Entscheidungsstichwort (Thema)
großflächiger Einzelhandelsbetrieb. Großflächigkeit. Verkaufsfläche. Auswirkungen
Leitsatz (amtlich)
Einzelhandelsbetriebe sind großflächig im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m² überschreiten.
Bei der Berechnung der Verkaufsfläche sind auch die Thekenbereiche, die vom Kunden nicht betreten werden dürfen, der Kassenvorraum (einschließlich eines Bereichs zum Einpacken der Ware und Entsorgen des Verpackungsmaterials) sowie ein Windfang einzubeziehen.
Da der Typus des der wohnungsnahen Versorgung dienenden Einzelhandelsbetriebs häufig nicht mehr allein anhand der Großflächigkeit bestimmt werden kann, kommt dem Gesichtspunkt der Auswirkungen in § 11 Abs. 3 BauNVO erhöhte Bedeutung zu.
Normenkette
BauGB § 30; BauNVO § 11 Abs. 3
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 13.07.2004; Aktenzeichen 5 S 1205/03) |
VG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 11.04.2003; Aktenzeichen 9 K 143/02) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin, ein Lebensmitteldiscounter, erstrebt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung einer Verkaufsstätte.
Die Klägerin betreibt auf einem am Ostrand der Gemeinde Dogern liegenden, an ein Gewerbegebiet der benachbarten beigeladenen Stadt Waldshut-Tiengen angrenzenden Grundstück eine Verkaufsstätte. Diese wurde am 15. April 1996 mit einer Verkaufsfläche von ca. 660 m², einer Geschossfläche von 1 196 m² und 159 Stellplätzen genehmigt. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der ein Gewerbegebiet ausweist und Einzelhandelsbetriebe ausschließt; insoweit war eine Ausnahme erteilt worden. Die Klägerin beantragte am 12. April 2001 die Erteilung einer Baugenehmigung zur Erweiterung der Verkaufsstätte auf eine Geschossfläche von 1 469 m² bei einer Verkaufsfläche einschließlich Kassenbereich von (nach der Berechnung des Verwaltungsgerichtshofs) ca. 850 m² sowie zur Erhöhung der Stellplatzzahl auf 171. Nachdem die Klägerin erklärt hatte, keine Ausdehnung des Sortiments vorzunehmen, erteilte die Gemeinde Dogern ihr Einvernehmen. Dagegen äußerten unter anderen der Regionalverband sowie die beigeladene Stadt Bedenken. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 lehnte das Landratsamt den Antrag ab. Es handele sich um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb, der negative Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung und auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung habe. Dem stehe nicht entgegen, dass keine Erweiterung des Sortiments vorgesehen sei und die Vergrößerung der Fläche nur der Rationalisierung von Arbeitsabläufen und einer attraktiveren Produktpräsentation dienen solle.
Auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Freiburg den Beklagten verpflichtet, erneut über den Bauantrag zu entscheiden. Zur Begründung führte es aus, im Hinblick auf Veränderungen im Einkaufsverhalten der Bevölkerung könne an der pauschalen Annahme der Großflächigkeit bereits bei 700 m² Verkaufsfläche nicht mehr festgehalten werden. Auch solle vorliegend die Vergrößerung der Verkaufsfläche nicht der Erweiterung des Sortiments sondern der Rationalisierung der Arbeitsabläufe und einer heutigen Kundenbedürfnissen entgegenkommenden Präsentation des Warenangebots dienen. Windfang und Kassenvorraum seien nicht einzubeziehen, da es sich nicht mehr um einen Teil der Geschäftsfläche handele. Daraus ergebe sich eine Verkaufsfläche von knapp 800 m². Somit könne nicht von einer Großflächigkeit des Erweiterungsbaus ausgegangen werden.
Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom 13. Juli 2004 (BauR 2005, 968 = ZfBR 2005, 78) das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob das Vorhaben an der textlichen Festsetzung des Bebauungsplans, wonach Einzelhandelsbetriebe nur ausnahmsweise zulässig seien, scheitere. Seine Unzulässigkeit folge jedenfalls aus § 11 Abs. 3 BauNVO. Die geplante Erweiterung führe dazu, dass ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb entstehe. Mit dem Merkmal der Großflächigkeit solle ein bestimmter Typ von Einzelhandelsbetrieben und eine städtebaulich erhebliche Nutzungsart definiert werden. Lege man den in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 1987 – BVerwG 4 C 19.85 – (NVwZ 1987, 1076 = BRS 47 Nr. 56) und – BVerwG 4 C 30.86 – (NVwZ 1987, 969) entwickelten Maßstab zugrunde, werde der Schwellenwert zur Großflächigkeit überschritten. Denn mit der geplanten Erweiterung werde die künftige Verkaufsfläche bei ca. 850 m² liegen. Dabei sei der vom Landratsamt vorgenommene Abzug von (nur) 1 cm Putz angemessen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könnten die Flächen des Windfangs und des Kassenvorraums nicht abgezogen werden. Denn beide würden von den Kunden genutzt und prägten die Attraktivität des Betriebs mit. Somit würde nur dann kein großflächiger Einzelhandelbetrieb entstehen, wenn der hierzu in der Rechtsprechung entwickelte Schwellenwert auf eine Größe von (weit) mehr als 850 m² anzuheben wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall. Allerdings habe das Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 22. Mai 1987 an das „derzeitige Einkaufsverhalten und die Gegebenheiten im Einzelhandel” angeknüpft. Im Hinblick auf die zwischenzeitliche Entwicklung im (Lebensmittel)-Einzelhandel werde die normativ nach wie vor nicht fixierte Flächengrenze von ca. 700 m² nicht mehr als realitätsgerecht angesehen. Es entspreche allgemeiner Erfahrung, dass bei (Lebensmittel)-Einzelhandelsbetrieben, die der wohnungsnahen Versorgung der Bevölkerung dienen, die Käuferansprüche und Erwartungen gestiegen seien und der unumkehrbare Trend zu Selbstbedienungsläden mit einem immer breiteren Warenangebot einen entsprechenden Bedarf an Verkaufsflächen unter anderem für das Befahren mit Einkaufswagen und das Einräumen sowie zur besseren Präsentation ausgelöst habe. Nach dem Bericht der Arbeitsgruppe „Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel und § 11 Abs. 3 BauNVO”, der sich mit der Situation der Lebensmittelsupermärkte befasse, sei festgehalten, dass nach Auskunft der Spitzenverbände des Einzelhandels bereits bestehende Märkte auf einer Verkaufsfläche von mindestens ca. 900 m² (d.h. ca. 1 200 m² Geschossfläche) noch wirtschaftlich betrieben werden könnten, neu zur Eröffnung anstehende Märkte jedoch ca. 1 500 m² Verkaufsfläche (ca. 2 000 m² Geschossfläche) benötigten, um auf Dauer wirtschaftlich zu sein. Gleichwohl sehe sich der Senat nicht in der Lage, die Verkaufsflächengrenze über den Wert von ca. 700 m² hinaus anzuheben, denn zum einen beträfen die im Bericht der Arbeitsgruppe „Strukturwandel” dokumentierten geänderten Verhältnisse allein den Lebensmitteleinzelhandel und damit nur eine einzelne Branche und mit Supermärkten zudem nur eine Betriebsform. Zum anderen habe das für eine Änderung der Baunutzungsverordnung zuständige Bundesministerium auch nach dem genannten Bericht der Arbeitsgruppe „Strukturwandel” keinen Bedarf für eine Änderung des § 11 Abs. 3 BauNVO gesehen. Daher sehe es der Senat nicht als seine Aufgabe an, die Norm abweichend vom höchstrichterlich begründeten und vom Verordnungsgeber nach wie vor als tragfähig angesehenen Verständnis zu interpretieren. Der veränderten Relation zwischen Verkaufsfläche und Geschossfläche (von früher 2:3 zu nunmehr 3:4) könne im Rahmen des weiteren Tatbestandsmerkmals der „Auswirkungen” im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO Rechnung getragen werden. Dagegen schiene es wenig einleuchtend, bei einem Einzelhandelsbetrieb mit – wie hier – einer Geschossfläche von mehr als 1 200 m², welche die Vermutungsregelung des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO auslöse, die Großflächigkeit – und damit schon die Anwendbarkeit der Vorschrift überhaupt – zu verneinen. Nach diesen Grundsätzen überschreite der geplante Discountmarkt mit einer Geschossfläche von 1 469 m² die Vermutungsgrenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO, so dass – widerlegbar – Auswirkungen anzunehmen seien. Im vorliegenden Fall mache die Klägerin selbst nicht geltend, dass einer der tatsächlichen Umstände vorliege, die nach § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO Anhaltspunkte für das Bestehen einer atypischen Situation begründen könne. Sie führe vielmehr nur ins Feld, dass es in Folge der geplanten Erweiterung der Verkaufsfläche (und der Geschossfläche) zu keiner Erhöhung der im bestehenden Discountmarkt geführten Sortimente kommen werde, was durch Übernahme einer entsprechenden Baulast gesichert werden könne. Mit dem breiten (weit überwiegend) zentrenrelevanten Warenangebot, mit dem weit außerhalb des Ortskerns von Dogern gelegenen und damit gerade nicht zentralen und für die Wohnbevölkerung allgemein gut erreichbaren Standort, mit der Lage in einer kleinen Gemeinde (ca. 2 300 Einwohner) ohne zentralörtliche Funktionen (was einem raumordnerischen Ziel im Landesentwicklungsplan 2002 ebenso widerspreche wie einer Vorgabe im Regionalplan Hochrhein-Bodensee 2000) und mit dem unstreitig gegebenen Verstoß gegen das raumordnerische „Kongruenzgebot”, gehöre bereits der bestehende Discountmarkt zu der Art von Betrieben, die mit der Regelung des § 11 Abs. 3 BauNVO erfasst werden sollen und sei die städtebauliche Situation gegeben, in der diese Vorschrift das Entstehen großflächiger Einzelhandelsbetriebe wegen deren Auswirkungen verhindert wissen wolle. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne eine Atypik nicht damit begründet werden, dass keine Erhöhung des im bestehenden Betrieb geführten Sortiments beabsichtigt sei. Denn es könne nicht im Sinne einer Vorbelastung hingenommen werden, dass der schon bisher Auswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO hervorrufende Betrieb bestandskräftig genehmigt sei, wobei mangels Großflächigkeit seinerzeit Auswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO nicht zu prüfen waren. Gerade wenn durch die umstrittene Erweiterung in städtebaulicher Hinsicht ein „qualitativer Sprung” eintrete, verbiete sich eine derartige Betrachtungsweise.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, die Frage, wann ein Einzelhandelsbetrieb „großflächig” sei, sei unabhängig davon zu beantworten, ob und welche Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO er gegebenenfalls haben könne. Die Eigenständigkeit des Merkmals der „Großflächigkeit” dürfe nicht in Frage gestellt werden. Der Verordnungsgeber habe in seiner Begründung zur Dritten Verordnung zur Änderung der Baunutzungsverordnung vom 7. November 1986 der Rechtsprechung einen größeren Spielraum bei der Bestimmung des Merkmals der Großflächigkeit eingeräumt. Auf der Grundlage der vom erkennenden Senat aufgestellten Rechtsgrundsätze sei es geboten, im Hinblick auf das in der Zwischenzeit veränderte Einkaufsverhalten der Bevölkerung und die Gegebenheiten im Einzelhandel den Schwellenwert für das Merkmal der Großflächigkeit auf ca. 900 – 1 000 m² Verkaufsfläche anzuheben. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs dürften im Übrigen die Bereiche für Windfang und Kassenvorraum (Packzone) nicht eingerechnet werden, da diese für das „Warenangebot” des jeweiligen Einzelhandelsbetriebs nicht maßgebend seien. Hilfsweise sei vorliegend ein atypischer Fall anzunehmen, da das Erweiterungsvorhaben nicht mit einem erweiterten Warenangebot verbunden sei. Falls der vorhandene Markt bereits Auswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO herbeiführe, würden diese durch die Erweiterung nicht in städtebaulich relevanter Weise vergrößert.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. Juli 2004 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. April 2003 zurückzuweisen.
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zwar sei die „Großflächigkeit” ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal. Dem stehe jedoch nicht entgegen, dass die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen zur Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs herangezogen werden dürften. Die Abhängigkeit beider Voraussetzungen voneinander zeige sich auch daran, dass bei Vorliegen der Großflächigkeit die Vermutungswirkung eingreife. Eine Anhebung des Schwellenwerts würde den Trend zum Verbrauchermarkt auf der „grünen Wiese” eher beschleunigen als verlangsamen. Zahlreiche Gemeinden hätten bei der Aufstellung ihrer Bebauungspläne im Vertrauen auf die Grenze von 700 m² einen (kleinflächigen) Einzelhandelsbetrieb zugelassen. Eine Änderung der Rechtslage könnte das Umschreiben einer Vielzahl von Bebauungsplänen erforderlich machen.
Die beigeladene Stadt beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie legt dar, eine Änderung des maßgeblichen Schwellenwerts im Hinblick auf – angeblich – veränderte Verhältnisse sei Sache des Verordnungsgebers und nicht der Rechtsprechung. Im Übrigen könne der bereits vorhandene Betrieb keine Atypik begründen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, mit dem der Berufung des beklagten Landes stattgegeben und die Klage abgewiesen wurde, verstößt nicht gegen Bundesrecht. Der Verwaltungsgerichtshof ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das von der Klägerin geplante Erweiterungsvorhaben nicht genehmigungsfähig ist. Es handelt sich um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb, der in einem Gewerbegebiet nicht zulässig ist, weil er sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken kann (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO).
1. Einzelhandelsbetriebe sind großflächig im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m² überschreiten.
1.1 § 11 Abs. 3 BauNVO liegt die Wertung zugrunde, dass die in dieser Vorschrift bezeichneten Betriebe typischerweise ein Beeinträchtigungspotential aufweisen, das es rechtfertigt, sie einem Sonderregime zu unterwerfen (BVerwG, Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – BVerwGE 117, 25 ≪35≫). Den Typus der in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO genannten Einkaufszentren (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 – BVerwG 4 C 16.87 – BRS 50 Nr. 67 = Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 16) schränkt der Verordnungsgeber nicht mit weiteren Merkmalen ein. Demgegenüber grenzt er in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO die nur in Kerngebieten und Sondergebieten zulässigen Einzelhandelsbetriebe mit zwei eigenständigen Merkmalen ein, nämlich mit dem Merkmal der Großflächigkeit und mit der Bezeichnung bestimmter städtebaulich erheblicher Auswirkungen (Urteile vom 22. Mai 1987 – BVerwG 4 C 19.85 – NVwZ 1987, 1076 = BRS 47 Nr. 56 und – BVerwG 4 C 30.86 – NVwZ 1987, 969; Beschluss vom 22. Juli 2004 – BVerwG 4 B 29.04 – ZfBR 2004, 699 = Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 28). Er misst dem Erfordernis der Großflächigkeit eigenständige Bedeutung bei. Der Begriff der Großflächigkeit dient ihm dazu, in typisierender Weise unabhängig von regionalen oder lokalen Besonderheiten bundesweit den Betriebstyp festzuschreiben, der von den in den §§ 2 bis 9 BauNVO bezeichneten Baugebieten ferngehalten werden soll. Dies bedeutet entgegen der Auffassung der Klägerin allerdings nicht, dass die nähere Umschreibung der Auswirkungen in § 11 Abs. 3 BauNVO nicht auch für die Auslegung des Begriffs der Großflächigkeit herangezogen werden könnte. Insbesondere bietet § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO, wonach Auswirkungen in der Regel anzunehmen sind, wenn die Geschossfläche 1 200 m² überschreitet, einen wichtigen Anhaltspunkt für die Bestimmung der Großflächigkeit. Nach der gesetzgeberischen Konzeption verbietet sich die Annahme, dass diese Grenze auch den Übergang zur Großflächigkeit markiert. Wie sich aus § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO ergibt, ist die Vermutungsregel des Satzes 3 widerleglich. Abweichungen kommen nicht nur nach oben, sondern auch nach unten in Betracht. Schon aus diesem Grund muss das Tatbestandsmerkmal der Großflächigkeit, soll es nicht leer laufen, eine niedrigere Schwelle bezeichnen. Bei Überschreiten dieser Schwelle hat eine eigenständige, eingehende Prüfung einzusetzen, für die der Verordnungsgeber in den Sätzen 3 und 4 des § 11 Abs. 3 BauNVO eine Reihe von Kriterien benennt. Diese Prüfung sieht er auch in Fällen als sachlich geboten an, in denen der in § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO benannte Schwellenwert von (seit 1. Januar 1987) 1 200 m² nicht erreicht wird.
1.2 Das Merkmal der Großflächigkeit wird in der Rechtsprechung mit Hilfe der Größe der Verkaufsfläche bestimmt (BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 – BVerwG 4 C 19.85 – a.a.O.). Denn mit ihm soll ein bestimmter Typ von Einzelhandelsbetrieben und eine städtebaulich erhebliche Nutzungsart definiert werden. Für diese Typisierung eignet sich die Geschossfläche als Maßstab weniger (Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl. 2002, Rn. 19.2 zu § 11 BauNVO). Einzelhandelsbetriebe werden vor allem durch die Größe der Verkaufsfläche bestimmt (Söfker, in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, Rn. 53 zu § 11 BauNVO). Ihre Attraktivität und damit die in § 11 Abs. 3 BauNVO näher umschriebenen Auswirkungen werden nicht von der Größe der baulichen Anlage, die sich in der Geschossfläche widerspiegelt, sondern – soweit es um das Merkmal der Fläche geht – eher von derjenigen Fläche beeinflusst, auf der Waren präsentiert und gekauft werden können.
1.3 Die zwischenzeitliche Entwicklung rechtfertigt es, den Schwellenwert für die Prüfung, ob die in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO umschriebenen Auswirkungen vorliegen, bei einer Verkaufsfläche von 800 m² anzusetzen. Dagegen kann dem Anliegen der Klägerin, die Schwelle noch weiter heraufzusetzen, auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht entsprochen werden.
1.3.1 Im Urteil vom 22. Mai 1987 – BVerwG 4 C 19.85 – (a.a.O.) ist der Senat davon ausgegangen, dass die Baunutzungsverordnung mit dem Merkmal der Großflächigkeit Einzelhandelsbetriebe, die wegen ihres angestrebten größeren Einzugsbereichs – wenn nicht in Sondergebiete – in Kerngebiete gehören und typischerweise auch dort zu finden sind, von den Läden und Einzelhandelsbetrieben der wohnungsnahen Versorgung der Bevölkerung unterscheidet, die in die ausschließlich, überwiegend oder zumindest auch dem Wohnen dienenden Gebiete gehören und dort typischerweise auch zu finden sind. Daraus hat er die Schlussfolgerung gezogen, die Großflächigkeit beginne dort, wo üblicherweise die Größe solcher, der wohnungsnahen Versorgung dienender, Einzelhandelsbetriebe, seinerzeit auch „Nachbarschaftsläden” genannt, ihre Obergrenze finde. Er ging somit davon aus, der Typus des der wohnungsnahen Versorgung dienenden Einzelhandelsbetriebs lasse sich anhand seiner Größe vom großflächigen Einzelhandelsbetrieb unterscheiden, der üblicherweise nicht mehr auf eine im Wesentlichen wohnungsnahe Versorgung zielt. Der Senat hat unter Bezugnahme auf die ihm damals vorliegenden Erkenntnisse in der Literatur weiter ausgeführt: „Der Oberbundesanwalt gibt hierfür eine Verkaufsfläche von 600 bis 700 m² an. Im Schrifttum wird die Obergrenze bei 600 m² (…) oder 700 m² (…) gesehen. Der Senat hat aus Anlass dieses Falles nicht zu entscheiden, wo nach dem derzeitigen Einkaufsverhalten der Bevölkerung und den Gegebenheiten im Einzelhandel die Verkaufsflächen-Obergrenze für Einzelhandelsbetriebe der wohnungsnahen Versorgung liegt. Vieles spricht dafür, dass sie nicht wesentlich unter 700 m², aber auch nicht wesentlich darüber liegt. Jedenfalls liegt die vom Kläger beabsichtigte Größe seines Lebensmittelmarktes mit einer Verkaufsfläche sowohl von 951 m² als auch von 838 m² oberhalb dieser Grenze.”
Der Senat hat in diesem Urteil vom 22. Mai 1987 zugleich zum Ausdruck gebracht, dass es im Hinblick auf das Einkaufsverhalten der Bevölkerung wie auf dementsprechende Entwicklungen im Handel nicht angebracht sei, sich beim Merkmal der Großflächigkeit allzu starr an den genannten Richtwert von 700 m² zu klammern. Im Anschluss daran hat der Senat in seinem, dem Verwaltungsgerichtshof zum Zeitpunkt des Erlasses seines Urteils noch nicht bekannten, Beschluss vom 22. Juli 2004 – BVerwG 4 B 29.04 – (a.a.O.) hervorgehoben, dass Überschreitungen des Richtwerts von 700 m² selbst dann, wenn sie eine Größenordnung von bis zu 100 m² erreichen, nicht zu dem Schluss zwingen, das Merkmal der Großflächigkeit sei erfüllt.
1.3.2 Der Verwaltungsgerichtshof sieht es als eine allgemeine Erfahrung an, dass seit 1987 bei (Lebensmittel-) Einzelhandelsbetrieben, die der wohnungsnahen Versorgung der Bevölkerung dienen, die Ansprüche und Erwartungen der Käufer gestiegen sind. Der unumkehrbare Trend zu Selbstbedienungsläden mit einem immer breiteren Warenangebot habe zu einem entsprechenden Bedarf an Flächen für das Befahren mit Einkaufswagen sowie für eine attraktivere Präsentation der Waren geführt. Die eigenständige, räumlich getrennte Lagerhaltung sei deutlich reduziert worden. Der Verwaltungsgerichtshof verweist hierbei auch auf den Bericht der Arbeitsgruppe „Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel und § 11 Abs. 3 BauNVO” vom 30. April 2002 (ZfBR 2002, 598). Die genannte Arbeitsgruppe wurde eingesetzt, nachdem sich um die Jahreswende 1999/2000 Unternehmen und Verbände des Einzelhandels an die Bundesregierung gewandt hatten, weil sie die Regelung des § 11 Abs. 3 BauNVO hinsichtlich der Standortzuweisung für großflächige Einzelhandelsbetriebe als Benachteiligung von Lebensmittelsupermärkten (Vollsortimenter) gegenüber anderen Vertriebsformen des Lebensmittelhandels, vor allem Discountern, empfanden. Sie referiert in ihrem Bericht hierzu umfangreiches Tatsachenmaterial und gibt u.a. die Einschätzung der Spitzenverbände des Einzelhandels wieder, wonach zwar bereits bestehende Märkte auf einer Verkaufsfläche von mindestens rund 900 m² (d.h. rund 1 200 m² Geschossfläche) noch wirtschaftlich betrieben werden könnten, neu zur Eröffnung anstehende Märkte, um auf Dauer wirtschaftlich betrieben werden zu können, jedoch Größenordnungen von rund 2 000 m² Geschossfläche (d.h. rund 1 500 m² Verkaufsfläche) benötigten. Auf der Grundlage dieser auch vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten Tatsachen kann nunmehr davon ausgegangen werden, dass nach den heutigen Gegebenheiten jedenfalls Einzelhandelsbetriebe mit nicht mehr als 800 m² Verkaufsfläche als Betriebe einzustufen sind, die der Nahversorgung der Bevölkerung dienen. Da eine darüber hinaus gehende Erhöhung dieses Schwellenwerts aus Rechtsgründen (hierzu im Folgenden) ausscheidet, bedarf es insoweit keiner weiteren Feststellungen.
1.3.3 Die Entwicklung zu größeren Verkaufsflächen auch bei Lebensmitteleinzelhandelsbetrieben, die unbedenklich der ortsnahen Versorgung der Wohnbevölkerung dienen, wird nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, dem Bericht der genannten Arbeitsgruppe und der vorliegenden Literatur zugleich durch eine andere Tendenz flankiert: Den beschriebenen Vollsortimentern mit 7 500 bis 11 500 Artikeln stehen Discounter gegenüber, die ihr Angebot auf 1 000 bis 1 400 Artikel beschränken und damit leichter mit kleineren Verkaufsflächen zurechtkommen und unter der Schwelle von 700 m² bis 800 m² bleiben können. Gerade Discounter haben indes häufig Auswirkungen der in § 11 Abs. 3 BauNVO umschriebenen Art. Der vorliegend zugrunde liegende Sachverhalt bietet hierfür deutliches Anschauungsmaterial. Der Schwellenwert, den § 11 Abs. 3 BauNVO mit dem Begriff der Großflächigkeit umschreibt, muss indessen auch für die Handelsform der Discounter Aussagekraft besitzen.
1.3.4 Aus diesen zum Teil gegenläufigen Entwicklungen lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass der Typus des Einzelhandelsbetriebs, der auf die Versorgung eines (auch) dem Wohnen dienenden Gebiets zielt, nicht mehr ohne weiteres allein mit Hilfe des Kriteriums der Großflächigkeit vom Typus des Betriebs zu unterscheiden ist, der auf einen größeren Einzugsbereich zielt. Damit mag die auf dieser Unterscheidung beruhende Erwägung des Senats in seinen Urteilen vom 22. Mai 1987 an Gewicht verlieren. Dies ändert indes nichts an dem systematischen Zusammenhang zwischen dem in § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO bezeichneten Wert für die Vermutungsregel von 1 200 m² einerseits und dem Begriff der Großflächigkeit andererseits.
1.3.5 Der Verwaltungsgerichtshof hebt zutreffend hervor, dass die genannte Arbeitsgruppe mehrheitlich eine Änderung des Wortlauts der BauNVO nicht befürwortet und das zuständige Bundesministerium im Ergebnis keinen Bedarf für eine Änderung des § 11 Abs. 3 BauNVO gesehen hat. Trotz der eingehenden Überprüfung der Rechtslage durch die Arbeitsgruppe hält der Verordnungsgeber somit an dem durch die Rechtsprechung des Senats konkretisierten Wortlaut der Regelung fest. Er geht ersichtlich davon aus, dass in Anwendung der unveränderten Formulierungen der Verordnung vernünftige, die Interessen aller beteiligten Gruppen beachtende Ergebnisse zu erzielen sind. Diese Schlussfolgerung ergänzt er mit Hinweisen zur Auslegung und Anwendung der Regelung in der Verwaltungspraxis. Daraus wird zugleich deutlich, dass auch in den Augen des Verordnungsgebers an der Funktion des Merkmals der Großflächigkeit als einem eigenständigen Schwellenwert festzuhalten ist.
1.3.6 Nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO sind Auswirkungen der in Satz 2 genannten Art in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche 1 200 m² überschreitet. Zugleich geht der Verordnungsgeber davon aus, dass derartige Auswirkungen bereits bei weniger als 1 200 m² Geschossfläche vorliegen können. Das Merkmal der Großflächigkeit umschreibt diejenige Schwelle, ab der die Prüfung vorzunehmen ist, ob derartige Auswirkungen vorliegen. Somit muss die Schwelle ausreichend niedrig liegen, um Raum für diejenigen Fälle zu lassen, in denen entgegen der Regel bereits bei einer Geschossfläche von weniger als 1 200 m² Auswirkungen zu erwarten sind.
In der Begründung für die Herabsetzung der maßgeblichen Geschossfläche von 1 500 m² auf 1 200 m², hat der Verordnungsgeber anlässlich der Novellierung der BauNVO im Jahr 1986 ausgeführt, dass „Verkaufsflächen bis nahezu 800 m²” nach den Erfahrungen der Praxis einer Geschossfläche von 1 200 m² entsprechen (BRDrucks 541/86 S. 3). Daraus folgt ein Verhältnis der Verkaufsfläche zur Geschossfläche von 2:3. Inzwischen hat sich, wie auch den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zu entnehmen ist, dieses Verhältnis verändert. Als Erfahrungswert hat sich herausgebildet, dass Einzelhandelsbetriebe in Folge einer Reduzierung der Lager- und sonstigen Nebenflächen drei Viertel der Geschossfläche als Verkaufsfläche nutzen können. Somit ist jedenfalls bei einer Verkaufsfläche, die 900 m² überschreitet, zugleich eine Überschreitung der in § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO genannten Geschossflächengrenze von 1 200 m² zu erwarten. Wie dargelegt muss die Schwelle, ab der eine Prüfung der möglichen Auswirkungen vorzunehmen ist, deutlich unterhalb des für die Geltung der Vermutungsregel maßgebenden Werts liegen. Aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit in der Rechtsanwendung legt der Senat einen Schwellenwert von 800 m² zu Grunde. Mithin sind Einzelhandelsbetriebe großflächig im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m² überschreiten. Dagegen würde die von der Klägerin angestrebte weitere Erhöhung bis zu einer Größenordnung von 850 m² der systematischen Bedeutung des Schwellenwerts der Großflächigkeit nicht gerecht.
1.4 Da der Typus des der wohnungsnahen Versorgung dienenden Einzelhandelsbetriebs häufig nicht mehr allein anhand der Großflächigkeit bestimmt werden kann, kommt dem Gesichtspunkt der Auswirkungen in § 11 Abs. 3 BauNVO erhöhte Bedeutung zu. Danach ist für die städtebaurechtliche Einordnung großflächiger Einzelhandelsbetriebe entscheidend, ob sie sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können. Die Auswirkungen umschreibt die Verordnung näher als schädliche Umwelteinwirkungen sowie Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der Betriebe, auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden, auf das Orts- und Landschaftsbild und auf den Naturhaushalt. Nur wenn derartige Auswirkungen zu bejahen sind, ist ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb in ein Kern- oder ein Sondergebiet zu verweisen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO sind derartige Auswirkungen in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche 1 200 m² überschreitet. Die Regel gilt nach Satz 4 der Vorschrift allerdings nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1 200 m² Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1 200 m² Geschossfläche nicht vorliegen. Unterhalb des genannten Werts ist die Genehmigungsbehörde darlegungspflichtig dafür, dass mit derartigen Auswirkungen zu rechnen ist, während bei Betrieben oberhalb dieser Größe der Bauantragsteller die Darlegungslast für das Fehlen solcher Auswirkungen trägt (ebenso die erwähnte Arbeitsgruppe unter Rn. 19 ihres Beratungsergebnisses).
Bei dieser Prüfung sind nach § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO insbesondere die Gliederung und Größe der Gemeinde und ihre Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen. In der Begründung des Verordnungsgebers zu der 1986 erfolgten Ergänzung um den Satz 4 (BRDrucks 541/86 S. 4 und 5) wird hervorgehoben, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe bereits unterhalb der Größenordnung von 1 200 m² Geschossfläche vor allem in Ortsteilen von großen Städten, kleinen Orten oder Orten im ländlichen Raum je nach Warenangebot und Standort raumordnerische und besondere städtebauliche Auswirkungen haben könnten. Ein Einzelhandelsbetrieb mit 1 200 m² Geschossfläche in einer kleinen Gemeinde wirke sich anders aus als ein Betrieb von gleicher Größe in einer Großstadt. Zugleich wird betont, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe, vor allem, wenn sie wegen ihres Warenangebots (z.B. Möbelmärkte, Kraftfahrzeughandel) auf größere Flächen angewiesen sind, bei einer größeren Geschossfläche als 1 200 m² keine nachteiligen Auswirkungen haben könnten. Somit verbietet sich eine lediglich an der Verkaufsfläche und der Geschossfläche anknüpfende schematische Handhabung. Vielmehr erlaubt die differenzierte Regelung, wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 22. Juli 2004 – BVerwG 4 B 29.04 – (a.a.O.) näher ausgeführt hat, eine die verschiedenen aufgeführten Gesichtspunkte beachtende sachgerechte Handhabung:
Ob die Vermutung widerlegt werden kann, hängt maßgeblich davon ab, welche Waren angeboten werden, auf welchen Einzugsbereich der Betrieb angelegt ist und in welchem Umfang zusätzlicher Verkehr hervorgerufen wird. Entscheidend ist, ob der Betrieb über den Nahbereich hinauswirkt und dadurch, dass er unter Gefährdung funktionsgerecht gewachsener städtebaulicher Strukturen weiträumig Kaufkraft abzieht, auch in weiter entfernten Wohngebieten die Gefahr heraufbeschwört, dass Geschäfte schließen, auf die insbesondere nicht motorisierte Bevölkerungsgruppen angewiesen sind. Nachteilige Wirkungen dieser Art werden noch verstärkt, wenn der Betrieb in erheblichem Umfang zusätzlichen gebietsfremden Verkehr auslöst. Je deutlicher die Regelgrenze von 1 200 m² Geschossfläche überschritten ist, mit desto größerem Gewicht kommt die Vermutungswirkung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zum Tragen. Dabei kann allerdings die jeweilige Siedlungsstruktur nicht außer Betracht bleiben. Je größer die Gemeinde oder der Ortsteil ist, in dem der Einzelhandelsbetrieb angesiedelt werden soll, desto eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die potentiellen negativen städtebaulichen Folgen relativieren. Für den Bereich des Lebensmitteleinzelhandels ist die Arbeitsgruppe „Strukturwandel im Einzelhandel und § 11 Abs. 3 BauNVO” zu dem Ergebnis gelangt, dass es insbesondere auf die Größe der Gemeinde/des Ortsteils, auf die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs ankommt. Bei der gebotenen Einzelfallprüfung könne es an negativen Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung und den Verkehr insbesondere dann fehlen, wenn der Non-Food-Anteil weniger als zehn v.H. der Verkaufsfläche beträgt und der Standort verbrauchernah und hinsichtlich des induzierten Verkehrsaufkommens „verträglich” sowie städtebaulich integriert ist. Die Arbeitsgruppe ist ferner zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung bestimmte von ihr näher dargelegte allgemeine Erfahrungswerte im Sinne einer typisierenden Betrachtungsweise berücksichtigt werden könnten. Auf der Grundlage dieser Überlegungen lassen sich unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles sachgerechte Standortentscheidungen für den Lebensmitteleinzelhandel treffen, ohne dass es von Rechts wegen einer weiteren Erhöhung beim Merkmal der Großflächigkeit bedürfte.
2. Zu Recht ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass die Flächen des Windfangs und des Kassenvorraums (einschließlich eines Bereichs zum Einpacken der Ware und Entsorgen des Verpackungsmaterials) nicht aus der Verkaufsfläche herausgerechnet werden können. Denn auch sie prägen in städtebaulicher Hinsicht die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs (ebenso Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15. November 2002 – OVG 1 ME 151/02 – NVwZ-RR 2003, 486, sowie Stock, in König/Roeser/Stock, BauNVO, Rn. 55 zu § 11 und Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Rn. 53b zu § 11 BauNVO).
Dies wird deutlich, wenn man die Verkaufsform der Selbstbedienung und die der Bedienung durch Personal (sowie die hierzu bestehenden Mischformen) vergleichend betrachtet. Denn insbesondere der räumliche Bereich vor der Zugangsschranke und hinter den Kassen erscheint beim System der Selbstbedienung nur wegen der Besonderheiten dieser Verkaufsform als abtrennbar. Der Kunde geht durch eine Schranke, um den Selbstbedienungsbereich betreten zu können. Nachdem er bezahlt und den Kassenbereich durchschritten hat, betritt er eine Fläche, in der er die Waren einpacken, Verpackungsmittel entsorgen und sich zum Ausgang begeben kann. In einem Laden, in dem er herkömmlich bedient wird, besteht eine derartige räumliche Abtrennung nicht. Im Übrigen verweist das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im genannten Beschluss, auf den der Verwaltungsgerichtshof Bezug nimmt, zum Bereich hinter den Kassen zutreffend darauf hin, der Betreiber könne den Kunden nicht anschließend „in die freie Luft entlassen”. Auf die Frage, an welcher Stelle der Kauf im Sinne des Zivilrechts abgeschlossen ist, kommt es aus städtebaulicher Sicht nicht an. Zur Verkaufsfläche sind im Übrigen auch diejenigen Bereiche innerhalb eines Selbstbedienungsladens zu zählen, die vom Kunden zwar aus betrieblichen und hygienischen Gründen nicht betreten werden dürfen, in denen aber die Ware für ihn sichtbar ausliegt (Käse-, Fleisch- und Wursttheke etc.) und in dem das Personal die Ware zerkleinert, abwiegt und abpackt. Insoweit handelt es sich um einen Bereich, der bei einem reinen Bedienungsladen herkömmlicher Art ebenfalls der Verkaufsfläche zuzurechnen wäre. Davon zu unterscheiden sind diejenigen Flächen, auf denen für den Kunden nicht sichtbar die handwerkliche und sonstige Vorbereitung (Portionierung etc.) erfolgt, sowie die (reinen) Lagerflächen.
3. Somit handelt es sich bei dem hier zur Genehmigung gestellten Vorhaben um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs wird seine Verkaufsfläche bei Einbeziehung von Windfang und Kassenvorraum sowie angemessenem Abzug für Putz (1 cm) etwa 850 m² betragen. Auf diese Fläche ist abzustellen, denn die planungsrechtliche Überprüfung hat sich auf das gesamte Vorhaben in seiner durch die beantragte Erweiterung geänderten Gestalt zu erstrecken (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 17. Juni 1993 – BVerwG 4 C 17.91 – NVwZ 1994, 294 = BRS 55 Nr. 72 sowie den Beschluss vom 29. November 2005 – BVerwG 4 B 72.05 –).
Nach der geplanten Erweiterung überschreitet der Einzelhandelsbetrieb der Klägerin mit einer Geschossfläche von 1 469 m² auch die Vermutungsgrenze von 1 200 m² nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO. Die mithin darlegungspflichtige Klägerin benennt jedoch selbst keine Tatsachen, aus denen sich ergeben könnte, dass der geplante Betrieb nach der Erweiterung nicht die in § 11 Abs. 3 Satz 1 und 2 BauNVO benannten Auswirkungen herbeiführen würde. Vielmehr handelt es sich nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs geradezu um ein Musterbeispiel für einen nicht integrierten Standort. Denn er liegt am Rande des Gemeindegebiets und der Abstand zur bebauten Ortslage beträgt mehr als einen Kilometer. Der Betrieb soll auch nicht der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung der – keine zentralörtlichen Funktionen wahrnehmenden und überdies sehr kleinen – Standortgemeinde dienen. Vielmehr sollen etwa 80 % des Umsatzes außerhalb dieser Gemeinde erwirtschaftet werden.
Die Klägerin führt lediglich an, die vorgesehene Vergrößerung des Betriebs werde nicht zu einer Erweiterung des Sortiments führen. Daraus lässt sich jedoch nichts zu Gunsten der Klägerin ableiten. Da die Verkaufsstätte bisher die Schwelle zur Großflächigkeit noch nicht überschritten hatte, ist die nach § 11 Abs. 3 BauNVO gebotene Prüfung, ob die in dieser Vorschrift benannten Auswirkungen zu erwarten sind, noch nicht erfolgt. Mit dem jetzt gestellten Antrag ist diese Prüfung vorzunehmen. Auch die Klägerin stellt nicht in Frage, dass dabei die Auswirkungen des gesamten Betriebs und nicht etwa nur diejenigen der Erweiterung heranzuziehen sind. Zu Recht hebt der Verwaltungsgerichtshof hervor, dass nicht im Sinne einer „Vorbelastung” die von dem genehmigten Betrieb ausgehenden Auswirkungen außer Betracht bleiben können. Mit dem Überschreiten des Schwellenwerts ist der Betrieb erstmals in den städtebaulichen Typus des großflächigen Einzelhandelsbetriebs hineingewachsen, so dass sich seine Zulässigkeit nunmehr nach den Regelungen in § 11 Abs. 3 BauNVO richtet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Paetow, Halama, Prof. Dr. Rojahn, Dr. Jannasch, Dr. Philipp
Fundstellen
BVerwGE 2006, 364 |
BauR 2006, 574 |
ZAP 2006, 314 |
NuR 2006, 534 |
VR 2006, 180 |
BTR 2006, 41 |
DVBl. 2006, 448 |
GV/RP 2006, 620 |
Städtetag 2006, 49 |
UPR 2006, 150 |
BBB 2006, 57 |
FSt 2006, 251 |
FuBW 2006, 462 |
FuB 2006, 142 |
FuHe 2006, 398 |
FuNds 2006, 650 |
ImmWert 2006, 40 |