Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkursausfallgeld – Anrechnung nach § 615 S. 2 BGB
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, in welchem Umfang bei einem freigestellten Arbeitnehmer durch anderweitige Verwendung der Dienste während des Konkursausfallgeldzeitraumes erzieltes Entgelt – hier: zusätzliches tarifliches Urlaubsgeld – bei der Konkursausfallgeldberechnung anzurechnen ist.
Normenkette
AFG § 141b Abs. 1; BGB § 615 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Konkursausfallgeldes (Kaug). Der Kläger meint, die Beklagte habe bei der Berechnung des Kaug Arbeitsentgelt, welches er im Kaug-Zeitraum durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erworben hatte, in unrichtiger Höhe angerechnet.
Der Kläger wurde von seiner Arbeitgeberin (Bauunternehmung E.G.) am 17. April 1986 von der Arbeit freigestellt. Am 31. Mai 1986 wurde das Konkursverfahren über die Arbeitgeberin eröffnet. Am 28. April 1986 nahm er bei einer anderen Arbeitgeberin (I. H. GmbH u. Co. KG) eine Beschäftigung auf.
Durch den hier angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 11. August 1986 bewilligte die Beklagte Kaug für den Zeitraum von der Freistellung des Klägers bei seiner alten Arbeitgeberin bis zur Aufnahme der neuen Beschäftigung. In dem Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1986 heißt es ua, er habe bei seiner neuen Arbeitgeberin ein höheres Nettoeinkommen erzielt als er es bei seiner in Konkurs geratenen Arbeitgeberin erhalten haben würde. Das bei der neuen Arbeitgeberin erzielte zusätzliche Urlaubsgeld habe angesichts des maßgeblichen Bundesrahmentarifvertrags ebenso in Ansatz gebracht werden müssen wie die erzielte Überstundenvergütung.
Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten durch das Urteil vom 28. Juni 1988 abgeändert. Es hat die Beklagte verurteilt, das bei der neuen Arbeitgeberin erzielte Entgelt ohne Anrechnung von zusätzlichem Urlaubsgeld sowie Lohn für Überstunden und Überstundenzuschläge zu berechnen. Während des Berufungsverfahrens, in welchem die Beklagte sich ausschließlich gegen die Nichtanrechnung des zusätzlichen Urlaubsgeldes wandte, erteilte sie den Bescheid vom 27. Dezember 1988, mit welchem sie die im Kaug-Zeitraum bei der neuen Arbeitgeberin von dem Kläger erzielte Überstundenvergütung außer Ansatz ließ.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist, das Urlaubsgeld unberücksichtigt zu lassen; es hat die Revision zugelassen. In den Urteilsgründen heißt es, die Anrechnung des Urlaubsgeldes folge aus § 615 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) iVm dem Tarifvertrag vom 20. Oktober 1983 zur Änderung des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 in der Fassung vom 10. Mai 1983 (Tarifvertrag). Das tarifvertragliche Urlaubsgeld ist nach der Überzeugung des LSG als Teil des Arbeitsentgelts anzusehen, ohne daß es darauf ankomme, ob auch beim früheren Arbeitgeber ein entsprechender Anspruch entstanden sein würde. Aus dem Annahmeverzug des in Konkurs gefallenen Arbeitgebers dürfe der Arbeitnehmer keinen zusätzlichen Vorteil ziehen. Aus diesem Grunde sei die Anrechnung des erzielten Entgelts unter Einschluß des zusätzlichen Urlaubsgeldes geboten. Der nicht aus Beiträgen der Arbeitnehmer finanzierte Kaug-Anspruch sei im öffentlichen Interesse der Höhe nach zu beschränken und der betroffene Arbeitnehmer soweit wie möglich auf eigene tatsächliche Einkünfte zu verweisen.
Nach Auffassung des Klägers bietet § 615 Satz 2 BGB keinen Anhalt dafür, die anzurechnenden Einkünfte in ihrem Wert nach oben zu begrenzen, insbesondere es nach dem früheren potentiell oder tatsächlich erzielten Einkommen dem Grund oder der Höhe nach auszurichten. § 615 Satz 2 BGB sei der Vorschrift des § 324 Abs 1 BGB nachgebildet. Ein besonderer Gewinn durch den anderweitigen Verkauf der gekauften Sache komme danach dem Käufer nicht zugute. Das zusätzliche Urlaubsgeld sei in der Verdienstbescheinigung des Konkursverwalters nicht aufgeführt. Es stelle bei dem alten Arbeitgeber keine Belastung dar, die gemäß § 615 Satz 2 BGB auszugleichen wäre. Für das Urlaubsgeld könne nichts anderes gelten als für die Überstundenvergütung. Leistungen aus dem neuen Arbeitsverhältnis dürften nur angerechnet werden, wenn die Arbeitsbescheinigung des alten Arbeitgebers, aus der der Konkursverwalter das Bestehen eines Anspruchs anerkennt, die gleiche Leistung enthalte.
Der Kläger beantragt, das angefochtene LSG-Urteil mit der Maßgabe zu ändern, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28. Juni 1988 vollständig zurückgewiesen wird.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Überzeugung hat der Kläger keinen Anspruch auf höheres Kaug. Das zusätzliche Urlaubsgeld stelle einen Teil seines Verdienstes dar, den er sich nach § 615 Satz 2 BGB auf seinen Lohnanspruch anrechnen lassen müsse. Ihm obliege eine adäquate Schadensminderungspflicht. Diese sei nicht überschritten.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Auch nach der Überzeugung des erkennenden Senats muß er sich zwar zusätzliches Urlaubsgeld im Rahmen von § 615 Satz 2 BGB auf seinen Entgeltanspruch gegenüber dem in Konkurs gegangenen Arbeitgeber anrechnen lassen. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, daß der Anspruch bereits gegenüber E.G. bestand und daher als entgangenes Entgelt anzusehen ist.
In dem vorliegenden Rechtsstreit herrscht unter den Beteiligten Streit darüber, wie hoch das Kaug des Klägers für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai 1986 (Kaug-Zeitraum) zu bemessen ist. Da die Beklagte dem Kläger das Kaug bis zum 27. April 1986 in der beantragten Höhe gewährte, bleibt allein noch zu entscheiden, ob er einen Anspruch auf Kaug auch für die Zeit ab dem 28. April 1986 hat, während welcher er einer Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber nachging.
Nach § 141b des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) betrifft der Kaug-Anspruch den Anspruch auf das durch die Eröffnung des Konkursverfahrens entgangene Arbeitsentgelt. Welches Arbeitsentgelt dem Kläger in dem Zeitraum ab dem 28. April 1986 entgangen ist, hängt ua davon ab, in welchem Rahmen er sich Arbeitsentgelt aus dem zweiten ab 28. April 1986 begonnenen Arbeitsverhältnis gemäß § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen muß. Soweit nämlich eine Anrechnung nach dieser Vorschrift erfolgt, mindert sich der Entgeltanspruch gegenüber dem in Konkurs gefallenen Arbeitgeber und damit sein entgangenes Arbeitsentgelt im Sinne von § 141b AFG.
Mit der Freistellung des Klägers durch den später in Konkurs gefallenen Arbeitgeber am 17. April 1986 geriet sein Arbeitgeber in Annahmeverzug, und zwar gemäß § 615 Satz 1 BGB mit der Folge, daß er den Anspruch auf das vertragsgemäße Entgelt behielt. Bei dem dem Arbeitnehmer zustehenden Anspruch aus § 615 Satz 1 BGB handelt es sich um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch. In § 615 Satz 2 BGB ist eine Regelung für den Fall getroffen, daß der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs des Arbeitgebers eine neue Arbeitsstelle findet und Entgelt erzielt. Danach muß er sich ua den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt. Diese Anrechnung entspricht dem Gedanken der Billigkeit, weil nämlich der Arbeitnehmer die neue Arbeitsstelle im Falle der Weiterbeschäftigung durch den ersten Arbeitgeber nicht hätte annehmen können (vgl zum notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der Freistellung von der Arbeit und der Aufnahme einer neuen Tätigkeit insbesondere BAG Urteil vom 6. September 1990 - 2 AZR 165/90 - = AP Nr 47 zu § 615 BGB; NJW 1991, 1002). In diesem Rahmen soll der Arbeitnehmer infolge des Annahmeverzuges des Arbeitgebers keinen Vorteil ziehen, sondern das erhalten, was er bei normaler Abwicklung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte (vgl BAG wie zuvor mwN).
Zu dem nach § 615 Satz 2 BGB anrechenbaren Entgelt gehören nach allgemeiner Auffassung nicht nur die Grundvergütung, sondern auch zusätzliche Leistungen mit Entgeltcharakter, also Lohnbestandteile (BAG Urteil vom 19. September 1991 - 2 AZR 619/90 -, nicht veröffentlicht).
Bei Zugrundelegung des geschilderten Maßstabes ist das bei dem neuen Arbeitgeber erhaltene zusätzliche Urlaubsgeld anzurechnen. Ausschlaggebend ist nämlich, ob es sich bei den jeweiligen Leistungsteilen, welche der Kläger erhalten hat, um solche mit Entgeltcharakter handelte. Das war bei dem zusätzlichen Urlaubsgeld der Fall.
In dem hier maßgeblichen Tarifvertrag vom 20. Oktober 1983 zur Änderung des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe, gültig ab Januar 1984, sind in § 8 die mit dem Urlaub der Arbeitnehmer verbundenen Ansprüche geregelt. Die Vergütung der Urlaubstage erfolgt in erster Linie gemäß § 8 Nr 3.4 durch das Urlaubsentgelt und ferner nach Nr 7. durch das sogenannte zusätzliche Urlaubsgeld. Beide gehören nach Nr 9. zu den Urlaubsabgeltungsansprüchen. Zusammen bilden sie die Vergütung für die Urlaubstage. In § 8 Nr 11. ist bestimmt, daß der Anspruch auf Urlaubsentgelt einschließlich des zusätzlichen Urlaubsgeldes im Falle des Todes des Arbeitnehmers auf Erben oder auf sonst bestimmte andere Personen übergeht. Der Anspruch richtet sich gegen den Arbeitgeber, bei dem der verstorbene Arbeitnehmer zuletzt beschäftigt war.
Die wiedergegebenen Bestimmungen des Tarifvertrages zeigen eindeutig, daß Urlaubsentgelt und zusätzliches Urlaubsgeld zusammengehören und Teil des Lohnes des Arbeitnehmers für den Fall des Urlaubsantritts sind. Unter diesen Bedingungen besteht für den erkennenden Senat kein Zweifel daran, daß auch das zusätzliche Urlaubsgeld ebenso wie das Urlaubsentgelt als Teil des Lohnes des Klägers anzusehen sind; denn an dem Entgeltcharakter dieser Leistungen kann angesichts der Bestimmungen des Tarifvertrages kein Zweifel herrschen. Aus diesem Grunde gehört auch das zusätzliche Urlaubsgeld zu dem Lohnanteil, welchen der Kläger sich gemäß § 615 Satz 2 BGB auf seine Ansprüche gegen den in Konkurs gefallenen Unternehmer anrechnen lassen muß. Demgemäß mindert der Urlaubsgeldanspruch auch seinen Anspruch auf entgangenes Entgelt und damit auf das Kaug.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß bei der Anrechnung von Entgelt aus dem neuen Arbeitsverhältnis das Nettoentgelt berücksichtigt werden muß. Zwar ist im Arbeitsrecht anerkannt, daß eine Gegenüberstellung mit den Bruttoentgelten aus dem ersten Arbeitsverhältnis, in welchem der Annahmeverzug entstanden ist, und dem neuen Arbeitsverhältnis zu erfolgen hat (vgl dazu ua BAG Urteil vom 16. Dezember 1982 - 6 AZR 1193/79 -, nicht veröffentlicht; Urteil vom 19. September 1991 - 2 AZR 619/90 -, nicht veröffentlicht und Urteil vom 6. September 1990 - 2 AZR 165/90 - aa0). Im vorliegenden Falle ist jedoch die Vorschrift des § 141d AFG als lex specialis anzusehen. Nach ihr ist das Kaug immer als Nettoentgelt zu zahlen. Im Zusammenhang mit § 615 Satz 2 BGB ist demgemäß davon auszugehen, daß dem Kläger lediglich ein Gesamtnettobetrag zusteht, welcher durch die genannte Vorschrift begrenzt ist.
Der Senat konnte die Rechtssache nicht abschließend entscheiden; denn das LSG ist dem von ihm eingenommenen zutreffenden Ausgangspunkt, wonach der anderweitige Erwerb durch das Unterbleiben der Arbeitsleistung bei dem alten Arbeitgeber ermöglicht worden sein muß, nicht weiter nachgegangen. Es ist vom Vorliegen des notwendigen kausalen Zusammenhanges ausgegangen. Das war jedoch ohne weitere Feststellungen nicht möglich. So kann die Urlaubsplanung des Klägers auf einer längeren Vorbereitung beruhen, welche auch bezüglich des Urlaubstermins schon vor seiner Freistellung abgeschlossen war. In diesem Falle hätte ein Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld gegenüber dem in Konkurs gefallenen Arbeitgeber bestanden, so daß es als ausgefallenes Arbeitsentgelt zu ersetzen war. Sowohl der Inhalt der Verdienstbescheinigung des Konkursverwalters als auch der Umstand, daß der andere Arbeitgeber diese Leistung erbrachte, ist im Rahmen von § 141b Abs 1 AFG ohne Bedeutung. Bei derart nachweisbar beabsichtigtem Urlaubsantritt stellt sich die Frage des kausalen Zusammenhangs deshalb anders, weil von vornherein ersichtlich ist, daß der Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld nicht erst infolge der Freistellung von der Arbeit, sondern auch ohne sie entstand, und zwar aufgrund des ursprünglichen Arbeitsvertrages. Daher müßte dann eine Anrechnung des tatsächlich gezahlten Urlaubsgeldes gemäß § 615 Satz 2 BGB entfallen.
Nach alledem führt die vorliegende Revision des Klägers zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 60296 |
DStR 1993, 1460-1460 (K) |
RegNr, 20886 (BSG-Intern) |
KTS 1993, 684-686 (LT) |
AP § 141b AFG (LT1), Nr 15 |
AP § 615 BGB (L1), Nr 55 |
DBlR, 4022a AFG/§ 141b (LT1) |
EzS, 89/84 (LT1) |
SGb 1993, 582-583 (LT1) |
SozR 3-4100 § 141b, Nr 6 |