Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
Leitsatz (amtlich)
Nach § 16 Nr. 1 Buchst. a) MTV für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. Februar 1988 i.d.F. des ÄnderungsTV vom 6. Mai 1990 gilt für die Berechnung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle das Referenzprinzip. Nach § 4 Nr. 2 Abs. 1 und Abs. 2 MTV ist die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit grundsätzlich auf 5 Werktage von Monat bis Freitag zu verteilen. Die an Samstagen aufgrund einer Betriebsvereinbarung geleistete Mehrarbeit zählt nicht zur individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Fällt für einen gewerblichen Arbeitnehmer Samstagsarbeit wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aus, so besteht für ihn aufgrund des tariflichen Referenzprinzips kein Anspruch auf Lohnfortzahlung für diese ausgefallene Arbeitszeit.
Normenkette
LFZG § 1 Abs. 1, §§ 9, 2 Abs. 3; TVG § 1 Auslegung, § 1 Tarifverträge: MTV für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29.2.1988 i.d.F. des ÄnderungsTV vom 6.5.1990 § 9 Nr. 2, § 1 Tarifverträge: MTV für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29.2.1988 i.d.F. des ÄnderungsTV vom 6.5.1990 § 16 Nr. 1 Buchst. a), § 1 Tarifverträge: MTV für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29.2.1988 i.d.F. des ÄnderungsTV vom 6.5.1990 § 4 Nr. 2
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 29.07.1991; Aktenzeichen 7 Sa 6/91) |
ArbG Wuppertal (Urteil vom 04.10.1990; Aktenzeichen 5 Ca 1830/90) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. Juli 1991 – 7 Sa 6/91 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Lohnfortzahlung für bestimmte Samstage schuldet, für die sie Mehrarbeit angeordnet hatte, an denen der Kläger jedoch arbeitsunfähig erkrankt war.
Der am 11. April 1933 geborene Kläger ist seit 1963 bei der Beklagten, einem Betrieb der metallverarbeitenden Industrie mit 180 Arbeitnehmern, als Arbeiter in der Lackiererei beschäftigt. Seinem Bruttomonatslohn von rund 3.500,-- DM liegt ein Stundensatz von 17,59 DM zugrunde. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. Februar 1988 (kurz: MTV) und der Änderungstarifvertrag vom 6. Mai 1990 Anwendung. Danach beträgt die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers seit dem 1. April 1989 37 Stunden.
Für den Betrieb der Beklagten bestand eine Betriebsvereinbarung vom 19. Februar 1990, aufgrund derer die Beklagte ab der 7. Kalenderwoche des Jahres (Montag, 12. Februar) bis einschließlich in der 26. Kalenderwoche (Samstag, 30. Juni) für die Mitarbeiter der Lackiererei auch samstags eine Frühschicht (6 bis 14 Uhr) und eine Spätschicht (14 bis 19 Uhr) angeordnet hat. In der Betriebsvereinbarung heißt es dazu unter anderem:
“Die Samstagsarbeit, im Rahmen dieser Vereinbarung, ist keine Regelarbeit und gilt als Überstunde. Jeder Mitarbeiter hat ab der 1. Samstagsarbeitsstunde Anspruch auf Freistellungsausgleich; …”
Am ersten der Neuregelung unterfallenden Samstag (17. Februar 1990) arbeitete der Kläger. Vom 20. Februar bis zum 10. März 1990 war er arbeitsunfähig krank. Nachdem er bereits für Samstag, den 17. März 1990, für die Frühschicht eingeteilt worden war, war der Kläger wegen eines Unfalls erneut vom 15. März bis zum 4. Juni 1990 arbeitsunfähig. Die Beklagte gewährte ihm für die Zeit seiner Arbeitsverhinderung Lohnfortzahlung, lehnte diese jedoch für die in die Zeit der Arbeitsunfähigkeit fallenden Samstage ab.
In § 9 Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 MTV heißt es auszugsweise wie folgt:
“In Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit … ist das regelmäßige Arbeitsentgelt … für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit … bis zur Dauer von 6 Wochen …w eiterzuzahlen.”
§ 9 Nr. 2 Abs. 2 MTV bestimmt:
“Die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsentgeltes erfolgt für Arbeitnehmer gemäß § 16.”
§ 16 Nr. 1 Buchst. a) MTV lautet:
§ 4 Nr. 2 Abs. 1 und Abs. 2 MTV bestimmt:
“Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit sowie die regelmäßige wöchentliche Ausbildungszeit können gleichmäßig oder ungleichmäßig grundsätzlich auf fünf Werktage von Montag bis Freitag verteilt werden.
Eine davon abweichende Regelung kann nach Maßgabe der betrieblichen Erfordernisse unter angemessener Berücksichtigung der Belange der betroffenen Arbeitnehmer mit dem Betriebsrat vereinbart werden. Dabei soll der einzelne Arbeitnehmer in der Regel an nicht mehr als fünf Werktagen in der Woche beschäftigt werden.”
Der Kläger hat in seiner am 7. Juni 1990 erhobenen Klage die Auffassung vertreten, ihm habe Lohnfortzahlung auch für die Samstage 24. Februar, 10., 17. und 31. März sowie 7. und 21. April 1990 zugestanden. An diesen Tagen wäre er ohne Krankheit abwechselnd jeweils für eine Früh- bzw. Spätschicht eingeteilt worden, so daß ihm ein Lohnausfall von – unstreitig – 883,79 DM entstanden sei. Während des Berufungsverfahrens ist unstreitig geworden, daß die Beklagte dem Kläger für den 17. März 1990 Lohn in Höhe von 185,36 DM brutto mit dem Augustentgelt überwiesen hat. Dessen ungeachtet hat der Kläger zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 883,79 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, dem Kläger stehe Lohnfortzahlung aufgrund des Manteltarifvertrages nicht zu. Für die dem MTV unterfallenden Arbeitsverhältnisse sei das Lohnausfallprinzip des § 2 Abs. 1 LFZG durch das in § 9 Nr. 2 in Verbindung mit § 16 Nr. 1 Buchst. a) MTV niedergelegte Referenzprinzip ersetzt worden. Danach habe der Kläger den ihm zustehenden Lohn erhalten. Bis auf den 17. März 1990 sei der Kläger auch nicht für die jeweiligen Samstagsschichten eingeteilt worden. Es müsse ferner davon ausgegangen werden, daß der Kläger wegen seines fortgeschrittenen Alters darum gebeten hätte, für Samstagsarbeit nicht eingeteilt zu werden. Dem wäre auch entsprochen worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Revision, mit der der Kläger seine Ansprüche weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision bleibt ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß dem Kläger der erhobene Lohnfortzahlungsanspruch nicht zusteht.
I. Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts war statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM überstieg (§ 64 Abs. 2 ArbGG). Das Arbeitsgericht hat den Streitwert auf 884,-- DM festgesetzt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung vom Berufungsgericht bei der Frage zugrundezulegen, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM übersteigt und die Berufung daher statthaft ist. Diese Bindung entfällt nur dann, wenn die Streitwertfestsetzung offensichtlich unrichtig ist (vgl. BAGE 44, 13, 16 = AP Nr. 6 zu § 64 ArbGG 1979; Senatsurteil vom 11. Juni 1986 – 5 AZR 512/83 – AP Nr. 3 zu § 61 ArbGG 1979; BAGE 57, 186, 188 = AP Nr. 11 zu § 64 ArbGG 1979; ferner BAG Beschluß vom 22. Mai 1984 – 2 AZB 25/82 – AP Nr. 7 zu § 12 ArbGG 1979).
Die Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts war vorliegend zutreffend. Zwar stellte sich während des Berufungsverfahrens heraus, daß die Beklagte bereits im August 1990 durch Überweisung von 185,36 DM einen Teil der vom Kläger erhobenen Ansprüche erfüllt hatte. Dies war jedoch während des erstinstanzlichen Verfahrens zwischen den Parteien noch streitig. Der Kläger hat im Berufungsverfahren seinen Klageantrag überdies nicht in Höhe des gezahlten Betrages zurückgenommen oder für erledigt erklärt, sondern in der ursprünglichen Höhe aufrechterhalten. Damit blieb der Beschwerdewert unverändert in Höhe von 884,-- DM bestehen.
II. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen: Der geltend gemachte Zahlungsanspruch scheitere nicht schon daran, daß die Betriebsvereinbarung für Samstagarbeit Freizeitausgleich vorsehe. Von der Frage, ob Vergütung oder Freizeitausgleich für Mehrarbeit zu gewähren sei, sei die Berücksichtigung von Samstagarbeit bei der Lohnfortzahlung zu unterscheiden. Außerdem überlasse die Beklagte den Arbeitnehmern die Wahl zwischen beiden Alternativen. Entgegen der Behauptung der Beklagten müsse auch davon ausgegangen werden, daß der Kläger an den streitigen Samstagen gearbeitet hätte, da er vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am Samstag beschäftigt worden war. Der Klage stünde jedoch § 9 Nr. 2 in Verbindung mit § 16 Nr. 1 Buchst. a) MTV entgegen. Der ausgefallene Lohn des Klägers, der nach Stunden bezahlt werde, bestimme sich danach nach einem vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit während eines Dreimonatszeitraumes erzielten Durchschnittseinkommens. Ordne der MTV die Anwendung dieses Referenzprinzips ausdrücklich für die Ermittlung der Höhe des Stundenlohns und der Anzahl der Arbeitsstunden je Tag an, so müsse dies in gleicher Weise für die Ermittlung der zu vergütenden Tage gelten. Nach der Betriebsvereinbarung zähle die Samstagsarbeit nicht zur regelmäßigen Arbeitszeit, so daß bei der Berechnung der Anzahl der Arbeitsstunden gemäß § 16 Nr. 1 Buchst. a) MTV die Samstage unberücksichtigt bleiben müßten, was zu einer Erhöhung der Stundenzahl führe. Wenn dem Kläger nunmehr im Sinne des Lohnausfallprinzips, aber in Abweichung vom Referenzprinzip des MTV, auch für die in Frage stehenden Samstage unter Zugrundelegung der erhöhten Stundenzahl Lohnfortzahlung gewährt würde, käme ihm somit die Samstagsarbeit ungerechtfertigterweise doppelt zugute.
Diesem Ergebnis ist beizupflichten.
III. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG behält ein Arbeiter, der nach Beginn der Beschäftigung durch Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Damit inhaltlich übereinstimmend regelt § 9 Nr. 2 Abs. 1 MTV, daß in Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit das regelmäßige Arbeitsentgelt bis zur Dauer von sechs Wochen weiterzuzahlen ist. Gemäß Abs. 2 dieser tariflichen Bestimmung erfolgt die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsverdienstes nach § 16 MTV. Von dieser Tarifregelung ist auszugehen. Sie stellt die tarifvertragliche Ablösung des gesetzlichen Lohnausfallprinzips des § 2 Abs. 1 LFZG dar. Wie aus § 2 Abs. 3 in Verbindung mit § 9 LFZG hervorgeht, kann durch Tarifvertrag von dem Lohnausfallprinzip abgewichen werden. So können die Tarifvertragsparteien eine andere Berechnungsmethode (z. B. das Referenzprinzip) als maßgeblich vereinbaren, und sie können weiter auch Vereinbarungen über die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts (unter Berücksichtigung der Grundregel des § 1 Abs. 1 LFZG) treffen (vgl. BAG Urteil vom 2. Oktober 1974 – 5 AZR 555/73 – AP Nr. 5 zu § 2 LohnFG, zu II 1 der Gründe; BAGE 43, 95, 98 = AP Nr. 13 zu § 2 LohnFG, zu 1 der Gründe; schließlich noch Senatsurteil vom 8. März 1989 – 5 AZR 116/88 – AP Nr. 17 zu § 2 LohnFG, zu III 1 der Gründe).
Das ist hier geschehen. Die Tarifvertragsparteien haben das Lohnausfallprinzip durch das Referenzprinzip ersetzt.
1. Nach § 16 Nr. 1 Buchst. a) Abs. 1 MTV ist der regelmäßige Arbeitsverdienst für gewerbliche Arbeitnehmer, die wie der Kläger im Stundenentgelt beschäftigt werden, aus der Lohnhöhe und der Zahl der Arbeitsstunden je Tag zu ermitteln. Hinsichtlich der Lohnhöhe besteht zwischen den Parteien kein Streit.
Die Anzahl der Arbeitsstunden je Tag, der zu vergüten ist, ist der Bruchteil, der sich aus der Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage nach dem Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Monate ergibt (§ 16 Nr. 1 Buchst. a) Abs. 2 MTV). Diese Berechnungsweise wird in einem Klammerzusatz erläutert. Es handelt sich um die Gesamtzahl der in dem betreffenden Zeitraum geleisteten Stunden, geteilt durch die Zahl der Arbeitstage, die sich aus der Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ergeben.
Die an den Samstagen zu leistende Arbeit gehörte nicht zu der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers. Das folgt einmal aus der Betriebsvereinbarung vom 19. Februar 1990, die diese Arbeit ausdrücklich nicht als Regelarbeitszeit bezeichnete, vor allem aber aus § 4 Nr. 2 Abs. 1 und Abs. 2 MTV. Danach is die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit – gleichmäßig oder ungleichmäßig – grundsätzlich auf fünf Werktage von Montag bis Freitag zu verteilen. Bei einer hiervon abweichenden Regelung soll der einzelne Arbeitnehmer in der Regel an nicht mehr als fünf Werktagen in der Woche beschäftigt werden. Diese tarifliche Regelung beantwortet die Frage, für welche Tage bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit der Lohn fortzuzahlen ist.
2. Es entspricht dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien, Lohnfortzahlung auf der Grundlage des Referenzprinzips nur für fünf Werktage (Montag bis Freitag) zu gewähren. Änderungen während des Zeitraumes des Bezuges der Lohnfortzahlung sollen nicht berücksichtigt werden. Lediglich wenn eine Änderung des Lohnabkommens erfolgt ist, ist für den Weiterzahlungszeitraum vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Lohnabkommens ab das regelmäßige Arbeitsentgelt auf der veränderten Grundlage zu ermitteln, wie § 16 Nr. 1 Buchst. a) Abs. 3 MTV ausdrücklich vorschreibt.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Lipke, Dr. Kukies, Kähler
Fundstellen
Haufe-Index 846761 |
BAGE, 86 |
BB 1993, 74 |
NZA 1993, 323 |
RdA 1992, 406 |