Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwesenheitsprämie bei Kurzarbeit
Orientierungssatz
Bei einer vom Arbeitgeber formulierten arbeitsvertraglichen Zusage einer freiwilligen Leistung ist darauf abzustellen, wie der Arbeitnehmer sie verstehen durfte. Unklarheiten gehen zu Lasten des die Abrede formulierenden Arbeitgebers. Insbesondere wenn die freiwillige Arbeitgeberleistung einen erheblichen Teil der Arbeitsvergütung ausmacht, muß der Arbeitnehmer deutlich erkennen können, unter welchen Voraussetzungen die Leistung ausgeschlossen sein soll.
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. Januar 1998 - 3 Sa 1137/97 - aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 22. Mai 1997 - 1 Ca 390/97 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer arbeitsvertraglich geregelten Anwesenheitsprämie für fünf Wochen der Monate September und Oktober 1996.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. September 1991 mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 38 Wochenstunden, die auf die Wochentage Montag bis Freitag verteilt sind, als Schlosser beschäftigt. Seit 1993 ist er Mitglied des Betriebsrats. Wie auch mit den übrigen Schlossern und Produktionsarbeitern ist in § 3 des schriftlichen Arbeitsvertrages unter anderem folgendes vereinbart:
"Zuzüglich hierzu leistet der Arbeitgeber eine Prämie in Höhe von DM 100,00 brutto pro Woche.
Voraussetzung für die Entstehung dieses Prämienanspruches ist, daß der Arbeitnehmer die ihm gemäß Arbeitsvertrag obliegenden Verpflichtungen an fünf Tagen in der Woche ordnungsgemäß und vollständig erfüllt und die festgelegte Arbeitszeit pünktlich beginnt und beendet.
Der Anspruch auf Zahlung der Prämie in Höhe von DM 100,00 brutto wöchentlich entfällt daher für die gesamte Woche, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit - auch nur an einem Wochentag - nicht ordnungsgemäß erbringt oder unpünktlich aufnimmt oder aus sonstigen Gründen, z.B. wegen Krankheit, Urlaub nicht anwesend ist oder
a) die festgelegte Kernarbeitszeit von mindestens 38 Wochenstunden bei fünf Arbeitstagen bzw.
b) nach entsprechender Anweisung Mehrarbeitsstunden bis 45 Wochenstunden bei fünf Arbeitstagen nicht vollständig leistet.
Fallen in eine Fünf-Tage-Woche ein oder mehrere gesetzliche Feiertage, so wird die Zahlung des Prämienbetrages entsprechend der Anzahl der Feiertage um jeweils 1/5 gemindert.
..."
Im Betrieb der Beklagten war für fünf Wochen im September und Oktober 1996 freitags Kurzarbeit geleistet worden. Die betroffenen Arbeitnehmer arbeiteten an diesen Tagen weniger als sechs Stunden pro Tag. Sie erreichten daher die Kernarbeitszeit von 38 Stunden in der Woche nicht.
Der Kläger nahm an den jeweiligen Freitagen jeweils von 8.00 bis 16.30 Uhr an den festgesetzten Betriebsratssitzungen teil. So wies sein von der Beklagten geführtes Zeitkonto in drei Wochen mehr als 38 Stunden auf. In den zwei weiteren Wochen belief sich sein Zeitkonto auf jeweils 37,5 Stunden. Der Kläger hatte in diesen Wochen Spätschicht. Jeweils von Montag bis Mittwoch arbeitete er während der gesamten Spätschicht acht Stunden. An den Donnerstagen beendete er seine Spätschicht bereits um 21.00 Uhr. Der Kläger erhielt in der Vergangenheit für die an Donnerstagen wegen Einhaltung der Ruhezeit von elf Stunden ausgefallenen 2,5 Stunden die volle Spätschicht von acht Stunden durch die Beklagte gutgeschrieben.
Der Kläger erhielt in den fünf Wochen seinen Grundlohn ungekürzt, aber ebensowenig wie die anderen von der Kurzarbeit betroffenen Mitarbeiter die Prämie von 100,00 DM.
Der Kläger hat gemeint, ihm stehe die arbeitsvertragliche Prämie für alle fünf Wochen zu. In drei dieser Wochen ergäbe sich dies bereits daraus, daß er die geforderten 38 Stunden entsprechend dem Arbeitszeitkonto der Beklagten überschreite. Er wäre auch nicht von der Kurzarbeit betroffen gewesen, wenn er keine Betriebsratsarbeit geleistet hätte. Dies habe auch die Beklagte bereits durch die Art der Entlohnung zum Ausdruck gebracht. Der Kläger habe für den streitigen Zeitraum die Arbeitsstunden einschließlich an den Freitagen verrichteten Betriebsratstätigkeit mit dem ihm zustehenden Stundenlohn und nicht mit Kurzarbeitergeld vergütet erhalten.
Auch für die übrigen zwei Wochen, in denen sein Arbeitszeitkonto lediglich 37,5 Stunden aufweise, habe ihm die Prämie zugestanden. Um an der jeweils Freitags um 8.00 Uhr beginnenden Betriebsratssitzung teilnehmen zu können, habe er die Spätschichten an den Donnerstagen jeweils bereits um 21.00 Uhr statt um 23.30 Uhr beenden müssen. Nur so habe er die nach § 5 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz vorgesehene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden einhalten können. Ohne seine Betriebsratstätigkeit hätte er am jeweiligen Donnerstag regelmäßig acht Stunden arbeiten können. Es wäre daher eine mit § 37 Abs. 2 BetrVG nicht zu vereinbarende Minderung des Arbeitsentgeltes und eine gegen § 78 Satz 2 BetrVG verstoßende Benachteiligung des Klägers infolge seiner Betriebsratstätigkeit, wenn ihm die fehlenden Arbeitsstunden an den jeweiligen Donnerstagen nicht angerechnet würden. In der Revisionsinstanz hat der Kläger ergänzend die Ansicht vertreten, auch bei zulässig angeordneter Kurzarbeit stehe ihm nach § 3 des Arbeitsvertrages, ebenso wie den vergleichbaren Arbeitnehmern, der Anspruch auf die Prämie zu. Die arbeitsvertragliche Vereinbarung sei dahin auszulegen, daß die Prämienzahlung nur entfallen solle, wenn die Gründe für das Nichterreichen der Mindeststundenzahl in die Sphäre des Arbeitnehmers fielen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 500,00 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 30. Oktober 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, dem Kläger stehe die Anwesenheitsprämie nicht zu, da ihre Zahlung eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Klägers darstellen würde. Der Kläger komme lediglich aufgrund der Betriebsratstätigkeit auf eine Überschreitung der 38 Stunden. Die anderen bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer hätten aufgrund der angeordneten Kurzarbeit die Mindestanwesenheitszeit von 38 Stunden nicht erreichen können. Die arbeitsvertragliche Regelung sei so auszulegen, daß jede Unterschreitung der Kernarbeitszeit, also auch durch Kurzarbeit, zum Wegfall der Prämie führe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des Ersturteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des der Klage stattgebenden Ersturteils. Dem Kläger steht die geltend gemachte Anwesenheitsprämie zu. Denn die Auslegung der arbeitsvertraglichen Vereinbarung ergibt, daß jedenfalls eine geringfügige Kurzarbeit wie im September und Oktober 1996 nicht zum Verlust des Anspruchs auf die Prämie führt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Kläger bei der vorliegenden Fallgestaltung aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit keine weitergehenden Ansprüche als seine Arbeitskollegen hat.
Gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG führen die Betriebsratsmitglieder ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Dies schließt es aus, daß sie auch nur einen Teil ihrer Vergütung aufgrund ihrer Amtstätigkeit erhalten (BAG 5. März 1997 - 7 AZR 581/92 - BAGE 85, 224). Sie werden lediglich aufgrund des Lohnausfallprinzips des § 37 Abs. 2 BetrVG so gestellt, als seien sie nicht durch Betriebsratstätigkeit an ihrer beruflichen Tätigkeit gehindert gewesen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wäre der Kläger ebenfalls von der Kurzarbeit betroffen gewesen und hätte daher die Kernarbeitszeit von 38 Wochenstunden ohne Betriebsratsarbeit nicht erreicht. Das hat zur Folge, daß er hinsichtlich der Prämie nicht anders zu behandeln ist als seine Arbeitskollegen.
II. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch zu Unrecht ohne nähere Begründung angenommen, für den Kläger und die anderen von der Kurzarbeit betroffenen Produktionsmitarbeiter entfalle infolge der Kurzarbeit der Anspruch auf die Anwesenheitsprämie. Das Berufungsgericht hat es bei dieser Beurteilung des Sachverhalts unterlassen, die vertragliche Vereinbarung der Parteien auszulegen und damit die Auslegungsvorschriften der §§ 133, 157 BGB verletzt. Da es sich bei der Abrede der Parteien um eine Bestimmung handelt, die für eine Vielzahl von Mitarbeitern anzuwenden ist, führt der Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts nicht zur Zurückverweisung des Rechtsstreits. Vielmehr kann der Senat die Vereinbarung selbst auslegen und damit den Rechtsstreit abschließend entscheiden.
1. Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Bei einer vom Arbeitgeber formulierten arbeitsvertraglichen Zusage einer freiwilligen Leistung ist darauf abzustellen, wie der Arbeitnehmer sie verstehen durfte. Unklarheiten gehen zu Lasten des die Abrede formulierenden Arbeitgebers. Insbesondere wenn die freiwillige Arbeitgeberleistung einen erheblichen Teil der Arbeitsvergütung ausmacht, muß der Arbeitnehmer deutlich erkennen können, unter welchen Voraussetzungen die Leistung ausgeschlossen sein soll.
2. In der vorliegend zu beurteilenden Vereinbarung sind eine Reihe von Tatbeständen aufgezählt, durch die der Anspruch entstehen bzw. entfallen soll. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie ihre Ursache in der Person oder jedenfalls in der Sphäre des Arbeitnehmers haben. Erkennbar ist ferner, daß durch die Prämie ein Anreiz geschaffen werden soll, während der festgesetzten Arbeitszeit möglichst im vollen Umfang im Betrieb anwesend zu sein, und daß derjenige die Prämie erhält, der dazu das ihm Mögliche beiträgt. Begründung und Bestand des Anspruchs auf Prämie sind geknüpft an die ordnungsgemäße und vollständige Erfüllung der dem Arbeitnehmer jeweils obliegenden Verpflichtungen. Dies wird besonders deutlich durch die Verknüpfung mit dem Wort "daher" im dritten Absatz der Zusage: Was mit den in Absatz 2 der Zusage aufgestellten Voraussetzungen gemeint ist, wird durch die Aufzählung der Ausschlußtatbestände des Absatzes 3 gleichsam authentisch interpretiert, so daß der Arbeitnehmer redlicherweise annehmen darf, er verliere den Anspruch nur bei Vorliegen eines dieser von ihm zu beeinflussenden Ausschlußtatbestände. Zu diesen Ausschlußtatbeständen gehören in die betriebliche Sphäre fallende und vom Arbeitnehmer unbeeinflußbare Umstände wie die Kurzarbeit nicht. In diesem Fall hat der betroffene Arbeitnehmer das ihm Mögliche getan. Der vollständige Verlust der wöchentlichen Prämie ist deshalb nicht vorgesehen.
In Betracht käme allenfalls eine teilweise Kürzung der Prämie im Verhältnis von Wochenarbeitszeit und tatsächlich geleisteter Arbeit, wie sie auch in der Bestimmung über die Wochenfeiertage enthalten ist. Darüber war vorliegend jedoch mangels konkreter Angaben der Beklagten nicht zu entscheiden. Ob der Anspruch auf Prämie nach der vertraglichen Bestimmung bei einer umfangreicheren und/oder länger anhaltenden Kurzarbeit als im Streitfall oder bei einer Kurzarbeit Null erhalten bleibt oder entfällt und ob in diesem Fall die Prämie bei der Bemessung des Kurzarbeitergelds zu berücksichtigen ist, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Dörner
Steckhan
Schmidt
Niehues
Hökenschnieder
Fundstellen