Entscheidungsstichwort (Thema)
Normenkontrolle. Antragsbefugnis. Nacherbe. Besitz und Nutzung der Erbschaft
Leitsatz (amtlich)
Der Nacherbe ist vor Eintritt des Nacherbfalls nicht antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1; BGB §§ 2100, 2112-2113, 2139
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 23.06.1997; Aktenzeichen 11 a D 44/97.NE) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 1997 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Die Frage, ob ein Nacherbe im Wege der Normenkontrolle einen Bebauungsplan angreifen kann, dessen Geltungsbereich sich auf ein Grundstück erstreckt, das zum Nachlaß gehört, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Der Senat hat zu ihr bislang zwar noch nicht Stellung genommen. Ihre Klärung ist jedoch ohne weiteres auch ohne Zulassung der Revision möglich. Sie ist in Übereinstimmung mit der Auffassung des Normenkontrollgerichts so eindeutig zu verneinen, daß sich die Durchführung eines Revisionsverfahrens erübrigt.
Es liegt auf der Hand, daß ein Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalls nicht zum Kreis derjenigen Personen gehört, die im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt sind.
Eine Antragsbefugnis erkennt der Senat durchweg dem Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks zu, der sich gegen seinen Grund und Boden betreffende Festsetzungen wendet (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. Januar 1993 – BVerwG 4 NB 38.92 – und vom 26. Mai 1993 – BVerwG 4 NB 3.93 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nrn. 73 und 80). Dem Eigentümer gleichzustellen ist, wer in eigentumsähnlicher Weise an einem Grundstück dinglich berechtigt ist. Hierzu zählt der Inhaber eines Erbbaurechts ebenso wie der Nießbraucher (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1989 – BVerwG 4 C 1.88 – BVerwGE 82, 61; Beschluß vom 11. Januar 1988 – BVerwG 4 CB 49.87 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 75). Auch der Käufer eines Grundstücks, auf den der Besitz sowie Nutzungen und Lasten übergegangen und zu dessen Gunsten eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen ist, steht dem Eigentümer gleich (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1982 – BVerwG 4 C 51.79 – DVBl 1983, 344). Darüber hinaus ist der Senat bislang davon ausgegangen, daß bloße Schuldrechtsverhältnisse, wie die Miete oder die Pacht, die die Befugnis verleihen, ein Grundstück in bestimmter Weise zu nutzen, ebenfalls geeignet sein können, eine Antragsbefugnis zu begründen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 11. November 1988 – BVerwG 4 NB 5.88 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 30). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß durch etwaige Nutzungsverbote oder -beschränkungen, die sich aus einem Bebauungsplan ergeben, nicht nur die Grundeigentümer oder die Inhaber eigentumsgleicher Rechte betroffen werden, sondern auch solche Personen, denen lediglich ein obligatorisches Recht an einem Grundstück zusteht.
Dahinstehen kann, ob an dieser Rechtsprechung, die zu § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. ergangen ist, uneingeschränkt festzuhalten ist, nachdem der Gesetzgeber die Antragsbefugnis nicht mehr an die Voraussetzung knüpft, daß der Antragsteller durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten oder in absehbarer Zeit zu erwarten hat, sondern davon abhängig macht, ob eine Rechtsverletzung eingetreten ist oder droht.
Wird ein Grundstück überplant, das Bestandteil einer Vorerbschaft ist, so läßt sich eine Antragsbefugnis des Nacherben weder aus dem Nachteilsbegriff, der § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. zugrunde lag, noch aus dem Begriff der Rechtsverletzung, auf den § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. abstellt, herleiten. Der Nacherbe steht zu dem Grundstück in keiner unmittelbaren Rechtsbeziehung, die es rechtfertigt, ihn einem dinglich oder obligatorisch Berechtigten gleichzustellen. Zwar leitet er in gleicher Weise wie der Vorerbe vom Erblasser als Rechtsnachfolger Rechte ab. Der Erbfall bewirkt nicht nur, daß die Vorerbschaft dem Vorerben anfällt. Er hat zugleich den Voranfall der Nacherbschaft zur Folge. Der Nacherbe wird aber nicht schon mit dem Todesfall Erbe. Vielmehr erwirbt er die Erbschaft mit der in § 1922 BGB bezeichneten Wirkung nach § 2139 BGB erst, sobald das vom Erblasser letztwillig bezeichnete Ereignis eintritt, das die Nacherbfolge auslöst. Bis zu diesem Zeitpunkt hat allein der Vorerbe die Stellung eines Erben. Schon aus seiner Eigenschaft als Eigentümer und Inhaber der zum Nachlaß gehörenden Rechte folgt, daß er auch im Verhältnis zum Nacherben bis zum Nacherbfall berechtigt ist, die Erbschaft in Besitz zu nehmen. Auch die Nutzungen der Erbschaft gebühren ihm (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 1980 – II ZR 268/79 – BGHZ 78, 177). Dagegen hat der Nacherbe bis zum Eintritt der Nacherbfolge keine Rechtsposition inne, die ihn zum Besitz oder zur Nutzung der Erbschaft oder einzelner Nachlaßgegenstände berechtigt. Zu gegenteiligen Schlüssen gibt auch § 51 GBO keinen Anlaß. Diese Vorschrift trägt lediglich der in § 2113 Abs. 3 BGB getroffenen Regelung Rechnung, wonach bei einer Verfügung durch den Vorerben § 892 BGB entsprechend anwendbar ist. Die Eintragung des Nacherbenvermerks dient ausschließlich dazu, den Nacherben vor einem gutgläubigen Erwerb durch Dritte zu schützen. Sie verschafft dem Nacherben kein Recht am Grundstück, das, wie auch immer, geeignet sein könnte, in Konkurrenz zu den im Grundbuch eingetragenen Rechten zu treten.
Über die Tatsache, daß dem Nacherben vor Eintritt der Nacherbfolge Besitz und Nutzung der Erbschaft vorenthalten bleiben, läßt sich im Rahmen der Prüfung der Antragsbefugnis im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht mit dem Argument hinweggehen, daß der Nacherbe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1983 – IX ZR 41/82 – BGHZ 87, 367) bereits mit dem Tod des Erblassers ein Anwartschaftsrecht erlangt. In dieser Wertung schlägt sich lediglich die Erkenntnis nieder, daß das Nacherbrecht selbst im Gegensatz zu künftigen Ansprüchen, deren Entstehung noch gänzlich ungewiß ist, schon vor dem Nacherbfall einen gegenwärtigen Vermögenswert in der Hand des Nacherben darstellt, der rechtsgeschäftlich übertragbar und ausweislich des § 2108 Abs. 2 BGB auch vererblich ist. Diese rechtliche Qualifikation ändert indes nichts daran, daß bis zum Eintritt der Nacherbfolge allein der Vorerbe im Besitz und Genuß der Erbschaft bleibt. Vor allem bezieht sich das Nacherbenrecht nicht auf die einzelnen Gegenstände der Vorerbschaft.
Auch § 2113 Abs. 1 BGB rechtfertigt nicht die Folgerungen, die die Beschwerde aus dieser Vorschrift für die Antragsbefugnis zieht. Wie aus § 2112 BGB erhellt, ist der Vorerbe grundsätzlich berechtigt, über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände zu verfügen. Diese Befugnis wird, von den §§ 2114 und 2115 abgesehen, durch § 2113 BGB in der Weise eingeschränkt, daß u.a. die Verfügung des Vorerben über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück insoweit unwirksam ist, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde. Diese Regelung enthält Vorkehrungen, damit das Anwartschaftsrecht des Nacherben durch die in § 2112 BGB normierte Verfügungsfreiheit des Vorerben nicht übermäßig geschmälert wird. Um den Nacherben vor einigen als besonders schwerwiegend angesehenen Beeinträchtigungen zu schützen, ordnet der Gesetzgeber an, daß bestimmte Verfügungen mit Eintritt des Nacherbfalls unwirksam werden. Für die Antragsbefugnis im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gibt diese Schutzregelung nichts her. § 2113 BGB bietet in dieser Richtung schon deshalb keine Fingerzeige, weil er ausschließlich im Verhältnis zwischen dem Vorerben und dem Nacherben gilt. Die Rechtsbeziehungen zwischen der Gemeinde als der Trägerin der Bauleitplanung und dem Nacherben werden durch diese Regelung in keiner Weise berührt. Für etwaige den Nachlaß betreffende Klagen gegen Dritte bleibt bis zum Nacherbfall allein der Vorerbe prozeßführungsbefugt. Im übrigen läßt die Beschwerde außer acht, daß dem Vorerben durch die ihm auferlegten Verfügungsbeschränkungen nicht die Entscheidung über die Nutzung der zur Erbschaft gehörenden Gegenstände aus der Hand genommen wird. Schutz bietet der Gesetzgeber dem Nacherben nur vor einer übermäßigen oder mißbräuchlichen Nutzung (vgl. §§ 2133 und 2134 BGB). Durch § 2113 BGB soll zusätzlich sichergestellt werden, daß die Substanz des Nachlasses dem Nacherben erhalten bleibt. Dieser Schutzzweck wird nicht berührt, wenn ein Grundstück, das zur Erbschaft gehört, zum Gegenstand einer Bauleitplanung gemacht wird. Hierdurch wird die Substanz des Nachlasses nicht angetastet. Der Bebauungsplan erschöpft sich in seinen Rechtswirkungen darin, die bauliche Nutzung der im Plangebiet befindlichen Grundstücke zu regeln. Entsprechen die Festsetzungen dem Nutzungskonzept des Vorerben, so bietet § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO dem Nacherben vor Eintritt der Nacherbfolge keine Handhabe dafür, gegenläufigen eigenen Nutzungsvorstellungen Nachdruck zu verleihen.
Zu einer abweichenden Beurteilung nötigt entgegen der Ansicht der Beschwerde auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht, der neben dem Eigentum das Erbrecht gewährleistet. Das Erbrecht hat die Funktion, das Privateigentum als Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung mit dem Tode des Eigentümers nicht untergehen zu lassen, sondern seinen Fortbestand im Wege der Rechtsnachfolge zu sichern (vgl. BVerfG, Beschluß vom 22. Juni 1995 – 2 BvR 552/91 – BVerfGE 93, 165). Den Schutz des Grundrechts genießt auch der Erbe. Inhalt und Schranken des Erbrechts werden indes nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Gesetze bestimmt. Hierzu gehören, was die Rechtsstellung des Nacherben betrifft, insbesondere auch die §§ 2100 ff. BGB, denen zu entnehmen ist, daß die Entscheidung über die Nutzung des Nachlasses vor Eintritt des Nacherbfalls allein dem Vorerben vorbehalten ist. Diese gesetzgeberische Wertung kann bei der Auslegung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht unberücksichtigt bleiben. Ändert sich durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans der normative Rahmen für die Nutzung eines zur Erbschaft gehörenden Grundstücks, so wird hierdurch ausschließlich die Rechtssphäre des Vorerben berührt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Berkemann, Hien, Halama
Fundstellen
BauR 1998, 200 |
NuR 1998, 335 |
BRS 1997, 169 |
BRS 1998, 169 |
UPR 1998, 113 |