Entscheidungsstichwort (Thema)
Innenbereich, unbeplanter. Bebauungszusammenhang. Ortsteil. Gemeindegrenze. Gemarkungsgrenze. Planungshoheit. Siedlungsstruktur. Planersatz
Leitsatz (amtlich)
Für die Beurteilung der Frage, ob eine zusammenhängende Bebauung ein Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB ist, ist nur auf die Bebauung im jeweiligen Gemeindegebiet abzustellen.
Normenkette
BauGB § 34 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 23.04.1998; Aktenzeichen 1 A 12598/96) |
VG Koblenz (Entscheidung vom 16.07.1996; Aktenzeichen 1 K 4108/95.KO) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. April 1998 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten einen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Zweifamilienhauses. In der näheren Umgebung des geplanten Hauses liegt in nördlicher Richtung das jetzige Wohnhaus der Klägerin und in nordöstlicher Richtung ein weiteres Wohnhaus. Das Wohnhaus der Klägerin grenzt im Westen an eine öffentliche Straße, die zugleich die Gemeindegrenze darstellt. Jenseits der Gemeindegrenze befindet sich weitere Bebauung, während sich in der näheren Umgebung des geplanten Zweifamilienhauses auf dem Gebiet der Beklagten nur die zwei genannten Wohnhäuser befinden.
Die Beklagte lehnte den Vorbescheidsantrag ab, weil das Vorhaben im Außenbereich liege und öffentliche Belange beeinträchtige. Die untere Landespflegebehörde habe zudem ihre nach der Landesverordnung über den Naturpark Rhein-Westerwald erforderliche Zustimmung versagt. Widerspruch und Klage blieben erfolglos.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte zur Erteilung des Bauvorbescheids verpflichtet. Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens sei nach § 34 BauGB zu beurteilen, weil es innerhalb des Bebauungszusammenhangs liege, der von der bis an die Gemeindegrenze reichenden Bebauung der Nachbargemeinde und den beiden Wohnhäusern auf dem Gebiet der Beklagten gebildet werde. Für die Bestimmung des Umfangs des im Zusammenhang bebauten Ortsteils komme es nur auf tatsächliche und optisch wahrnehmbare Umstände an; die kommunalen Grenzen seien insoweit ohne Bedeutung. Die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein Ortsteil im Sinne von § 34 BBauG nur auf dem Gebiet der planungsbefugten Gemeinde bestehen könne, stehe dem nicht entgegen. Diese Rechtsprechung habe auf einer Formulierung der damaligen Fassung des § 34 BBauG beruht, die inzwischen entfallen sei. Das Berufungsgericht hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob ein Bebauungszusammenhang auch über Gemeindegrenzen hinausreichen kann. Diese Frage sei entscheidungserheblich, weil die beiden auf dem Gebiet der Beklagten vorhandenen Wohnhäuser ohne Berücksichtigung der jenseits der Gemeindegrenze liegenden Bebauung lediglich eine Splittersiedlung darstellten. Bei Anwendung von § 35 BauGB wäre die Ablehnung des Vorbescheidsantrags rechtmäßig.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie beantragt,
das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das Urteil des Berufungsgerichts und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er hält die Entscheidung des Berufungsgerichts für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Auffassung des Berufungsgerichts, bei der Bestimmung des im Zusammenhang bebauten Ortsteils sei auch eine Bebauung jenseits der Gemeindegrenze einzubeziehen, ist mit § 34 Abs. 1 BauGB nicht vereinbar.
Der Begriff der “im Zusammenhang bebauten Ortsteile” in § 34 Abs. 1 BauGB umfaßt zwei Komponenten, zum einen den Bebauungszusammenhang und zum anderen den Ortsteil. Nur ein Bebauungszusammenhang, der auch Ortsteil ist, vermittelt ein Baurecht nach § 34 BauGB. Soweit es um den Bebauungszusammenhang geht, ist – mit dem Berufungsgericht – auf die äußerlich wahrnehmbaren Verhältnisse abzustellen. Da das tatsächlich Vorhandene im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB den Maßstab für die Zulassung weiterer Bebauung darstellt, kommt es insoweit nur auf die äußerlich erkennbaren, also mit dem Auge wahrnehmbaren Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse an (vgl. insbesondere Urteil vom 12. Dezember 1990 – BVerwG 4 C 40.87 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 138 = ZfBR 1991, 126). Im Gegensatz zu dem rein äußerlich und faktisch zu bestimmenden Bebauungszusammenhang hat der Begriff des Ortsteils insoweit eine rechtliche Komponente, als sich darin die Beziehung – auch – des in § 34 BauGB normierten Zulassungstatbestands zur Planungshoheit der Gemeinde ausdrückt (so auch Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, 1998, Rn. 26 zu § 34). Im Sinne einer Art “Planersatz” – oder im Fall eines einfachen Bebauungsplans einer “Planergänzung”, vgl. § 30 Abs. 3 BauGB – sind nach dieser Bestimmung Vorhaben zulässig, die sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Die Fortentwicklung der Bebauung nach dem “Planersatz” wird der Gemeinde gerade auch deshalb zugemutet, weil sie durch eigene aktive Bauleitplanung die Möglichkeit hat, die bauliche Entwicklung in eine andere Richtung zu steuern. Daraus folgt jedenfalls dem Grundsatz nach, daß der Gemeinde im Rahmen der “Ersatzplanung” nur das zuzurechnen ist, was sie durch sachgerechte eigene Planung auch abwenden könnte. Die Gemeinde hat aber – abgesehen von der Abstimmungspflicht bei benachbarter Bauleitplanung nach § 2 Abs. 2 BauGB – kaum eine Möglichkeit, das Heranrücken eines benachbarten bebauten Ortsteils an ihren Außenbereich planerisch zu verhindern. Die Möglichkeit, durch die Aufstellung eines Bebauungsplans nach § 30 BauGB ein Übergreifen der Bebauung zu verhindern, würde häufig rechtlich am Verbot der “Negativplanung” (vgl. z.B. Beschluß vom 18. Dezember 1990 – BVerwG 4 NB 8.90 – Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 47) und faktisch an möglichen Entschädigungsforderungen nach § 42 BauGB scheitern, wenn der Ortsteilsbegriff gemeindegebietsübergreifend zu verstehen wäre.
Der Bezug des Begriffs “Ortsteil” zur Planungshoheit der Gemeinde zeigt sich auch noch in anderem Zusammenhang. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist unter Ortsteil jeder Bebauungskomplex zu verstehen, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Mit diesen Anforderungen soll die Abgrenzung zur unerwünschten Splittersiedlung erreicht werden (vgl. bereits Urteil vom 6. November 1968 – BVerwG 4 C 31.66 – BVerwGE 31, 22). Für die Frage aber, ob ein Bebauungskomplex nach seinem Gewicht als Ortsteil oder als Splittersiedlung anzusehen ist, kommt es auf die Siedlungsstruktur der jeweiligen Gemeinde an (vgl. Urteil vom 17. Februar 1984 – BVerwG 4 C 56.79 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 211 = BRS 42 Nr. 80). Der Senat hat das in der genannten Entscheidung ebenfalls aus der Planungshoheit der Gemeinde für ihr Gebiet abgeleitet, die es verbiete, für die siedlungsstrukturelle Bewertung vorhandener Bebauung einen anderen räumlichen Bezugsrahmen zugrunde zu legen, als er für die Planungshoheit maßgebend ist.
Das Berufungsgericht weist zutreffend darauf hin, daß der Senat in seinem Urteil vom 26. Mai 1967 – BVerwG 4 C 25.66 – (BVerwGE 27, 137) die Gemeindegebietsbezogenheit eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils aus der damaligen Formulierung des § 34 Abs. 1 BBauG gefolgert hat (“In Gebieten, für die die Gemeinde noch nicht beschlossen hat, einen Bebauungsplan im Sinne des § 30 aufzustellen…”). Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, daß wegen Wegfalls dieser Wendung in der jetzigen Fassung des § 34 Abs. 1 BauGB in einer abweichenden Auslegung der jetzigen Fassung keine Divergenz im Sinn von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen “dürfte” (vgl. Beschluß vom 15. Mai 1997 – BVerwG 4 B 74.97 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 184). Der Senat mißt jedoch den unterschiedlichen Formulierungen des § 34 BBauG 1960 und der späteren Fassungen nicht die entscheidende Bedeutung für die Auslegung des Begriffs “Ortsteil” zu. Entscheidend ist vielmehr der Sinn der Bestimmung und ihr Verhältnis zur gemeindlichen Planungshoheit; insoweit ist der Regelungsgehalt der Bestimmung indes gleichgeblieben. Im übrigen war für den Senat in der genannten Entscheidung vom 26. Mai 1967 der damalige Wortlaut nicht das allein ausschlaggebende Argument. Er hat vielmehr erwogen, ob aus der Einordnung des § 34 in dem Dritten Teil des Gesetzes nicht bereits folge, daß ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne des § 34 BBauG “nur innerhalb der Grenzen der jeweils mit Planungsbefugnissen ausgestatteten Gemeinde entstehen kann”. Er hat diese Frage dann offengelassen, weil sich das Ergebnis “jedenfalls” aus der damaligen Formulierung der Bestimmung ergebe.
Es ist auch nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber mit der Streichung der oben zitierten Formulierung im BBauG 1976 entgegen der bisherigen Rechtsprechung eine gemeindegrenzübergreifende Sicht des Begriffs “Ortsteil” hätte erreichen wollen. Zweck der Änderung war es vielmehr, der Gefahr einer unkontrollierten städtebaulichen Entwicklung innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zu begegnen (vgl. BTDrucks 7/2496 S. 48).
Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) ist somit davon auszugehen, daß das Vorhaben der Klägerin im Außenbereich verwirklicht werden soll und daß ihm insoweit öffentliche Belange sowie die Landesverordnung über den Naturpark Rhein-Westerwald vom 18. August 1978 (GVBl 1978 S. 629) entgegenstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Gaetzsch, Hien, Lemmel, Halama, Rojahn
Fundstellen
NJW 1999, 2296 |
BauR 1999, 232 |
NVwZ 1999, 527 |
ZfIR 1999, 133 |
DÖV 1999, 240 |
NuR 1999, 276 |
ZfBR 1999, 109 |
BRS 1999, 306 |
DVBl. 1999, 249 |
KomVerw 1999, 234 |
FSt 1999, 544 |
FuBW 1999, 495 |
FuHe 1999, 684 |
FuNds 1999, 555 |