Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitnehmer kann beanspruchen, daß eine zu Unrecht erteilte Abmahnung aus der Personalakte entfernt wird (wie BAG Urteil vom 27.11.1985, 5 AZR 101/84 = BAGE 50, 202 = AP Nr 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht gegen LAG Hamm Urteil vom 13. Juni 1991 - 4 (18) (12) Sa 714/90 = LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr 30).
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 15.08.1991; Aktenzeichen 4 Sa 592/91) |
ArbG Paderborn (Entscheidung vom 20.03.1991; Aktenzeichen 2 Ca 122/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Klägers.
Der Kläger ist bei der Beklagten, einem Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie, seit dem 1. Oktober 1975 als Arbeiter mit einem Monatsbruttolohn von zuletzt 2.400,– DM beschäftigt. Er arbeitet in der Abteilung „Galvanik”, in der Sanitär- und Automobilteile durch Metallbeschichtung oberflächenbehandelt werden. Hierzu werden die Teile auf Gestelle gesteckt, wobei die Gestelle bis zu 28 Sanitärteile oder sechs Automobilteile fassen. Die Gestelle werden, an Trägern hängend, zu den verschiedenen Bädern transportiert, die sie für die Metallbeschichtung durchlaufen müssen. Aufgabe des Klägers ist es, die Gestelle mit den fertig beschichteten Teilen am Ende des Arbeitsvorganges von den Trägern abzunehmen und auf Transportwagen zu hängen.
Anfang November 1990 wurde festgestellt, daß in einem der zur Oberflächenbehandlung verwendeten Nickelbäder eine plötzliche Zinkverunreinigung auftrat. Die Ursache wurde darin vermutet, daß sich Teile von den Gestellen lösten, in das Nickelbad fielen und die Konsistenz der Flüssigkeit veränderten. Aus diesem Grund wurde am 5. November 1990 an alle Mitarbeiter der Entladungsstelle für die Gestelle – auch an den Kläger – die Anweisung erteilt, festzuhalten, wie viele Teile jeweils von den Gestellen abgefallen waren. Ob der Kläger dieser Anweisung an den beiden folgenden Tagen nachkam, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls ab der dem 7. November 1990 folgenden Arbeitsschicht befolgte der Kläger die Anweisung.
Am 20. November 1990 erhielt der Kläger ein Schreiben vom gleichen Tag, in dem es heißt:
„… Wir erteilen Ihnen hierdurch eine Abmahnung.
Grund:
Trotz wiederholter Aufforderung weigerten Sie sich, Anweisungen vom Vorgesetzten wie Vorarbeiter, Meister und Abteilungsleiter auszuführen, wie u.a. Teile, die vom Warenträger abgefallen sind, zu erfassen.
Sie haben damit Ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt.
Wir erwarten, daß Sie diese Abmahnung beachten und Ihr Verhalten entsprechend einrichten. Im Wiederholungsfalle müssen Sie damit rechnen, daß wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis kündigen.
Eine Durchschrift dieses Schreibens wird zu Ihrer Personalakte genommen….”
Gegen diese Abmahnung hat sich der Kläger mit seiner der Beklagten am 7. Februar 1991 zugestellten Klage gewandt. Er ist der Auffassung, die Abmahnung sei aus seiner Personalakte zu entfernen, da sie inhaltlich zu unbestimmt sei. Der Kläger hat vorgetragen, er habe sich nie geweigert, die fehlenden Teile aufzuschreiben, er habe lediglich keine fehlenden Teile gesehen. Es wäre für ihn innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden kurzen Zeit für den Arbeitsvorgang sehr schwierig gewesen, fehlende Teile auszumachen.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 20. November 1990, Az.: - p 3 ha-be 460117/3690 - aus seiner Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die Abmahnung für gerechtfertigt und hat dazu vorgetragen: Der Kläger habe sich zunächst gegenüber dem Vorarbeiter H geweigert, dessen Anweisung auszuführen. Als Begründung habe er angegeben, daß er diese Aufgabe nicht ausführen könne und auch nicht auszuführen brauche. Auch nach mehrmaligen Aufforderungen durch den Meister A und den Abteilungsleiter M habe der Kläger erst ab der dem 7. November 1990 folgenden Arbeitsschicht die Anweisung befolgt. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, daß der Kläger bereits im Jahre 1982 eine Abmahnung erhalten hat, weil er sich geweigert hätte, einer Arbeitsanweisung seines Vorgesetzten auszuführen.
Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme, in der die Zeugen H und A vernommen wurden, der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen.
1. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 27. November 1985 (BAGE 50, 202 = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht) unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sich mit der in jenem Verfahren angegriffenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 2. November 1983 - 7 Sa 901/83 - (DB 1984, 1630) auseinandergesetzt und im einzelnen begründet, daß und weshalb dem Arbeitnehmer ein Anspruch zusteht, die Entfernung einer schriftlichen, zu seinen Personalakten genommenen Abmahnung zu verlangen, wenn diese nach Form oder Inhalt geeignet ist, den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Zu dieser Entscheidung des Senats hat Echterhölter ausgeführt, das Bemerkenswerte an ihr sei nicht so sehr, was das Bundesarbeitsgericht geäußert habe, sondern daß es überhaupt genötigt war, dies alles erneut auszuführen (Anm. zu AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Misera (SAE 1986, 197, 199) hat zu dem genannten Urteil u.a. bemerkt, es dürfte kaum zweifelhaft sein, daß die Pflicht der Rücksichtnahme und des Schutzes dem Arbeitgeber gebiete, eine rechtswidrige Abmahnung, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen könne, aus den Personalakten zu entfernen.
Das angefochtene Urteil gibt keinen Anlaß, die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch nur im Ansatz in Frage zu stellen. Das Landesarbeitsgericht hat lediglich unter wiederholtem Hinweis auf das aufgehobene Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 2. November 1983 im wesentlichen dessen Argumente wiederholt. Es genügt deshalb, nochmals folgendes herauszustellen, was das Landesarbeitsgericht übersehen hat:
a) Die Klagemöglichkeit des Arbeitnehmers gegen eine Abmahnung kann nicht deshalb verneint werden, weil der Arbeitnehmer die Berechtigung einer Abmahnung in einem späteren Kündigungsprozeß nachprüfen lassen kann. Eine mißbilligende Äußerung des Arbeitgebers, also auch eine Abmahnung, kann bereits für sich genommen den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung berühren. Die Beeinträchtigung durch eine Abmahnung liegt nicht nur darin, daß der Bestand des Arbeitsverhältnisses wegen der angedrohten kündigungsrechtlichen Folgen gefährdet sein kann. Vielmehr kann eine unberechtigte Abmahnung die Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers sein, wodurch sein berufliches Fortkommen behindert wird oder sich andere arbeitsrechtliche Nachteile für ihn ergeben können (vgl. dazu u. a. BAGE 24, 247, 256 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu II 2 b der Gründe). Da die Beeinträchtigung durch eine unberechtigte Abmahnung ab ihrer Einfügung in die Personalakte besteht, entfällt die Klagebefugnis nicht deshalb, weil die Beklagte nach ihrer Darstellung Abmahnungen nach zwei Jahren aus der Personalakte entfernt. Im übrigen braucht der Arbeitnehmer auch hinsichtlich möglicher kündigungsrechtlicher Folgen aus einer Abmahnung nicht abzuwarten, ob sich insoweit Auswirkungen ergeben. Er kann vielmehr klären lassen, ob eine erteilte Abmahnung zu Recht als mögliche Voraussetzung für eine Kündigung seine Rechtsstellung beeinträchtigt oder ob sein Verhalten zu Unrecht beanstandet wurde.
b) Verfehlt ist die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, eine unzulässige schriftliche und zu den Personalakten genommene, aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entfernende Abmahnung behalte als mündliche Abmahnung ihre Wirkung. Hierfür gibt das Landesarbeitsgericht keine Begründung. Es beruft sich nur auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 1. Februar 1983 - 13 Sa 1313/82 - (EzA § 611 BGB Fürsorgepflicht Nr. 33). In dieser Entscheidung findet sich aber ebenfalls nur der ohne jede Begründung vom angefochtenen Urteil übernommene Satz. Aus dem Zusammenhang der Gründe ergibt sich allerdings folgendes: Das Landesarbeitsgericht hatte in jenem Verfahren die Beklagte verurteilt, die schriftliche Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen. Die Abmahnung war wegen mehrerer Vorfälle ausgesprochen worden. In drei Punkten hielt das Gericht die Vorwürfe für berechtigt. Nur hierauf bezieht sich der Satz, die erteilte Abmahnung behalte als mündliche Beanstandung ihre Wirkung.
Im Hinblick auf die Entscheidung des Senats vom 13. März 1991 - 5 AZR 133/90 - (SAE 1992, 163 = NZA 1991, 768, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) sind Bedenken gegen die Ansicht des Landesarbeitsgerichts in dem Urteil vom 1. Februar 1983 zu erheben. Jedenfalls aber konnte das Landesarbeitsgericht im angefochtenen Urteil sich für seine Ansicht, eine Klage auf Entfernung einer Abmahnung sei unzulässig, nicht auf den Ausspruch in der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 1. Februar 1983 berufen. Wenn in einem Verfahren über die Entfernung einer schriftlichen Abmahnung sich ergibt, die Abmahnung sei zu Unrecht erteilt worden, so kann sie auch nicht als mündliche ihre Wirkung behalten.
c) Soweit das Landesarbeitsgericht schließlich meint, die Rechte des Arbeitnehmers seien in ausreichendem Maße dadurch gewahrt, daß er nach § 83 Abs. 2 BetrVG eine Gegenerklärung zu den Personalakten geben könne, wiederholt das Berufungsgericht auch insoweit nur die Ansicht, die das Landesarbeitsgericht Köln in seiner Entscheidung vom 2. November 1983 vertreten hatte. Insoweit verbleibt der Senat bei seiner Rechtsauffassung, wie sie in der Entscheidung vom 27. November 1985 hierzu niedergelegt ist.
2. Der Senat konnte in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat zu den abgemahnten Vorgängen keine Feststellungen getroffen. Die Beklagte hatte im Berufungsverfahren die Feststellungen des Arbeitsgerichts unter Beweisantritt in Zweifel gezogen. Deshalb mußte die Sache an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Dabei hat der Senat von der durch § 565 Abs. 1 Satz 2 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an eine andere Kammer zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Lipke, Dr. Kukies, Kähler
Fundstellen
Haufe-Index 60164 |
DB 1993, 1677-1678 (LT1) |
DStR 1993, 490-490 (K) |
NJW 1993, 3159 |
EBE/BAG 1992, 183-184 (LT1) |
AiB 1993, 57-58 (LT1) |
NZA 1993, 838 |
NZA 1993, 838-839 (LT1) |
RdA 1992, 406 |
RzK, I 1 Nr 78 (LT1) |
ZTR 1993, 120 (LT1) |
AP, Abmahnung (LT1) |
AR-Blattei, ES 20 Nr 26 (LT1) |
ArztR 1993, 136-137 (KT) |
DSB 1994, Nr 1, 14 (S) |
ErsK 1993, 403-404 (KT) |
EzA, Abmahnung Nr 25 (LT1) |
EzBAT, (LT1) |
VersorgVerw 1993, 47 (K) |