Verfahrensgang
VG Aachen (Urteil vom 12.01.2006; Aktenzeichen 4 K 1683/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 12. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf die Revisionszulassungsgründe des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein solcher Verfahrensmangel liegt hier nicht vor.
Nach Auffassung der Beschwerde hat es das Verwaltungsgericht Aachen verfahrensfehlerhaft unterlassen, die Verwaltungsstreitsache nach § 94 VwGO auszusetzen, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. April 2005 – 8 K 8564/04 – abzuwarten, mit dem die Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht gemäß § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 i.V.m. § 21 WPflG zur Prüfung gestellt worden ist. Hierin liegt kein Verfahrensmangel. Das Verwaltungsgericht Aachen war nicht verpflichtet, das auf Erteilung einer “Nichtheranziehungszusage” gerichtete Verfahren auszusetzen.
Für eine Aussetzung nach § 94 VwGO fehlen bereits die gesetzlichen Voraussetzungen. § 94 VwGO setzt nämlich ein (vorgreifliches) Rechtsverhältnis voraus; die Frage der Gültigkeit einer Rechtsnorm ist jedoch nach allgemeiner Meinung kein Rechtsverhältnis im Sinne von § 94 VwGO (Beschluss vom 6. Dezember 1999 – BVerwG 3 B 55.99 – Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 13). In der gerichtlichen Praxis wird § 94 VwGO allerdings entsprechend auch dann angewandt, wenn das Ergebnis des Klageverfahrens von der Gültigkeit einer Rechtsvorschrift abhängt, die in einem Normenkontrollverfahren Prüfungsgegenstand ist (Beschluss vom 8. Dezember 2000 – BVerwG 4 B 75.00 – Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 15 S. 6). Auch wenn eine Verfassungswidrigkeit des genannten Regelwerks über die allgemeine Wehrpflicht im Wehrpflichtgesetz dessen Bestimmungen zur Tauglichkeit, zur Zurückstellung und zu sonstigen Wehrdienstausnahmen erfassen sollte und man deswegen die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 94 VwGO hier als erfüllt ansehen wollte, liegt ein Verfahrensmangel nicht vor. § 94 VwGO macht es dem Gericht nämlich nicht zur Pflicht, die Verhandlung auszusetzen. Die Entscheidung liegt vielmehr im richterlichen Ermessen. Dieses Ermessen reduziert sich nur in Ausnahmefällen zu einer Verpflichtung zur Aussetzung, wenn anders eine Sachentscheidung nicht möglich ist (Urteil vom 12. Februar 1987 – BVerwG 3 C 22.86 – BVerwGE 77, 19 = Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 5; Beschlüsse vom 17. Dezember 1992 – BVerwG 4 B 247.92 – Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 6, vom 5. April 2005 – BVerwG 6 B 2.05 – und vom 13. September 2005 – BVerwG 7 B 14.05 – jeweils – juris –). Begehrt der Kläger die Aussetzung des Verfahrens auf Grund einer beim Bundesverfassungsgericht anhängigen konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG, so besteht jedenfalls dann keine Pflicht zur Aussetzung, wenn das Verwaltungsgericht – wie hier – die Gültigkeit der vom Bundesverfassungsgericht zu prüfenden Normen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bejaht. Bei einer derartigen durch die Rechtsprechung des höchsten Fachgerichts gestützten Überzeugung von der Gültigkeit der einschlägigen Gesetzesvorschrift verbietet es sich zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung des den § 94 VwGO prägenden Gedankens der prozessökonomisch zweckmäßigsten Prozessabwicklung die zügige Fortsetzung und Beendigung des Verfahrens einer Aussetzung vorgezogen hat (Beschluss vom 6. Dezember 1999 a.a.O. S. 2).
2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO ≪n.F.≫ Nr. 26 S. 14). Daran gemessen führen die von dem Kläger aufgeworfenen Fragen nicht zur Revisionszulassung.
a) Der Kläger wirft die Frage auf, “ob Jugendvertretern eine Nichtheranziehung zum Grundwehrdienst zu gewähren ist”. Die Frage gehe über die individuelle Sachlage im Einzelfall hinaus und habe grundsätzliche Bedeutung. Es ist bereits sehr fraglich, ob der Kläger hiermit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinreichend dargelegt hat. Dies bedarf hier indessen keiner Vertiefung, denn die Frage führt jedenfalls deshalb nicht zur Revisionszulassung, weil sie ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann.
Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt einer Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung bedarf. Dies ist nach der Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 11. Oktober 2000 – BVerwG 6 B 47.00 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 10 S. 6 f. m.w.N.). So liegt es hier; denn die vom Kläger aufgeworfene Frage ist eindeutig zu verneinen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt das Wehrpflichtgesetz die vorübergehende oder dauernde Nichtheranziehung von Wehrpflichtigen zum Wehrdienst wegen eines das öffentliche Interesse an der alsbaldigen Einberufung überwiegenden privaten Interesses nur unter den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Wehrdienstausnahme (§§ 9 ff. WPflG) zu. Die Wehrdienstausnahmen – namentlich die Befreiung und Zurückstellung vom Wehrdienst – sind im Wehrpflichtgesetz abschließend geregelt. Änderungen und Erweiterungen obliegen ausschließlich dem Gesetzgeber. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften nicht erfüllt, darf ein Wehrpflichtiger von Rechts wegen auch dann nicht vom Wehrdienst zurückgestellt oder gar befreit werden, wenn der Personalbedarf der Bundeswehr anderweitig gedeckt werden könnte (vgl. Urteile vom 19. Juni 1974 – BVerwG 8 C 89.73 – BVerwGE 45, 197 ≪200 f.≫ = Buchholz 448.0 § 21 WPflG Nr. 15 S. 35 f., vom 26. Februar 1993 – BVerwG 8 C 20.92 – BVerwGE 92, 153 ≪154 f.≫ = Buchholz 448.0 § 21 WPflG Nr. 47 S. 12 f. und vom 19. Januar 2005 – BVerwG 6 C 9.04 – BVerwGE 122, 331 ≪333 f.≫ = Buchholz 448.0 § 21 WPflG Nr. 49 S. 5). Nach diesen Grundsätzen ist die Erteilung einer “Nichtheranziehungszusage”, die nicht durch eine im Wehrpflichtgesetz vorgesehene Wehrdienstausnahme gedeckt ist, generell unzulässig.
Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, rechtfertigt die Tätigkeit in der Jugend- und Auszubildendenvertretung die Zurückstellung nach § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG nicht. Es bedeutet offensichtlich keine besondere Härte, wenn der Jugendvertreter gehalten ist, sein Mandat wegen seiner Heranziehung zum Wehrdienst aufzugeben. Er wird dadurch in seiner weiteren persönlichen und beruflichen Entwicklung nach Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Pflicht nicht beeinträchtigt. Die Mandatswahrnehmung selbst dient nicht den persönlichen Interessen des Jugendvertreters, sondern den Belangen der durch ihn repräsentierten jungen Arbeitnehmer und Auszubildenden (§§ 60, 70 Abs. 1 BetrVG).
b) Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält der Kläger offenbar auch, ob die Wehrpflicht den aus Art. 3 GG folgenden Grundsatz der Wehrgerechtigkeit verletze. Insoweit verweist er auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. April 2005 – 8 K 8564/04 –, in dem dargelegt werde, dass nicht einmal mehr jeder zweite junge Mann, der Wehrdienst leisten könne, zum Wehrdienst einberufen werde.
Diese Rüge ist unbegründet, weil die für klärungsbedürftig gehaltene Frage nach der Wehrgerechtigkeit in der Rechtsprechung des Senats bereits beantwortet worden ist. In seinem Urteil vom 19. Januar 2005 – BVerwG 6 C 9.04 – (BVerwGE 122, 331 = Buchholz 448.0 § 21 WPflG Nr. 49) hat der Senat entschieden, dass die Einberufung von Wehrpflichtigen im Jahre 2004 den Anforderungen der Wehrgerechtigkeit entsprach, welche die umfassende und gleichmäßige Heranziehung der Wehrpflichtigen zu einer Dienstleistung gebietet und welche nur gewährleistet ist, wenn die Zahl derjenigen, die tatsächlich Wehrdienst leisten, der Zahl derjenigen, die nach Maßgabe der Bestimmungen des Wehrpflichtgesetzes für den Wehrdienst zur Verfügung stehen, zumindest nahe kommt (a.a.O. S. 337 ff. bzw. S. 8). Nach dem von der Beklagten seinerzeit im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Zahlenmaterial, dessen Richtigkeit von keiner Seite in Zweifel gezogen worden war, war die Wehrgerechtigkeit bei der Einberufung der verfügbaren Wehrpflichtigen in der Zeit vor den erheblichen Kürzungen des Personals der Bundeswehr nach 2000 eindeutig gewahrt. In den nachfolgenden Jahren bis 2003 nahm nach den Angaben der Beklagten die Zahl der Plätze, die für Grundwehrdienstleistende einschließlich der einen freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst Leistenden zur Verfügung standen, um mehr als ein Viertel ab. Da der Grundwehrdienst weniger als ein Jahr dauert, lag die Zahl der tatsächlich Einberufenen über der Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze; jene Zahl verringerte sich in den Jahren von 2000 bis 2005 in noch stärkerem Umfang. Das Bundesministerium der Verteidigung nahm im Frühjahr 2003 die erheblich verringerte Personalstärke der Bundeswehr zum Anlass, dem System der gesetzlichen Wehrdienstausnahmen mit Wirkung vom 1. Juli 2003 im Verwaltungswege weitere Ausnahmen hinzuzufügen. Mit der Verabschiedung des Änderungsgesetzes vom 27. September 2004 (BGBl I S. 2358) hat sich der Gesetzgeber für die weitgehend unveränderte Übernahme der Ausnahmen in das Wehrpflichtgesetz entschieden. Damit ist er seiner Anpassungspflicht schon mit Rücksicht auf die übliche Dauer eines Gesetzgebungsverfahrens, aber auch in Anbetracht der Komplexität des Themas, noch rechtzeitig nachgekommen (a.a.O. S. 341 ff. bzw. S. 11 ff.). Der Senat hält die gesetzlichen Neuregelungen, die auch in die Neubekanntmachung des Wehrpflichtgesetzes vom 30. Mai 2005 (BGBl I S. 1465) eingegangen sind, für sachgerecht und unter dem Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit nicht für bedenklich (a.a.O. S. 343 f. bzw. S. 13; s. ferner die Beschlüsse vom 26. Juni 2006 – BVerwG 6 B 9.06 – NJW 2006, 2871 und vom 3. Juli 2006 – BVerwG 6 B 23.06 – juris –). Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung geben keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes findet seine Grundlage in § 47 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Büge, Dr. Graulich
Fundstellen