Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen. Tarifsperre. Kündigung. Nachwirkung. Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG. Kündigung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen. Betriebsverfassungsrecht
Orientierungssatz
Normenkette
BetrVG §§ 77, 77 Abs. 3, 5-6; BGB § 613a; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Fortgeltung der Betriebsvereinbarungen “Schichtzulage” und “Erschwerniszulagen”.
Die Arbeitgeberin betreibt in der Form einer GmbH & Co. KG ein Unternehmen des Holzverarbeitungs- und Holzhandelsgewerbes. Sie ist Rechtsnachfolgerin der D…. GmbH & Co. KG, deren Vermögen und Rechtsverhältnisse zum 1. Juni 1998 auf sie übergegangen sind.
Die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin, die bis dahin Firmentarifverträge mit der Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK) geschlossen hatte, trat zum 1. März 1978 dem Arbeitgeberverband Holzbearbeitung und Holzhandel in Nordrhein-Westfalen e.V. bei. Aus diesem Anlaß schloß sie mit der GHK eine “Übergangsregelung” vom 12. Oktober 1977, die unter anderem folgende Bestimmungen enthält:
“Für die folgenden Tarifbestimmungen, die im Firmentarifvertrag den Verbandstarifverträgen unterschiedlich geregelt sind, wird Besitzstands-Garantie nach Maßgabe dieser Regelung gegeben.
1. …
5. Schichtzulage
Solange im Verbandstarif keine Schichtzulagen vorgesehen sind, werden diese bei D…. gemäß einer Betriebsvereinbarung gewährt. (Text s. Anlage 1)
6. …
15. Erschwerniszulagen
Die Betriebsvereinbarung über Erschwerniszulagen … wird durch Wegfall des Firmentarifvertrages, auf den sie sich bezog, ebenfalls hinfällig. An ihre Stelle tritt eine neue Betriebsvereinbarung (Text s. Anlage 3)
16. …
19. Soweit in dieser Regelung nichts anderes bestimmt ist, gelten die Verbandstarife ab 1. März 1978 in vollem Umfang.”
Arbeitgeberin und der im Werk A…. gebildete Betriebsrat schlossen am selben Tag die Betriebsvereinbarungen “Schichtzulage” und “Erschwerniszulagen”. Eine Schichtzulage in Höhe von 4 % bzw. 9 % wurde vorgesehen für Mitarbeiter, die wechselnd zwei- bzw. dreischichtig eingesetzt werden. Am Schluß der Betriebsvereinbarung “Schichtzulage” heißt es:
“8. Sollten durch Verbandstarif Schichtzulagen, Spätarbeitszuschläge oder ähnliche Leistungen eingeführt werden, so werden diese mit der hier geregelten Schichtzulage verrechnet. Dabei bleibt der Besitzstand gewahrt.
Diese Betriebsvereinbarung tritt am 1.3.1978 in Kraft und gilt solange, bis aufgrund verbandstariflicher Regelung eine Änderung notwendig wird.”
Erschwerniszulagen waren vorgesehen für bestimmte Arbeitsgänge, die durch den Umgang mit Säuren, Laugen und Nässe, durch Geruchsbelästigung, durch Lärm über 85 dB oder durch eine Raumtemperatur von mehr als 26°C gekennzeichnet sind. Außerdem waren Zulagen geregelt für besonders schmutzige Arbeiten und für Arbeiten, für die bei einer Lärmbelästigung von über 90 dB das Tragen von Gehörschutzmitteln erforderlich ist. Die Betriebsvereinbarung “Erschwerniszulagen” schließt mit folgendem Satz:
“Diese Betriebsvereinbarung tritt am 1.3.1978 in Kraft. Durch sie wird die bisher geltende Betriebsvereinbarung vom 14.1.1977 abgelöst.”
Zum 31. Dezember 1990 trat die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin wieder aus dem Arbeitgeberverband aus. Sie vereinbarte in einem Übernahmetarifvertrag vom 5. Februar 1991 mit der GHK die Geltung der zwischen dieser und der Vereinigung Deutscher Sägewerksverbände e.V. bzw. dem Arbeitgeberverband Holzbearbeitung in Nordrhein-Westfalen abgeschlossenen Tarifverträge. Mit Schreiben vom 27. Mai 1998 kündigte sie “vorsorglich” die Betriebsvereinbarungen “Schichtzulage” und “Erschwerniszulagen” zum 31. August 1998. Die Beteiligten regelten in einer Betriebsvereinbarung vom 5. August 1998 die Weitergewährung der Zulagen gemäß den beiden gekündigten Betriebsvereinbarungen bis zum 30. September 1998.
Der Betriebsrat begehrt die Feststellung, daß die Betriebsvereinbarungen über den 31. August 1998 hinaus fortgelten oder zumindest nachwirken. Er hat die Auffassung vertreten, die Betriebsvereinbarungen seien nicht zum 1. Juni 1998 durch tarifvertragliche Regelungen abgelöst worden. Auch sei die Kündigung vom 27. Mai 1998 nicht wirksam. Sie sei in der Absicht ausgesprochen worden, § 613a BGB zu umgehen, und aus diesem Grund sittenwidrig. Die Betriebsvereinbarung “Schichtzulage” sei zudem ordentlich nicht kündbar. Zumindest wirkten die Betriebsvereinbarungen nach, weil in ihnen allgemeine Verteilungsgrundsätze im Rahmen der erzwingbaren Mitbestimmung geregelt seien.
Der Betriebsrat hat beantragt,
- festzustellen, daß die Betriebsvereinbarungen “Schichtzulage” vom 12. Oktober 1977 und “Erschwerniszulagen” vom 12. Oktober 1977 über den 31. August 1998 hinaus fortgelten,
- hilfsweise festzustellen, daß die in Ziffer 1 bezeichneten Betriebsvereinbarungen über den 31. August 1998 hinaus nachwirken.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, sie sei zum 26. Mai 1998 dem Arbeitgeberverband Holzbearbeitung und Holzhandel in Nordrhein-Westfalen e.V. beigetreten. Dadurch seien die Betriebsvereinbarungen zum 1. Juni 1998 durch tarifvertragliche Regelungen abgelöst worden. Die Kündigung vom 27. Mai 1998 sei nicht zur Umgehung des § 613a BGB erklärt worden. Zwar sei zum 1. Juni 1998 ein Betriebsübergang eingetreten. Die Kündigung sei jedoch nur vorsorglich für den Fall erfolgt, daß die Auffassung des Arbeitgebers über die Ablösung der Betriebsvereinbarungen keinen Bestand habe. Auch die Betriebsvereinbarung “Schichtzulage” sei ordentlich kündbar. Es bestünden keine Anhaltspunkte für einen übereinstimmenden Willen der Betriebspartner, den Arbeitnehmern eine unentziehbare Rechtsposition zu gewähren.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat hinsichtlich der Betriebsvereinbarung “Schichtzulage” Erfolg; diese gilt über den 31. August 1998 hinaus fort. Sie ist nicht wirksam gekündigt worden. Im übrigen ist die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen angenommen, daß die Betriebsvereinbarung “Erschwerniszulagen” nicht über den 31. August 1998 hinaus weitergilt. Sie ist durch die Kündigung der Arbeitgeberin vom 27. Mai 1998 beendet worden, ohne nachzuwirken.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet, soweit sie die Fortgeltung der Betriebsvereinbarung “Schichtzulage” betrifft.
Dabei steht die Geltung im Monat September 1998 nicht mehr im Streit. Da der Betriebsrat insoweit die Erledigung seines Antrags erklärt und die Arbeitgeberin zugestimmt hat, ist hinsichtlich dieses Monats das Verfahren eingestellt worden.
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat keinen Erfolg, soweit sie die Betriebsvereinbarung “Erschwerniszulagen” betrifft. Diese Betriebsvereinbarung gilt nicht mehr.
Bedenken gegen die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung “Erschwerniszulagen” ergeben sich schon aus der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, da gleichartige Arbeitsbedingungen gemäß den Lohntarifverträgen für die Holzbearbeitung (Sägeindustrie und verwandte Betriebe) sowie den Holzhandel im Land Nordrhein-Westfalen galten. § 5 des Lohntarifvertrags vom 10. März 1977 sah Erschwerniszuschläge vor. Die von der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin mit der GHK abgeschlossene “Übergangsregelung” vom 12. Oktober 1977 enthielt insoweit schon deshalb keine wirksame Öffnungsklausel im Sinne von § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG, weil sie nicht von den Parteien des Verbandslohntarifvertrags abgeschlossen worden ist. Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden. Die Betriebsvereinbarung ist jedenfalls durch die Kündigung der Arbeitgeberin vom 27. Mai 1998 beendet worden; sie wirkt auch nicht nach.
Auch insoweit ist von der grundsätzlichen Kündigungsmöglichkeit für Betriebsvereinbarungen auszugehen (BAG 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 – AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 54). Da die Betriebsvereinbarung “Erschwerniszulagen” keine Regelung hinsichtlich eines Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts enthält, konnte sie von der Arbeitgeberin gemäß § 77 Abs. 5 BetrVG ordentlich gekündigt werden. Einer besonderen Rechtfertigung für die Kündigung bedurfte es dabei nicht (BAG 17. August 1999 – 3 ABR 55/98 – AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 79 = EzA BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 2). Danach hat die Kündigung der Beklagten die Betriebsvereinbarung “Erschwerniszulagen” beendet.
Die Betriebsvereinbarung wirkt nicht nach. Da sie freiwillige Arbeitgeberleistungen regelt, deren Fortfall nicht der Mitbestimmung unterliegt, wird sie von der gesetzlichen Nachwirkungsregelung nicht erfaßt (§ 77 Abs. 6 BetrVG).
Unterschriften
Wißmann, Rost, Hauck, Buschmann, Federlin
Fundstellen