Rz. 69
Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 darf eine schwangere Frau keine Tätigkeiten ausüben und keinen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sein, bei denen sie einer belastenden Arbeitsumgebung in einem Maß ausgesetzt ist oder sein kann, dass dies für sie oder ihr ungeborenes Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellt.
Rz. 70
Die Merkmale einer belastenden Arbeitsumgebung werden in Satz 2 konkretisiert. Die in Satz 2 genannten Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen sind ohne eine gesonderte Prüfung und Einstufung durch den Arbeitgeber unzulässig, da sie aufgrund der gesetzgeberischen Wertung in jedem Fall mit einer unverantwortbaren Gefährdung verbunden sind (Vermutungswirkung). Auch in diesen Fällen ist zunächst zu prüfen, ob die von den jeweiligen Tätigkeiten oder den mit ihnen verbundenen Arbeitsbedingungen ausgehende unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau durch Änderung der Gestaltung der Arbeitsbedingungen oder durch einen Arbeitsplatzwechsel vermieden werden kann. Das betriebliche Beschäftigungsverbot nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG kommt nur als letzte Möglichkeit in Betracht.
Rz. 71
§ 11 Abs. 4 Satz 2 enthält in 3 Nummern konkretisierte Beschreibungen "belastender Arbeitsumgebungen".
Nr. 1 regelt – entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben im Anhang II der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG (unter A., Nr. 1 a) – das Verbot der Tätigkeit in Räumen mit Überdruck. Details ergeben sich aus der Druckluftverordnung. Der Geltungsbereich erstreckt sich auf Räume (Arbeitskammern), in denen Arbeiten in Druckluft ausgeführt werden, Zugänge, durch die ausschließlich Personen in die Arbeitskammern ein- oder aus diesen ausgeschleust werden (Personenschleusen) oder kombinierte Schleusen, durch die Arbeitnehmer und Material in die Arbeitskammern ein- oder aus diesen ausgeschleust werden, sowie Krankendruckluftkammern, also Räume, die unabhängig vom Arbeitsdruck einer Arbeitskammer zur Behandlung drucklufterkrankter Personen sowie zur Probeschleusung nach ärztlicher Anweisung dienen. Druckluft i. S. d. Luftdruckverordnung ist Luft mit einem Überdruck von mehr als 0,1 bar. Der Arbeitsdruck ist der über den atmosphärischen Druck hinausgehende Überdruck. Der Begriff "Räume" erfasst dabei i. V. m. der Generalklausel des Satzes 1 auch Arbeitssituationen unter Wasser, wie sie sich etwa für Berufstaucherinnen beim Tauchen ergeben können.
Rz. 72
Nr. 2 regelt das Verbot der Tätigkeit in Räumen mit sauerstoffreduzierter Atmosphäre. Das Erfordernis für diese Neuregelung ergibt sich aus dem Umstand, dass Arbeitsplätze mit sauerstoffreduzierter Atmosphäre, z. B. in der Informationstechnik und der Lagerwirtschaft, häufig vorkommen und für schwangere Frauen ein besonderes Risiko darstellen, das vermieden werden soll. Die Berufsgenossenschaften haben die DGUV Grundsatz G 28 – Arbeiten in sauerstoffreduzierter Atmosphäre (G 28) – erarbeitet. Dieser Grundsatz G 28 gibt Anhaltspunkte zur Feststellung, ob bei Personen gesundheitliche Bedenken gegen eine Tätigkeit in technisch sauerstoffreduzierter Atmosphäre (normobare Hypoxie) bestehen. Er gilt nicht für Tätigkeiten in hypobarer Hypoxie, z. B. in Luftfahrzeugen.
Sauerstoffreduktion kommt auch als Brandschutz in Betracht (z. B. Forschungs- und Laborräume). Hierbei kann in geschlossenen Räumen durch Reduktion der Sauerstoffkonzentration auf Werte zwischen 13 und 17 Volumenprozent die Entstehung eines Schadenfeuers vermieden werden. Müssen die geschützten Räume von Personen betreten werden, stellt sich die Frage nach möglichen Gesundheitsgefahren und Belastungen für die Beschäftigten.
Rz. 73
Nr. 3 regelt das Verbot der Tätigkeit unter Tage im Bergbau und übernimmt damit die entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben im Anhang II der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG (unter Buchstabe A., Nr. 2). Die Umsetzung der EU-Regelungen in deutsches Recht erfolgte für den Bergbau vor allem durch die Allgemeine Bundesbergverordnung (ABBergV). Teile der EG-Richtlinien sind bereits früher über die Gesundheits-Bergverordnung (GesBergV) in das Arbeitsschutzrecht für den Bergbau übernommen worden. Auch hier ist eine Gefährdungsbeurteilung obligatorisch: Es besteht im Bergrecht die Pflicht zur Erstellung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokuments (SGD). Ein Bestandteil des SGD ist die Durchführung von Gefährdungsanalysen, einschließlich der Beurteilung der Gefährdungen für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten.
Rz. 74
In die ABBergV wurden Arbeitnehmerrechte aufgenommen; zum einen das Recht der Beschäftigten, sich direkt an die Aufsichtsbehörde zu wenden, wenn Sicherheit und Gesundheitsschutz nicht gewährleistet sind und der Unternehmer keine Abhilfe schafft. Zum zweiten das Recht der Beschäftigten, die Arbeit einzustellen und sich von der Arbeitsstelle zu entfernen, wenn unmittelbar erhebliche Gefahr besteht und andere Arbeitnehmer dadurch nicht gefährdet werden.