Entscheidungsstichwort (Thema)
Bebauungsplan. Normenkontrollverfahren. Antragsbefugnis. Rechtsverletzung. Rechtsschutzbedürfnis. Grundeigentum
Leitsatz (amtlich)
1. Die Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. ist regelmäßig zu bejahen, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft (wie Senatsbeschluß vom 7. Juli 1997 – BVerwG 4 BN 11.97 – BauR 1997, 972).
2. Für die Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. ist erforderlich, aber auch ausreichend, daß der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, daß er durch Festsetzungen des Bebauungsplans in seinem Grundeigentum verletzt wird.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1 n.F.
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 28.07.1997; Aktenzeichen 10a D 139/94.NE) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juli 1997 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan Nr. 646 – Katholikentagssiedlung – der Antragsgegnerin, der im Juli 1994 bekanntgemacht worden ist.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen, etwa 800 qm großen und mit einem Wohnhaus (Grundfläche ca. 80 qm) bebauten Grundstücks, das – wie fast alle Häuser der Siedlung – nach 1950 als Kleinsiedlerstelle errichtet worden ist. Das mit dem Planbereich weitgehend identische Siedlungsgebiet umfaßte 76 Kleinsiedlerstellen mit Grundstücksgrößen zwischen 700 und 1100 qm. Mit dem angegriffenen Bebauungsplan verfolgt die Antragsgegnerin das Ziel, den Siedlungscharakter zu erhalten, und die Anpassung des Wohnungsbestandes durch An- und Umbauten an den heutigen Wohnstandard zu ermöglichen, ohne zugleich die Entstehung zusätzlicher Wohneinheiten zu fördern. Der Plan weist die Wohngrundstücke im Siedlungsbereich als allgemeines Wohngebiet aus und setzt für nahezu jedes Grundstück überbaubare Flächen durch Baugrenzen fest. Die Baugrenzen auf dem Grundstück des Antragstellers zeichnen die straßenseitige Giebelwand und die beiden Seitenwände des aufstehenden Hauses nach und eröffnen im Anschluß an die Gebäuderückseite ein etwa 5 m tiefes und 12 m breites, an die seitliche Grundstücksgrenze im Süden heranreichendes zusätzliches Baufenster.
Zur Begründung seines am 14. Oktober 1994 gestellten Normenkontrollantrags mit dem Ziel der Planaufhebung hat der Antragsteller u.a. ausgeführt: Seine Antragsbefugnis sei auch nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. gegeben; denn er wehre sich gegen Festsetzungen des Bebauungsplans, die die Bebaubarkeit seines Grundstücks einschränkten. Er verfolge die Absicht, auf dem verhältnismäßig großen Grundstück aus sozialökonomischen Gründen (Schaffung eines 2-Generationen-Hauses) eine zweite Wohnung zu errichten und in das bestehende Gebäude, etwa durch einen Anbau, der die Raumkanten und die Dachform aufnehme, zu integrieren. Die festgesetzten Baugrenzen führten im Ergebnis dazu, daß er auf dem Grundstück eine Gebäudetiefe von höchstens 14 m einhalten müsse. Nach der bisherigen Rechtslage sei es ihm ohne weiteres möglich gewesen, sein Grundstück bis zu einer (Gebäude-)Tiefe von 16 m zu bebauen. Der Normenkontrollantrag sei auch begründet, da der Plan auf einer fehlerhaften Abwägung beruhe. Die Antragsgegnerin habe den von vielen Grundstückseigentümern im Plangebiet geteilten Wunsch nach Errichtung weiterer Wohnungen u.a. mit der Begründung abgelehnt, daß mit einer zweiten Wohneinheit auf dem Grundstück der Siedlungscharakter verloren ginge und das bestehende Straßennetz den zusätzlich zu erwartenden Verkehr nicht aufnehmen könne. Diese Begründung sei unzutreffend. Die Planung sei ferner willkürlich, da die festgesetzten Baugrenzen auf einigen Grundstücken ein zusätzliches Gebäude ermöglichten, auf den übrigen Grundstücken jedoch nicht. Diese Ungleichbehandlung sei sachlich nicht zu rechtfertigen.
Die Antragsgegnerin hat u.a. erwidert: Der Antragsteller sei nicht nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. antragsbefugt, da er nicht geltend machen könne, durch den Bebauungsplan oder seine Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Errichtung eines weiteren Wohnhauses im hinteren Bereich seines Grundstücks wäre auch ohne den streitbefangenen Bebauungsplan, d.h. auf der Grundlage von § 34 Abs. 1 BauGB, planungsrechtlich unzulässig, weil sich ein solches Bauvorhaben nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Soweit der Antragsteller einen Anbau mit einer zweiten Wohnung plane, werde er durch den Bauungsplan nicht in seinen Rechten verletzt, weil die festgesetzten Baugrenzen hinreichend Raum für einen Anbau ließen. Der Bebauungsplan sei nicht abwägungsfehlerhaft.
Das Normenkontrollgericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Antrag sei unzulässig, da der Antragsteller nicht antragsbefugt sei. Seine Antragsbefugnis habe zwar bei Einleitung des Normenkontrollverfahrens im Jahr 1994 nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. bestanden, sei jedoch zwischenzeitlich untergegangen. Nunmehr beurteile sich die Antragsbefugnis nach dem am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. Diese Vorschrift sei auch auf Verfahren anzuwenden, die vor dem 1. Januar 1997 anhängig gemacht worden seien. Danach reiche es im Gegensatz zum bisherigen Recht nicht mehr aus, wenn der Antragsteller lediglich in abwägungsrelevanten Interessen nachteilig betroffen werde. Erforderlich sei vielmehr, daß er die Verletzung bzw. drohende Verletzung einer zu einem Recht erstarkten Position geltend mache. Diese müsse möglich erscheinen. Ob dies der Fall sei, sei anhand eines Vergleichs der bisherigen Rechtslage mit der durch den Bebauungsplan geschaffenen Rechtslage zu beurteilen. Für den Antragsteller bedeuteten die Festsetzungen des angefochtenen Plans eine Verbesserung seiner Rechtsstellung im Vergleich mit der vor dem Planerlaß bestehenden Rechtslage, für die § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblich gewesen wäre. Die Wohngrundstücke in der näheren Umgebung seien ganz überwiegend in einer „Bebauungstiefe” (Gebäudetiefe) von weniger als 10 m bebaut. Ein Bauvorhaben mit einer Tiefe von 16 m wäre danach auf dem Grundstück des Antragstellers planungsrechtlich unzulässig gewesen. Zur Begründung seiner Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. könne der Antragsteller sich auch nicht darauf berufen, die Antragsgegnerin habe seine Belange in der Abwägung nicht gehörig berücksichtigt. Das Baugesetzbuch begründe weder ein subjektives Recht auf ein fehlerfreies Planverfahren noch im Zusammenhang damit ein Recht auf Abwägung, also keinen Anspruch darauf, daß bestimmte eigene Belange hinreichend berücksichtigt und nicht verkürzt werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Normenkontrollgericht zugelassene Revision des Antragstellers, mit der er u.a. die Verletzung von § 47 Abs. 2 VwGO rügt.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils. Der Antragsteller ist (auch) nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. antragsbefugt. Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift durch das Normenkontrollgericht verletzen Bundesrecht (1.). Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (2.). Da eine abschließende Entscheidung in der Sache weitere Tatsachenfeststellungen erfordert, die dem Revisionsgericht verwehrt sind, ist die Rechtssache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Normenkontrollgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Entgegen der Ansicht des Normenkontrollgerichts ist die nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. gegebene Antragsbefugnis des Antragstellers nicht infolge der am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (vgl. Art. 1 Nr. 2 a des 6. Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 1. November 1996, BGBl. I S. 1626) untergegangen. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. kann den Antrag auf Normenkontrolle jede natürliche (oder juristische) Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller sieht sich durch die für sein Grundstück festgesetzten Baugrenzen in seinem Grundeigentum verletzt. Sein Vorbringen hierzu erfüllt die Anforderungen, die § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. an das Vorliegen einer Antragsbefugnis stellt.
Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 7. Juli 1997 – BVerwG 4 BN 11.97 – (BauR 1997, 972) bereits entschieden, daß die Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. für einen Normenkontrollantrag, mit dem sich der Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft, regelmäßig gegeben ist, und dazu ausgeführt: Eine planerische Festsetzung nach § 9 Abs. 1 BauGB stelle eine Bestimmung des Inhalts des Grundeigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar (BVerfGE 70, 35 ≪53≫; 79, 174 ≪188 f.≫). Die Rechtswidrigkeit eines derartigen normativen Eingriffs in das Grundeigentum dürfe der Eigentümer deshalb durch Einleitung eines Normenkontrollverfahrens grundsätzlich abwehren. Daran habe sich durch die Neufassung von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nichts geändert (vgl. Senatsbeschluß vom 7. Juli 1997 a.a.O.).
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie trägt dem Umstand Rechnung, daß einerseits das Grundeigentum zwar unter dem gesetzlichen Vorbehalt seiner Ausgestaltung durch die gemeindliche Bauleitplanung steht (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), die Nutzungsbefugnisse, die das Eigentum vermittelt, also durch Bebauungsplan eingeschränkt werden dürfen, andererseits aber die subjektivrechtliche Gewährleistung des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 GG der gemeindlichen Planungshoheit Schranken zieht, die insbesondere in Gestalt des Gebotes der Verhältnismäßigkeit in der planerischen Abwägung zu beachten sind. Eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) muß nur hingenommen werden, wenn sie auf einer rechtmäßigen Norm beruht. Ob der gemäß § 10 BauGB als Satzung erlassene Bebauungsplan rechtmäßig ist, kann der von seinen Festsetzungen betroffene Grundeigentümer grundsätzlich im Normenkontrollverfahren, solange der Gesetzgeber diese Rechtsschutzmöglichkeit bietet, überprüfen lassen.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund dürfen die Anforderungen an das Geltendmachen einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. nicht überspannt werden. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, daß der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, daß er durch Festsetzungen des Bebauungsplans in seinem Grundeigentum verletzt wird. Von diesem Ansatz geht auch das Normenkontrollgericht aus. Das Erfordernis einer möglichen Rechtsverletzung knüpft an die Judikatur und Praxis zur Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO an. Für diese Anknüpfung spricht nicht nur der Wortlaut von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F., der sich an die Formulierung von § 42 Abs. 2 VwGO anlehnt, sondern auch die Gesetzesbegründung. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll durch die Neuregelung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO „die Gewährleistung des Individualrechtsschutzes als Zulassungsvoraussetzung ein stärkeres Gewicht erhalten”; deshalb werde die Antragsbefugnis an die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltende Klagebefugnis angepaßt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 13/3993, Begründung zu Art. 1 Nr. 2, S. 10). Höhere Anforderungen an die Darlegung einer Rechtsverletzung finden weder im Wortlaut von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. noch in der Gesetzesbegründung eine Stütze. Der Entstehungsgeschichte der Norm ist lediglich zu entnehmen, daß der Gesetzgeber eine an § 42 Abs. 2 VwGO ausgerichtete Begrenzung der Antragsbefugnis beabsichtigte (vgl. BTDrucks 13/3993 S. 9, 10). Darüber hinausgehende Anforderungen an die Antragsbefugnis lassen sich auch nicht aus dem Ziel der Neuregelung ableiten, den Zugang zum Normenkontrollverfahren im Vergleich zur früheren, durch den weit auszulegenden Begriff des Nachteils geprägten Rechtslage einzuschränken. Dieser Verfahrenszweck wird bereits durch das gegenüber dem früheren Nachteilsbegriff enger gefaßte Erfordernis einer (möglichen) Rechtsverletzung erfüllt.
Nicht gefolgt werden kann dem Normenkontrollgericht in seiner Ansicht, ob eine Rechtsverletzung als möglich erscheine, sei anhand eines Vergleichs der bisherigen Rechtslage mit der durch den Bebauungsplan geschaffenen Rechtslage zu beurteilen. Das Erfordernis einer Vergleichsbetrachtung schließe es aus, die Antragsbefugnis allein daraus herzuleiten, daß das fragliche Grundstück überhaupt von Festsetzungen des Bebauungsplans erfaßt werde. Eine gegenteilige Auffassung ließe unberücksichtigt, daß die ein Grundstück betreffenden planerischen Festsetzungen einen Zuwachs an Rechten bedeuten könnten, etwa weil ein vorher geltender Bebauungsplan weitergehende Einschränkungen enthalten habe oder die nach § 34 oder § 35 BauGB zu beurteilende Rechtslage hinter den durch Bebauungsplan eröffneten Möglichkeiten zurückbleibe. Diese Erwägung überzeugt nicht. Sie verkennt die Ambivalenz bauplanerischer Festsetzungen. Auch eine für den Eigentümer im Vergleich zur bisherigen Rechtlage an sich günstige Festsetzung kann ihn zugleich in der baulichen Nutzung seines Grundstücks beschränken und für ihn nachteilig sein (vgl. auch Senatsbeschluß vom 6. Januar 1993 – BVerwG 4 NB 38.92 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 73). Der Nachteil, den ein Eigentümer dadurch erleidet, daß ihm weitergehende Nutzungsmöglichkeiten vorenthalten werden, kann auf einem Verstoß gegen zwingende gesetzliche Planungsvorgaben oder auf einer fehlerhaften planerischen Abwägung beruhen. Zur ordnungsgemäßen Geltendmachung und zur rechtlichen Begründung einer darin liegenden Verletzung des Grundeigentums bedarf es keines Vergleichs mit der Rechtslage, die ohne den angegriffenen Bebauungsplan bestehen würde. Ob ein Antragsteller ein bestimmtes Vorhaben ausführen dürfte, wenn sich der zur Überprüfung gestellte Bebauungsplan als nichtig erweist, ist keine Frage der Rechtsverletzung, sondern eine Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für das Normenkontrollverfahren.
2.1 Das Vorbringen des Antragstellers genügt den vorgenannten Anforderungen an das Geltendmachen einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. Der Antragsteller sieht sich, wie sich aus seiner Antragsschrift vom 13. Oktober 1994 und der darin enthaltenen Bezugnahme auf seine im Planaufstellungsverfahren vorgebrachten Anregungen und Bedenken (Schreiben vom 10. August 1990) ergibt, in seiner Eigentümerstellung dadurch verletzt, daß die für sein Grundstück festgesetzten Baugrenzen einen dem heutigen Wohnstandard entsprechenden rückwärtigen Anbau einer zweiten Wohnung nicht ermöglichten. Damit greift er das von der Antragsgegnerin verfolgte Planungsziel an, den Veränderungswünschen einer Mehrheit der Bewohner des Plangebiets nach einer Erweiterung der Wohnflächen entgegenzukommen, im Interesse der Wahrung des ursprünglichen Siedlungscharakters die zulässige Gebäudetiefe mit 14 m jedoch so zu bemessen, daß die Errichtung einer zusätzlichen Wohnung weitestgehend ausgeschlossen wird (vgl. die Begründung zum Bebauungsplan Nr. 646, S. 12 ff.). Er führt hierzu aus, der Anbau einer zweiten Wohnung (2-Generationen-Haus), der bei den giebelständigen Häusern im Plangebiet bei einer Gebäudetiefe von mindestens 16 m zu realisieren sei, würde bei entsprechender Bauweise und angesichts der bestehenden Grundstücksgrößen den Siedlungscharakter des Plangebiets nicht verändern. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin könne das bestehende Straßennetz den zusätzlichen Kfz-Verkehr aufnehmen; auch eine Erweiterung des Kanalnetzes sei nicht erforderlich. Die Schaffung zusätzlicher Kfz-Stellplätze sei ohne weiteres möglich. Damit erhebt der Antragsteller den Vorwurf, die für sein Grundstück festgesetzten Baugrenzen seien rechtswidrig, weil sie – gemessen an dem (auch) von der Antragsgegnerin bejahten Planungsbedarf und deren eigenen Zielvorstellungen – eine städtebaulich sinnvolle Ausnutzung seines Baugrundstücks verhinderten. Dieses Vorbringen ist so substantiiert, daß die konkrete Möglichkeit einer abwägungsfehlerhaften Festsetzung der angegriffenen Baugrenzen und damit eine Verletzung des Antragstellers in seinem Grundeigentum nicht (von vornherein) auszuschließen sind.
2.2 Da dem Antragsteller die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. und n.F. zusteht, braucht hier nicht entschieden zu werden, ob § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. auch auf bereits vor dem 1. Januar 1997 anhängig gewordene Normenkontrollverfahren Anwendung findet. Nicht entscheidungserheblich und deshalb in diesem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig ist ferner die vom Normenkontrollgericht für die Zulassung der Revision angeführte, als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage, „ob im Rahmen der Bauleitplanung ein subjektives Recht auf Abwägung anzuerkennen ist”, dessen Verletzung die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. begründen kann, unter einem solchen Anspruch versteht das Normenkontrollgericht, wie sich aus der Begründung seines Urteils (vgl. S. 13) und aus der Bezugnahme auf sein Urteil vom 23. Januar 1997 – OVG 7 a D 70/93.NE – (NVwZ 1997 S. 694 ≪695≫) ergibt, „ein formales Recht auf Abwägung der eigenen Belange”, d.h. „solcher privater Belange, die zwar bei der Aufstellung eines Bebauungsplans abwägend zu berücksichtigen, jedoch nicht Teil einer Rechtsposition des Antragstellers sind” (vgl. Urteil vom 23. Januar 1997, a.a.O., S. 695 r.Sp.). Die Frage nach der Existenz eines solchen Anspruchs stellt sich hier nicht, weil sich die Antragsbefugnis des Antragstellers entgegen der Ansicht des Normenkontrollgerichts bereits daraus ergibt, daß er eine mögliche Verletzung seines Grundeigentums durch die festgesetzten Baugrenzen geltend macht.
3. Die Entscheidung des Normenkontrollgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Die Zurückweisung der Revision nach § 144 Abs. 4 VwGO kommt hier zwar in Bebracht, weil es nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil am Rechtsschutzbedürfnis für den Normenkontrollantrag fehlen könnte. Die Vorinstanz gelangt nämlich zu dem Ergebnis, daß die für das Grundstück des Antragstellers festgesetzten Baugrenzen, die eine Gebäudetiefe von bis zu 14 m zuließen, die Rechtsstellung des Antragstellers im Vergleich mit der Rechtslage vor Erlaß des angefochtenen Bebauungsplans verbesserten: Vor Planerlaß sei ein etwaiges Bauvorhaben des Antragstellers nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen gewesen; ein Gebäude mit einer Tiefe von 14 m hätte sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung eingefügt. Diese Vergleichsbetrachtung reicht jedoch nicht aus, um dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen:
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, daß ein Rechtsschutzbedürfnis als Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Normenkontrollantrag u.a. dann nicht besteht, wenn sich die Inanspruchnahme des Gerichts als nutzlos erweisen würde, weil der Antragsteller seine Rechtsstellung mit der begehrten Entscheidung nicht verbessern kann (vgl. Beschluß vom 18. Juli 1989 – BVerwG 4 N 3.87 – BVerwGE 82, 225). Der erkennende Senat hat mit seinem Beschluß vom 25. Mai 1993 – BVerwG 4 NB 50.92 – (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 79) bereits entschieden, daß einem Normenkontrollantrag, mit dem sich ein Eigentümer dagegen zur Wehr setzt, daß sein Grundstück als nicht bebaubare Fläche festgesetzt worden ist, das Rechtsschutzbedürfnis nur dann fehlt, wenn unzweifelhaft ist, daß er seinem Ziel, das Grundstück baulich zu nutzen, selbst dann auf unabsehbare Zeit nicht näherkommen kann, wenn der Bebauungsplan für nichtig erklärt wird (vgl. auch Beschluß vom 26. Mai 1993 – BVerwG 4 NB 3.93 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 80). Unschädlich ist danach, daß ein Antragsteller seinem eigentlichen Ziel, für sein Grundstück die Nutzung festzusetzen, die seinen Vorstellungen entspricht, nicht allein dadurch näherkommt, daß der Bebauungsplan für nichtig erklärt wird. Dem Zulässigkeitserfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses ist schon genügt, wenn sich nicht ausschließen läßt, daß die gerichtliche Entscheidung für den Rechtsschutzsuchenden ggf. von Nutzen sein kann (vgl. Beschluß vom 25. Mai 1993 a.a.O. S. 142). Diese Ausführungen sind ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragbar, in dem der Antragsteller sich gegen die Festsetzung von Baugrenzen wehrt, die seinen Vorstellungen von einer erweiterten baulichen Ausnutzung seines Grundstücks im Wege stehen. Die Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, die den Begriff der Rechtsverletzung betrifft, gibt keinen Anlaß, die Rechtsprechung des Senats zum Rechtsschutzbedürfnis im Rahmen von § 47 VwGO zu modifizieren. Danach besteht ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Normenkontrollgerichts ist zwar davon auszugehen, daß die vom Antragsteller angestrebte bauliche Nutzung (2-Generationen-Haus mit einer Gebäudetiefe von 16 m) im Zeitpunkt des Erlasses des Normenkontrollurteils auf der Grundlage von § 34 Abs. 1 BauGB nicht genehmigungsfähig war. Das Normenkontrollgericht äußert sich jedoch nicht zu der Frage, ob sich auch ausschließen läßt, daß der Antragsteller im Falle eines Erfolges seines Normenkontrollantrages infolge eines sich abzeichnenden oder zu erwartenden Wandels der tatsächlichen Verhältnisse in der Umgebung seines Grundstücks eine reale Chance haben würde, seine baulichen Vorstellungen auf der Grundlage von § 34 Abs. 1 BauGB verwirklichen zu können. Es ist durchaus vorstellbar, daß in dem betroffenen Siedlungsgebiet eine bauliche Entwicklung einsetzt oder sich verstärkt, die dem Antragsteller in absehbarer Zeit die angestrebte bauliche Nutzung im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB ermöglichen würde. Die Antragsgegnerin selbst hat eine derartige Entwicklung befürchtet: In ihrem Schriftsatz vom 20. März 1995 trägt sie vor, ohne den angegriffenen Bebauungsplan wäre eine fortschreitende Verdichtung in dem betreffenden Bereich nicht zu verhindern gewesen, wie vereinzelte Baugenehmigungen, die aufgrund des § 34 BBauG/BauGB hätten erteilt werden müssen, zeigten. Im Hinblick auf eine derartige bauliche Entwicklung würde dem Antragsteller die beantragte Nichtigerklärung des Bebauungsplans von Nutzen sein, weil sie jedenfalls ein Hindernis, das der angestrebten Bebauung auf Dauer entgegensteht, beseitigen würde.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Hien, Halama, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 1474723 |
NJW 1998, 2991 |
BauR 1998, 642 |
BauR 1998, 740 |
NVwZ 1998, 732 |
NJ 1998, 386 |
NuR 1998, 422 |
ZfBR 1998, 205 |
BRS 1999, 163 |
UPR 1998, 348 |
www.judicialis.de 1998 |