Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 03.11.1988) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. November 1988 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Widerklage entfällt.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig sind 495,15 DM, die die Beklagte als Ersatz für Krankenversicherungbeiträge vom Kläger verlangt.
Der Kläger bezog vom 5. Juli 1983 bis zum 24. März 1984 Arbeitslosengeld (Alg), obwohl er vom 20. Oktober bis 13. Dezember 1983 vollschichtig beschäftigt war. Nachdem diese Beschäftigung dem Arbeitsamt Dortmund bekannt geworden war, hob es die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 20. Oktober bis 13. Dezember 1983 auf und forderte 2.176,10 DM an Alg zurück (bestandskräftiger Bescheid vom 27. November 1984). Das Amtsgericht Dortmund verurteilte den Kläger wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,– DM; es warf ihm ua vor, die Arbeitsaufnahme dem Arbeitsamt nicht angezeigt zu haben (Urteil vom 21. August 1985).
Mit dem hier streitigen weiteren Bescheid vom 27. November 1984, den der Kläger nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) nicht vor dem 4. Dezember 1984 erhalten hat, forderte das Arbeitsamt 495,15 DM gemäß § 823 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 60 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) als Schadensersatz für die während des unrechtmäßigen Alg-Bezugs geleisteten Krankenversicherungsbeiträge, die trotz der Aufhebung der Alg-Bewilligung von der Krankenkasse nicht zurückverlangt werden könnten (§ 155 Abs 2 Satz 3 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-). Den am 3. Januar 1985 eingelegten Widerspruch verwarf das Arbeitsamt wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig, kündigte aber gleichzeitig aufgrund des Widerspruchs eine Überprüfung und Neubescheidung an (Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 1985). Indes hielt das Arbeitsamt nach Überprüfung die Schadensersatzforderung aufrecht (Bescheid vom 28. Januar 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. März 1985).
Auf die Klage, die der Kläger am 6. Februar 1985 erhoben hatte, hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid vom 27. November 1984 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 1985 und den Bescheid vom 28. Januar 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. März 1985 aufgehoben (Urteil vom 19. Februar 1987). Die – vom SG zugelassene – Berufung der Beklagten hat das LSG zurückund die Widerklage auf Verurteilung des Klägers zur Zahlung von 495,15 DM abgewiesen, die die Beklagte hilfsweise mit Schriftsatz vom 24. Oktober 1988 erhoben hatte (Urteil vom 3. November 1988).
In den Entscheidungsgründen seines Urteils hat das LSG zunächst dargestellt, daß der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 27. November 1984 innerhalb der Monatsfrist des § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden sei, der Bescheid vom 28. Januar 1985 idF des Widerspruchsbescheids vom 4. März 1985 gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Streitverfahrens geworden sei und der Sozialrechtsweg gemäß § 51 Abs 1 SGG gegeben sei. Die Bescheide seien rechtswidrig, da die Beklagte den Ersatz nicht durch Verwaltungsakt geltend machen könne. Eine allgemeine Befugnis der Verwaltung, ihre Ansprüche durch Leistungsbescheide geltend zu machen, sei abzulehnen.
Des weiteren hat das LSG ausgeführt, die hilfsweise erhobene Widerklage sei nach § 100 SGG zulässig, aber unbegründet. Auf § 823 Abs 2 BGB lasse sich der Anspruch nicht stützen. § 60 SGB I sei kein Schutzgesetz. Als Schutzgesetz sei allerdings § 263 Strafgesetzbuch (StGB) anzuerkennen. Indessen schließe das öffentlich-rechtliche Erstattungs- und Sanktionensystem des Sozialleistungsbereichs der §§ 44 ff des Zehnten Buches des SGB (SGB X) als spezielle und in sich geschlossene Regelung die Anwendung allgemeiner zivilrechtlicher Schadensersatzvorschriften – mit Ausnahme von § 826 BGB – aus. Zwar regelten die §§ 45 ff SGB X nur die Erstattung der Leistung selbst, hier also des Alg. Erstattungsregelungen für Beiträge seien noch stärker beschränkt; eine Ausgleichsforderung gegen den Arbeitnehmer sei nirgends gesetzlich vorgesehen. Es liege insoweit keine Lücke vor, die durch zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen gefüllt werden müsse. Im übrigen habe der Gesetzgeber, wie sich aus den §§ 71, 145 AFG ergebe, überall dort ausdrücklich einen Schadensersatzanspruch vorgesehen, wo er einen solchen Anspruch für notwendig halte. Allerdings erscheine der Ausschluß eines Rückgriffs auf das Zivilrecht dann nicht mehr verständlich, wenn ein Leistungsempfänger eine ihn begünstigende Rechtsposition in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise erlangt habe oder ausübe. Dem Kläger könne indessen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Beklagten nicht vorgeworfen werden. Jedenfalls fehle es am Vorsatz; es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Kläger überhaupt eine Vorstellung von dem Schadenstatbestand gehabt haben könnte, der Gegenstand des Verfahrens sei. Schließlich habe die Beklagte gegen den Kläger auch keinen Anspruch nach § 50 Abs 2 SGB X. Der Rechtsgrund für die Leistung der Krankenversicherungsbeiträge durch die Beklagte sei durch die Aufhebung des Alg-Bewilligungsbescheides nicht entfallen (§ 155 Abs 2 Satz 3 AFG).
Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung materiellen Rechts. Sie macht in ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung geltend, ein Schadensersatzanspruch stehe ihr sowohl nach § 823 Abs 2 BGB, § 263 StGB, § 60 SGB I, nach § 826 BGB, nach den Grundsätzen über die positive Forderungsverletzung, unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs und schließlich entsprechend § 50 Abs 1 Satz 2 SGB X zu. Sie könne den Schadensersatzanspruch auch durch Verwaltungsakt geltend machen. Die Befugnis der Behörden zum Handeln durch Verwaltungsakt entfalle nur dort, wo Gesetz oder besonderes Gewohnheitsrecht sie ausschlössen. Sollte der erkennende Senat dieser Ansicht nicht zustimmen, führe die hilfsweise erhobene Widerklage zum Erfolg.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen,
und hilfsweise,
das Urteil des LSG aufzuheben, soweit es die Widerklage abgewiesen hat, und den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 495,15 DM zu zahlen.
Der Kläger stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.
Zu Recht hat das LSG die – gemäß § 150 Nr 1 SGG statthafte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, das der Anfechtungsklage entsprochen und die angefochtenen Bescheide aufgehoben hat.
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für die Anfechtungsklage gegeben. Abgesehen von besonderen Zuweisungen entscheiden die Sozialgerichte über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit (BA) sowie der Kriegsopferversorgung (§ 51 Abs 1 SGG). Damit sind schlechthin öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten dieser Sachgebiete den Sozialgerichten zugewiesen (BSGE 54, 286, 287 = SozR 3870 § 8 Nr 1; BSG SozR 1200 § 31 Nr 1 jeweils mwN). Ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit eine Angelegenheit der Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung oder Kriegsopferversorgung ist, richtet sich danach, ob das Rechtsverhältnis, aus dem der Kläger seinen Klaganspruch herleitet, seiner Natur nach einem dieser Rechtsgebiete zuzuordnen ist (vgl BSG aaO). Mit der Anfechtungsklage gegen einen Rechtsakt, durch den ein Träger öffentlicher Verwaltung für sich in Anspruch nimmt, eine Rechtsbeziehung hoheitlich zu regeln, was bei in Form von Verwaltungsakten ergehenden behördlichen Willensentscheidungen regelmäßig der Fall ist, wird geltend gemacht, daß die getroffene Regelung dem öffentlichen Recht nicht entspricht, also ihrem Inhalt, zumindest aber der Form der Geltendmachung nach im öffentlichen Recht keine Stütze findet. Die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der mit der Anfechtungsklage geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes hergeleitet wird, ist daher immer öffentlich-rechtlich, und zwar unabhängig davon, ob die mit dem Verwaltungsakt geregelte Rechtsbeziehung öffentlich-rechtlicher Art ist und, wenn das der Fall ist, durch Verwaltungsakt geregelt werden darf (BSGE 49, 291, 292 = SozR 4100 § 145 Nr 1 mwN; BSGE 61, 11 f = SozR 1300 § 50 Nr 13; BVerwG DÖV 1990, 521; vgl Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl 1986, § 40 Rz 8). Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist daher mit dem SG schon deshalb zu bejahen, weil das Arbeitsamt durch die angefochtenen Bescheide den Ersatz für die geleisteten Krankenversicherungsbeiträge in Form eines Verwaltungsaktes geregelt bzw bestätigt hat. Da das Arbeitsamt in einer Angelegenheit der Arbeitslosenversicherung tätig geworden ist, die zur Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gehört, ist für die Anfechtung solcher Bescheide kein anderer Rechtsweg als der zu den Sozialgerichten gegeben.
Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, daß der Bescheid vom 27. November 1984 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 1985 rechtswidrig ist.
Einer Prüfung seiner Rechtmäßigkeit durch die Gerichte ist der Bescheid vom 27. November 1984 nicht deshalb entzogen, weil der Kläger den Widerspruch erst am 3. Januar 1985 erhoben hat. Zu Unrecht hat das Arbeitsamt gemeint, die Widerspruchsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 84 SGG) sei versäumt. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der wie der Bescheid vom 27. November 1984 durch die Post übermittelt wird, gilt nach § 37 Abs 2 SGB X mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn er nicht, oder, was hier allein in Betracht kommt, zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Wann das Arbeitsamt den Bescheid zur Post aufgegeben hat, hat das LSG nicht festgestellt; auch im Widerspruchsbescheid finden sich dazu keine Ausführungen. Das LSG hat indes die Angabe des Klägers nicht in Zweifel gezogen, er habe den Bescheid vom 27. November 1984 erst am 4. oder 5. Dezember 1984 erhalten. Die Revision hat insoweit keine Rüge erhoben. Ungeachtet der Frage, wann ein Zweifel iS des § 37 Abs 2 letzter Halbs SGB X aufgrund der Angaben des Bescheidempfängers anzunehmen ist (vgl BFHE 158, 297 = NVwZ 1990, 704), hat der Senat gemäß § 163 SGG daher davon auszugehen, daß der Bescheid dem Kläger nicht vor dem 4. Dezember 1984 zugegangen ist. Der am 3. Januar 1985 eingegangene Widerspruch war unter diesen Umständen selbst dann rechtzeitig, wenn der Bescheid vom 27. November 1984 noch am gleichen Tage bei einem Postamt eingeliefert worden ist.
Die Heranziehung des Klägers zum Ersatz der Beiträge ist rechtswidrig. Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage, wie schon der 11. Senat des BSG zu einem im wesentlichen gleich liegenden Fall entschieden hat (Urteil vom 30. Januar 1990 – 11 RAr 87/88 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Keine der von der Revision angeführten Erwägungen begründet, daß der Kläger der Beklagten die Beiträge zu zahlen hat, die die Beklagte für die Krankenversicherung des Klägers in der Zeit zu erbringen hatte, in der der Kläger zu Unrecht Alg bezog.
Soweit ein leistungsbewilligender Verwaltungsakt aufgehoben worden ist oder Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind nach § 50 SGB X zwar bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage sind indessen bezüglich der Beiträge nicht gegeben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Verschaffung des – für den Leistungsempfänger kostenfreien (vgl § 157 Abs 1 AFG) – Versicherungsschutzes im Krankheitsfalle (§ 155 AFG) oder die von der BA zu tragenden Beiträge, die unmittelbar der Krankenkasse zu zahlen sind, im Verhältnis zum Leistungsempfänger iS des § 50 SGB X Leistungen der BA an diesen sind, und zwar solche, die die eigentliche Leistung (hier: Alg) ergänzen (vgl § 19 Abs 1 Nr 6 SGB I). Der Rechtsgrund für den Versicherungsschutz bzw die Beiträge ist nämlich nicht deshalb entfallen, weil der Kläger das Alg zu Unrecht erhalten, der Bewilligungsbescheid insoweit aufgehoben, das Alg zurückgefordert und ggf schon zurückgezahlt worden ist. Denn das Versicherungsverhältnis in der Krankenversicherung, das durch den Bezug von Alg begründet wird, wird nach § 155 Abs 2 Satz 3 AFG nicht berührt, wenn die Entscheidung, die zu einem Leistungsbezug geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, sollte diese – auf einen Vorschlag des zuständigen Bundestags-Ausschusses für Arbeit zurückgehende – Vorschrift verhindern, daß das Krankenversicherungsverhältnis rückwirkend aufgehoben wird, sofern die zu Unrecht gezahlten Leistungen (zB Alg) zurückgezahlt worden sind, und die BA Erstattung der Beiträge von der Krankenkasse und die Krankenkasse Erstattung erbrachter Krankenversicherungsleistungen verlangen konnten (Begründung zu § 152 AFG-Entwurf, zu BT-Drucks V/4110 S 23). Liegt im Verhältnis zur Krankenkasse der Rechtsgrund für die Beiträge in dem unberührt bleibenden Versicherungsverhältnis, ist im Verhältnis zum Alg-Empfänger der Rechtsgrund für den unberührt bleibenden, für ihn kostenfreien Krankenversicherungsschutz im tatsächlichen Alg-Bezug und der – ausnahmslos geltenden – Regelung des § 157 Abs 1 AFG zu sehen, daß die Beiträge für die nach § 155 AFG Versicherten die BA trägt. Auch wenn die Alg-Bewilligung aufgehoben, das Alg zurückgefordert und zurückgezahlt worden ist, erhält der Alg-Empfänger den für ihn kostenfreien Krankenversicherungsschutz mithin nicht ohne rechtlichen Grund. Der Senat teilt insoweit die Auffassung des 11. Senats (aaO).
Daß das Gesetz in bestimmten Fällen der BA einen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungs- oder Rehabilitationsträger (§ 157 Abs 4 AFG) oder den Arbeitgeber (§ 160 AFG) einräumt, in keinem Falle aber gegen den Leistungsempfänger, bestätigt diese Auffassung. Sie wird auch durch die historische Entwicklung seit Einführung der Arbeitslosenversicherung aufgrund des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. Juli 1927 (RGBl I 187) belegt. Von Anfang an hat das Reichsversicherungsamt (RVA) es abgelehnt, die Verpflichtung zur Rückerstattung zu Unrecht geleisteter Beträge der Arbeitslosenversicherung (§ 179 AVAVG) auf die Beiträge zu erstrecken, die die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für die Krankenversicherung des Leistungsempfängers an die Krankenkasse gezahlt hatte (AN 1930 IV 303; 1935 IV 316 ff), und zwar auch für den – hier gegebenen – Fall, daß der Leistungsempfänger während der Leistungszeit in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis mit Krankenversicherungsschutz gestanden hatte (AN 1930 IV 303). Nach damaligem Recht war der Arbeitslose zu Lasten der Reichsanstalt (§ 125 AVAVG) während des Bezuges der Hauptunterstützung für den Fall der Krankheit versichert (§ 117 AVAVG). Wie nach § 155 AFG entstand das Mitgliedschaftsverhältnis zur Krankenkasse schon durch den rein tatsächlichen Bezug, und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen für die Unterstützung nicht vorgelegen hatten oder rückwirkend entfallen waren (RVA AN 1933 IV 185; AN 1935 IV 316 f; BSGE 20, 145, 146 f). Allerdings hat das BSG in Abkehr hiervon 1967 angenommen, daß dann, wenn der Arbeitslose das zu Unrecht gewährte Alg zurückgezahlt hat, der Mitgliedschaft in der Krankenversicherung nachträglich die rechtliche Grundlage entzogen worden sei, so daß nunmehr sowohl die entrichteten Beiträge als grundsätzlich auch etwa gewährte Leistungen der Krankenkasse zurückgefordert werden könnten (SozR Nr 6 zu § 109 AVAVG). Abgesehen davon, daß diese Entscheidung nicht einen Anspruch auf Erstattung der Beiträge durch den Arbeitslosen, sondern durch die Krankenkasse begründete, ist der Gesetzgeber dieser Rückabwicklung des Krankenversicherungsverhältnisses durch die alsbaldige Schaffung des § 155 Abs 2 Satz 3 AFG ausdrücklich entgegengetreten, ohne die Erstattung der Beiträge durch den Leistungsempfänger vorzusehen, der zu Unrecht Alg bezogen hat, was auch unter Gewährleistung eines einmal begründeten Krankenversicherungsverhältnisses möglich gewesen wäre. So hat auch der erkennende Senat entschieden, daß im Verhältnis der BA zum Leistungsempfänger hinsichtlich der Krankenversicherungsbeiträge keine Erstattungspflicht besteht (BSGE 46, 20, 33 = SozR 4100 § 117 Nr 2). An dieser Rechtsauffassung ist festzuhalten, jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden; das inzwischen in Kraft getretene SGB X hat insoweit keine Änderung gebracht.
Nach dem Wortlaut gelten die §§ 155, 157 AFG uneingeschränkt, mithin selbst dann, wenn der Leistungsempfänger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise oder in betrügerischer Absicht, Alg oder eine sonstige Leistung der BA zu er- oder zu behalten, auf die er keinen Anspruch hat oder mehr hat, der BA Schaden zufügt, indem er vorsätzlich falsche Angaben macht oder eine gebotene Mitteilung für ihn nachteiliger Änderungen unterläßt. Ob jedenfalls hinsichtlich der Kostenfreiheit des Versicherungsschutzes (§ 157 Abs 1 AFG) in einem solchen Falle eine Einschränkung erforderlich ist, um dem Leistungsempfänger nicht einen sonst zu Lasten der BA gehenden Vorteil zu belassen, der durch eine zu mißbilligende oder sogar strafbare Handlung erlangt ist, bedarf hier keiner Antwort, die alle denkbaren Fallkonstellationen umfaßt. Für die Gruppe der Leistungsempfänger, zu denen der Kläger zählt, besteht für eine solche Einschränkung des § 157 Abs 1 AFG durch die Rechtsprechung keine Veranlassung. Der Fall des Klägers ist dadurch gekennzeichnet, daß er während des unrechtmäßigen Leistungsbezuges einer krankenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist. In solchen Fällen aber zieht der Leistungsempfänger aus dem Umstand, daß er neben der durch das Beschäftigungsverhältnis begründeten Mitgliedschaft in einer Krankenkasse wegen des Bezugs von Alg in einem weiteren Krankenversicherungsverhältnis, ggf zur gleichen Kasse, steht (BSG USK 1983, 8390), für das die BA die Beiträge zahlt, regelmäßig keinen Vorteil. Da bei einem Nebeneinander von Leistungsbezug und Beschäftigungsverhältnis Beitragspflicht aus jedem dieser Tatbestände besteht, erspart der Leistungsempfänger weder seinen Beitrag aus dem Beschäftigungsverhältnis noch kann er den von der BA gezahlten Beitrag von der Krankenkasse zurückverlangen (BSG aaO). Auch hat der Leistungsempfänger im Regelfalle nicht zu erwarten, aufgrund der doppelten Versicherung im Krankheitsfalle höhere Leistungen zu erlangen. „Vorteile” erlangen in diesen Fällen vielmehr die Krankenkassen, dh die eine oder die beiden Krankenkassen, bei denen die beiden Versicherungen geführt werden. Denn sie erhalten für dieselbe Zeit insgesamt zwei Krankenversicherungsbeiträge, obwohl im Krankheitsfalle nur aus einer Versicherung Leistungen in Anspruch genommen werden können. Eher als an eine Einschränkung des § 157 Abs 1 AFG im Verhältnis der BA zum Leistungsempfänger ist daher in Fällen vorliegender Art daran zu denken, der BA zu ermöglichen, ihren Beitrag von der Krankenkasse zurückzufordern, wie dies de lege lata der Bundesrechnungshof 1987 vorgeschlagen hat (vgl dessen Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, BT-Drucks 11/872 S 43 f). Erlangt der Leistungsempfänger also regelmäßig keinen Vorteil dadurch, daß neben der Krankenversicherung aufgrund seiner Beschäftigung ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis aufgrund des unrechtmäßigen Leistungsbezuges entsteht, besteht keine Veranlassung zu einer Einschränkung des § 157 Abs 1 AFG, und zwar ungeachtet der Umstände, die zur Überzahlung geführt haben. Etwas anderes mag gelten, wenn der Leistungsempfänger nicht gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis steht, das gesetzlichen Krankenversicherungsschutz begründet; doch ist hierüber nicht zu entscheiden.
Scheitert ein Anspruch nach § 50 SGB X schon daran, daß die BA nicht ohne Rechtsgrund dem Kläger den für ihn kostenfreien Krankenversicherungsschutz verschafft hat bzw ihm gegenüber verpflichtet geblieben ist, die Beitragslast zu tragen, muß entgegen dem Revisionsvorbringen jeglicher Anspruch aus entsprechender Anwendung des § 50 Abs 2 SGB X oder dem Gesichtspunkt des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs entfallen, ungeachtet der Frage, inwieweit nach Inkrafttreten des SGB X hierauf noch zurückgegriffen werden kann. Denn ein solcher Erstattungsanspruch setzt immer voraus, daß die Leistung dem angeblich Erstattungspflichtigen gegenüber rechtsgrundlos ist oder war (vgl BSGE 32, 145, 147 f).
Ein Anspruch der Beklagten kann auch nicht mit der Begründung, daß der Kläger infolge Unterlassung der gebotenen Anzeige der Arbeitsaufnahme der Beklagten einen Schaden verursacht habe, auf einen aus dem sozialrechtlichen Leistungsverhältnis abgeleiteten Schadensersatzanspruch gestützt werden. Ein solcher Schadensersatzanspruch gegen den Versicherten mag, was der Senat nicht zu entscheiden hat, in Betracht kommen, wenn der Versicherte die Durchsetzung eines Schadensersatzes des Sozialleistungsträgers gegen einen Dritten vereitelt, indem er Auskünfte nicht erteilt (BSGE 45, 119 = SozR 2200 § 1542 Nr 1) oder durch unrichtige Angaben dem Sozialleistungsträger Kosten verursacht hat (vgl BSGE 62, 251 = SozR 1500 § 54 Nr 84; LSG Bremen Breithaupt 1975, 394, 396 f). Besteht der Schaden indessen darin, daß der Sozialleistungsträger zu Unrecht Leistungen erbracht hat, wie das hier der Fall ist, ist wegen der Regelung, wie sie sich aus den §§ 48 ff SGB X, §§ 155, 157, 160 AFG ergibt, ein Schadensersatz wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs 1 Nr 2 SGB X ausgeschlossen. Denn das Regelwerk der §§ 48 ff SGB X regelt für den Fall, daß der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse nicht nachgekommen ist, ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen Leistungen zu erstatten sind. Insbesondere bei vorsätzlicher Nichtmeldung der Arbeitsaufnahme in der Absicht, neben dem Arbeitsentgelt das Alg zu beziehen, wie sie die Beklagte dem Kläger vorwirft, ermöglichen die §§ 48 ff SGB X Erstattungen von Leistungen. Dieses auf sozialpolitischer Grundlage getroffene Regelwerk muß daher, jedenfalls insoweit, als es die Verletzung von Mitwirkungspflichten betrifft, als abschließend angesehen werden, wie schon der Bundesgerichtshof (BGH) und der 11. Senat des BSG entschieden haben (BGHZ 103, 255 = NJW 1988, 1731). Das gilt vorliegend um so mehr, als ein Anspruch aus § 50 SGB X wesentlich daran scheitert, daß § 157 Abs 1 AFG uneingeschränkt gilt, und zwar nach den obigen Ausführungen in Fällen wie dem vorliegenden selbst bei einem Betrug.
Kann es hiernach einen Schadensersatzanspruch aus dem Sozialrechtsverhältnis nicht geben, soweit dem Kläger vorgeworfen wird, die Arbeitsaufnahme nicht angezeigt zu haben, gilt gleiches hinsichtlich solcher Tatbestände, die nach bürgerlichem Recht außerhalb von Vertragsverhältnissen zu deliktischen Ansprüchen auf Schadensersatz führen (§§ 823, 826 BGB). Es stellt sich daher nicht die Frage, ob es allgemein ein öffentliches Deliktsrecht gibt. Über zivilrechtliche Deliktsansprüche, die der BGH übrigens verneint hat (BGHZ 103, 255, 261 f = NJW 1988, 1731, 1732 f), ist hier nicht zu entscheiden. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob § 60 Abs 1 Nr 2 SGB I iS des Tatbestandes des § 823 Abs 2 BGB ein Schutzgesetz ist (vgl dazu Urteil vom 30. Januar 1990 – 11 RAr 87/88 –), ob der Kläger den Betrugstatbestand erfüllt hat, wie das Amtsgericht angenommen hat, oder ob er jedenfalls in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise der Beklagten vorsätzlich Schaden zugefügt hat (§ 826 BGB), was das LSG bezüglich der Beitragszahlung mangels Vorsatzes verneint hat.
Fehlt es hiernach schon an einem Anspruch, haben die Vorinstanzen zu Recht den Bescheid vom 27. November 1984 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 1985 aufgehoben; ob das Arbeitsamt, wenn ein Anspruch gegeben wäre, diesen durch Verwaltungsakt hätte geltend machen können, kann hiernach dahingestellt bleiben.
Zutreffend haben die Vorinstanzen auch den Bescheid vom 28. Januar 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. März 1985 aufgehoben, durch den das Arbeitsamt die Ersatzforderung aufrechterhalten hat. Dieser Bescheid, der nach dem Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 1985, aber vor Klagerhebung ergangen ist, ist von Anfang an Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gewesen. Wie der Senat schon entschieden hat, werden abändernde oder ersetzende Bescheide, die nach Erlaß des Widerspruchsbescheids, aber vor Erhebung der Klage ergehen, nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens; geht dann durch Erhebung der Klage die Sache an das SG, wird auch der neue Bescheid Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens (BSG SozR 1500 § 86 Nr 1). Für Bescheide, die Bescheide bestätigen sollen, die nach Auffassung der Behörde bestandskräftig geworden sind, gilt nichts anderes. Über den Bescheid vom 28. Januar 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. März 1985 war daher im vorliegenden Verfahren eine Entscheidung zu treffen, die aus den oben angegebenen Gründen nur auf Aufhebung lauten konnte.
Über die Widerklage war nicht zu entscheiden. Die Beklagte hat die Widerklage nur hilfsweise erhoben, was anders als sonst bei Klagen zulässig ist (BSGE 15, 81, 83; 53, 212, 213 = SozR 4100 § 145 Nr 2). Die Beklagte hat den Widerklagantrag nicht schon für den Fall gestellt, daß das Anfechtungsbegehren des Klägers für begründet erachtet wird. Sie hat die weitere Bedingung gestellt, daß dies – ungeachtet eines vor den Sozialgerichten geltend zu machenden Schadensersatzanspruchs – mit der Begründung geschieht, daß die Beklagte nicht befugt sei, den Schadensersatzanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Diese weitere Bedingung, mit der die Beklagte eine Abweisung der Widerklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses für den hier gegebenen Fall vorgebeugt hat, ist nicht eingetreten; denn nach Auffassung des zuletzt entscheidenden Gerichts, auf die für die Erhebung der Widerklage abzuheben ist, also nach der Auffassung des Senats, sind die Heranziehungsbescheide schon in Ermangelung eines (Schadens-) Ersatzanspruchs der Beklagten rechtswidrig. Angesichts dessen gilt die Widerklage nicht als erhoben.
Die Entscheidung des LSG über die Widerklage muß daher entfallen. Mit dieser Maßgabe ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen