Rz. 6
Der Arbeitgeber ist nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ArbZG verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit der einzelnen Arbeitnehmer aufzuzeichnen, also nur jene Arbeitszeit, die über 8 Stunden hinausgeht. Nach Sinn und Zweck der Regelung (vgl. oben Rz. 2) ist eine nur geringfügige Überschreitung an vereinzelten Werktagen in Anbetracht des eventuell enormen Aufwands unerheblich. Der Aufzeichnungspflicht unterliegt jede Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen, da es sich hierbei nicht um Werktage handelt und eine Beschäftigung an diesen Tagen somit "die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer" i. S. d. § 3 Satz 1 ArbZG überschreitet.
Die Beschränkung der Aufzeichnungspflicht auf die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit verstößt gegen die Arbeitszeit-Richtlinie (RL 2003/88/EG) in der Auslegung durch den EuGH (Urteil v. 14.5.2019, Rs. C-55/18 – CCOO). Danach müssen die Mitgliedstaaten Arbeitgeber zur Einführung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems verpflichten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer täglich geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann. Andere Beweismittel für die geleistete Arbeitszeit oder die Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse von Arbeitsschutzbehörden sind nach Auffassung des EuGH nicht ausreichend, um die praktische Wirksamkeit der Arbeitszeit-Richtlinie zu gewährleisten.
Diese Entscheidung des EuGH erhöht die Aufzeichnungspflichten: Aufzuzeichnen ist die gesamte täglich geleistete Arbeitszeit eines Arbeitnehmers. Der deutsche Gesetzgeber muss das ArbZG an diese Vorgaben anpassen.
Auch in einer aktuellen Entscheidung des BAG (Beschluss v. 13.9.2022, 1 ABR 22/21), die zur Frage eines Initiativrechts des Betriebsrats zur Einführung eines (elektronischen) Arbeitszeiterfassungssystems erging, wurde dieses mit der Begründung ausgeschlossen, dass bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen, das Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden umfasst. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vertritt die Auffassung, dass bereits vor einer Anpassung des Arbeitszeitgesetzes an die Rechtsprechung des BAG die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmer auch über § 16 Abs. 2 ArbZG hinaus aufzuzeichnen ist.
Arbeitgeber sollten angesichts des BAG-Beschlusses und der von der Bundesregierung angekündigten Prüfung des Umsetzungsbedarfs der EuGH-Entscheidung bereits jetzt für sich einen möglichen Handlungsbedarf prüfen.
Erleichterungen bei der Aufzeichnungspflicht im Hinblick auf Vertrauensarbeitszeit gelten nicht; auch können die Aufzeichnungspflichten nicht durch tarifliche oder betriebliche Regelungen zur Zeiterfassung abbedungen werden.
Rz. 7
Eine bestimmte Form der Aufzeichnungen schreibt das Gesetz nicht vor, insbesondere verlangt es keine Schriftform. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich selbst entscheiden, wie er seiner Verpflichtung nachkommt. Zur Erfüllung der Aufzeichnungspflicht geeignete Unterlagen sind etwa Stundenzettel, Arbeitszeitnachweise, schriftliche Aufzeichnungen von Stempeluhren oder von Datenspeichern elektronischer Zeiterfassungssysteme, soweit die Unterlagen den Einzelnachweis bezüglich der ausgleichspflichtigen Arbeitszeiten ermöglichen; unerheblich ist, dass die Aufzeichnungen ggf. bereits aufgrund anderer Rechtsvorschriften erfolgt sind. Es genügt, wenn die Zeiten nur elektronisch gespeichert sind, aber jederzeit ausgedruckt oder in sonstiger Form (etwa per Diskette) der Aufsichtsbehörde zugänglich gemacht werden können. Eigenaufschreibungen der Arbeitnehmer sowie die Delegation der Aufzeichnungspflicht auf die Beschäftigten sind ebenfalls zulässig. Letztendlich trägt aber der Arbeitgeber die Verantwortung dafür, dass die Aufzeichnungspflicht ordnungsgemäß erfüllt wird.
Rz. 8
Nach § 2 Abs. 1 ArbZG sind Arbeitszeiten bei mehreren Arbeitgebern zusammenzurechnen.
Die Aufzeichnungspflicht besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber von einer Zweitbeschäftigung seines Arbeitnehmers keine Kenntnis hat, weshalb es ratsam ist, als Arbeitgeber seine Arbeitnehmer zu einer Unterrichtung über weitere Arbeitsverhältnisse arbeitsvertraglich zu verpflichten.
Rz. 9
Gemäß § 17 Abs. 2 ArbZG hat die Aufsichtsbehörde im Einzelfall die Möglichkeit, zur Abwendung einer konkreten Gefahr weitergehende Aufzeichnungs- bzw. Vorlagepflichten anzuordnen.