Entscheidungsstichwort (Thema)
Ehe. Familie. Familienwohnung. Hauptwohnung. kinderloses Ehepaar. Lebensgemeinschaft. Melderegister. Ordnungsrecht. Typisierung
Leitsatz (amtlich)
Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seinem Ehegatten lebt, ist gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG auch dann die vorwiegend benutzte gemeinsame Wohnung, wenn das Ehepaar keine minderjährigen Kinder hat.
Normenkette
GG Art. 2 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1; MRRG § 12 Abs. 2; MG BW § 17
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 29.10.1998; Aktenzeichen 1 S 2348/97) |
VG Stuttgart (Urteil vom 01.04.1997; Aktenzeichen 1 S 2348/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 29. Oktober 1998 wird geändert. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgericht Stuttgart vom 1. April 1997 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Tatbestand
I.
Der Kläger, der zunächst in G., Landkreis G., wohnte, heiratete am 3. September 1993 die im Gebiet der beklagten Stadt E. ansässige und gemeldete Beigeladene. Danach hatte der Kläger die Hauptwohnung in E. und eine Nebenwohnung in G. Unter dem 7. Juli 1994 meldete der Kläger seine Hauptwohnung in E. ab und in G. an. Während des gerichtlichen Verfahrens verlegte er seine Wohnung von G. nach G. Der Kläger wohnt und arbeitet auch nach seiner Heirat in G. und hat dort Aufgaben in einem Sportverein übernommen, die gegenüber den Ordnungsbehörden der Stadt und des Landkreises G. wahrzunehmen sind. Seine Ehefrau wohnt und arbeitet in E. An den Wochenenden und jeweils an einem Abend der Woche hält sich der Kläger in der Regel bei seiner Ehefrau in E. auf; mitunter treffen sich die Eheleute in G.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 3. November 1994, bestätigt durch Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 23. Oktober 1995, die Abmeldung der Hauptwohnung des Klägers ab, weil auch kinderlose Ehegatten keine verschiedenen Hauptwohnungen haben könnten und der Schwerpunkt der gemeinsamen Lebensbeziehung in E. liege.
Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Urteil geändert und den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt (VBlBW 1999, 146): Die Anfechtungsklage gegen die durch Verwaltungsakt ergangene Feststellung der Hauptwohnung sei zulässig und begründet. Die Wohnung in G. sei die Hauptwohnung des Klägers, weil er diese überwiegend benutze. Die Vorschrift des § 17 Abs. 2 Satz 2 MG, derzufolge die Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd von seiner Familie getrennt lebe, die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie sei, beziehe sich nicht auf kinderlose Ehepaare. Unter Familie sei im Unterschied zur Ehe die umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern zu verstehen. Der gesetzliche Begriff der Familie entspreche dem des Art. 6 GG. Die Systematik des Gesetzes, seine Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Regelung rechtfertigten eine Abweichung vom Wortlaut nicht. Zwischen den Ehepartnern bestehe eine qualitativ andere Beziehung als im Familienverband zwischen Eltern bzw. Personensorgeberechtigten und ihren minderjährigen Kindern. Nur für letztere sei es aufgrund der familiären Bindungen sinnvoll und realitätsgerecht, eine einheitliche Hauptwohnung festzulegen.
Die Beklagte verfolgt mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision das Ziel, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 1. April 1997 zurückzuweisen. Sie führt zur Begründung im wesentlichen aus: Die angefochtene Entscheidung verletze § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG. Die inhaltsgleiche Bestimmung des Landesrechts sei auch auf kinderlose Ehepaare anzuwenden. Eine Beschränkung auf Eltern mit minderjährigen Kindern sei nicht gerechtfertigt und stehe in Widerspruch zur herrschenden Meinung. Der melderechtliche Familienbegriff sei nicht nur unabhängig von der verfassungsrechtlichen Begriffsbildung, das Grundgesetz gebiete im Gegenteil sogar, kinderlosen Ehepaaren die Vergünstigung einer gemeinsamen Hauptwohnung nicht zu versagen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil steht mit Bundesrecht nicht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist zurückzuweisen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und kann daher nicht aufgehoben werden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, daß die gemeinsame Wohnung des Klägers und der Beigeladenen in E. die Hauptwohnung des Klägers im Sinne des Melderechts ist.
Hat ein Einwohner mehrere Wohnungen, so gelten nach den sachlich übereinstimmenden Regelungen des § 17 des badenwürttembergischen Meldegesetzes und des § 12 des Melderechtsrahmengesetzes –MRRG –in der Fassung vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1430), geändert durch Gesetz vom 12. Juli 1994 (BGBl I S. 1497), folgende Bestimmungen (zur Revisibilität vgl. Urteil vom 15. Oktober 1991 –BVerwG 1 C 24.90 –BVerwGE 89, 110 ≪112≫ = Buchholz 402.43 § 12 MRRG Nr. 3 = NJW 1992, 1121): Eine dieser Wohnungen ist die Hauptwohnung des Einwohners, jede weitere Wohnung ist Nebenwohnung; der Einwohner hat der Meldebehörde mitzuteilen, welche Wohnung nach den gesetzlichen Regeln seine Hauptwohnung ist (§ 12 Abs. 1 und 3 MRRG). Hauptwohnung ist die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners (§ 12 Abs. 2 Satz 1 MRRG). Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie lebt, ist die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie (§ 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG). Hauptwohnung eines minderjährigen Einwohners ist die vorwiegend benutzte Wohnung des Personensorgeberechtigten; entsprechendes gilt unter bestimmten Umständen für Behinderte (§ 12 Abs. 2 Satz 3 und 4 MRRG). In Zweifelsfällen ist die vor– wiegend benutzte Wohnung dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt (§ 12 Abs. 2 Satz 5 MRRG).
Der Verwaltungsgerichtshof geht zutreffend davon aus, daß die Bestimmung der Hauptwohnung des Klägers davon abhängt, ob die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG auf kinderlose Ehegatten anwendbar ist. Nach seinen Feststellungen benutzt der Kläger vorwiegend seine Wohnung in G., so daß diese gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 MRRG seine Hauptwohnung wäre. Seine Ehefrau, die Beigeladene, lebt ganz überwiegend in ihrem Wohnhaus in E. Der Kläger hält sich in der Regel an den Wochenenden und jeweils an einem Abend der Woche in der Wohnung der Beigeladenen auf, während diese sich nur mitunter in der Göppinger Wohnung einfindet. Danach ist die vorwiegend gemeinsam benutzte Wohnung des Klägers und der Beigeladenen, die keine Kinder haben und nicht dauernd getrennt leben, die Wohnung in E. Findet § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG Anwendung, befindet sich die Hauptwohnung des Klägers in E. Dies ist der Fall. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs erfaßt die Vorschrift entsprechend der Verwaltungspraxis und der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum auch kinderlose Ehepaare (vgl. Medert/Süßmuth/Dette-Koch, Melderecht des Bundes und der Länder, Erl. § 12 MRRG Rn. 27; Belz, Meldegesetz für Baden-Württemberg, 3. Aufl., § 17 Rn. 33).
Der Wortlaut des § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG ist nicht eindeutig. Die zweifache Verwendung des Wortes „Familie” zwingt nicht zu der Annahme, der Gesetzgeber habe damit die Anwendung auf kinderlose Ehegatten oder solche mit volljährigen Kindern ausschließen wollen. Zwar unterscheidet die Alltags- wie die Rechtssprache in vielen Zusammenhängen zwischen Ehe und Familie. Indes schließen sich diese Begriffe nicht gegenseitig aus. Der Begriff der „Familie” wird u.a. verwendet, wenn die durch Ehe begründete Lebensgemeinschaft und die Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern unter einem Oberbegriff zusammengefaßt werden sollen („Familienrecht”; vgl. auch § 17 Abs. 1 AuslG: „familiäre Lebensgemeinschaft”). Hinzu kommt, daß nicht normübergreifend festliegt, sondern der jeweiligen Regelung entnommen werden muß, was unter „Familie” zu verstehen ist. Das in Art. 6 Abs. 1 GG verwendete Begriffspaar „Ehe und Familie” verpflichtet den Gesetzgeber nicht auf die Verwendung bestimmter Begriffe und kann daher nicht ohne weiteres zur Auslegung anderer Normen herangezogen werden. Dies gilt auch für das Melderecht. So gehört etwa die Mutter des Einwohners nicht zur Familie im Sinne von § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG, weil diese Vorschrift auf den verheirateten Einwohner und damit auf die durch Heirat vermittelte Zugehörigkeit zur Familie abstellt (vgl. Beschluß vom 13. Mai 1987 –BVerwG 7 B 72.87 –Buchholz 402.43 § 12 MRRG Nr. 1 = NVwZ 1987, 976).
Aus dem Grundgedanken des § 12 Abs. 2 MRRG folgt, daß verheiratete Einwohner mit einer gemeinsamen Hauptwohnung ohne Rücksicht darauf zu melden sind, ob sie minderjährige Kinder haben. Maßgeblich für die Bestimmung der Hauptwohnung ist die vorwiegende Nutzung einer Wohnung, in Zweifelsfällen der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners (§ 12 Abs. 2 Satz 1 und 5 MRRG). Die hier zu betrachtende Regelung knüpft, allerdings in typisierender Weise, ebenfalls an den –durch die eheliche Lebensgemeinschaft begründeten –Schwerpunkt der Lebensbeziehungen an. Der Gesetzgeber hat sich erkennbar vom Erscheinungsbild derjenigen leiten lassen, die aus beruflichen Gründen werktags vorwiegend die Wohnung in einer anderen Gemeinde nutzen, für die aber die gemeinsame Wohnung mit dem Ehegatten den Lebensmittelpunkt bildet. Dieses Leitbild tritt besonders deutlich hervor, wenn minderjährige Kinder „im Hause” sind. Die gesetzliche Regelung wird dadurch aber nicht geprägt. Dies ergibt sich aufgrund folgender Erwägungen.
Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs würde sich der melderechtliche Status eines verheirateten Einwohners u.a. wegen der Geburt, des Todes oder des Eintritts der Volljährigkeit eines Kindes ändern, auch wenn die Lebensverhältnisse im übrigen gleich bleiben. Daß dies der Gesetzgeber schwerlich im Blick gehabt haben dürfte, zeigt insbesondere der zuletzt genannte Fall. Es stieße weithin auf Unverständnis, wenn mit der Vollendung des 18. Lebensjahres des letzten Kindes nicht mehr die Familienwohnung mit ihren gewachsenen Lebensbeziehungen die Hauptwohnung des auswärts arbeitenden Ehegatten wäre, sondern die bisherige Nebenwohnung. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber den Begriff der Familie nicht näher umschrieben hat. Daher ist unklar, welche Kinder im vorliegenden Regelungszusammenhang zu berücksichtigen wären. So wäre es zwar folgerichtig, daß nur die Gemeinschaft mit den gemeinsamen ehelichen Kindern der Ehegatten eine Familie im Sinne des § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG bildete, also die Lebensgemeinschaft mit den nur von einem Ehegatten abstammenden Kindern unberücksichtigt bliebe. Dies stünde aber mit der sozialen Realität nicht im Einklang. Es spricht nichts dafür, daß der Gesetzgeber das nach der Natur der Sache auf einen einfachen und zügigen Vollzug angelegte Melderecht mit Fragestellungen belasten wollte, die angesichts der Vielfalt der Lebensgestaltungen zu komplizierten und streitträchtigen Erwägungen Anlaß geben.
Ferner wäre die vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Auslegung des § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG dem Anliegen des Gesetzgebers abträglich, daß die Behörden über den Eintrag im Melderegister schnell und zuverlässig die Hauptwohnung als Anknüpfungspunkt für Zuständigkeiten und Rechte und Pflichten ermitteln können (vgl. BTDrucks 8/3825 S. 20). Es ist nämlich nicht zu erwarten, daß die Betroffenen der Meldebehörde von sich aus Veränderungen der Hauptwohnung gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 MRRG mitteilen, die allein auf Umstände zurückzuführen sind, die ihre Kinder betreffen. Die Melderegister würden in vermehrtem Umfang unrichtig und müßten berichtigt werden. Zudem müßte damit gerechnet werden, daß die Hauptwohnung in einer nicht zu vernachlässigenden Zahl von Fällen mehrfach wechselt, was einer einfachen und zweckmäßigen Verwaltungstätigkeit zuwiderliefe und auch für den betroffenen Einwohner nachteilig wäre.
Es liegt in der Eigenart typisierender Regelungen, daß Besonderheiten des Einzelfalls grundsätzlich unbeachtlich bleiben. Wo die Grenzen der Typisierungsbefugnis im vorliegenden Zusammenhang liegen, bedarf hier keiner Entscheidung. Der Kläger und die Beigeladene haben nämlich eine gemeinsame Wohnung, die sie vorwiegend nutzen. Aufgrund ihrer individuellen Lebensgestaltung mag der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung von vergleichsweise geringer Tragweite sein, er hat aber seine Bedeutung nicht gänzlich eingebüßt. Anders wird es etwa dann liegen, wenn kinderlose, nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten z.B. aus beruflichen Gründen je eine Wohnung unterhalten, die sie vorwiegend benutzen, und wenn es keinen gemeinsamen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse gibt. Für diesen gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Fall sehen die Verwaltungsvorschriften einiger Länder vor, daß im Einzelfall die jeweilige Wohnung des Ehegatten dessen alleinige oder Hauptwohnung sein kann (vgl. z.B. Nr. 8.3.5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Niedersächsischen Meldegesetz vom 14. Februar 1989 ≪Nds. MBl S. 502≫, zuletzt geändert durch RdErl. vom 20. Mai 1998 ≪Nds. MBl S. 957≫). Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben.
Der erkennende Senat hat bereits ausgesprochen, daß die Regelung des § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG Art. 6 Abs. 1 GG nicht berührt (vgl. Beschluß vom 16. März 1988 –BVerwG 1 B 25.88 –Buchholz 402.43 § 12 MRRG Nr. 2). Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch nicht im Hinblick auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 GG. Es steht außer Zweifel, daß der Gesetzgeber sich im Melderecht typisierender Regelungen bedienen kann. Die Ausgestaltung dieser Materie steht im weiten Ermessen des Gesetzgebers. Das Melderecht erfüllt Ordnungsaufgaben, die im wesentlichen im öffentlichen Interesse liegen, und berührt den einzelnen allenfalls geringfügig. Dabei ist zu berücksichtigen, daß etwaige Unzuträglichkeiten, die sich aus der Anknüpfung anderer Rechtsvorschriften an die Hauptwohnung ergeben, bei der Ausgestaltung und Auslegung dieser Rechtsvorschriften zu bewältigen sind (vgl. Beschluß vom 16. März 1988, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Meyer, Mallmann, Hahn, Groepper, Gerhardt
Fundstellen
NJW 1999, 2688 |
FamRZ 1999, 1586 |
NVwZ 1999, 1114 |
VBlBW 1999, 373 |
BayVBl. 2000, 157 |
DVBl. 1999, 1749 |
FSt 2000, 38 |
FuBW 1999, 773 |