Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. Alkoholmißbrauch
Leitsatz (amtlich)
- Die Beurteilung aus Anlaß einer Kündigung, ob eine hochgradige Alkoholisierung im Privatbereich Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit eines Berufsfahrzeugführers zuläßt, liegt weitgehend im Beurteilungsspielraum des Tatsachengerichts.
- Auch bei Störungen im Vertrauensbereich ist jedenfalls dann vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (insoweit teilweise Aufgabe der Rechtsprechung in den Urteilen vom 4. April 1974 – 2 AZR 452/73 – BAGE 26, 116 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und vom 30. November 1978 – 2 AZR 145/77 – AP Nr. 1 zu § 64 SeemG).
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2; Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (BOStrab) vom 11. Dezember 1987 § 1 Abs. 6; Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (BOStrab) vom 11. Dezember 1987 § 10 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 11. Juni 1996 – 7 Sa 14/96 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger (geboren am 8. Dezember 1968) war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 18. Juli 1988 zunächst als Betriebsaufsicht, seit Dezember 1988 als Triebfahrzeugfahrer und seit Anfang 1991 als Zugfahrer bei der U-Bahn beschäftigt, und zwar zuletzt gegen eine Vergütung von ca. 3.900,-- DM.
Am 16. Februar 1995 erhielt die Beklagte den Entwurf eines von der Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Tiergarten beantragten, aber noch nicht erlassenen Strafbefehls, aus dem sich ergab, daß der Kläger am 11. Dezember 1994 gegen 16.10 Uhr in Berlin ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hatte, obwohl er infolge Alkoholgenusses bei einer um 17.43 Uhr festgestellten Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,73 ‰ dazu nicht in der Lage war; er war wegen alkoholbedingter Unachtsamkeit auf einen vor einer Kreuzung wartenden PKW aufgefahren und hatte dabei einen Fremd-Sachschaden von 800,-- DM verursacht. Nach dem inzwischen rechtskräftig gewordenen Strafbefehl wurde gegen den Kläger eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 70,-- DM verhängt und der Führerschein eingezogen; eine neue Fahrerlaubnis kann danach nicht vor Ablauf von 10 Monaten erteilt werden. Bei seiner Anhörung am 20. Februar 1995 gab der Kläger an, am 10. Dezember 1994 seinen Geburtstag nachgefeiert und am 11. Dezember 1994 an einem Frühschoppen teilgenommen zu haben, nach dessen Beendigung er einen Freund habe nach Hause fahren wollen; den Vorfall habe er dem Arbeitgeber nicht gemeldet, weil er erst die Verurteilung habe abwarten wollen; auf Befragen hat der Kläger ferner erklärt, keine Alkoholprobleme zu haben.
Der zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung angehörte Personalrat verweigerte am 28. Februar seine Zustimmung, die erst in dem gemäß § 80 PersVG Berlin angestrengten Einigungsstellenverfahren durch Beschluß der Einigungsstelle vom 24. April 1995 ersetzt wurde. Mit Schreiben vom 25. April 1995 sprach die Beklagte die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung mit der Begründung aus, aufgrund des Vorfalls mit dem erheblichen Alkoholisierungsgrad bestünden Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers, die notwendig sei, um ihn im öffentlichen Personennahverkehr einsetzen zu können; das Vertrauen in ihn sei unheilbar zerstört, so daß keine Grundlage mehr für eine weitere Zusammenarbeit bestehe.
Der Kläger hat geltend gemacht, ein Rückschluß auf seine angebliche Unzuverlässigkeit sei aufgrund des einmaligen Vorfalls nicht gerechtfertigt. Für seine Tätigkeit als U-Bahn-Zugführer benötige er keinen Führerschein. Jedenfalls könne er als Zugabfertiger eingesetzt werden, wobei für diese Tätigkeit keine Fahrerlaubnis vorausgesetzt werde. Die Beklagte habe auch andere Beschäftigungsmöglichkeiten nicht geprüft. Er bestreite, am 12. Dezember 1994 gegen 10.00 Uhr seine Arbeit unter Restalkohol angetreten zu haben.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose noch durch die fristgemäße Kündigung vom 25. April 1995 aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungantrag vorgetragen, sie habe den Kläger sofort nach Bekanntwerden des Vorfalls nicht mehr zum Dienst zugelassen, weil er sich aufgrund der Alkoholfahrt als unzuverlässig zum Führen von Fahrzeugen im öffentlichen Nahverkehr erwiesen habe. Die hohe BAK belege ein mangelndes Verantwortungsbewußtsein des Klägers, so daß ihm die charakterliche Eignung fehle, weiterhin als Zugführer tätig zu werden. Ein Einsatz außerhalb des Fahrdienstes sei ebenfalls nicht möglich, weil derartige Stellen aufgrund der Umstrukturierungsmaßnahmen sofort wiederbesetzt würden.
In der Berufungsinstanz hat die Beklagte die Behauptung nachgeschoben, der Kläger habe am 12. Dezember 1994 gegen 10.00 Uhr den Dienst als Reserve aufgenommen, obwohl er bei einem Blutalkoholabbau von 0,1 ‰ pro Stunde bei Dienstantritt noch eine BAK von 1,08 ‰ gehabt habe. Auch dies belege die charakterliche Unzuverlässigkeit und Nichteignung des Klägers. Unter diesen Umständen habe es einer Abmahnung nicht bedurft.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte nach wie vor Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die fristlose noch durch die fristgemäße Kündigung wirksam aufgelöst worden, § 626 BGB, § 1 Abs. 2 KSchG.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Röder, Dr. Bächle
Fundstellen
Haufe-Index 893891 |
BB 1998, 109 |
NJW 1998, 554 |
JR 1998, 308 |
NZA 1997, 1281 |
RdA 1998, 58 |
AuA 1998, 249 |
MDR 1997, 1130 |
NJ 1997, 356 |
PersR 1997, 543 |
ZMV 1998, 88 |