Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinbarkeit von § 111 S 1 BetrVG mit Art 3 Abs 1 GG
Leitsatz (redaktionell)
Die Regelung des § 111 S 1 BetrVG, wonach nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern der Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen zu unterrichten ist, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz der Verfassung (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 22. Mai 1979, 1 ABR 17/88 = BAGE 32, 14, 27ff).
Orientierungssatz
Die Löschung einer GmbH im Handelsregister hat nur deklaratorische Bedeutung. Trotz der Löschung besteht die Parteifähigkeit jedenfalls dann fort, wenn tatsächlich noch verteilbares Vermögen vorhanden ist. Streitig ist nur, ob die Parteifähigkeit auch dann endet, wenn die Abwicklung abgeschlossen worden ist, bevor alle Gläubiger der Liquidationsgesellschaft befriedigt worden sind.
Normenkette
ZPO § 50; GG Art. 3 Abs. 1; BetrVG §§ 112, 111 S. 1
Verfahrensgang
Gründe
A. Der Arbeitgeber betrieb mit elf Arbeitnehmern ein Unternehmen, in dem vor allem Maschinenanlagen für die chemische Industrie konstruiert wurden. Nach langwierigen Auseinandersetzungen mit den gewerkschaftlich organisierten neun Arbeitnehmern wegen der Anwendung der Manteltarifverträge, die auch in zahlreichen Gerichtsverfahren ihren Niederschlag gefunden hatten, beschloß der Arbeitgeber, die Konstruktionsabteilung, in der die neun Arbeitnehmer beschäftigt waren, auf Ende September 1987 umzustrukturieren und statt dieser Arbeitnehmer selbständige Gewerbetreibende mit der Erstellung von Konstruktionen zu beauftragen. Dementsprechend wurde sämtlichen Arbeitnehmern zum 30. September oder bei längerer Kündigungsfrist zum 31. Dezember 1987 gekündigt. Den von den Arbeitnehmern gegen diese Kündigung eingelegten Kündigungsschutzklagen wurde stattgegeben.
Mit dem vorliegenden Verfahren begehrt der Betriebsobmann die Feststellung, daß das Vorhaben des Arbeitgebers ein mitbestimmungspflichtiger Vorgang i.S. des § 111 BetrVG sei. Er vertritt die Auffassung, die Bestimmung in § 111 Satz 1 BetrVG, nach der die §§ 111 ff. BetrVG nur in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern anwendbar seien, verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und sei deshalb verfassungswidrig.
Der Betriebsobmann hat beantragt,
1. festzustellen, daß die Stillegung des Be-
triebes der Antragsgegnerin in Bad Hersfeld
(Konstruktionsabteilung) ein mitbestimmungs-
pflichtiger Vorgang i.S. des § 111 BetrVG
ist;
2. hilfsweise das vorliegende Beschlußverfahren
auszusetzen und eine Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichts nach Art. 100 GG
einzuholen, ob § 111 BetrVG insoweit, als
Betriebe unter 20 regelmäßig beschäftigten
Arbeitnehmern nicht sozialplanfähig sind,
verfassungsgemäß ist.
Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen.
Zur Begründung hat er vorgetragen, dem Hauptantrag könne schon deshalb nicht stattgegeben werden, weil die Beteiligung des Betriebsobmanns bei der geplanten Betriebsänderung nach der Regelung in § 111 BetrVG nicht notwendig sei, da der Betrieb nicht mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftige. Gegen diese gesetzliche Regelung bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, so daß das Gericht keine Veranlassung habe, dem Verfahrensantrag des Betriebsobmanns nachzukommen und den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG vorzulegen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Während des Beschwerdeverfahrens ist das Unternehmen des Arbeitgebers im Handelsregister gelöscht worden. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsobmanns mit der Begründung zurückgewiesen, die §§ 111 ff. BetrVG seien nicht verfassungswidrig. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsobmann seine Anträge weiter.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsobmanns ist nicht begründet.
I. Der Antrag ist nicht unzulässig geworden. Die Löschung im Handelsregister hat nur deklaratorische Bedeutung (vgl. BAGE 36, 125 = AP Nr. 4 zu § 50 ZPO; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 50 Anm. B II b 1; Theil, Anm. zum Urteil des BGH vom 5. April 1979 - II ZR 73/78 - JZ 1979, 567; BGH Urteil vom 4. Juni 1957 - VIII ZR 68/56 - LM Nr. 1 zu § 74 GmbHG). Sie hat nur die Bedeutung der Beurkundung einer Tatsache. Trotz der Löschung besteht die Parteifähigkeit jedenfalls dann fort, wenn tatsächlich noch verteilbares Vermögen vorhanden ist. Streitig ist nur, ob die Parteifähigkeit auch dann endet, wenn die Abwicklung abgeschlossen worden ist, bevor alle Gläubiger der Liquidationsgesellschaft befriedigt worden sind. Dies bejaht der BGH (Urteil vom 5. April 1979, BGHZ 74, 212 ff., 213). Entgegengesetzter Auffassung sind das Bundesarbeitsgericht (BAG Urteile vom 9. Februar 1978 - 3 AZR 260/78 - AP Nr. 7 zu § 286 ZPO, zu I 2 der Gründe und vom 11. September 1980, BAGE 34, 146 = AP Nr. 9 zu § 7 BetrAVG, zu A II 2 b der Gründe sowie Urteil des Zweiten Senats vom 9. Juli 1981, BAGE 36, 125 = AP Nr. 4 zu § 50 ZPO) und der Bundesfinanzhof (BFH Urteil vom 26. März 1980 - 1 R 111/79 - AP Nr. 3 zu § 50 ZPO). Darauf, wie diese Streitfrage zu beantworten ist, kommt es vorliegend nicht an, da der Arbeitgeber noch nicht einmal behauptet hat, die Liquidation sei abgeschlossen und es sei kein verteilbares Vermögen mehr vorhanden. Daher bestand für den Senat auch kein Anlaß, von Amts wegen zu überprüfen, ob die Parteifähigkeit des Arbeitgebers noch besteht.
Das Amt des Betriebsobmanns hat mit der Stillegung des Betriebes nicht geendet. Die Beteiligtenfähigkeit des Betriebsobmanns ist daher nicht entfallen. Ihm steht nach den §§ 111 ff. BetrVG ein Restmandat zu (ständige Rechtsprechung seit Senatsbeschluß vom 20. April 1982, BAGE 38, 284 = AP Nr. 15 zu § 112 BetrVG 1972).
II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Anträge des Betriebsobmanns seien unbegründet.
1. Nach dem Wortlaut von § 111 Satz 1 BetrVG hat der Unternehmer nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben könnten, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten. Soweit das Gesetz die Unterrichtungs- und die Beratungspflicht davon abhängig macht, daß in Betrieben in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden, ist der Wortlaut eindeutig, so daß von daher eine Auslegungsmöglichkeit nicht besteht. Der Wortlaut geht auch nicht über das vom Gesetzgeber Gewollte hinaus. Bereits das BetrVG 1952 begrenzte das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei Betriebsänderungen in § 72 auf Betriebe mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern. In diesem Zusammenhang wurde damals auf die "wirtschaftlichen Opfer zugunsten der geschädigten Arbeitnehmer" (BT-Drucks. I/1546, S. 62 zu § 81 BetrVG) hingewiesen. Es ist daher davon auszugehen, daß damals und bei der Verabschiedung des BetrVG 1972 dieses wirtschaftliche Opfer für Kleinbetriebe bis zu 20 Arbeitnehmern nicht gewollt war.
2. Der Betriebsobmann bzw. der Betriebsrat kann also ein Beteiligungsrecht nach § 111 ff. BetrVG nur haben, wenn - wie die Rechtsbeschwerde richtig sieht - § 111 Satz 1 BetrVG verfassungswidrig wäre, soweit er das Beteiligungsrecht auf Betriebe mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern begrenzt.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt aber ein Verfassungsverstoß, eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG, nicht vor.
a) Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber Ungleiches gleich und Gleiches ungleich zu behandeln. Der Gesetzgeber hat aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen weiten Gestaltungsspielraum. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber daher nicht jede Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte, sondern nur solche Differenzierungen, die sich bei näherer Prüfung als willkürlich und sachfremd erweisen. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber unter den verschiedenen Möglichkeiten die gerechteste und zweckmäßigste Lösung getroffen hat (BVerfGE 1, 14 ff., 52; 31, 212 ff., 218). Maßgeblich ist nach der älteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, "ob die äußersten Grenzen der gesetzgeberischen Freiheit eingehalten sind und sich sachliche Gründe für die Differenzierung finden lassen" (BVerfGE 31, 297 ff., 302). Dabei bestimmt "die Natur des jeweiligen Sachbereichs, ob und welche Differenzierungen der Gleichheitssatz bei der Ordnung eines Sachverhalts zuläßt" (BVerfGE 32, 157 ff., 167).
Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht seit seinem Beschluß vom 7. Oktober 1980 (BVerfGE 55, 72, 88, 91) die verfassungsgerichtliche Kontrolle der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit bei der Bestimmung des Personenkreises, für den eine gesetzliche Regelung Anwendung finden soll, verstärkt. Nach der neueren Rechtsprechung ist die Differenzierung zwischen Normadressaten nur dann verfassungsgemäß, wenn "Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten" (BVerfGE 55, 72, 88 f.). Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen weiteren Entscheidungen bestätigt (BVerfGE 62, 256, 274 für die Berechnung der Kündigungsfristen von älteren Arbeitern und Angestellten; BVerfGE 74, 9, 24 beim Bezug von Arbeitslosengeld für Studenten; BVerfGE 74, 129, 149).
b) Auch unter Berücksichtigung dieses strengen Maßstabs der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt § 111 Satz 1 BetrVG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
aa) In zahlreichen gesetzlichen Regelungen macht der Gesetzgeber die Beteiligung des Betriebsrats davon abhängig, daß eine bestimmte Anzahl wahlberechtigter Arbeitnehmer beschäftigt wird (§§ 1, 95 Abs. 2, §§ 99, 106, 111, 112 a BetrVG). Ebenso wird der Kündigungsschutz von einer bestimmten Mindestbeschäftigtenzahl abhängig gemacht (§§ 17, 23 Abs. 1 KSchG, § 2 Abs. 1 AngKSchG).
bb) Auch das Beteiligungsrecht nach § 99 BetrVG hängt davon ab, daß mehr als 20 Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt werden. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde dürfte dafür nicht ein personaler Aspekt entscheidend sein, eher die Überlegung des Gesetzgebers, daß in den Kleinbetrieben ein solch formalisiertes Verfahren bei den vier genannten personellen Einzelmaßnahmen nicht erforderlich ist. Daß die besonders enge Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern in einem Kleinbetrieb nicht für die Mindestgröße von 21 Arbeitnehmern als Voraussetzung für das Beteiligungsrecht nach § 99 BetrVG maßgebend gewesen ist, zeigt das Kündigungsschutzgesetz, das in § 23 Abs. 1 den Kündigungsschutz davon abhängig macht, daß mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden. Der Gesetzgeber mutet es den Arbeitgebern, die mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigen, also zu, auch nach einem Kündigungsschutzprozeß mit den Arbeitnehmern weiter zusammenzuarbeiten, deren Klage Erfolg gehabt hat.
cc) Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zum BetrVG 1952 (BT-Drucks. I/1546, S. 62, zu § 81) ergibt, war für die Begrenzung des Beteiligungsrechts bei Betriebsänderungen die Rücksichtnahme auf kleine Unternehmer maßgebend, bei denen davon ausgegangen wurde, daß sie normalerweise weniger belastungsfähig seien und deshalb einen größeren unternehmerischen Entscheidungsspielraum ohne finanzielle Folgelasten erhalten sollten (vgl. auch Fabricius, GK-BetrVG, 2. Bearbeitung 1983, § 111 Rz 29).
Diese gesetzgeberische Entscheidung wird durch den weiten gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum gedeckt. Entsprechend ist in der gesamten arbeitsrechtlichen Literatur bisher von niemandem die Verfassungsmäßigkeit von § 111 Satz 1 BetrVG infrage gestellt worden, soweit das gesamte Unternehmen nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt (vgl. Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 111 Rz 3; Däubler, Das Arbeitsrecht 1, überarbeitete Aufl. 1985, S. 487; Fabricius, GK-BetrVG, § 111 Rz 30; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 111 Rz 7; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 111 Rz 4; Fuchs, Der Sozialplan nach dem BetrVG 1972, 1977, S. 22 ff.; Teichmüller, Die Betriebsänderung, 1983, S. 48).
Sicher ist die Ansicht der Rechtsbeschwerde richtig, daß gesunde Kleinbetriebe gegenüber Großbetrieben im Verhältnis zur Arbeitnehmerzahl auch wirtschaftlich stärker sein können, z.B. gegenüber Konkursbetrieben. Ebenso richtig ist auch, daß bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens nicht ausschließlich auf die Arbeitnehmerzahl abgestellt werden kann, sondern diese von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Dennoch ist § 111 Satz 1 BetrVG nicht verfassungswidrig: Die Rechtsbeschwerde hat nicht vorgetragen, schon gar nicht nachgewiesen, daß der Ausgangspunkt des Gesetzgebers, Kleinbetriebe seien in der Regel wirtschaftlich weniger leistungsfähig als größere, auch seien sie leichter verwundbar als größere Betriebe, unrichtig ist. Deshalb hat der Senat davon auszugehen, daß die Prämisse des Gesetzgebers nach wie vor zutreffend ist. Dann ist es aber auch sachlich begründet, die Kleinbetriebe von dem Beteiligungsrecht nach § 111 BetrVG auszunehmen. Die Rechtsbeschwerde hat auch nichts vorgetragen, aus dem zu entnehmen wäre, die Differenzierung zwischen Betrieben mit 5 bis 20 und Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern sei sachwidrig. Insoweit hat der Gesetzgeber an die Regelungen in § 1 BRG 1920 und § 72 BetrVG 1952 angeknüpft. Friktionen gibt es bei jeder Art von Differenzierung, so daß nicht darauf abgestellt werden kann, daß Betriebe mit in der Regel 17, 18, 19, 20, 21 oder 22 Arbeitnehmern etwa miteinander vergleichbar seien.
dd) Die Differenzierung durch § 111 Satz 1 BetrVG ist auch unter einem anderen Gesichtspunkt gerechtfertigt, der wiederum mit der Belastungsfähigkeit verbunden ist. Der Gesetzgeber fand eine bestimmte Wirtschaftsstruktur mit Klein-, Mittel- und Großbetrieben vor, die zu erhalten einen guten Sinn hat. Werden die Kleinbetriebe zu sehr belastet, wird die Tendenz zur Konzentration weiter gefördert mit der Folge, daß die Wettbewerbssituation sich letzten Endes zum Nachteil des Verbrauchers ändert. Schon aus diesem Grunde war es gerechtfertigt, die Belastung von Unternehmen auch beim Beteiligungsrecht des Betriebsrats unterschiedlich zu gestalten. Dementsprechend nimmt das Betriebsverfassungsgesetz Betriebe mit in der Regel weniger als fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern ganz vom Gesetz aus, setzt die Beteiligungsrechte nach §§ 99 ff. BetrVG und §§ 111 ff. BetrVG bei Betrieben von mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern an, macht die Unterrichtung in wirtschaftlichen Angelegenheiten nach §§ 106 ff. von der Beschäftigung von in der Regel mehr als 100 Arbeitnehmern abhängig und die Erzwingbarkeit von Auswahlrichtlinien nach § 95 Abs. 2 BetrVG von der Beschäftigung von mehr als 1.000 Arbeitnehmern. Sollte aber die bei Verkündung des BetrVG 1972 bestehende Wettbewerbs- und Unternehmensstruktur erhalten werden, so mußten auch Anreize für die Neugründungen von Kleinunternehmen geschaffen werden. Dieser Anreiz besteht nach dem BetrVG 1972 darin, daß die Kleinunternehmen mit in der Regel weniger als 21 Arbeitnehmern nicht damit rechnen müssen, bei Betriebsänderungen einen Sozialplan aufzustellen und bei der Abweichung von einem Interessenausgleich Abfindungen nach § 113 BetrVG zu zahlen.
c) Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung in § 111 BetrVG spricht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch nicht, daß der Betriebsrat nach § 112 Abs. 4 BetrVG einen Sozialplan, der den Bestand des Betriebes gefährdet, nicht durchsetzen könne. Es ist zwar richtig, daß dann, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einigen können, die Einigungsstelle entscheidet. Es ist ebenfalls richtig, daß diese bei ihrer Entscheidung die Zumutbarkeitskriterien des § 112 Abs. 5 BetrVG zu beachten hat. Die Grenzen für das Ermessen der Einigungsstelle sind aber sehr weit. Bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen ist nur darauf zu achten, daß der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Auch durch einen Sozialplan der Einigungsstelle kann also der Arbeitgeber in einem ganz erheblichen Maße gegen seinen Willen so belastet werden, daß dies für die Ertragskraft des Unternehmens einschneidend ist. Gerade dies will der Gesetzgeber vermeiden. Wenn er aufgrund seiner Gesetzgebungskompetenz entscheidet, daß der Kleinunternehmer mit weniger als 21 Arbeitnehmern überhaupt nicht durch Beteiligungsrechte und Sozialpläne beschwert werden soll, so ist diese Differenzierung nicht unzulässig.
d) Zu Unrecht beruft sich die Rechtsbeschwerde auch auf das Gutachten von Zöllner, das dieser für den 52. Deutschen Juristentag erstellt hat (Zöllner, Sind im Interesse einer gerechteren Verteilung der Arbeitsplätze Begründung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse neu zu regeln?, Gutachten D zum 52. DJT, 1978, D S. 146). Es ist zwar richtig, daß Zöllner (aaO) sich mit der Regelung des § 111 BetrVG befaßt hat. Er hat jedoch nur rechtspolitisch untersucht, ob es nicht sinnvoll wäre, bei betriebsbedingten Kündigungen ähnlich dem österreichischen Recht dem Arbeitnehmer unabhängig von der Wirksamkeit der Kündigung eine Abfindung zuzusprechen. Er hat sich dann damit auseinandergesetzt, ob es sinnvoller wäre, eine solche Abfindung individualrechtlich oder kollektivrechtlich zu konstruieren. Er ist in dem Gutachten für eine kollektivrechtliche Lösung einer Abfindung für alle Arbeitnehmer eingetreten für den Fall, daß der Gesetzgeber sich entscheiden sollte, auch für sozial gerechtfertigte Kündigungen Abfindungen zu gewähren. Für das geltende Recht kann aus solchen Überlegungen nichts hergeleitet werden.
Insgesamt war der Senat der Auffassung, daß die in der Regel geringere wirtschaftliche Belastbarkeit der Kleinbetriebe in Verbindung mit dem Ziel, die vorhandene Wettbewerbs- und Unternehmensstruktur zu erhalten, die Differenzierung durch § 111 BetrVG sachlich rechtfertigt.
Dementsprechend ist der Antrag des Betriebsobmanns unbegründet, so daß die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen war.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Dr. Schmidt Dr. Wohlgemuth
Fundstellen
Haufe-Index 437077 |
BAGE 63, 162-169 (LT1) |
BAGE, 162 |
BB 1990, 632 |
BB 1990, 632-633 (LT1) |
DB 1990, 694-695 (LT1) |
BetrVG, (3) (LT1) |
EWiR 1990, 743 (L) |
NZA 1990, 443-445 (LT1) |
RdA 1990, 64 |
AP § 111 BetrVG 1972 (LT1), Nr 29 |
EzA § 111 BetrVG 1972, Nr 26 (LT1) |
MDR 1990, 470 (LT1) |