Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 17.01.1989)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. Januar 1989 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten höheres Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1953 geborene, verheiratete Kläger war vom 2. Januar 1979 bis 19. Dezember 1986 und nach kurzzeitiger Arbeitslosigkeit erneut vom 5. Januar bis zum 3. Dezember 1987 als Ziegeleiarbeiter bei der Firma R-Z GmbH & Co. KG beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag war zwischen dem Kläger und seiner Arbeitgeberfirma nicht abgeschlossen worden. Bei der Firma bestand kein Betriebsrat.

Der Kläger meldete sich am 16. November 1987 arbeitslos und legte mit seinem Antrag auf Alg die Arbeitsbescheinigung vom 16. November 1987 vor, wonach abweichend von der tariflichen Arbeitszeit (40 Wochenstunden) mit ihm eine längere Arbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich vereinbart worden sei. Er habe in den Monaten August bis September 1987 in insgesamt 643 Stunden ein Arbeitsentgelt in Höhe von 10.288,– DM erzielt.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger Alg ab 4. Dezember 1987 in Höhe von 305,40 DM wöchentlich; sie legte eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden und deshalb ein gerundetes Bemessungsentgelt nach der Leistungsgruppe C von 640,– DM zugrunde (Bescheid vom 1. Dezember 1987, Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1987).

Mit der Klage beantragte der Kläger, das Alg unter Zugrundelegung einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden gemäß § 3 Ziffer 1 des Bundesrahmentarifvertrages für die Ziegeleiindustrie (BRTV) zu zahlen. Auf Anfrage des Sozialgerichts (SG) hat die Arbeitgeberfirma mit Schreiben vom 29. Februar 1988 mitgeteilt, sie habe dem Kläger zwar eine Arbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich bescheinigt, tatsächlich habe er aber wöchentlich 56 Stunden gearbeitet. Ihr Betrieb sei ein Drei-Schicht-Betrieb. Die Schichten liefen von 6.00 Uhr bis 14.00 Uhr, von 14.00 Uhr bis 22.00 Uhr und von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr. In ihrem Betrieb werde auch an Samstagen und Sonntagen gearbeitet.

Das SG hat mit Urteil vom 22. April 1988 die Klage abgewiesen. Die zugelassene Berufung des Klägers hatte Erfolg. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit sei mit 48 Stunden anzusetzen. Zwar betrage gemäß § 2 Ziff 1 Satz 1 BRTV die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen täglich 8 und wöchentlich 40 Stunden. Gemäß § 3 Ziff 1 BRTV könne jedoch bei Arbeiten, die werktags und sonntags einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, unter Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einschließlich der Sonntagsarbeit über die nach § 2 Ziff 1 BRTV vereinbarte Stundenzahl hinaus ausgedehnt werden. Von dieser Möglichkeit habe die Arbeitgeberfirma wirksam Gebrauch gemacht. Bei der in § 3 Ziff 1 BRTV vorgeschriebenen Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates handele es sich um eine Formvorschrift für Betriebe, in denen ein Betriebsrat vorhanden sei. Bestehe kein Betriebsrat, so könne der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechtes einseitig Anordnungen treffen und somit auch die Lage der Arbeitszeit und der Pausen festlegen.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 112 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Sie trägt vor, die vom Kläger im Bemessungszeitraum geleistete Wochenarbeitszeit von 48 Stunden sei keine tarifliche regelmäßige Arbeitszeit. Eine Ausdehnung der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit gemäß § 3 Ziff 1 BRTV komme schon deshalb nicht in Frage, weil bei der Arbeitgeberfirma des Klägers kein Betriebsrat bestanden habe. Zwar könne unbestritten ein Arbeitgeber in Fällen der vorliegenden Art kraft seines Direktionsrechts, zB in Einzelvereinbarungen, eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden festlegen. Diese werde aber nur dann zur tariflichen Arbeitszeit, wenn die Öffnungsklausel des § 3 Ziff 1 BRTV entsprechende Einzelvereinbarungen für zulässig erkläre, was hier nicht geschehen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er schließt sich den Ausführungen des LSG an.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Ob dem Kläger höheres Alg zusteht, kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden.

Die Bemessung des Anspruchs auf Alg richtet sich nach § 112 AFG. Nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG in der 1987 geltenden, zuletzt durch das Siebte Gesetz zur Änderung des AFG (7. AFG-ÄndG) vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) geänderten Fassung ist zur Feststellung des Bemessungsentgelts für das Alg das im Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt ohne Mehrarbeitszuschläge mit der Zahl der Arbeitsstunden zu vervielfachen, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt.

Tariflich regelmäßig iS des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG ist eine Arbeitszeit nicht schon dann, wenn sie nach dem maßgeblichen Tarifvertrag überhaupt möglich ist; vielmehr muß die maßgebliche Arbeitszeit eine nach dem Tarifvertrag regelmäßige Arbeitszeit sein, dh eine Arbeitszeit, die der Tarifvertrag als regelmäßige vorsieht (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-, vgl BSG SozR 4100 § 112 Nrn 2, 14 und 22). Das Bemessungsentgelt soll dem Arbeitsentgelt entsprechen, das der Leistungsempfänger in einem Arbeitsverhältnis bei dem Stundenlohn erzielen würde, den er durchschnittlich im Bemessungszeitraum tatsächlich erzielt hat. Als Arbeitszeit wird jedoch nicht die tatsächliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit im Bemessungszeitraum, sondern die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit zugrunde gelegt. Dies geschieht, weil nicht generell unterstellt werden kann, daß ein Leistungsempfänger, der im Bemessungszeitraum eine besonders hohe Arbeitszeit erreicht hat, diese auch in einem neuen Beschäftigungsverhältnis leisten könnte (BSG aaO).

Das LSG hat den vom Kläger geforderten Zeitfaktor von 48 Stunden gebilligt, weil dies die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers gewesen sei. Nach Auffassung des LSG war tarifliche Grundlage für das Beschäftigungsverhältnis des Klägers der BRTV. Die Feststellungen des LSG lassen allerdings keinen sicheren Schluß darauf zu, ob diese Rechtsauffassung zutrifft. Denn den Feststellungen des LSG ist nicht zu entnehmen, ob die Arbeitgeberfirma oder der Kläger als Mitglieder der Tarifvertragsparteien tarifgebunden gewesen sind oder der Tarifvertrag durch Bezugnahme im Einzelarbeitsvertrag für das Beschäftigungsverhältnis im Bemessungszeitraum galt (vgl BSGE 51, 64, 67 f). Der Tarifvertrag ist auch nicht für allgemein verbindlich erklärt worden, so daß die tarifvertraglichen Normen nicht gemäß § 5 Abs 4 Tarifvertragsgesetz (TVG) unmittelbar Bestandteil des hier betroffenen Arbeitsverhältnisses geworden sind.

Feststellungen zur Tarifgebundenheit erübrigen sich auch nicht im Hinblick auf § 112 Abs 4 Nr 2 AFG. Nach dieser Vorschrift ist dann, wenn kein Tarifvertrag unmittelbar oder mittelbar anzuwenden ist, als tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit die tarifliche Arbeitszeit für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen zugrunde zu legen. Mit dem inhaltlich gleichen Begriff (wie in § 112 Abs 2 Satz 1 AFG) ist jedoch die Frage nicht beantwortet, welche Arbeitszeit als tarifliche Arbeitszeit zugrunde zu legen ist. Wird davon ausgegangen, daß Tarifbindung besteht, gelten nämlich die Tarifnormen unmittelbar für das Arbeitsverhältnis und der Arbeitgeber kann – wie im folgenden dargestellt wird – einseitig kraft seines Direktionsrechts oder im Wege der Einzelvereinbarung die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nach § 3 Ziff 1 BRTV wirksam verlängern, wenn kein Betriebsrat besteht. Liegt dagegen keine Tarifbindung vor und gilt der BRTV nur „für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen”, dann kann der Arbeitgeber nicht durch einseitige Maßnahme, sondern nur durch entsprechende Vereinbarung in den Einzelarbeitsverträgen die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit wirksam verlängern. Ob und in welcher Form das Arbeitsverhältnis des Klägers den Regelungen des BRTV unterliegt, hat somit unterschiedliche Auswirkungen und bedarf deshalb abschließender Feststellungen des LSG.

Der Tarifvertrag, dessen Anwendung gemäß § 162 SGG in vollem Umfang durch das Revisionsgericht überprüft werden kann, weil er nach seinem § 1 für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin und mit Ausnahme des Freistaats Bayern gilt, sieht in § 2 Ziff 1 Satz 1 eine regelmäßige Arbeitszeit von täglich 8 und wöchentlich 40 Stunden vor. Gemäß § 3 Ziff 1 BRTV kann jedoch bei Arbeiten, die werktags und sonntags einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einschließlich der Sonntagsarbeit über die nach § 2 Ziff 1 BRTV vereinbarte Stundenzahl hinaus ausgedehnt werden.

Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß die in § 3 Ziff 1 BRTV vorgesehene Möglichkeit der Verlängerung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit unter Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates nicht bedeutet, daß die Verlängerung nur durch eine Betriebsvereinbarung wirksam festgelegt werden kann.

Ermächtigt ein Tarifvertrag zu einer Verlängerung der Arbeitszeit, ohne den einzuschlagenden Weg zu regeln, insbesondere ohne den Arbeitgeber zu einer einseitigen Regelung zu ermächtigen und ohne den Betriebsrat zu nennen, so ist nach den allgemeinen Regeln des Arbeitsvertragsrechts entweder eine Einzelabrede oder eine Betriebsvereinbarung möglich (BSG Urteil vom 16. August 1989 – 7 RAr 136/88 – SozSich 1990, 127). Ermächtigt ein Tarifvertrag zu einer abweichenden Regelung in einer Betriebsvereinbarung, so wird darin regelmäßig der Ausschluß einer Einzelabrede zu sehen sein. Dann kann eine längere Arbeitszeit als regelmäßige Arbeitszeit nur durch eine Betriebsvereinbarung, die nach § 77 Abs 2 BetrVG zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedarf, festgelegt werden. Das würde in Betrieben ohne Betriebsrat eine Verlängerung ausschließen (vgl Fabricius/Kraft/Thiele/Wiese/Kreutz, Gemeinschaftskommentar zum BetrVG Band 2, 4. Aufl § 77 Anm 35; Fitting/Auffarth/Kaiser, Kommentar zum BetrVG, 14. Aufl § 71 RdNr 10).

Die Formulierung „unter Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates” weist schon nach ihrem Wortlaut nicht auf das Erfordernis einer Betriebsvereinbarung hin. Sie macht auch nicht deutlich, daß die Zulässigkeit einer Einzelabrede ausgeschlossen werden soll. Es ist auch nicht so, daß die Nennung des Betriebsrates in diesem Zusammenhang keinen anderen Sinn haben kann als den, eine Abweichung nur durch Betriebsvereinbarung zuzulassen.

Nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat der Betriebsrat in den aufgeführten Angelegenheiten, wozu nach Nr 3 auch die vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit gehört, mitzubestimmen. Für die auf Dauer angelegte Vereinbarung einer längeren als der tariflichen Arbeitszeit fehlt eine gesetzliche Regelung. In Betracht kommt somit, die tarifvertragliche Regelung über die notwendige Zuziehung des Betriebsrates als Erweiterung des erzwingbaren Mitbestimmungsrechts iS des § 87 BetrVG zu bewerten (vgl dazu Fabricius ua aaO, § 77 Anm 137; § 87 Anm 7 mwN; Buchner, Der Betrieb, 1985, 913, 921).

Schließlich ist bei der Auslegung auch nicht davon auszugehen, daß die Nennung des Betriebsrates die formbedürftige Betriebsvereinbarung als dessen Haupthandlungsinstrument zur Ausübung der Mitbestimmung meine. Damit würde das Instrument der Betriebsvereinbarung überbewertet. Eine Form für die Ausübung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates ist indes weder ausdrücklich vorgeschrieben noch dem Zweck des § 87 BetrVG zu entnehmen. Zwar kann insbesondere bei allen Dauerregelungen im Interesse der Rechtssicherheit der Abschluß einer Betriebsvereinbarung (§ 77 BetrVG) angemessen sein. Der BRTV macht jedoch durch die Bezugnahme auf das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates keineswegs – wie die Beklagte meint – den Abschluß einer ergänzenden Betriebsvereinbarung zur Voraussetzung einer wirksamen Verlängerung der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit. Denn den Erfordernissen der Mitbestimmung kann auch dadurch genügt werden, daß der Betriebsrat einer vom Arbeitgeber geplanten Maßnahme einseitig zustimmt und es diesem überläßt, die Regelung allein (Direktionsrecht) oder durch Arbeitsvertrag mit den einzelnen Arbeitnehmern zu treffen (vgl Fabricius ua, aa0, § 77 Anm 9 mwN; § 87, Anm 64 f). Insoweit geht auch der Hinweis der Beklagten auf das Urteil des LSG Niedersachsen vom 15. März 1983 (L 3 Ar 119/82 veröffentlicht in Breithaupt 1983, 825) fehl, weil es nur den hier nicht gegebenen Fall der tarifvertraglich allein durch Betriebsvereinbarung vorgesehenen Verlängerung der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit betrifft.

Eine Verlängerung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit durch eine Betriebsvereinbarung scheidet hier mangels eines Betriebsrates aus. Es genügt jedoch, wenn eine von § 2 Ziff 1 BRTV abweichende, im Rahmen des § 3 Ziff 1 BRTV liegende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Einzelarbeitsvertrag des Klägers vereinbart worden ist. Die fehlende Beteiligung eines Betriebsrates steht der Wirksamkeit einer solchen Regelung nicht entgegen.

In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, daß auch in betriebsratspflichtigen Betrieben der Arbeitgeber Maßnahmen, die der Mitbestimmung unterliegen, einseitig kraft seines Direktionsrechts oder im Wege der Einzelvereinbarung wirksam vornehmen kann, wenn im Betrieb, beispielsweise wegen Interessenlosigkeit der Arbeitnehmer, ein Betriebsrat nicht gewählt worden ist (vgl Fabricius ua, aa0 § 87 Anm 63 mwN). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn in einem Tarifvertrag die Mitwirkung des Betriebsrates vorgesehen ist und die Auslegung einen gegenteiligen Willen der Tarifvertragsparteien nicht ergibt (BAG in DB 1962, 70, 71 = AP Nr 84 zu § 611 BGB Urlaubsrecht; LAG Baden-Württemberg, DB 1973, 1953).

In der bisherigen Rechtsprechung des BSG ist allerdings die Frage, ob auch dann eine durch Einzelvertrag vereinbarte Arbeitszeit als „tariflich” angesehen werden könnte, wenn der Tarifvertrag lediglich solche abweichenden Verträge gestattet, sie aber nicht zeitlich begrenzt, ausdrücklich offen gelassen worden (vgl BSG SozR 4100 § 69 Nr 2; BSG Urteil vom 16. August 1989 – aa0, zu einem Tarifvertrag, der eine abweichende Regelung innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens zugelassen hat).

Der zur Beurteilung stehende Tarifvertrag gestattet zwar die Verlängerung der Arbeitszeit, setzt jedoch keine bestimmte Zeitgrenze. Doch auch in diesem Fall ist die vereinbarte Arbeitszeit als „tariflich” anzusehen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Arbeitszeitgestaltung um eine von den Tarifvertragsparteien abgeleitete Regelungsbefugnis der Betriebsparteien handelt oder ob die Betriebsparteien zur Regelung der materiellen Arbeitsbedingungen eine eigene Zuständigkeit haben (vgl Buchner, Der Betrieb, 1985, 913, 915 f). Offen bleiben kann auch die Frage, ob die arbeitsvertragliche Festlegung einer längeren als der tariflichen Wochenarbeitszeit eine für den Arbeitnehmer günstigere und damit wirksame Regelung iS des § 4 Abs 3 TVG (Günstigkeitsprinzip) ist. Denn der BRTV eröffnet in § 3 Ziff 1 den Betriebsparteien ausdrücklich die Möglichkeit, die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit auszudehnen; es geht also nicht um die arbeitsvertragliche Festlegung einer längeren als der tariflichen Wochenarbeitszeit.

Auch ohne Nennung einer zeitlichen Obergrenze läßt hier der Tarifvertrag eine Ausdehnung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit innerhalb der gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen von täglich 8 Stunden bzw 48 Stunden wöchentlich (§ 3 der Arbeitszeitordnung – AZO –) zu. Wie das BSG bereits ausgeführt hat, verknüpft das AFG mit der Begrenzung auf die tarifliche Arbeitszeit die Bemessung des Alg mit den Bestimmungen der AZO (vgl SozR 4100 § 112 Nr 7 und Nr 14). Zur gesetzlich zulässigen regelmäßigen Arbeitszeit iS des § 3 AZO gehört auch die nach § 4 AZO anders verteilte Arbeitszeit, also eine Arbeitszeit, die auf 6 Wochentage verteilt ist (vgl BAG AP Nr 4 zu § 87 BetrVG 1972). Auch in § 3 Ziff 1 BRTV ist ausdrücklich geregelt, daß die wöchentliche Arbeitszeit „einschließlich der Sonntagsarbeit” über 40 Stunden ausgedehnt werden kann.

Aufgrund der in § 3 Ziff 1 BRTV enthaltenen Regelung konnte somit der Arbeitgeber des Klägers – wegen Fehlens eines Betriebsrates – einseitig kraft seines Direktionsrechts oder im Wege einer Einzelvereinbarung eine Verlängerung der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit auf 48 Stunden wöchentlich wirksam festsetzen. Dabei gilt allerdings – wie eingangs ausgeführt – die Einschränkung, daß bei Geltung des Tarifvertrages nur für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit mit einer einseitigen Änderung des Arbeitsvertrages nicht wirksam verlängert werden kann. Ob das der Fall gewesen ist, hat das LSG nicht festgestellt, weil es darauf von seiner Rechtsauffassung der unmittelbaren Anwendbarkeit des BRTV auf das Arbeitsverhältnis her nicht ankam. Es fehlen ebenfalls Feststellungen dazu, ob zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber eine einzelvertragliche Regelung – gegebenenfalls mit welchem Inhalt – abgeschlossen worden ist.

Nach den gemäß § 163 SGG bindend gewordenen Feststellungen des LSG lagen zwar die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Arbeitszeitverlängerung „in besonderen Fällen” iS des § 3 Ziff 1 BRTV vor und die Arbeitszeitregelung hält sich in dem vom Tarifvertrag bestimmten Rahmen. Unklar ist jedoch, welche Arbeitszeit vereinbart oder vom Arbeitgeber bestimmt worden ist. Nach den Feststellungen des LSG ist nämlich ein schriftlicher Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber nicht geschlossen worden. Festzustellen ist deshalb, was die Arbeitsvertragsparteien etwa mündlich vereinbart haben oder was der betrieblichen Übung für die Gruppe von Arbeitnehmern entsprach, der der Kläger zugehörte.

Bei der Feststellung, was vereinbart worden ist, ist zu beachten, daß die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit sich nicht nur durch die Regelmäßigkeit, sondern auch dadurch kennzeichnet, daß der Arbeitnehmer einerseits verpflichtet ist, regelmäßig wöchentlich die vereinbarte Stundenzahl zu arbeiten, andererseits auch Anspruch darauf hat, daß der Arbeitgeber die vereinbarte Arbeitsleistung vergütet. Dem Arbeitnehmer steht also – bis zu einer wirksamen Änderung der getroffenen Arbeitszeitbestimmung – für die vereinbarte Arbeitszeit der Lohn auch dann zu, wenn der Arbeitgeber für die Arbeit keine Verwendung hat (vgl BSG Urteil vom 16. August 1989 – 7 RAr 136/88 –; BSG Urteil vom 15. Februar 1990 – 7 RAr 82/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Das LSG wird in seiner den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Verfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI913614

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