Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsgrundsätzliche Bedeutung. Gesetzesänderung nach Erlass des Berufungsurteils. Beruhen. Entscheidungserheblichkeit. Zeitpunkt
Leitsatz (amtlich)
Eine Rechtsfrage, die sich nur auf eine nach der Berufungsentscheidung in Kraft getretene neue Rechtsgrundlage bezieht (hier: § 25 Abs. 5 Satz 2 bis 4 AufenthG), verleiht der Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und kann deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen.
Normenkette
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1; AuslG § 30 Abs. 5; AufenthG § 25 Abs. 5 Sätze 2-4
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 02.12.2004; Aktenzeichen 13 S 1652/04) |
VG Stuttgart (Entscheidung vom 20.01.2004; Aktenzeichen 5 K 4964/02) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf einen Verfahrensfehler durch Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Beschwerde ist, soweit ihre Zulässigkeit noch unterstellt werden kann, jedenfalls unbegründet.
1. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht gegeben.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO besteht nur, wenn für die Entscheidung des vorinstanzlichen Gerichts eine konkrete fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. schon BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫ sowie Beschlüsse vom 23. April 1996 – BVerwG 11 B 96.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 10 und vom 30. November 2004 – BVerwG 10 B 67.04 – juris).
Die Beschwerde greift im Rahmen ihrer Grundsatzrüge die berufungsgerichtliche Entscheidung, nach der der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 5 AuslG (Ausländergesetz in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) hatte, nicht als fehlerhaft an. Sie hält diese Entscheidung vielmehr für rechtlich überholt und erachtet als klärungsbedürftig die sich “nach Änderung der Rechtslage durch das Zuwanderungsgesetz” ab dem 1. Januar 2005 stellende “Rechtsfrage, ob nunmehr eine Aufenthaltsbefugnis nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG (Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004, BGBl I 1950) zu erteilen ist, da die Abschiebung des Beschwerdeführers zweifelsohne seit mehr als 18 Monaten ausgesetzt ist, und soweit ein Verschulden des Ausländers nicht gegeben ist, vielmehr die nicht Durchführbarkeit (gemeint wohl: Nichtdurchführbarkeit) der Abschiebung im Verantwortungsbereich der zuständigen Ausländerbehörden begründet ist” (Beschwerdebegründung S. 3). Klärungsbedürftig sei, “inwieweit ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung der Sollvorschrift besteht, d.h. die Abschiebung nach Ablauf einer bestimmten Zeitdauer als nicht in absehbarer Zeit durchführbar anzusehen ist, oder aber wie hier die beteiligten Ausländerbehörden Duldungen über Zeiträume von mehreren Jahren erteilen können” (Beschwerdebegründung S. 4). Mit dieser Begründung, mit der sie offenbar geltend machen will, dass der Kläger jetzt einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat, kann die Beschwerde die Zulassung der Revision nicht erreichen.
a) Sie legt den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung schon nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar. Hierzu hätte es unter Erörterung der vorhandenen Übergangsvorschriften mindestens der Darlegung bedurft, weshalb § 25 Abs. 5 Satz 2 des seit 1. Januar 2005 geltenden Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – auf den vorliegenden Fall und im vorliegenden Verfahren überhaupt anzuwenden ist. Außerdem zeigt die Beschwerde nicht auf, inwiefern es sich bei der von ihr gestellten Frage, ob der Betroffene anstelle des vom Berufungsgericht verneinten Anspruchs auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 5 AuslG einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 2 (bis 4) AufenthG hat, um eine fallübergreifend zu beantwortende Rechtsfrage handelt. Die Beantwortung der Frage hängt unter anderem von den tatsächlichen Umständen des konkreten Einzelfalls ab, beispielsweise davon, ob der Kläger unverschuldet an der Ausreise gehindert war, was das Berufungsgericht bislang – als nicht entscheidungserheblich – nicht geklärt hat.
b) Selbst wenn man die Zulässigkeit der Rüge unterstellt, könnte sie keinen Erfolg haben. Eine Rechtsfrage, die sich nur auf eine nach der Berufungsentscheidung in Kraft getretene neue Rechtsgrundlage bezieht (hier: § 25 Abs. 5 Satz 2 bis 4 AufenthG), verleiht der Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Zur Zulassung der Revision können nur solche Fragen führen, die für das Berufungsgericht hätten entscheidungserheblich sein können. Eine für die Entscheidung des Berufungsgerichts unter keinem Gesichtspunkt maßgebliche Rechtsfrage vermag die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu rechtfertigen.
Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dient in erster Linie der Sicherung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung durch Klärung offener Rechtsfragen (vgl. Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte 1971, Rn. 3 ff.; Schoch/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand 2004, § 132 Rn. 4, 32 f.). Nicht hingegen ist es seine Aufgabe, die auf der Grundlage des neuen Rechts nunmehr zu treffende Entscheidung zu gewährleisten und so der Einzelfallgerechtigkeit zu dienen. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden, dass sich eine rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftige Frage nicht schon daraus ergibt, dass sich das mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtene Urteil möglicherweise auf Grund einer nach Erlass des angefochtenen Urteils in Kraft getretenen Gesetzesänderung als fehlerhaft erweist (vgl. etwa Beschlüsse vom 15. Oktober 1968 – BVerwG 3 B 73.68 – BVerwGE 30, 266 ≪267 f.≫ und vom 23. April 1969 – BVerwG 3 B 84.68 – ZLA 1969, 198 ≪199≫; vgl. auch Beschluss vom 29. März 1961 – BVerwG 3 B 43.60 – Buchholz 427.3 § 339 LAG Nr. 120 = NJW 1961, 1229).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass bei anderen Fallgestaltungen – etwa bei der Prüfung der Klärungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsfragen des geltenden Rechts – auf die Lage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde abzustellen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2003, IV ZR 278/02, NJW 2003, 1609; ähnlich Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, Rn. 231). So kann ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf nachträglich entfallen, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsfrage nach Erlass der Berufungsentscheidung in einem anderen Verfahren klärt (vgl. in diesem Sinne auch Weyreuther, a.a.O.). Das bedeutet indes nicht, dass die Revision auch gleichsam umgekehrt zur Klärung von solchen Rechtsfragen eröffnet werden müsste, die durch eine Rechtsänderung nach Erlass des Berufungsurteils neu entstehen. Es ist grundsätzlich nicht der Sinn der Revisionszulassung, die Anwendung neuen Rechts im Einzelfall ohne Vorprüfung durch die Instanzgerichte zu ermöglichen. Das muss auch deshalb gelten, weil in dem angestrebten Revisionsverfahren der von den Tatsachengerichten ermittelte Sachverhalt zugrunde zu legen ist mit der Folge, dass Rechtsänderungen regelmäßig zu einer Zurückverweisung führen müssten. Eine Zulassung der Revision wegen Rechtsänderungen, die im Verlauf des Zulassungsverfahrens eintreten, würde den Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde zudem davon abhängig machen, wann das Bundesverwaltungsgericht entscheidet (vgl. kritisch hierzu Seiler, NJW 2003, 2290). Außerdem könnten in einem solchen Fall die Anschauungen der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte zu der neuen Rechtslage nicht berücksichtigt werden, womit dem Zweck der Revisionszulassung, nämlich Sicherung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung nicht gedient wäre.
Im Übrigen bedarf es auch nicht der Eröffnung der Revision, um einen etwaigen Anspruch des Klägers aus § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG durchzusetzen. Dem Kläger steht es offen, einen hierauf gerichteten Antrag bei der zuständigen Behörde zu stellen. Soweit die geltend gemachte Gesetzesänderung das angefochtene Urteil ergreift, steht dessen – nach Zurückweisung der Beschwerde eintretende – Rechtskraft einer Neubescheidung auf Grund der geänderten Gesetzeslage nicht entgegen (so bereits Beschluss vom 15. Oktober 1968 – BVerwG 3 B 73.68 – BVerwGE 30, 266 ≪268≫).
2. Auch mit der Rüge, das Berufungsgericht habe das rechtliche Gehör verweigert, indem es den Vortrag des Klägers ignorierte, dass seine Hepatitis-Erkrankung ein personenbezogenes Abschiebungshindernis darstelle, weil diese zwar generell in seinem Heimatland behandelbar sei, er die Kosten für eine derartige Behandlung aber nicht aufbringen könne (vgl. Beschwerdebegründung S. 1 f.), legt die Beschwerde den behaupteten Verfahrensfehler nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO schlüssig dar. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich nicht, dass das Berufungsgericht den Klägervortrag nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hätte. Dem stünde auch entgegen, dass sich das Berufungsgericht mit diesem Vorbringen ausdrücklich auseinander gesetzt und hierzu die Rechtsauffassung vertreten hat, es handele sich um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, über das das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) zu entscheiden habe und auch, und zwar bestandskräftig, entschieden habe, so dass sich das Berufungsgericht an einer erneuten Prüfung gehindert sah (UA S. 7 f.). Letztlich greift die Beschwerde lediglich im Gewande einer Gehörsrüge die ihrer Meinung nach unrichtige Rechtsauffassung des Berufungsgerichts an. Damit legt sie den behaupteten Verfahrensverstoß indes nicht nachvollziehbar dar.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen
ZAP 2005, 882 |
VR 2005, 287 |
ZAR 2005, 209 |
AuAS 2005, 251 |
BayVBl. 2005, 674 |
DVBl. 2005, 860 |