Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung von Gruppenleiterin im Erziehungsdienst
Orientierungssatz
Gleichstellung staatlich anerkannter Erzieherin mit Sozialarbeiter, Sozialpädagogen oder Jugendleiter als Gruppenleiterin in heilpädagogischer Gruppe (Bestätigung BAG vom 3.12.1985 4 ABR 80/83 = AP Nr 31 zu § 99 BetrVG 1972).
Normenkette
TVG § 1; BAT §§ 22-23; BAT Anlage 1a
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 31.03.1987; Aktenzeichen 8 Sa 181/87) |
ArbG Essen (Entscheidung vom 18.12.1986; Aktenzeichen 1 Ca 2520/86) |
Tatbestand
Die Klägerin, die staatlich anerkannte Erzieherin ist und eine heilpädagogische Zusatzausbildung an der Fachschule für Sonderpädagogik in D erfolgreich abgeschlossen hat, stand vom 1. März 1983 bis 30. Juni 1986 in den Diensten der Beklagten. Im Arbeitsvertrag vom 2. März 1983 haben die Parteien die Geltung des Bundes-Angestelltentarifvertrags vom 23. Februar 1961 (BAT), der zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge sowie der an ihre Stelle tretenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung vereinbart. Seit 1. Juli 1983 erhielt die Klägerin Vergütung nach VergGr. V c BAT.
Die Klägerin war in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte der Beklagten, seit 1985 mit etwa 420 Behinderten, als Gruppenleiterin tätig und betreute dort die von der Beklagten eingerichtete sogenannte heilpädagogische Gruppe gemeinsam mit einem weiteren Kollegen, einem Arbeitstherapeuten. In dieser Gruppe waren zuletzt etwa sieben Behinderte ständig sowie drei bis sechs sogenannte Tagespendler untergebracht, die aufgrund ihrer Behinderung nicht in den normalen Produktionsgruppen eingesetzt werden konnten. Dabei oblagen der Klägerin insbesondere die Durchführung der Aufnahmegespräche mit den Eltern oder dem Heim, die Beobachtung der Behinderten, die in die heilpädagogische Arbeitsgruppe aufgenommen wurden, die Erarbeitung von Therapieplänen, abgestellt auf den einzelnen Behinderten, und die Durchführung von Therapieangeboten (künstlerische, handwerkliche und sonstige therapeutische Maßnahmen), im Einzelfall nach Absprache mit dem zuständigen Sozialarbeiter, sowie die Einbeziehung von Elternhaus, Heim, Werkstatt und Personal einschließlich der Haus- und Heimbesuche.
Mit Schreiben vom 25. November 1985 an die Beklagte begehrte die Klägerin erfolglos ihre Höhergruppierung nach VergGr. V b BAT. Mit der Klage hat sie die Vergütungsdifferenz zwischen den VergGrn. V b und V c BAT für die Monate Mai 1985 bis Juni 1986 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von DM 4.046,27 brutto geltend gemacht. Sie hat vorgetragen, ihre Tätigkeit in der heilpädagogischen Arbeitsgruppe sei einheitlich zu bewerten und erfülle die Tätigkeitsmerkmale der Fallgruppe 1 k der VergGr. V b BAT. Sie verfüge auch über die erforderliche Ausbildung, da nach der Protokollerklärung Nr. 3 zu dieser Fallgruppe Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung, denen bis zum 31. Dezember 1986 diese Tätigkeit übertragen wurde, Sozialarbeitern/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung rechtlich gleichgestellt seien. Hinzu komme ihre heilpädagogische Zusatzausbildung, die der für ihre Gruppe zuständige Sozialarbeiter nicht aufweisen könne. Damit habe sie eine Qualifikation erworben, die sie befähige, gerade den Anforderungen in der heilpädagogischen Arbeitsgruppe gerecht zu werden, in der nur solche Behinderte untergebracht seien, die wegen extremer Verhaltensauffälligkeiten aus den Produktionsgruppen oder Trainingsgruppen hätten entfernt werden müssen und einer individuellen Betreuung und Förderung bedürften, wofür bereits der Betreuungsschlüssel von 2 : 1 oder 3 : 1 kennzeichnend sei, der in der Produktionsgruppe mit 12 : 1 und im Trainingsbereich mit 6 : 1 vorgegeben sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
DM 4.046,27 brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die von der Klägerin begehrte Vergütungsgruppe gelte nur für Sozialarbeiter, Sozialpädagogen oder Jugendleiter mit entsprechender staatlicher Prüfung. Auf die Protokollerklärung Nr. 3 könne sich die Klägerin nicht berufen. Danach komme eine Eingruppierung in VergGr. V b BAT nur in Betracht, wenn der Klägerin eine entsprechende Tätigkeit übertragen worden wäre und sie überwiegend Aufgaben wahrgenommen hätte, die üblicherweise von Sozialarbeitern/Sozialpädagogen ausgeübt würden. Derartige Aufgaben fielen bei der Tätigkeit der Klägerin aber nicht an. Die bloße Tätigkeit in heilpädagogischen Gruppen reiche nach dem Tarifwortlaut nicht aus, um die von der Klägerin begehrte Eingruppierung zu rechtfertigen. In der von der Beklagten unterhaltenen Einrichtung würden neben Sozialarbeitern Erzieher und sonstige pädagogisch tätige Kräfte beschäftigt, da in den entsprechenden Gruppen nicht nur Aufgaben für Sozialarbeiter/-pädagogen, sondern auch einfachere Tätigkeiten anfielen, die von diesen höher qualifizierten Angestellten nicht unbedingt wahrgenommen werden müßten.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision mit der Maßgabe, daß sie nur noch die Vergütungsdifferenz zwischen den VergGrn. V b und V c BAT für die Monate Juni 1985 bis Juni 1986 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von DM 3.776,27 brutto geltend macht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem in der Revisionsinstanz noch anhängigen Klageantrag mit Recht stattgegeben. Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung von DM 3.776,27 brutto als Differenzbetrag zwischen den VergGrn. V c und V b BAT für die Zeit von Juni 1985 bis Juni 1986 verlangen. Denn für diesen Zeitraum steht ihr Vergütung nach VergGr. V b BAT zu. Sie erfüllte mit ihrer Tätigkeit insoweit das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. V b BAT Fallgruppe 1 k für Angestellte im Erziehungsdienst.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände geltenden Fassung (BAT/VKA) kraft einzelvertraglicher Vereinbarung als Vertragsrecht Anwendung. Danach kommt es für die Eingruppierung der Klägerin darauf an, ob bei ihr zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die jeweils für sich die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals der von ihr in Anspruch genommenen VergGr. V b BAT erfüllen (§ 22 Abs. 2 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 Satz 1 BAT). Dabei ist von dem von der Senatsrechtsprechung entwickelten Begriff des Arbeitsvorgangs auszugehen, wonach darunter eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen ist (BAG Urteil vom 29. Januar 1986 - 4 AZR 465/84 -, AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT 1975, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, mit weiteren Nachweisen).
Das Landesarbeitsgericht geht ohne nähere Begründung davon aus, daß vorliegend nur ein Arbeitsvorgang anzunehmen ist, da die Tätigkeit der Klägerin nicht weiter gegliedert werden könne. Dies ist nach dem beiderseitigen Parteivortrag und aufgrund der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis zutreffend. Die gesamte Tätigkeit der Klägerin dient einem einheitlichen Arbeitsergebnis, nämlich der umfassenden Betreuung der ihr anvertrauten Schwerstbehinderten nach heilpädagogischen Methoden. Verwaltungsübung und Zusammenhangstätigkeiten stehen dabei fest. Die Klägerin leitete die ihr zugewiesene Gruppe. Aus dem heilpädagogisch orientierten einheitlichen Arbeitsergebnis der gesamten Tätigkeit der Klägerin folgt weiter, daß ihre Aufgaben im Hinblick auf dieses Arbeitsergebnis weder nach tatsächlichen Gesichtspunkten voneinander getrennt noch rechtlich unterschiedlich bewertet werden können. Darüber hinaus haben die Tarifvertragsparteien dem allgemeinen Funktionscharakter der Tätigkeit der Klägerin durch ein entsprechendes Tätigkeitsmerkmal in der VergGr. V b BAT Fallgruppe 1 k für Angestellte im Erziehungsdienst Rechnung getragen, woraus der Schluß zu ziehen ist, daß die Tarifvertragsparteien damit eine einheitliche Bewertung dieser Tätigkeit vorschreiben wollten (vgl. BAG Urteil vom 1. April 1987 - 4 AZR 397/86 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen).
Für die Eingruppierung der Klägerin sind danach folgende Tätigkeitsmerkmale des BAT/VKA für Angestellte im Erziehungsdienst heranzuziehen:
VergGr. V b
-----------
1. Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher
Anerkennung oder Jugendleiterinnen
mit staatlicher Prüfung
.....
k) in geschlossenen (gesicherten) Gruppen
oder in Aufnahme-(Beobachtungs-)Gruppen
oder in heilpädagogischen Gruppen.
.....
(Hierzu Protokollerklärungen Nrn. 1, 2, 3,
4, 5, 6, 7, 9, 10, 14 und 15).
2. .....
VergGr. V c
-----------
1. Erzieher(innen), Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen
.....
e) in Gruppen von körperlich, seelisch oder
geistig gestörten oder gefährdeten oder
schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen
nach einjähriger Berufsausübung in einer Tätigkeit
der VergGr. VI b Fallgruppe 2 oder
nach mehrjähriger Berufsausübung in einer
Tätigkeit der VergGr. VI b Fallgruppe 1.
(Hierzu Protokollerklärungen Nrn. 5, 6, 10,
11, 13, 14 und 15).
2. .....
VergGr. VI b
------------
1. .....
2. Erzieher(innen), Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen
.....
e) in Gruppen von körperlich, seelisch oder
geistig gestörten oder gefährdeten oder
schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen.
(Hierzu Protokollerklärungen Nrn. 5, 6, 10,
11, 12, 13, 14 und 15).
Protokollerklärungen
--------------------
.....
Nr. 3
Erzieher(innen), Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen,
mit staatlicher Anerkennung als Erzieher
oder Kindergärtnerin
oder
mit staatlicher Prüfung als Kindergärtnerin/
Hortnerin
oder
mit staatlicher Erlaubnis als
Krankenschwester/Krankenpfleger/Kinderkrankenschwester
sowie
Angestellte in der Tätigkeit von Erziehern
(Erzieherinnen), Kindergärtnerinnen oder Hortnerinnen
mit abgeschlossener mindestens gleichwertiger
Fachausbildung
werden nach diesem Tätigkeitsmerkmal eingruppiert,
wenn sie am 1. April 1970 die in dem
Tätigkeitsmerkmal geforderte Tätigkeit ausüben
oder ihnen bis zum 31. Dezember 1986 diese
Tätigkeit übertragen wird.
Unstreitig war die Klägerin als Erzieherin in einer Gruppe von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen tätig. Damit war sie nach einjähriger Berufsausübung in VergGr. V c BAT Fallgruppe 1 e eingruppiert.
Darüber hinaus erfüllt die Klägerin auch das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. V b BAT Fallgruppe 1 k, da sie eine heilpädagogische Gruppe betreut und als staatlich anerkannte Erzieherin durch die Protokollerklärung Nr. 3 einem Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung rechtlich gleichgestellt ist. Dies hat der Senat bereits durch Beschluß vom 3. Dezember 1985 - 4 ABR 80/83 - (AP Nr. 31 zu § 99 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) entschieden. Daran ist festzuhalten. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es nicht erforderlich, daß den Erziehern oder Erzieherinnen ausdrücklich die Tätigkeit eines Sozialarbeiters oder Sozialpädagogen übertragen wird, damit sie in VergGr. V b BAT Fallgruppe 1 k eingruppiert werden können. Für diese Auffassung ist aus dem Tarifvertrag kein Anhaltspunkt zu entnehmen. Wenn die Tarifvertragsparteien des BAT für die Eingruppierung die ausdrückliche Übertragung einer Tätigkeit verlangen, haben sie dies im BAT jeweils durch eine entsprechende Formulierung zum Ausdruck gebracht, z.B. in VergGr. I b BAT Fallgruppe 1 b ("durch ausdrückliche Anordnung ständig unterstellt"). Dies ist vorliegend gerade nicht geschehen, so daß nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang für die Eingruppierung nach VergGr. V b BAT gemäß der Protokollerklärung Nr. 3 die ausdrückliche Übertragung der Tätigkeit eines Sozialarbeiters oder Sozialpädagogen nicht erforderlich ist. Vielmehr kommt es nach der Protokollerklärung Nr. 3 ausschließlich darauf an, daß den Erziehern und Erzieherinnen eine Tätigkeit der VergGr. V b BAT Fallgruppe 1 k übertragen ist. Dies trifft für die Klägerin zu.
Auch die weiteren Einwendungen der Beklagten sind unbegründet. Die Auffassung, die Klägerin als staatlich anerkannte Erzieherin könne nur dann nach VergGr. V b BAT eingruppiert werden, wenn sie eine Tätigkeit ausübe, die sonst üblicherweise Sozialarbeiter, Sozialpädagogen oder Jugendleiter ausübten, findet im Tarifvertrag keine Grundlage. Die Protokollerklärung Nr. 3 fordert ausdrücklich nur, daß der Erzieher eine im Tätigkeitsmerkmal beschriebene Tätigkeit ausübt. Dies ist vorliegend die Tätigkeit in einer heilpädagogischen Gruppe.
Der weitere Einwand der Beklagten, der Senat trenne nicht zwischen "Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen" im Sinne der VergGr. V c BAT Fallgruppe 1 e und "heilpädagogischen Gruppen" im Sinne der VergGr. V b BAT Fallgruppe 1 k, sondern halte diese Gruppen für austauschbar und verkenne damit den tariflichen Gesamtzusammenhang, ist ebenfalls unbegründet. Zwar ist der Beklagten einzuräumen, daß zwischen den genannten Gruppen ein Unterschied besteht. Dies schließt es aber nicht aus, daß Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen gleichzeitig auch heilpädagogische Gruppen im tariflichen Sinne sein können. Der vorliegende Fall zeigt dies besonders deutlich. In die von der Klägerin betreute Gruppe sind nämlich solche gefährdeten oder schwer erziehbaren Kinder oder Jugendlichen eingewiesen worden, die einer besonderen heilpädagogischen Behandlung bedürfen. Das bedeutet: Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen sind nicht automatisch heilpädagogische Gruppen, aus dem Kreis dieser Personen können aber heilpädagogische Gruppen gebildet werden, wie der vorliegende Fall beweist. Dann sind die dort tätigen Angestellten aber auch als Angestellte in heilpädagogischen Gruppen anzusehen. Auf eine heilpädagogische Ausbildung kommt es nicht an, obwohl die Klägerin eine solche aufzuweisen hat, ebensowenig auf eine Unterstellung unter einen Sozialarbeiter.
Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Etzel
Peter Jansen Wiese
Fundstellen