 Ca 25672/93)

 

Tenor

  • Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 9. Mai 1994 – 17 Sa 42/94 – wird zurückgewiesen.
  • Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Witwenrente, die die Klägerin aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, auf eine von der Beklagten zu zahlende Überbrückungsbeihilfe angerechnet werden darf.

Die Klägerin war vom 20. Juni 1978 bis zum 30. September 1992 als Schneiderin bei den britischen Streitkräften in Berlin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung wegen Truppenabbaus. Die Beklagte ist dem Grunde nach verpflichtet, an die Klägerin ab Oktober 1992 Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag vom 10. April 1974 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den alliierten Behörden und Streitkräften in Berlin – TV Soziale Sicherung – (fortan: TV SozSich) zu zahlen. Dies hat das Arbeitsgericht Berlin durch Urteil vom 9. März 1993 – 21 Ca 11128/92 – rechtskräftig festgestellt. Die Beklagte rechnet auf die Überbrückungsbeihilfe die von der Landesversicherungsanstalt Berlin zu zahlende Witwenrente der Klägerin in Höhe von derzeit 770,10 DM monatlich an. In dem genannten Tarifvertrag heißt es:

“§ 4

Überbrückungsbeihilfe

  • Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt:

    • zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der alliierten Behörden und Streitkräfte,
    • zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß von Arbeitslosigkeit oder beruflichen Bildungsmaßnahmen (Arbeitslosengeld/-hilfe, Unterhaltsgeld),
    • zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung oder zum Verletztengeld der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Arbeitsunfall.

§ 5

Anrechnung von anderen Leistungen

Andere Leistungen als nach § 4 Ziffer 1, auf die der Arbeitnehmer für Zeiten des Bezuges der Überbrückungsbeihilfe Anspruch hat

  • gegen den bisherigen oder einen neuen Arbeitgeber,
  • gegen einen Sozialversicherungs- oder Sozialleistungsträger,
  • aus sonstigen öffentlichen Mitteln,

sind auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen. Ausgenommen sind das Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz sowie Leistungen eines Sozialleistungsträgers und sonstige Leistungen aus öffentlichen Mitteln, die vom Einkommen des Berechtigten beeinflußt werden.

…”

Die Klägerin hat gemeint, die Anrechnung der Witwenrente auf die Überbrückungsbeihilfe sei unzulässig. Dadurch werde sei gegenüber nicht verwitweten Anspruchsberechtigten ungleich behandelt, weil von deren Ehegatteneinkommen nicht anzurechnen sei. Die Klägerin hat von der Beklagten für die Zeit vom 1. Oktober 1993 bis 30. April 1994 die Zahlung restlicher Überbrückungsbeihilfe in unstreitiger Höhe verlangt. Sie hat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.861,80 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1992 zu zahlen,
  • festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an sie mit Wirkung ab Mai 1994 Überbrükkungsbeihilfe nach dem TV SozSich vom 10. April 1974 unter Beachtung der §§ 7 und 8 dieses Tarifvertrages ohne Anrechnung von Witwenrente zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Witwenrente der Klägerin sei eine Leistung eines Sozialversicherungsträgers und deshalb nach dem insoweit eindeutigen Tarifvertrag auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter, und zwar den Leistungsanspruch in dem zuletzt vor dem Landesarbeitsgericht erhobenen Umfang, wie sich aus der Berechnung auf Seite 3 der Revisionsbegründung ergibt. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Zahlung und Feststellung. Die Witwenrente der Klägerin ist nach § 5 Buchst. b TV SozSich auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen.

1. Nach dieser Tarifbestimmung sind andere Leistungen als nach § 4 Ziff. 1 TV SozSich, auf die der Arbeitnehmer für Zeiten des Bezuges der Überbrückungsbeihilfe einen Anspruch gegen einen Sozialversicherungsträger hat, auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen. Nach dem Tarifwortlaut, von dem nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei der Tarifauslegung, entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung, auszugehen ist, fällt die Witwenrente der Klägerin unter diese Anrechnungsregelung. Der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung i.S. des § 33 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI besteht gegen die Landesversicherungsanstalt Berlin als dem nach § 126 Abs. 2 i.V.m. § 125 Nr. 1 SGB VI zuständigen Sozialversicherungsträger (§ 29 Abs. 1 SGB IV i.V.m. § 12, § 23 Abs. 2 Nr. 1 SGB I). Verwenden die Tarifvertragsparteien einen Begriff, wie hier den des Sozialversicherungsträgers, der in der Rechtsterminologie einen festen Inhalt hat, so wollen sie ihn im Zweifel in demselben Sinne verstanden wissen (vgl. BAG Urteil vom 30. Mai 1984 – 4 AZR 512/81 – BAGE 46, 61, 66 = AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; BAG Urteil vom 16. Februar 1994 – 5 AZR 303/93 – AP Nr. 7 zu § 14 BBiG). Deshalb schreiben die Erläuterungen und Verfahrensrichtlinien zum Tarifvertrag Soziale Sicherung vom 31. August 1971 – Neufassung 1992 – für die Arbeitnehmer bei allen Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, die auch bei der Durchführung des TV Soziale Sicherung vom 10. April 1974 für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet von Berlin anzuwenden sind, in Ziff. 2.11.1 zu Recht vor, daß eine Witwenrente auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen ist.

2. Die Anrechnungsvorschrift des § 5 Buchst. b TV SozSich verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte gebunden (vgl. BAG Urteil vom 21. Februar 1991 – 6 AZR 406/89 – BAGE 67, 264, 272 = AP Nr. 9 zu § 63 BAT, zu II 5a der Gründe, m.w.N.). Sie haben, wie der staatliche Gesetzgeber, Art. 3 GG zu beachten. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird durch eine Tarifnorm dann verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten und Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Die Tarifvertragsparteien haben hiernach eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Aufgabe der Gerichte ist es nicht zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben; sie haben lediglich zu kontrollieren, ob die bestehende Regelung die Grenzen des Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien und damit die Grenzen der Tarifautonomie überschreitet (vgl. BAG Urteil vom 1. Juni 1983 – 4 AZR 566/80 – AP Nr. 5 zu § 611 BGB Deputat; BAG Urteil vom 21. Februar 1991 – 6 AZR 406/89 – aaO). Daran gemessen ist es nicht gleichheitswidrig, daß die Tarifvertragsparteien bestimmt haben, daß die Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen ist, nicht jedoch Unterhaltsleistungen, die der noch lebende Ehegatte eines Anspruchsberechtigten erbringt.

b) Wie das Landesarbeitsgericht nicht verkannt hat, dient die Überbrückungsbeihilfe dazu, den Arbeitnehmern, die aus den in § 2 TV SozSich genannten Gründen entlassen wurden, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zeitlich befristet (§ 4 Ziff. 5 Buchst. b TV SozSich) oder ohne zeitliche Begrenzung (§ 4 Ziff. 5 Buchst. a TV SozSich) durch finanzielle Leistungen Hilfe zu gewähren. Den Leistungsbedarf haben die Tarifparteien in der Weise festgelegt, daß die Höhe der Überbrückungsbeihilfe sich aus dem Unterschied zwischen bestimmten Prozentsätzen einer Bemessungsgrundlage (§ 4 Ziff. 4 TV SozSich) und den in § 4 Ziff. 1 TV SozSich genannten Einkünften des entlassenen Arbeitnehmers ergibt. Die Bemessungsgrundlage entspricht grundsätzlich der Grundvergütung für die vertragliche regelmäßige Arbeitszeit eines Kalendermonats im Zeitpunkt der Entlassung (§ 4 Ziff. 3 Buchst. a TV SozSich). Weiter wird der Leistungsbedarf dadurch bestimmt, daß die in § 5 Satz 1 TV SozSich genannten Ansprüche auf die Überbrückungsbeihilfe angerechnet werden. Eine Überbrückungsbeihilfe erhält die Klägerin also nur, soweit ihr nach Anrechnung der Witwenrente gem. § 5 Satz 1 Buchst. b TV SozSich ein Anspruch verbleibt. Nur in diesem Umfang ist ihr Überbrückungsbeihilfe tariflich zugesagt. Daß der Anspruch der Klägerin nach diesen Regelungen niedriger sein kann als der einer vergleichbaren noch nicht verwitweten oder ledigen Kollegin verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

c) Dabei kann offen bleiben, ob die Überbrückungsbeihilfe als Lohn oder als Fürsorgeleistung ohne Gegenleistungscharakter anzusehen ist. Selbst wenn sie als Lohn anzusehen wäre, würde dies der Anrechnung der Witwenrente nicht entgegenstehen. Für die Betriebsrente, die eine Abgeltung der Arbeitsleistung im ganzen enthält, ist anerkannt, daß es weder willkürlich noch ein Eingriff in das Eigentum noch sozialstaatswidrig ist, wenn ein früherer Arbeitnehmer wegen Anrechnung seiner Sozialversicherungsrente geringere Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erhält als ein anderer Arbeitnehmer, dem es nicht gelungen ist, eine gleich hohe Sozialversicherung aufzubauen (vgl. BAG Urteil vom 17. Mai 1988 – 3 AZR 400/86 – AP Nr. 27 zu § 5 BetrAVG). Entsprechendes gilt im vorliegenden Fall. Es ist somit rechtlich unbedenklich, daß der Anspruch der Klägerin niedriger sein kann als der einer früheren Arbeitnehmerin, die nicht über anrechenbare Bezüge verfügt.

d) Soweit die Klägerin für die Wirksamkeit der Anrechnung der Witwenrente aus Gründen der Gleichbehandlung eine tarifliche Regelung für erforderlich hält, nach der auch Unterhaltszahlungen an nicht verwitwete Frauen auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen sind, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, daß es an der Vergleichbarkeit mit den in § 5 Satz 1 TV SozSich genannten Bezügen fehlt, weil es praktisch nicht möglich ist, diese Zuflüsse festzustellen und zu überprüfen. Es ist daher nicht willkürlich, daß die Tarifparteien sie nicht Leistungen nach § 5 Satz 1 TV SozSich gleichgestellt haben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster,H. Lenßen, Kapitza

 

Fundstellen

Haufe-Index 857053

NZA 1996, 98

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