Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 03.05.2007; Aktenzeichen 29 A 174.04) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. Mai 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gerichtete Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Die zu ihrer Begründung angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung von Rechtsfragen zur Anwendung und Auslegung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG in der zu Recht von dem Verwaltungsgericht allein herangezogenen Tatbestandsalternative des “erheblichen Vorschubleistens zu Gunsten des nationalsozialistischen Systems” zuzulassen. Eine grundsätzliche Bedeutung wäre nur dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19). Die von dem Beklagten für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen,
“ob bereits dem Erreichen eines Offiziersrangs in der SS bzw. in der Wahrnehmung herausgehobener Funktionen in der SS, zumal wenn sie über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei ausgeübt worden sind, regelmäßig eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten zu Gunsten des nationalsozialistischen Systems im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG zukommt”
sowie
“ob bereits bei einem Auseinanderfallen zwischen dem Eintrittsdatum und der Beförderung zum SS-Untersturmführer ausgeschlossen werden kann, dass der Rang aufgrund der persönlichen Lebensstellung verliehen wurde und die Beförderung und die Auszeichnung ihre Wurzeln zwingend in der für die SS erbrachten Leistungen hatte und dass deshalb die Grenzen zum erheblichen Vorschubleisten im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG bei einer Beförderung in den SS-Offiziersrang überschritten wird, wenn nicht außergewöhnliche entlastende Umstände hinzutreten”,
rechtfertigen danach die Zulassung der Revision nicht.
Ob dieses Vorbringen den an die Darlegung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) zu stellenden Anforderungen genügt oder lediglich im Gewande der Grundsatzrüge die einzelfallbezogene Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG angegriffen wird, was zumindest bei der zweiten von dem Beklagten für klärungsbedürftig gehaltenen Frage nahe liegt, kann dahingestellt bleiben. Die aufgeworfenen Fragen würden sich nach den bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts und dessen differenzierter Würdigung der Tätigkeit des Rechtsvorgängers der Kläger in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Auch ist die Auslegung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits rechtsgrundsätzlich geklärt (vgl. Urteile vom 17. März 2005 – BVerwG 3 C 20.04 – BVerwGE 123, 142, vom 19. Oktober 2006 – BVerwG 3 C 39.05 – BVerwGE 127, 56 sowie vom 14. Dezember 2006 – BVerwG 3 C 36.05 – BVerwGE 127, 236). Die Beschwerde zeigt hierzu keinen neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf auf.
Nach den zitierten Entscheidungen setzt ein Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG in objektiver Hinsicht voraus, dass nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis hatten. Der Nutzen, den das Regime aus dem Handeln gezogen hat, darf nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein. Die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes sind erfüllt, wenn die betreffende Person dabei in dem Bewusstsein gehandelt hat, ihr Verhalten könne diesen Erfolg haben. Weiterhin ist grundsätzlich geklärt, dass eine einschränkende Auslegung dieses Ausschlussgrundes dahin, dass gezielt die Gewalttätigkeit der nationalsozialistischen Herrschaft unterstützt worden sein muss, nicht geboten ist, weil eine Unterstützung des NS-Regimes, selbst wenn sie an einer scheinbar weniger verfänglichen Stelle erfolgte, zugleich zumindest indirekt ein Vorschubleisten zu Gunsten der mit dem nationalsozialistischen System untrennbar verbundenen Gewaltherrschaft zur Folge hatte. Die unterstützende Tätigkeit muss sich allerdings auf spezifische Ziele des nationalsozialistischen Systems bezogen haben. Eine Unterstützung nicht spezifisch von der nationalsozialistischen Ideologie geprägter Bestrebungen genügt dabei nicht. Ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG ist bereits in der Phase der Errichtung und nicht erst nach der Etablierung des nationalsozialistischen Systems möglich, und der von § 1 Abs. 4 AusglLeistG geforderte qualifizierte Nutzen für das nationalsozialistische System kann nicht allein aus der bloßen Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, die zudem für ein Vorschubleisten nicht erforderlich ist, hergeleitet werden. Der Wahrnehmung herausgehobener Funktionen in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, zumal wenn sie über einen längeren Zeitraum und im Sinne der Partei beanstandungsfrei ausgeübt worden ist, kommt regelmäßig eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten zu Gunsten des nationalsozialistischen Systems im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG zu, hierfür reichen aber ehrenamtliche oder nachgeordnete Parteifunktionen auf Kreisebene nicht aus (vgl. hierzu auch Beschluss des Senats vom 20. März 2007 – BVerwG 5 B 88.06 – juris).
Diesen Voraussetzungen entsprach das Verhalten des Rechtsvorgängers der Kläger (Dr. W…) nach den mangels durchgreifender Verfahrensrügen bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) und dessen Subsumtion im vorliegenden Einzelfall nicht. Das Verwaltungsgericht hat bereits hinreichende “Anhaltspunkte” dafür, dass Dr. W… “das NS-System in nicht unerheblicher Weise durch konkrete Tätigkeiten bzw. Handlungen (Hervorhebung im Urteilsabdruck, S. 7) gestützt hat” nicht feststellen können. Ebenso hat es seine Beförderung zum Untersturmführer im November 1938 “weder allein noch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung” als ausreichend angesehen, um hierauf die “Annahme der Unwürdigkeit” zu stützen (UA S. 7). Mit ihren Angriffen hiergegen wendet sich die Beschwerde in Wahrheit gegen die der Nachprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht regelmäßig – und so auch hier – entzogene Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Die Grundsatzrüge lässt sich hiermit nicht begründen, ebenso wenig mit dem – im Übrigen offensichtlich unzutreffenden – Vorwurf einer Entscheidung “nach Beweislastgrundsätzen” (Beschwerdebegründung S. 6 am Ende).
2. Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist von dem Beklagten nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise bezeichnet worden. Eine solche Abweichung liegt nur dann vor, wenn sich das Oberverwaltungsgericht bzw. das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der herangezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat; die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302).
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Beschwerde nicht, da sie bereits nicht einen vom Verwaltungsgericht aufgestellten abstrakten Rechtssatz, der mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht im Einklang steht, bezeichnet. Die von der Beschwerde behauptete Abweichung liegt im Übrigen auch objektiv nicht vor. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Abweichung ist nicht schon dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht einen bestimmten Rechtssatz nicht erwähnt, weil es ihn übersehen oder – zu Recht oder zu Unrecht – als nicht einschlägig beurteilt hat. Erforderlich ist vielmehr, dass das Verwaltungsgericht deutlich erkennbar von einer Rechtsauffassung ausgeht, die in Widerspruch zu der Rechtsauffassung steht, die ein der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte zu der gleichen Vorschrift eingenommen hat. Das Vorbringen des Beschwerdeführers erschöpft sich im Wesentlichen darin, inwiefern seiner Ansicht nach das Verwaltungsgericht die vom Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 17. März 2005, 19. Oktober 2006 sowie 14. Dezember 2006 (a.a.O.) aufgestellten Grundsätze zum erheblichen Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG im Einzelfall falsch angewendet haben soll. Im Übrigen übersieht die Beschwerde auch insoweit, dass das Verwaltungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats das Verhalten des Rechtsvorgängers der Kläger der gebotenen umfassenden Einzelfallbewertung unterzogen und deshalb zutreffend nicht lediglich auf den von ihm erlangten SS-Dienstgrad abstellt hat.
3. Auch ein Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen könnte, wird von der Beschwerde nicht ordnungsgemäß dargelegt und liegt in der Sache nicht vor.
a) Die mit der Beschwerde in erster Linie erhobene Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO entspricht bereits nicht den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des (Ober-)Verwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr; vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 – BVerwG 6 C 52.65 – BVerwGE 31, 212 ≪217 f.≫; BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2007 – BVerwG 9 B 1.07 – juris). Der Beschwerdeführer – der in der mündlichen Verhandlung keinen förmlichen Beweisantrag im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO gestellt hat – legt nicht hinreichend und schlüssig dar, warum sich dem Verwaltungsgericht die nunmehr für erforderlich gehaltene Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Er zeigt auch nicht auf, welche Beweisergebnisse im Einzelnen zu erwarten gewesen wären und eine andere rechtliche Beurteilung im Ergebnis ergeben hätten.
Die Annahme der Beschwerde, dem Verwaltungsgericht hätte sich in Anbetracht des in der Behördenakte befindlichen Kurzgutachtens des Leiters der Gedenkstätte deutscher Widerstand vom 9. Juli 2003 eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung zu konkreten Tätigkeiten und Unterstützungshandlungen des Rechtsvorgängers der Kläger aufdrängen müssen, erschöpft sich in der Behauptung “entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts bieten die festgestellten Tatsachen sehr wohl Anhaltspunkte für ein erhebliches Vorschubleisten”. Damit setzt die Beschwerde lediglich ihre eigene Würdigung derjenigen des Gerichts entgegen, ohne einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu bezeichnen. Abgesehen davon lagen derartige weitere Sachverhaltsaufklärungen zu über den SS-Rang hinausgehenden aktiven Unterstützungshandlungen des Rechtsvorgängers der Kläger bereits deshalb fern, weil der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in seiner von dem Beklagten eingeholten Stellungnahme vom 7. Juni 2002 (S. 349 der Verwaltungsakte) dargelegt hat, dass der Gedenkstätte keine weitergehenden Originalunterlagen zu etwaigen Tätigkeiten des Rechtsvorgängers der Kläger vorliegen. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang ferner eine vom Verwaltungsgericht angeblich unterlassene Internet-Recherche zu Aufgaben, Organisation und Struktur der SS rügt, legt sie bereits nicht dar, welche zusätzlichen erheblichen Ergebnisse diese vom Standpunkt des Verwaltungsgerichts aus hätte erbringen können. Entsprechendes gilt für die von der Beschwerde noch für erforderlich gehaltene Hinzuziehung sachverständiger Medizinhistoriker. Auch dem Beschwerdevorbringen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die genannten Sachverständigen über zusätzliche oder bessere Erkenntnismittel zu etwaigen konkreten Unterstützungshandlungen des Rechtsvorgängers der Kläger verfügt hätten.
b) Soweit sich die Beschwerde ferner pauschal gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wendet (Beschwerdebegründung S. 10 Abs. 2), wird ebenfalls kein Verfahrensmangel aufgezeigt. Etwaige Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig nicht dem Verfahrens-, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.). Für einen als Verfahrensfehler denkbaren formellen Begründungsmangel (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2, § 138 Nr. 6 VwGO) ist nichts dargetan und ersichtlich.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Hund, Dr. Franke, Dr. Brunn
Fundstellen