Hintergrund: Die Entwicklung der Rechtsprechung
Der EuGH hatte am 14.5.2019 entschieden (Az. C-55/18), dass die Mitgliedstaaten der EU die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit der Beschäftigten gemessen werden kann. Bislang ist im deutschen Recht nur die Regelung des § 16 Abs. 2 ArbZG vorhanden, die den Arbeitgeber
- zur Aufzeichnung der werktäglichen Arbeitszeit über acht Stunden sowie
- der gesamten Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen
verpflichtet. Der Arbeitgeber hat diese Arbeitszeitnachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren und auf Verlangen der Aufsichtsbehörde vorzulegen oder zur Einsicht zuzusenden.
Es bestand Einigkeit dahingehend, dass diese Regulierung nicht dem entspricht, was der EuGH in seinem Urteil gefordert hat. Der Bundesarbeitsminister hatte noch zu Zeiten der GroKo die Möglichkeit, eine Arbeitszeitregulierung vorzunehmen, hat dieses aber auch nun in seinem Amit im Rahmen der Ampel-Regierung „auf die lange Bank geschoben“. Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es dazu nur, man wolle die Auswirkungen der EuGH-Entscheidung auf die deutsche Gesetzgebung prüfen.
Dieser Entwicklung hat das BAG nun ein jähes Ende gesetzt: In einem Rechtsstreit, in dem es eigentlich um die Frage ging, ob Betriebsräte die Möglichkeit haben, ihre Arbeitgeber zur Einführung eines Zeiterfassungssystems zu zwingen, stellte das oberste Arbeitsgericht fest, dass das nicht möglich sei, weil der Arbeitgeber schon längst gesetzlich zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet sei, so dass kein Raum mehr für eine Mitbestimmung durch den Betriebsrat mehr vorhanden sei (Beschluss vom 13.9.2022, Az. 1 ABR 22/21). Diese Pflicht zur Arbeitszeiterfassung leitet das BAG aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG her, der regelt, dass der Arbeitgeber zur Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel hierfür bereitzustellen hat. Dazu gehöre auch die Erfassung der Arbeitszeit.
Noch liegt die Entscheidung des BAG nur als Pressemitteilung vor, so dass man abwarten muss, wie das BAG konkret diese Auslegung des § 3 ArbSchG begründen will - bislang zumindest wurde im Rahmen des § 3 ArbSchG nicht über Arbeitszeiterfassungssysteme gesprochen.
Die betriebliche Praxis muss reagieren - aber wie?
Fakt ist, dass Arbeitgeber, die bislang keine Arbeitszeit erfasst haben bzw. dieses nur im Rahmen der Vorgaben des § 16 Abs. 2 ArbZG umgesetzt haben, nun ab sofort zu einer wesentlich umfangreicheren Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind. Das Arbeitsministerium steht hierzu auf dem Standpunkt, dass um die Einhaltung der Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten wirksam gewährleisten zu können, der Arbeitgeber Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aller Beschäftigten aufzeichnen muss (https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Arbeitsrecht/Arbeitnehmerrechte/Arbeitszeitschutz/Fragen-und-Antworten/faq-arbeitszeiterfassung.html). Es gibt keine Vorgaben, wie das in der Praxis zu geschehen hat (handschriftlich, Stechuhr, elektronischer Erfassung usw.) und ob das der Arbeitgeber selbst durchführen muss oder an seine Arbeitnehmer delegieren kann. Auch Beschäftigte in Vertrauensarbeitszeitmodellen oder in mobiler Arbeit sind - so das Ministerium - zur Erfassung ihrer Arbeitszeit verpflichtet.
Die korrekte Arbeitszeiterfassung wird damit zukünftig wie alle Aspekte des Arbeitsschutzes von den zuständigen Landesbehörden überwacht, kann ggfs. als nicht ausreichend moniert werden bzw. Nachbesserungen verlangt werden und schlimmstenfalls mit Bußgeldern belegt werden, wenn sie nicht korrekt erfolgt, was in der Praxis eher unwahrscheinlich ist, weil - wie oben festgestellt - keine hohen Anforderungen gestellt werden.
Fakt ist aber - ohne geht es nicht mehr!
Ausblick: Der Gesetzgeber handelt - aber wann?
Bislang ist unklar, wann und vor allem wie der Gesetzgeber reagieren wird. Möglicherweise bringen aber bereits die ausführlichen Urteilsgründe der BAG-Entscheidung etwas „mehr Licht ins Dunkle“.