Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der Verzinsung rückständiger Beiträge zur Insolvenzsicherung: fehlende Rechtsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
Aus dem BetrAVG und den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts ergibt sich keine Zinspflicht für Insolvenzsicherungsbeiträge der Arbeitgeber.
Normenkette
BetrAVG § 1 Abs. 1, § 10 Abs. 1, 4, § 14 Abs. 1 S. 2; AIB § 6 Abs. 3
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 20.04.1988; Aktenzeichen 9 A 2805/85) |
VG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.10.1985; Aktenzeichen 16 K 2032/85) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. April 1988 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der beklagte Pensionssicherungsverein Zinsansprüche hinsichtlich der von ihm geltend gemachten Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung beanspruchen kann.
Die Klägerin, eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts in der Trägerschaft des Landes Rheinland-Pfalz und des nordrhein-westfälischen Landschaftsverbandes Rheinland, gewährt ihren Beschäftigten nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3610) – BetrAVG – eine betriebliche Altersversorgung durch unmittelbare Versorgungszusagen. Mit „Zahlungs-Aufforderung und Beitrags-Bescheid” vom 27. Februar 1985 forderte der Beklagte von der Klägerin einen vorläufigen Beitrag nach § 10 Abs. 1 BetrAVG, der nicht mehr im Streit ist, und 513,94 DM an Zinsen für die Zeit bis zum 27. Februar 1985. In dem Bescheid wies der beklagte Verein darauf hin, es bestehe die Verpflichtung, Zinsen vom 28. Februar 1985 an bis Zahlungseingang in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat gemäß § 6 Abs. 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung (AIB) zu zahlen.
Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht hielt die Zinsforderung für gerechtfertigt. Das Oberverwaltungsgericht hat das verwaltungsgerichtliche Urteil in diesem Punkte mit folgender Begründung geändert: die angegriffenen Bescheide des Beklagten seien teilweise rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten soweit darin die Klägerin zur Zahlung von Zinsen herangezogen und die Feststellung getroffen worden sei, die Klägerin sei auch weiterhin bis zum endgültigen Zahlungseingang zinspflichtig.
Das Oberverwaltungsgericht führte im wesentlichen aus: für die Geltendmachung von Zinsen fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Im BetrAVG sei keine Aussage über die Verzinsung von Beiträgen zur Insolvenzsicherung vorhanden. Da § 6 Abs. 3 AIB keine Rechtsnorm sei, könne er auch keine Verpflichtung zu Zinszahlungen begründen. Es komme auch weder eine vertragliche Bindung noch eine andere Rechtsgrundlage für das Zinsbegehren in Betracht. Insbesondere sei auch nicht an eine richterliche Rechtsfortbildung hinsichtlich der Zinspflicht zu denken. Denn eine Lückenschließung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung komme dann nicht in Betracht, wenn der Gesetzgeber – wie im BetrAVG geschehen – eine vertretbare gesetzliche Regelung in Kenntnis der rechtlichen Auswirkungen getroffen und beibehalten habe.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Er meint, daß ein Zinsanspruch gegeben sei, denn nach § 14 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG würden die Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes gelten, soweit das BetrAVG nichts anderes bestimme. Nach § 27 VAG solle aber die Satzung eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit bestimmen, wie und unter welchen Voraussetzungen Nachschüsse und Umlagen ausgeschrieben und eingezogen werden könnten. Dazu gehöre auch, daß die Satzung Bestimmungen treffe über die Folgen des Zahlungsverzuges eines Mitglieds, wie etwa das Anfallen von Verzugszinsen. Nach § 2 Abs. 1 der vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen genehmigten Satzung des Beklagten sei der Zweck des Pensionssicherungsvereins
„die Gewährleistung der betrieblichen Altersversorgung für den Fall der Insolvenz eines Arbeitgebers nach den Vorschriften des … (BetrAVG) und nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung (AIB) in der jeweils gültigen, vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen genehmigten Fassung”.
Aus § 6 Abs. 3 AIB folge, daß der Beitrag oder Vorschuß spätestens einen Monat nach Zugang der Rechnung zu zahlen sei. Werde er nicht innerhalb dieser Frist entrichtet, könnten Zinsen bis zu einem Prozent des Beitrages oder Vorschusses pro Monat erhoben werden. Im übrigen seien auch aus zivilrechtlichen Normen Zinsansprüche begründet. Folge man dieser Argumentation nicht, müsse die sich im Beitragsveranlagungssystem nach dem BetrAVG ergebende Lücke durch richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden. Andernfalls könnte sich der säumige Beitragszahler Zinsvorteile zu Lasten der ordentlichen Beitragszahler verschaffen, was ein „vernünftiger” Gesetzgeber nicht gewollt haben könne.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage sowie die Anschlußberufung der Klägerin in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Auffassung des Berufungsgerichts für zutreffend und führt aus, daß es zum gesicherten Bestand der Regelungen des Allgemeinen Verwaltungsrechts gehöre, daß auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts Verzugszinsen nur verlangt werden könnten, wenn dies im Gesetz oder sonst rechtlich besonders vorgesehen sei.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich nicht am Verfahren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Das Berufungsurteil verletzt kein Bundesrecht.
Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, daß dem Beklagten nicht der durch Bescheid vom 27. Februar 1985 geltend gemachte Zinsanspruch zusteht. Es gibt keine Rechtsgrundlage für die vom Beklagten geltend gemachten Zinsen. Das BetrAVG trifft zu einer Zinspflicht der beitragspflichtigen Arbeitgeber keine Aussage. § 10 BetrAVG befaßt sich mit der Aufbringung der Mittel durch die Arbeitgeber und begründet ihre öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Beitragszahlung. Die Beleihung des Beklagten erstreckt sich damit ausdrücklich nur auf den Erlaß der Beitragsbescheide. Nach § 10 Abs. 4 BetrAVG steht dem Träger der Insolvenzsicherung auch die Möglichkeit offen, aus Beitragsbescheiden die Zwangsvollstreckung in entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozeßordnung durchzuführen.
Auch aus § 6 Abs. 3 AIB i.V.m. der Satzung des Beklagten und § 14 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG. der auf die Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes verweist, folgt kein Zinsanspruch des Beklagten. Unabhängig von der Frage, ob § 6 Abs. 3 AIB überhaupt Verbindlichkeit gegenüber der Klägerin beanspruchen kann, ergibt sich aus dem BetrAVG. daß der Beklagte als juristische Person des Privatrechts die öffentlich-rechtlichen Befugnisse nur nach Maßgabe der beitragsrechtlichen Regelungen des BetrAVG ausüben kann. Die Beleihung des Beklagten erstreckt sich aber gerade nicht auf die beitragsmäßige Festsetzung von Zinsen. Daß aus § 6 Abs. 3 AIB keine Erweiterung der öffentlich-rechtlichen Beleihung erfolgen kann, liegt auf der Hand.
Auch aus den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts ergibt sich kein Zinsanspruch. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es keinen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts, aus dem die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen hergeleitet werden kann. Die Folgen der Nichterfüllung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen richten sich vielmehr nach dem im Einzelfall einschlägigen Spezialrecht (BVerwG, Urteil vom 13. Juli 1979 – BVerwG 4 C 66.76 – in DÖV 1979 S. 761: Urteil vom 24. September 1987 – BVerwG 2 C 58.84 – in Buchholz Nr. 232 § 78 Nr. 32: Urteil vom 17. Februar 1971 – BVerwG 4 C 17.69 – in BVerwGE 37 239 ≪243≫; Urteil vom 3. November 1988 – BVerwG 5 C 38.84 – in BVerwGE 80, 334 ≪335≫ und Urteil vom 24. November 1977 – BVerwG 3 C 72.76 – in Buchholz 427.3 § 350 a Nr. 40). Hier sieht das einschlägige besondere Verwaltungsrecht aber gerade keine Zinspflicht vor, so daß es bei dem allgemeinen Grundsatz zu verbleiben hat.
Daß darüber hinaus weder aus Vertrag noch aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 284, 286, 288 sowie 823 Abs. 2 BGB ein Zinsanspruch im öffentlichen Recht in Frage kommen kann, folgt aus dem vorstehenden Rechtsgrundsatz.
Eine Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu Zinszahlungen kann auch nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung geschaffen werden. Diese Rechtsfortbildung würde in krasser Weise dem vorstehenden Rechtsgrundsatz, der den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes verwirklicht, widersprechen. Darüber hinaus liegt auch offensichtlich keine Regelungslücke in einem Gesetz vor, deren Beibehaltung zu so ungerechten und unzweckmäßigen Folgen führen würde, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein unerträgliches Maß erreichen würde (vgl. BVerfGE 3, 225 ≪232 f.≫).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Dickersbach, Sommer, van Schewick, Dr. Pagenkopf, Dr. Borgs-Maciejewski
Fundstellen