Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.12.1988)

 

Tenor

Die Revisionen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 1988 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger 1/9 der außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger lebt seit Mai 1977 in der Bundesrepublik. Ihm war ein Vertriebenenausweis ausgestellt worden, der ihm wieder entzogen worden ist. Die Beklagte bewilligte mit Rücksicht auf den Vertriebenenausweis für die Teilnahme am Deutschunterricht Leistungen in Höhe von insgesamt 20.164,20 DM (Unterhaltsgeld, Lehrgangsgebühren, Lernmittel, Fahrtkosten und pauschalierter Ersatz für Unterkunft und Verpflegung); sie wandte 2.650,66 DM an Beiträgen zur Krankenversicherung während des Unterhaltsgeldbezuges auf. Nach der Entziehung des Vertriebenenausweises (Bescheid der Stadt Aachen vom 29. April 1980, Urteil des OVG NRW vom 20. Dezember 1984, rechtskräftig seit dem Verwerfungsbeschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 1985) hob die Beklagte die bewilligenden Bescheide auf und forderte die Leistungen sowie die Lehrgangsgebühren zurück (Bescheid vom 20. März 1986 und Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 1986). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Juli 1987). Die Berufung des Klägers hatte lediglich hinsichtlich der Beiträge zur Krankenversicherung Erfolg (Urteil vom 21. Dezember 1988). In Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof (BGHZ 103, 355) hat das Landessozialgericht (LSG) den Rechtsweg zu den Sozialgerichten bejaht. Auch die Beweisaufnahme vor dem LSG habe ergeben, daß dem Kläger der Vertriebenenausweis aufgrund einer gefälschten Geburtsurkunde ausgestellt worden sei; er habe die bewilligten Leistungen daher durch arglistige Täuschung erlangt. Die Beklagte habe die Bewilligungsbescheide aufheben dürfen, ohne daß es einer Ermessensentscheidung bedurft hätte. Die Beiträge zur Krankenversicherung seien jedoch nicht zu erstatten, weil neben den Regelungen des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – (SGB X) als einem geschlossenen System für die Erstattung der Leistungen Bereicherungs- und Schadensersatzansprüche nicht in Betracht kämen.

Beide Beteiligte haben die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision eingelegt. Der Kläger meint, die Klage habe in vollem Umfang Erfolg haben müssen, weil die Beklagte für die Aufhebung die Jahresfrist versäumt und die Ermessensausübung unterlassen habe.

Er beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 20. März 1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 1986 aufzuheben sowie die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen und unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 8. Juli 1987 in vollem Umfang zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 2.650,66 DM zu zahlen.

Auch hinsichtlich der Beiträge zur Krankenversicherung bestehe ihr Anspruch, der mit einem Verwaltungsakt geltend zu machen sei, zu Recht. Der Kläger habe zumindest grob fahrlässig seine Mitteilungspflichten verletzt, so daß ihr ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch oder ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung oder aber ein Anspruch aus § 50 Abs 2 SGB X, jedenfalls aber ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) iVm § 60 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) zustehe. Denn der Kläger hätte wissen können, daß er neben den ihm ausgezahlten Leistungen auch den Krankenversicherungsschutz als Leistung erhalte, wofür die Beklagte – wie sich aus dem Gesetz ergebe – Beiträge aufzubringen habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revisionen des Klägers und der Beklagten haben keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten insoweit bestätigt, als er die dem Kläger erbrachten Leistungen der beruflichen Bildung betraf. Zu einer Erstattung der von der Beklagten aufgewandten Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung ist der Kläger jedoch nicht verpflichtet.

1. Nach den Feststellungen des LSG, gegen die keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben sind, hat der Kläger durch arglistige Täuschung einen Vertriebenenausweis erhalten und in Fortsetzung dieser arglistigen Täuschung durch Vorlage des Ausweises auch die bewilligenden Leistungsbescheide bewirkt, deren Rücknahme hier umstritten ist. Die Voraussetzungen für die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 45 Abs 4 iVm Abs 2 Satz 3 Nr 1 SGB X liegen vor.

Die Beklagte hat die in § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X vorgeschriebene Frist eingehalten. Der Vertriebenenausweis dient zum Nachweis aller Rechte, insbesondere der nach den §§ 9 bis 12 des Bundesvertriebenengesetzes, und ist nach § 15 Abs 5 Bundesvertriebenengesetz idF 1971 (BGBl I 1566, 1807) allgemein verbindlich. Da die Rechtmäßigkeit der bewilligten Leistungen davon abhing, ob der Kläger anerkannter Vertriebener war oder nicht, konnte die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsakts erst nach rechtskräftigem Entzug des Vertriebenenausweises festgestellt werden; die Entscheidung des OVG NRW ist erst mit Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde im November 1985 rechtskräftig geworden (§ 132 Abs 4 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-). Die Jahresfrist war somit im Zeitpunkt der Aufhebung im März 1986 gewahrt.

Zu Recht hat das LSG festgestellt, daß der Kläger sämtliche ihm bewilligten Leistungen nur auf der Grundlage des Vertriebenenausweises hatte erhalten können. Dem LSG ist auch darin beizupflichten, daß bei betrügerisch erlangten Leistungen § 45 SGB X von der Verwaltung keine Ermessensentscheidung verlangt. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich die Rückforderung gegen den Betrüger selbst richtet.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat auf dem Gebiet des Versorgungsrechts schon mehrfach entschieden, daß hier – für den Regelfall – tatsächlich überhaupt kein Spielraum für eine Ermessensausübung verbleibt (vgl BSGE 60, 147 = SozR 1300 § 45 Nr 24 und SozR 1300 § 45 Nr 46; vgl aber auch BSGE 65, 60, 61 ff = SozR 3100 § 1 Nr 43). Das gilt nicht in gleichem Maße für das Gebiet des AFG (vgl ua BSG SozR 1300 § 45 Nrn 19, 34, 38; 47). Ob tatsächlich Ermessen ausgeübt werden kann, ist im wesentlichen das Ergebnis der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles. Wenn im Anschluß an die durch § 45 Abs 2 SGB X gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Rücknahme und des Interesses des Begünstigten am Bestand des Verwaltungsaktes aus den tatsächlichen Feststellungen keine Gesichtspunkte verbleiben, die für das Ermessen Bedeutung haben könnten, kann einer Verwaltung nicht das aufgegeben sein, was auch kein Gericht leisten könnte, nämlich eine Ermessensabwägung ohne dafür geeignete Sachverhaltselemente. Das Verwaltungsermessen ist dann auf Null reduziert. Nachdem im angefochtenen Urteil festgestellt worden ist, daß der Kläger nichts vorgetragen hat, was in eine Ermessensabwägung eingehen könnte, und der Kläger diese Feststellung auch weder mit Revisionsrügen angegriffen noch in der Revisionsbegründung im übrigen derartige Sachverhaltselemente bezeichnet hat, ist ein Einzelfall gegeben, in dem keine Ermessensentscheidung verlangt werden kann. Wird gerügt, daß Ermessensabwägungen unterblieben sind, müssen Gesichtspunkte ersichtlich sein, die der Verwaltung eine solche Abwägung ermöglichen.

2. Über den Gegenstand der Revision der Beklagten war durch die Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden. Der Senat schließt sich dem BGH (in der genannten Entscheidung BGHZ 103, 255) und dem 11. Senat des BSG (Urteil vom 30. Januar 1990 – 11 RAr 87/88 – vorgesehen für SozR 3-4100 § 155 Nr 1) hinsichtlich des Rechtswegs an.

Es kann auch im vorliegenden Fall offenbleiben, ob ein Schadensersatzanspruch durch Verwaltungsakt oder durch Klage geltend zu machen wäre, denn die Beklagte hat gegen den Leistungsempfänger keinen Schadensersatzanspruch wegen der gezahlten Krankenversicherungsbeiträge; ihre Revision ist unbegründet.

Der Beklagten steht weder ein Erstattungsanspruch noch ein öffentlich-rechtlicher Schadensersatzanspruch zu. Das folgt zum einen aus § 155 Abs 2 Satz 3 AFG, wonach das Krankenversicherungsverhältnis nicht berührt wird, wenn die Entscheidung, die zu einem Leistungsbezug nach dem AFG geführt hat, rückwirkend aufgehoben wird. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber den Erstattungsanspruch ausschließen (vgl BT-Drucks V/4110 S 23 zu § 152 AFG). Zum anderen kann insoweit das weitgehend geschlossene sozialrechtliche System von Erstattungs-(= Bereicherungs)ansprüchen mit vereinzelt auftretenden Schadensersatzansprüchen nicht richterrechtlich ergänzt werden.

Schon der BGH (aaO S 259) hat unter Bezugnahme auf die vorhandene Rechtsprechung zutreffend dargelegt, daß im Gesetz neben der Erstattung der die Krankenversicherungspflicht auslösenden Leistung materiell kein Anspruch auf Erstattung der Krankenversicherungsbeiträge vorgesehen ist. Es handelt sich hier um eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Ausnahme bei der Rückabwicklung zu Unrecht erbrachter Leistungen, die es nur im AFG gibt. Zieht der Bezug von Sozialleistungen sonst Versicherungs- und Beitragspflicht zu anderen Versicherungszweigen nach sich, wird die Rückabwicklung des Hauptverhältnisses im Regelfall von einer Rückabwicklung des sekundären Versicherungsverhältnisses begleitet (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 109 AVAVG = Breithaupt 1968, 361 zum Rechtszustand vor Einführung des § 155 Abs 2 Satz 3 AFG – und ebenso in anderen Rechtsgebieten: BSGE 45, 296, 300; 47, 109, 113). Die Rechtsentwicklung ist über das Inkrafttreten des SGB IV und X hinaus für alle Gebiete mit Ausnahme des § 155 AFG kontinuierlich verlaufen. Sind Sozialleistungen zu Unrecht bewilligt oder gezahlt worden, kann die Entscheidung unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X aufgehoben werden; die Erstattung der Leistungen regelt § 50 SGB X. War dieses nachträglich aufgehobene Leistungsverhältnis Grundlage von Beitragszahlungen, richtet sich der Ausgleich der zu Unrecht entrichteten Beiträge ebenso wie der Verbleib von Leistungen aus dem akzessorischen Versicherungsverhältnis nach § 26 SGB IV. Eben dieses System hatte die Rechtsprechung auch für die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) entwickelt (SozR Nr 6 zu § 109 AVAVG). Beide Rechtsfolgen wollte der Gesetzgeber nach seiner ausdrücklichen Begründung zum jetzigen § 155 AFG außer Kraft setzen: Die Krankenversicherung sollte unberührt bleiben mit der Folge, daß es weder zu einer Erstattung der Krankenversicherungsbeiträge an die BA noch zur Erstattung bezogener Geld-, Sach- und Dienstleistungen zwischen dem Versicherten und der Krankenversicherung kommt (vgl BT-Drucks V/4110 S 23 zu § 152 AFG).

Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob diese gesetzgeberische Entscheidung im Verhältnis zu der Lage in anderen Rechtsgebieten sinnvoll erscheint. Sie darf jedenfalls nicht durch die Einführung eines ungeschriebenen öffentlich-rechtlichen Schadensersatzanspruches unterlaufen werden mit der Folge, daß die Beiträge – jetzt vom Versicherten – zu erstatten sind und ihm nur die evtl erbrachten Leistungen der Krankenversicherung verbleiben. Mittels Auslegung kann das von der Beklagten gewünschte Ergebnis nicht erzielt werden. Selbst der Bundesrechnungshof, der vom wirtschaftlichen Standpunkt her einen Beitragsausgleich befürwortet (BT-Drucks 11/872 S 43 f), hält dies lediglich im Wege einer Gesetzesänderung für möglich. Das vorgefundene Regelwerk enthält insoweit auch keine Lücke, nicht einmal für Betrugsfälle. Denn das gesetzliche Regelungssystem trägt auch pflichtwidrigem Verhalten des Leistungsempfängers Rechnung, insbesondere wenn er durch falsche oder unvollständige Angaben die (Weiter-)Gewährung von Sozialleistungen bewirkt (Anschluß an BSG – 11 RAr 87/88 – aaO).

Die Rückabwicklung der zu Unrecht erbrachten Leistungen richtete sich zunächst nach § 152 AFG aF, der ebenso wie sein Vorläufer (§ 185 AVAVG) Verschulden erforderte. Der Verschuldensgrad in § 152 AFG aF entsprach dem jetzigen in § 45 SGB X; sanktioniert wird Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Wer vorsätzlich falsche Angaben macht, um Sozialleistungen zu erhalten, verursacht Schäden auf Seiten der Sozialverwaltung, verstößt zugleich gegen seine Pflichten aus § 60 Abs 1 SGB I ebenso wie gegen etwaige Nebenpflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis (vgl hierzu von Einem, ZfS 1990 S 1) und er erfüllt – je nach Ausgestaltung des Falles – deliktische Tatbestände, die Schadensersatzpflichten nach den §§ 823 ff BGB auslösen könnten. Dies hat der Gesetzgeber so wenig übersehen wie die Tatsache, daß die sozialrechtliche Hauptleistung in aller Regel versicherungsrechtliche Neben- bzw Beitragsleistungen zu anderen Versicherungszweigen einschließt. Diese Entwicklung hat zB in der Rentenversicherung die ursprünglich beitragslosen Ausfallzeiten wegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit zu beitragsbelegten Zeiten gemacht. Dies wird in vielen Zusammenhängen berücksichtigt (vgl §§ 1385 a und b RVO; § 165 Abs 1 Nr 4 RVO, heute § 5 Abs 1 Nr 6 SGB V; §§ 166 a und b AFG und § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V). Daß sich als Folge rückwirkender Aufhebung von Leistungsbescheiden nachträglich auch herausstellen kann, daß Beiträge zur Krankenversicherung zu Unrecht entrichtet worden sind, weil es an den Voraussetzungen der Versicherungspflicht gemangelt hat, hat der Gesetzgeber nicht übersehen, insbesondere nicht im Bereich des AFG. Nur auf diese Weise lassen sich die besonderen Regelungen des § 157 Abs 4 und des § 160 AFG erklären. Auch die BA erhält ihren Beitragsausgleich, wenn nachträglich Übergangsgeld oder Renten bewilligt werden oder wenn die Beitragsübernahme durch die BA bei einer Gleichwohlgewährung nach § 117 Abs 4 AFG sonst den Arbeitgeber entlasten würde. Eine Beitragserstattung ist über § 119 SGB X ebenfalls dann möglich, wenn ein Drittschädiger die Bewilligung der Sozialleistung bewirkt (vgl zB BGHZ 109, 291 ff). Diese besonderen Erstattungsregelungen sind vor allem für die Krankenversicherung deshalb erforderlich, weil nach § 155 AFG auch bei Aufhebung der Verwaltungsentscheidung die Krankenversicherung unberührt bleibt. Für die Beitragserstattung hinsichtlich der Beiträge zur Rentenversicherung nach den §§ 166 bis 166 b AFG bedürfte es hingegen keiner Sonderregelungen; diese Beiträge wären der BA in aller Regel nach § 26 SGB IV oder § 103 SGB X vom Versicherungsträger oder nach §§ 45, 50 SGB X vom Arbeitgeber zu erstatten. Die gesetzliche Regelung verkürzt lediglich den Verrechnungsweg. Der Leistungsempfänger selbst ist hingegen nicht zur Erstattung oder zu Schadensersatz verpflichtet.

Daß es im übrigen neben diesen Erstattungsansprüchen auch Ansprüche auf Schadensersatz geben kann, ist im Bereich des AFG ausdrücklich anerkannt. So macht sich ein Arbeitgeber bei vorsätzlich oder fahrlässig falscher Ausfüllung von Arbeitsbescheinigungen und Verdienstbescheinigungen oder Bescheinigungen über Nebeneinkünfte sowie bei falscher Auskunftserteilung (auch als Konkursverwalter) schadensersatzpflichtig (§§ 133, 141 h, 145 AFG). Gleiches gilt bei der Gewährung von Kurzarbeitergeld für den Arbeitgeber, der die erforderlichen Angaben nicht oder unzureichend macht (§ 72 Abs 3 Satz 4 AFG). Diese Schadensersatzpflicht des Dritten umfaßt sämtliche von der BA aufgewandten Beträge ohne Rücksicht darauf, ob das zugrundeliegende Versicherungsverhältnis noch rückabgewickelt werden kann. Sie erstreckt sich auch auf Nebenleistungen, wie Beiträge zu anderen Zweigen der Versicherung.

Da das Gesetz an verschiedenen Stellen die Rückabwicklung fehlgeleiteter Beiträge nicht nur über Erstattungs-, sondern auch über Schadensersatz- und Verrechnungsregelungen kennt, ist mit dem 11. Senat aaO von einem geschlossenen Regelsystem auszugehen, das auch einem pflichtwidrigen Verhalten des Leistungsempfängers, einschließlich vorsätzlicher Falschangaben, Rechnung trägt. Die unterschiedlichen Grade des Verschuldens berücksichtigt das Gesetz insoweit, als die Aufhebung von Bewilligungsentscheidungen auch für die Vergangenheit ermöglicht wird, und zwar noch binnen relativ langer Zeiträume nach bindender Verwaltungsentscheidung, sowie durch verbesserte Zugriffsmöglichkeiten auf andere öffentlich-rechtliche Leistungen (§ 153 Abs 1 Satz 4 AFG). Für den Betrugsfall, den § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 1 SGB X ebenso wie diejenigen der Erpressung und der Bestechung erfaßt, sind keine darüber hinausgehenden Schadensersatzansprüche zugunsten der Leistungsträger normiert worden. Das kann angesichts der Regelungsdichte nicht als Lücke aufgefaßt werden. Denn an anderer Stelle wird im SGB X durchaus auf die ergänzende Heranziehung von Vorschriften des BGB verwiesen (§ 61 SGB X) oder die Herausgabe von zusätzlich erlangten Urkunden und Sachen – also von Nebenleistungen – besonders geregelt (§ 51 SGB X). Ein richterrechtlich ergänzend eingeführter Schadensersatzanspruch würde zudem unterlaufen, daß der Erstattungsanspruch grundsätzlich nicht zu verzinsen ist (vgl Seewald, Kasseler Kommentar § 44 SGB I RdNr 3 ff) und daß bei der Rückabwicklung zwischen Leistungsträgern im allgemeinen Verwaltungskosten nicht zu erheben sind (§ 109 SGB X); durch schuldhaftes Handeln, das zur Aufhebung nach § 45 SGB X berechtigt, werden aber derartige Nebenschäden immer mitverursacht.

Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn sich die Betrugsabsicht nicht auf die Leistungen nach AFG richtet, sondern letztlich der gesetzliche Krankenversicherungsschutz erschlichen wird, der Betrug gegenüber der BA sich also lediglich als Mittel zum Zweck der Erlangung eines Krankenversicherungsschutzes darstellt, braucht hier nicht entschieden zu werden. Das LSG hat aufgrund von Feststellungen, die nicht mit Revisionsrügen angegriffen, also für den Senat bindend sind, unter zutreffender Anwendung des materiellen Strafrechts eine Betrugsabsicht insoweit verneint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 232

NVwZ 1991, 407

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