Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragsbefugnis der Gewerkschaften
Leitsatz (amtlich)
1. Antragsbefugnis und Beteiligungsbefugnis sind nicht identisch. Dem beteiligungsbefugten Antragsteller kann die Antragsbefugnis fehlen.
2. Die Antragsbefugnis ist nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen. Dazu ist derjenige befugt, der eigene Rechte geltend macht.
3. Bei Streitfragen betriebsverfassungsrechtlicher Art ist zu untersuchen, ob die den Streitgegenstand betreffenden Normen des Betriebsverfassungsgesetzes dem Antragsteller eine eigene schutzwerte Rechtsposition zuordnen.
4. Weder die Bestimmungen des § 47 Abs. 2 und Abs. 5 BetrVG noch allgemeine betriebsverfassungsrechtliche Grundsätze vermitteln den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften das Recht, Mängel bei der Konstituierung des Gesamtbetriebsrats und beim Abschluß von Betriebsvereinbarungen zu rügen noch deren Inhalt gerichtlich überprüfen zu lassen.
Leitsatz (redaktionell)
Antragsbefugnis der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften zur Wahl eines Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, seines Stellvertreters und zur Bildung eines Gesamtbetriebsausschusses sowie zu Betriebsvereinbarungen nach § 47 Abs. 5 BetrVG
Normenkette
BetrVG § 47 Abs. 1-2, 4-5, §§ 48, 51 Abs. 1, § 26 Abs. 1, § 27 Abs. 1; ArbGG §§ 2a, 80 Abs. 1, § 83 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Beschluss vom 10.02.1983; Aktenzeichen 4 TaBV 33/82) |
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 20.11.1981; Aktenzeichen 11 BV 14/81) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.
2. Auf die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 2) und 3) werden die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Februar 1983 – 4 TaBV 33/82 – und des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 20. November 1981 – 11 BV 14/81 – aufgehoben und abgeändert, soweit sie die am 25. Mai 1981 zwischen den Beteiligten zu 2) und 3) abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen über die Bildung eines Gesamtbetriebsrats und über das Verfahren der gemeinsamen Entsendung von Betriebsratsmitgliedern der Regionen in den Gesamtbetriebsrat der Beteiligten zu 2) für unwirksam erklärt haben. Die Anträge der Beteiligten zu 1) und 4) werden in diesem Umfang als unzulässig zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die rechtmäßige Zusammensetzung des bei der W. GmbH (Beteiligte zu 2) errichteten verkleinerten Gesamtbetriebsrats (Beteiligter zu 3) und über die Rechtswirksamkeit der dazu abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen vom 25. Mai 1981.
Die Beteiligte zu 2) unterhält in der Bundesrepublik und Berlin etwa 200 Ladengeschäfte, deren Mitarbeiter jeweils einen eigenen Betriebsrat wählen. Nach der Betriebsratswahl 1981 fand am 25. Mai 1981 eine Sitzung des Gesamtbetriebsrats statt, zu der die Betriebsräte 264 Mitglieder entsandt hatten. Diese wählten einen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, nicht aber einen Stellvertreter und den Gesamtbetriebsausschuß. Im Anschluß an die Wahl des Vorsitzenden billigten sie mehrheitlich den Abschluß zweier Betriebsvereinbarungen über die Mitgliederzahl des verkleinerten Betriebsrats nach § 47 Abs. 4 BetrVG und die Verbindung mehrerer Betriebe zur gemeinsamen Entsendung von Mitgliedern in den Gesamtbetriebsrat sowie über das Verfahren der gemeinsamen Entsendung (Entsendungsordnung). Beide Betriebsvereinbarungen wurden noch am selben Tag mit der Beteiligten zu 2) abgeschlossen.
Die in den Betrieben vertretenen Gewerkschaften HBV (Beteiligte zu 1) und DAG (Beteiligte zu 4) haben die Gesamtbetriebsvereinbarungen für unwirksam gehalten. Sie meinen, im Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Betriebsvereinbarungen sei noch kein ordnungsgemäß entstandener Gesamtbetriebsrat vorhanden gewesen, weil man es versäumt habe, einen stellvertretenden Gesamtbetriebsratsvorsitzenden zu wählen. Der Abschluß einer Betriebsvereinbarung sei jedoch erst nach Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen zur Konstituierung des Gesamtbetriebsrats möglich. Im übrigen entsprächen die Betriebsvereinbarungen nicht dem vorgeschriebenen Inhalt des § 47 Abs. 5 BetrVG. So sei zu einer Neuordnung der regionalen Struktur nur der Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 BetrVG befugt, nicht dagegen der bereits verkleinerte Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 5 BetrVG. Die Entsendungsordnung sei rechtsunwirksam, weil sie die Bestimmung der Mitglieder des verkleinerten Gesamtbetriebsrats im schriftlichen Verfahren vorsehe. Außerdem habe der Ablauf der Versammlung am 25. Mai 1981 und das Abstimmungsverfahren unter Formmängeln gelitten.
Die Gewerkschaften HBV und DAG haben beantragt,
festzustellen, daß die am 25. Mai 1981 von der Firma W. GmbH und dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden unterzeichneten Betriebsvereinbarungen über die Bildung eines Gesamtbetriebsrats sowie die am 25. Mai 1981 von den gleichen Personen unterzeichnete Betriebsvereinbarung über das Verfahren der gemeinsamen Entsendung von Betriebsratsmitgliedern der Regionen in den Gesamtbetriebsrat der Firma W. GmbH unwirksam sind.
Die DAG hat weiter beantragt,
festzustellen, daß die Bildung des Gesamtbetriebsrats unwirksam ist.
Die Firma W. GmbH und der Gesamtbetriebsrat haben um Zurückweisung der Anträge gebeten und gemeint, den Gewerkschaften fehle Antrags- und Beteiligungsbefugnis, weil die Beschlußfassung über die beiden Betriebsvereinbarungen sowie die darin enthaltenen Regelungen ihre betriebsverfassungsrechtliche Stellung nicht berührten. Insoweit sei den Betriebspartnern ein Freiraum zur autonomen Regelung überlassen. Eine Inhaltskontrolle der Betriebsvereinbarungen und die Anfechtung interner Geschäftsführungsbeschlüsse des Betriebsrats durch Gewerkschaften sei unzulässig. Es müsse der innerbetrieblichen Gestaltungsfreiheit überlassen bleiben, im Rahmen einer Betriebsvereinbarung eine Entsendungsordnung aufzustellen. Der Gesamtbetriebsrat sei am 25. Mai 1981 ordnungsgemäß errichtet worden und auch ohne Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden funktionsfähig. Die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den verkleinerten Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 5 BetrVG durch ein schriftliches Verfahren sei statthaft. Die körperliche Anwesenheit der zusammengefaßten Betriebsräte beim Entsendungsorgan sei nicht erforderlich.
Das Arbeitsgericht hat dem gemeinsamen Antrag der Gewerkschaften entsprochen und nur den weitergehenden Antrag der DAG zurückgewiesen. Auf die Beschwerden des Gesamtbetriebsrats und des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht den Beschluß des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert, die Beschwerden aber insoweit zurückgewiesen, als es festgestellt hat, daß die jeweils letzten Absätze des §2. Abschnitt a und Abschnitt b der Betriebsvereinbarung über die Bildung eines Gesamtbetriebsrats zum 25. Mai 1981 unwirksam sind und die Betriebsvereinbarung über das Verfahren der gemeinsamen Entsendung von Betriebsratsmitgliedern der Regionen in den Gesamtbetriebsrat vom 25. Mai. 1981 rechtsunwirksam ist.
Gegen diesen Beschluß haben die HBV, der Arbeitgeber und der Gesamtbetriebsrat Rechtsbeschwerde eingelegt. Alle Rechtsbeschwerdeführer verfolgen ihre erstinstanzlichen Verfahrensziele weiter. Die HBV verlangt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses, während Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat um vollständige Zurückweisung der gestellten Anträge bitten,
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 1), 2) und 3) sind jeweils statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und nach Verlängerung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist ordnungsgemäß und rechtzeitig begründet, somit zulässig.
Die Rechtsbeschwerde der HBV ist unbegründet, während die Rechtsbeschwerden der Firma W. und des Gesamtbetriebsrats Erfolg haben. Sie führen zur Aufhebung und Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen,
I. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben Antrags- und Beteiligungsbefugnis der antragstellenden Gewerkschaften bejaht. Sie haben ausgeführt, die Gewerkschaften hätten ein rechtliches Interesse an der gesetzmäßigen Besetzung des Gesamtbetriebsrats. Es sei für sie nicht ohne Bedeutung, welche Betriebsratsmitglieder in den Gesamtbetriebsrat entsandt würden und ob dieses Gremium wirksam errichtet worden sei. Das gelte ebenso für die Überprüfung der in Frage stehenden Betriebsvereinbarungen, deren Gültigkeit von der rechtmäßigen Entstehung des Betriebsrats abhänge. Das rechtliche Interesse der Gewerkschaften an der gesetzmäßigen Besetzung des Gesamtbetriebsrats folge auch aus § 48 BetrVG, wonach eine Gewerkschaft den Ausschluß eines Mitglieds aus dem Gesamtbetriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten verlangen könne.
Die Versammlung der Mitglieder des gesetzlichen Gesamtbetriebsrats habe es zwar zu Unrecht unterlassen, einen Stellvertreter des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden zu wählen und einen Gesamtbetriebsausschuß zu bestellen. Diese Unterlassung führe jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarungen. Vielmehr sei die am 25. Mai 1981 abgeschlossene Betriebsvereinbarung über die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats und über die gemeinsame Entsendung von Mitgliedern mehrerer Betriebsräte aus anderen Gründen teilweise unwirksam, während die Entsendungsordnung vom selben Tage zur Gänze unwirksam sei.
II. Dem kann der Senat nicht zustimmen.
1. Die Gewerkschaften HBV und DAG sind als Antragsteller ebenso wie der Gesamtbetriebsrat als Antragsgegner „notwendige” Beteiligte in einem Verfahren über die Wirksamkeit der Bildung des Gesamtbetriebsrats (BAG 31, 58, 61 = AP Nr. 3 zu § 47 BetrVG 1972), ohne daß es auf ihre materielle Betroffenheit in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten ankommt (BAG 37, 31, 36 f. = AP Nr. 2 zu § 83 ArbGG 1979; BAG 39, 259, 261 = AP Nr. 5 zu § 83 ArbGG 1979). Beteiligungsbefugt ist auch die Firma W. GmbH, weil die Anträge die Rechtswirksamkeit der von ihr geschlossenen und anzuwendenden Gesamtbetriebsvereinbarung in Frage stellt. Dadurch wird die Beteiligte zu 2) unmittelbar in ihrer materiellen betriebsverfassungsrechtlichen Position betroffen und berührt (BAG 35, 337 = AP Nr. 38 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 37, 31 = AP, aaO; BAG Beschluß vom 13. März 1984 – 1 ABR 49/82 – AP Nr. 9 zu § 83 ArbGG 1979).
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch die Betriebsräte der jeweiligen Ladengeschäfte beteiligt. Denn auch diese werden durch das vorliegende Verfahren betroffen im Sinne des § 83 Abs. 3 ArbGG. Wird die Rechtsunwirksamkeit der angegriffenen Betriebsvereinbarung wegen schwerer Mängel in der Konstituierung des gesetzlichen Gesamtbetriebsrats begründet, so haben die Einzelbetriebsräte erneut das Entsendungsrecht in den gesetzlichen Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 ArbGG auszuüben.
Allerdings hat es das Beschwerdegericht versäumt, die Mitglieder des verkleinerten Gesamtbetriebsrats zu beteiligen. Das hat der Senat in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachgeholt (zur Beteiligungsmöglichkeit in der Rechtsbeschwerdeinstanz vgl. BAG Beschluß vom 19. März 1974 – 1 ABR 44/73 – AP Nr. 1 zu § 26 BetrVG 1972; BAG 28, 203 = AP Nr. 1 zu § 8 BetrVG 1972; BAG 31, 58, 63 = AP Nr. 3 zu § 47 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 3 = April 1979 – 6 ABR 63/76 – AP Nr. 16 zu § 40 BetrVG 1972; a. A.: Dütz, SAE 1978, 4, 6). Die Mitglieder des Gesamtbetriebsrats sind wegen ihrer materiellen Betroffenheit Beteiligte im Sinne des § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Denn wenn die Unwirksamkeit der geschlossenen Betriebsvereinbarungen zur Verkleinerung des gesetzlichen Gesamtbetriebsrats festgestellt wird, so ist davon unmittelbar ihre Mitgliedschaft im verkleinerten Gesamtbetriebsrat betroffen (BAG 31, 58, 62, 63).
2. Die Anträge der in den Betrieben der Firma W GmbH vertretenen Gewerkschaften sind unzulässig. Diese sind nämlich entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht antragsbefugt.
Antragsbefugnis und Beteiligungsbefugnis fallen nicht notwendigerweise zusammen. Wenn auch der Antragsteller stets „notwendiger” Beteiligter und deshalb beteiligungsbefugt ist (BAG aaO), so kann ihm dennoch die Antragsbefugnis fehlen (BAG 37, 31 = AP Nr. 2 zu § 83 ArbGG 1979). Das ist in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts teilweise nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit ausgesprochen worden (BAG 25, 60 = AP Nr. 1 zu § 19 BetrVG 1972; BAG 31, 58 – AP Nr. 3 zu § 47 BetrVG 1972; BAG 44, 57 = AP Nr. 10 zu § 19 BetrVG 1972).
a) Die Antragsbefugnis folgt nicht aus § 83 Abs. 3 ArbGG. Diese Vorschrift bestimmt allein, welche beteiligungsfähigen Personen oder Zusammenschlüsse im bereits eingeleiteten Beschlußverfahren zu beteiligen sind. Die Norm besagt nichts über das Recht, einen Antrag im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren zu stellen (Dütz, Anm. zum Beschluß des BAG vom 3. Februar 1976 – 1 ABR 121/74 – AP Nr. 8 zu § 118 BetrVG 1972). Die Antragsbefugnis ist nach anderen Grundsätzen zu bestimmen. Dabei gelten die allgemeinen Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens. Von Ausnahmen wie der der Prozeßstandschaft abgesehen kann jemand ein gerichtliches Verfahren nur einleiten, der behauptet, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Dann ist er prozeßführungsbefugt. Denn Prozeßführungsbefugnis und Antragsbefugnis im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren dienen als Sachentscheidungsvoraussetzung dazu, Popularklagen auszuschließen (BAG 25, 415 = AP Nr. 4 zu § 40 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 15. August 1978 – 6 ABR 10/76 – AP Nr. 1 zu § 23 BetrVG 1972 = EzA § 23 BetrVG 1972 Nr. 7; BAG 37, 31 = AP Nr. 2 zu § 83 ArbGG 1979 m. w. L; a. A. Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 80 Rz 29; Kreutz, SAE 1980, 74; für Popularklagen: BAG Beschluß vom 27. August 1968 – 1 ABR 4/67 – AP Nr. 11 zu § 81 BetrVG).
b) Wer Träger des streitbefangenen Rechts ist, kann nur anhand des durch die Anträge bestimmten Streitgegenstands und der dazu geltenden Rechtsvorschriften ermittelt werden (Thomas/Putzo, ZPO, 14. Aufl., § 51 Anm. IV 1 b). So ist bei Streitfragen betriebsverfassungsrechtlicher Art zu untersuchen, ob die den Streitgegenstand betreffenden Normen des Betriebsverfassungsgesetzes dem Antragsteller eine eigene Rechtsposition zuordnen, die es erlaubt, sich mittels eigenem Antrag zu schützen. Die betreffende Vorschrift ist vorliegend § 47 BetrVG. Auf die Prüfung der unmittelbaren Betroffenheit in diesem Sinne kann nur verzichtet werden, wenn das Gesetz dem Antragsteller ein eigenes Antragsrecht zugewiesen hat wie z.B. den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften nach § 18 Abs. 1 und 2, § 19 Abs. 2 BetrVG. (Der Erste Senat hat die Voraussetzungen der Antragsbefugnis mal enger (BAG 28, 4 = AP Nr. 8 zu § 118 BetrVG 1972), mal weiter (BAG 28, 219 = AP Nr. 2 zu § 26 BetrVG 1972) bestimmt; wie hier zuletzt Beschluß vom 10. Juni 1986 – 1 ABR 59/84 – zur Veröffentlichung bestimmt).
c) Die Vorschriften des § 47 Abs. 2 und 5 BetrVG vermitteln den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften keine schutzwerten Rechtspositionen in der vorbeschriebenen Weise. Fehler bei der Errichtung des Gesamtbetriebsrats gemäß § 47 Abs. 2 BetrVG und beim Abschluß von Betriebsvereinbarungen sowie nach Auffassung der Gewerkschaften inhaltlich unwirksame Betriebsvereinbarungen führen nicht zu einer das Antragsrecht auslösenden materiellen betriebsverfassungsrechtlichen Betroffenheit. Sie folgt nicht etwa aus einer dem § 19 Abs. 2 BetrVG entsprechenden Position. Die Wahl des Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden eines Betriebsrats sind die grundlegenden Errichtungsakte zur Aufnahme der Geschäftsführung durch den Betriebsrat (BAG 46, 282, 285 = AP Nr. 36 zu § 102 BetrVG 1972). Die Schaffung der inneren Ordnung des Betriebsrats steht nicht dem Schlußakt einer Wahl gleich, so daß eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Wahlanfechtung aus § 19 BetrVG ausscheidet (BAG 28, 219, 222 = AP Nr. 2 zu § 26 BetrVG 1972). Das gilt gleichermaßen für die Wahl des Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, § 51 Abs. 1, § 26 Abs. 1 BetrVG und die Bildung eines Gesamtbetriebsausschusses, § 51 Abs. 1, § 27 Abs. 1 BetrVG.
Die ein Antragsrecht begründende materielle betriebsverfassungsrechtliche unmittelbare Betroffenheit kann auch nicht aus allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Erwägungen festgestellt werden, weil es eine allgemeine Kontrollfunktion der Gewerkschaften hinsichtlich der Organisation des Betriebsrats und Gesamtbetriebsrats mit der Begründung, es könne den Gewerkschaften nicht gleichgültig sein, wer den Betriebsrat nach außen und damit auch in der gesetzlichen Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften vertrete, nicht gibt. Das Betriebsverfassungsgesetz weist den Gewerkschaften eine Vielzahl von Unterstützungs- und Kontrollfunktionen zu, die jeweils ausdrücklich im Gesetz genannt werden (vgl. zum Beispiel, § 14 Abs. 7, § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 2 und Abs., 3, § 18 Abs. 1 und Abs. 2, § 23 Abs. 1 und Abs. 3, § 31, § 35 Abs. 1, § 43 Abs. 4, § 46 Abs. 1 und Abs. 2, § 48, § 53 Abs. 3, § 56 und § 119 Abs. 2 BetrVG). Darauf können sich die antragstellenden Gewerkschaften jedoch im Streitfall nicht berufen, weil sie sämtlichst nicht im Zusammenhang mit der Konstituierung des Gesamtbetriebsrats stehen. Die Summe der den Gewerkschaften durch das Betriebsverfassungsgesetz zugestandenen Rechte läßt auch nicht den Schluß auf eine umfassende betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition zu. Sieht man von der hier nicht einschlägigen Wahlanfechtung nach § 19 BetrVG ab, dienen die im übrigen konkret im Betriebsverfassungsgesetz den Gewerkschaften eingeräumten Rechte vorzugsweise der Unterstützung von Arbeitnehmern und Betriebsrat. Diese Rechtsposition vermittelt den Gewerkschaften nicht zugleich ein allgemeines Kontrollrecht über alle betriebsverfassungsrechtlichen Aktivitäten. Insoweit genießen die Partner der Betriebsverfassung gegenüber den Verbänden unabhängige Rechte. Nur grobe Pflichtverstöße des Betriebsrats oder seiner Mitglieder berechtigen die Gewerkschaften auf die Zusammensetzung des Betriebsrats Einfluß zu nehmen (vgl. §§ 23 Abs. 1, 48, 56 BetrVG). Aus diesen betriebsverfassungsrechtlich begrenzten Rechten der Gewerkschaften läßt sich eine über die Normen hinausgehende Antragsbefugnis nicht begründen.
Das Ergebnis wird auch aus § 47 Abs. 5 BetrVG getragen. Die Antragstellerinnen haben die Möglichkeit, jederzeit eine tarifliche Regelung betriebsverfassungsrechtlichen Inhalts nach § 47 Abs. 4 BetrVG zu treffen, die die im Streit stehenden Gesamtbetriebsvereinbarungen verdrängen (Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14, Aufl., § 47 Rz 34; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 47 Rz 47; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 47 Rz 22; Fabricius, GK-BetrVG, § 47 Rz 102; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 47 Rz 20). Die Konkurrenz der Regelungsbefugnisse auf tariflicher und betrieblicher Ebene erfordert den wechselseitigen Respekt vor der jeweiligen Regelungsautonomie der Tarifparteien und der Betriebspartner. Damit vertragen sich keine Kontrollrechte der Gewerkschaften gegenüber Betriebsvereinbarungen. Überlassen also Gewerkschaften den Betriebspartnern die Regelungskompetenz nach § 47 Abs. 5 BetrVG, so können sie nicht in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen sein.
Auch § 48 BetrVG kann zur Begründung einer das Anfechtungsrecht auslösenden Betroffenheit für die Fälle des § 47 Abs. 2 und Abs., 5 BetrVG nicht herangezogen werden. Fehlerhafte Konstituierung des gesetzlichen Betriebsrats und Abschluß rechtlich nicht vertretbarer Betriebsvereinbarungen einerseits und grobe Pflichtverletzungen einzelner Gesamtbetriebsratsmitglieder andererseits betreffen unterschiedliche Verfahrensgegenstände. Eine Vermittlung der Antragsbefugnis aus dem Regelungsbereich des § 48 BetrVG in den der Konstituierung eines Gesamtbetriebsrats ist nicht gestattet,
Unterschriften
Dr. Jobs, Schneider, Dörner, Mergenthaler, Rose
Fundstellen
Haufe-Index 440557 |
BAGE, 279 |
BB 1987, 1881 |