Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung eines Aufhebungsvertrages wegen Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung. „Vier-Augen-Gespräch” – Parteivernehmung zur Aufklärung
Leitsatz (amtlich)
Das Landesarbeitsgericht muß die Aussage einer vom Arbeitsgericht nach § 448 ZPO vernommenen Partei in seine Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO einbeziehen, auch wenn es selbst keinen Anlaß für eine solche Parteivernehmung gesehen hätte.
Orientierungssatz
1. Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist widerrechtlich und berechtigt den Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag gemäß § 123 Abs. 1 BGB anzufechten, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte.
2. Das Landesarbeitsgericht muß die Aussage einer vom Arbeitsgericht nach § 448 ZPO vernommenen Partei grundsätzlich in seine Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO einbeziehen, auch wenn es selbst keinen Anlaß für eine solche Parteivernehmung gesehen hätte.
3. Von der Würdigung der Aussage einer Partei in einem arbeitsgerichtlichen Urteil darf das Landesarbeitsgericht in der Regel nicht abweichen, ohne die Partei erneut vernommen zu haben.
4. Wenn es um die Aufklärung eines „Vier-Augen-Gesprächs” geht, das die zu vernehmende Partei mit einem als Zeugen vernommenen Mitarbeiter der Gegenseite geführt hat, kann dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit im Rahmen der Ermessensentscheidung des § 448 ZPO durch die Anordnung zur Parteivernehmung entsprochen werden.
5. Es spricht alles dafür, daß dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit aber auch dadurch entsprochen werden kann, daß die Partei über ein „Vier-Augen-Gespräch” nach § 141 ZPO angehört wird (im Anschluß an BGH 16. Juli 1998 – I ZR 32/96 – NJW 1999, 363).
Normenkette
BGB § 123 Abs. 1, § 142 Abs. 1; ZPO §§ 141, 286 Abs. 1, § 398 Abs. 1, §§ 448, 451
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 3. März 2000 – 3 Sa 778/99 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages und die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Der seit dem 1. Mai 1993 bei der Beklagten beschäftigte Kläger war zuletzt als Marktleiter-Stellvertreter im Baumarkt D.-H. gegen ein monatliches Gehalt von 6.300,00 DM brutto tätig.
Im Mai 1998 war er wegen Übergehens seines Marktleiters im Baumarkt W. abgemahnt worden, wo der Kläger damals eingesetzt war. Im Herbst 1998 führte der Marktleiter U. mit den Mitarbeitern des Baumarktes H. Gespräche über eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit zur Vermeidung von vier beabsichtigten betriebsbedingten Kündigungen zum 1. Januar 1999. Ca. 40 Mitarbeiter akzeptierten eine – zeitlich begrenzte – Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 90 % der Vollarbeitszeit. U. übergab daraufhin dem Betriebsrat des Baumarktes H. den Entwurf einer Betriebsvereinbarung.
Am 18. Dezember 1998 besuchte der stellvertretende Distriktmanager D. während der urlaubsbedingten Abwesenheit des Marktleiters den Baumarkt H.. Er sprach mit dem Kläger über die von Marktleiter eingeleiteten Maßnahmen zur Personal- und Arbeitszeitreduzierung. Der Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.
Nachdem der stellvertretende Distriktmanager den Baumarkt verlassen hatte, legte der Betriebsrat dem Kläger den Entwurf einer Betriebsvereinbarung zur befristeten Arbeitszeitreduzierung mit der Bitte um Unterzeichnung vor. Der Kläger unterzeichnete die Betriebsvereinbarung. Der Betriebsrat hängte sie am Schwarzen Brett des Marktes aus.
In der Zeit vom 21. bis 28. Dezember 1998 war der Kläger in Urlaub. Nach seiner Rückkehr wurde er am 29. Dezember 1998 gegen 16.00 Uhr in das Büro des Marktleiters gerufen. Der anwesende Distriktmanager R., der stellvertretende Distriktmanager D. und die Personalreferentin W. konfrontierten ihn mit dem Vorwurf, unberechtigterweise die Betriebsvereinbarung zur befristeten Arbeitszeitreduzierung unterzeichnet zu haben. Der Kläger erwiderte, daß ihm nicht bewußt gewesen sei, eine Betriebsvereinbarung zu unterschreiben. Er habe gedacht, es sei ein Entwurf, welcher auch noch vom Marktleiter unterzeichnet werden müsse. Nach einer Unterbrechung des Gesprächs warf der stellvertretende Distriktmanager D. dem Kläger vor, der ausdrücklichen Weisung vom 18. Dezember 1998, keine Betriebsvereinbarung abzuschließen, zuwider gehandelt zu haben. Nach einer weiteren 15- bis 20minütigen Unterbrechung legte der Distriktmanager R. dem Kläger den Text eines Aufhebungsvertrages vor, nach dem das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1998 in beiderseitigem Einvernehmen enden sollte. Der Kläger unterzeichnete den Aufhebungsvertrag.
Mit Schreiben vom 6. Januar 1999 erklärte er die Anfechtung des Aufhebungsvertrages wegen widerrechtlicher Drohung.
Der Kläger ist der Auffassung, die Vertreter der Beklagten hätten ihm im Gespräch vom 29. Dezember 1998 unberechtigterweise eine außerordentliche Kündigung angedroht. Er hat behauptet, der stellvertretende Distriktmanager D. habe im Gespräch vom 18. Dezember 1998 weder die Frage einer Betriebsvereinbarung angesprochen noch habe er ihm ein Abschlußverbot erteilt. Er habe nach der Abreise von D. überhaupt erst von der Betriebsvereinbarung erfahren.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag vom 29. Dezember 1998 nicht beendet worden ist,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Marktleiter-Stellvertreter über den 31. Dezember 1998 hinaus weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages vorgetragen, dem Kläger sei im Gespräch vom 29. Dezember 1998 keine fristlose Kündigung angedroht worden für den Fall, daß eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zustande komme. Man habe lediglich geäußert, eventuell eine fristlose Kündigung wegen groben Vertrauensmißbrauchs in Erwägung zu ziehen. Im übrigen habe sie als verständige Arbeitgeberin eine solche Kündigung in Erwägung ziehen dürfen, da der Kläger wiederholt seine vertraglichen Pflichten verletzt und beharrlich gegen konkrete Arbeitsanweisungen verstoßen habe. Der stellvertretende Distriktmanager D. habe im Gespräch vom 18. Dezember 1998 dem Kläger ausdrücklich untersagt, eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. Den Marktleitern sei der Abschluß von Betriebsvereinbarungen grundsätzlich verboten. Dies ergebe sich aus ihren Stellenbeschreibungen, über die der Kläger informiert worden sei.
Das Arbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme, in deren Verlauf neben den Zeugen D., Sch. und Ra. auch der Kläger als Partei vernommen worden war, festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 29. Dezember 1998 beendet worden ist und die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers als Marktleiter-Stellvertreter verurteilt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO), da es weiterer Tatsachenfeststellungen bedarf.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Aufhebungsvertrag vom 29. Dezember 1998 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 1998 beendet. Er sei nicht wirksam wegen widerrechtlicher Drohung nach § 123 Abs. 1 BGB vom Kläger angefochten worden. Zwar sei schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten davon auszugehen, daß der Kläger die Äußerungen ihrer Vertreter im Gespräch vom 29. Dezember 1998 nur so habe verstehen können, daß ihm ohne Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages eine außerordentliche Kündigung drohe. Es liege jedoch keine widerrechtliche Drohung vor. Auf Grund der Handlungsweise des Klägers und seiner eigenmächtigen Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung am 18. Dezember 1998 sei von einer nicht unerheblichen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien auszugehen. Zu den Zweifeln an seiner Loyalität komme für einen ernsthaften Gedanken an eine außerordentliche Kündigung wegen Störung des Vertrauensverhältnisses wesentlich hinzu, daß der Kläger den substantiierten Vortrag der Beklagten, weisungswidrig gehandelt zu haben, nicht habe widerlegen können. Die vom Arbeitsgericht durchgeführte Parteivernehmung sei nicht zulässig gewesen und könne deshalb nicht weiter berücksichtigt werden.
B. Dem folgt der Senat nicht.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts steht nicht fest, daß der Kläger zum Abschluß des Aufhebungsvertrages vom 29. Dezember 1998 nicht durch eine widerrechtliche Drohung der Beklagten bestimmt worden ist. Die Revision rügt zu Recht eine nicht ausreichende Berücksichtigung der Ergebnisse der erstinstanzlichen Beweisaufnahme.
I. Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten. Eine Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Die Androhung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung beenden zu wollen, falls der Arbeitnehmer nicht selbst kündige oder einen Aufhebungsvertrag abschließe, stellt die Ankündigung eines zukünftigen empfindlichen Übels dar, dessen Verwirklichung in der Macht des ankündigenden Arbeitgebers liegt (st. Rspr. BAG 16. November 1979 – 2 AZR 1041/77 – BAGE 32, 194, 196; 22. Dezember 1982 – 2 AZR 282/82 – BAGE 41, 229, 236; 21. März 1996 – 2 AZR 543/95 – AP BGB § 123 Nr. 42 = EzA BGB § 123 Nr. 42; 12. August 1999 – 2 AZR 832/98 – AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53). Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Dabei ist es nicht erforderlich, daß die angekündigte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozeß als rechtsbeständig erwiesen hätte (BAG 22. Dezember 1982 aaO; 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – BAGE 74, 281, 285; 21. März 1996 aaO).
II. Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat nach § 561 ZPO bindend festgestellt, daß vom Empfängerhorizont des Klägers aus ihm die Vertreter der Beklagten im Gespräch vom 29. Dezember 1998 eine außerordentliche Kündigung angedroht haben. Dabei ist zu berücksichtigen, daß nach der Rechtsprechung des Senats die Drohung nicht ausdrücklich ausgesprochen werden muß. Sie kann auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen (BAG 30. September 1993 aaO). Schon die von der Beklagten eingeräumte Äußerung des Distriktmanagers während des Beendigungsgesprächs, man ziehe in Erwägung, eventuell eine fristlose Kündigung wegen groben Vertrauensmißbrauchs auszusprechen, ist deshalb ausreichend.
III. Ob die Beklagte als „verständige Arbeitgeberin” auf Grund der Vorkommnisse vom 18. Dezember 1998 eine außerordentliche Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen und sie im Gespräch vom 29. Dezember 1998 in Aussicht stellen durfte, muß das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Tatsachen und den Ergebnissen der Beweisaufnahme erneut prüfen und würdigen.
1. Dem Tatsachengericht steht bei der Würdigung des festgestellten Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt der von einem verständigen Arbeitgeber anzustellenden Erwägungen ein Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht ohne Verstoß gegen die Denk- oder Erfahrungssätze alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt hat (BAG 16. November 1979 – 2 AZR 1041/77 – BAGE 32, 194, 199; 21. März 1996 aaO; 12. August 1999 aaO). Insbesondere umfaßt der Beurteilungsspielraum des Tatsachengerichts die Frage, ob eine Kündigung unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die mildeste angemessene Reaktion auf ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers ist oder ob zB unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch eine Abmahnung noch ausreichend gewesen wäre. Dabei kann von einem verständigen Arbeitgeber zwar nicht generell verlangt werden, daß er bei seiner Abwägung die Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft”. Nur wenn unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der Arbeitgeber davon ausgehen muß, die angedrohte Kündigung werde im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zu einer Eigenkündigung oder zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages zu veranlassen (BAG 9. März 1995 – 2 AZR 644/94 – NZA 1996, 875, 877; 21. März 1996 aaO; 12. August 1999 aaO).
2. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.
a) Nach den insoweit zutreffenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts durfte ein verständiger Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung überhaupt nur dann in Betracht ziehen, wenn der Kläger als Marktleiter-Stellvertreter einer ausdrücklichen konkreten Weisung des vorgesetzten, stellvertretenden Distriktmanagers D. zuwider am 18. Dezember 1998 die Betriebsvereinbarung unterzeichnet hätte. In diesem Fall hätte der Kläger seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis vorsätzlich und beharrlich verletzt.
b) Das Landesarbeitsgericht hat jedoch nicht alle fallrelevanten Umstände berücksichtigt. Wenn auch der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Anfechtung trägt und deshalb die Tatsachen darlegen und gegebenenfalls beweisen muß, die die angedrohte außerordentliche Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen (BAG 15. Mai 1997 – 2 AZR 43/96 – BAGE 86, 7, 12; 12. August 1999 aaO), macht die Revision zu Recht geltend, daß das Berufungsgericht es versäumt habe, die Aussage des vom Arbeitsgericht als Partei vernommenen Klägers in seine Würdigung einzubeziehen (§ 286 Abs. 1 ZPO) bzw. ihn gegebenenfalls erneut zu vernehmen (§ 398 Abs. 1 ZPO).
aa) Das Landesarbeitsgericht hat sich mit der Aussage des Klägers nicht auseinandergesetzt. Es hat lediglich erörtert, ob nach § 448 ZPO Anlaß zur Vernehmung des Klägers bestanden habe, und diese Frage verneint. Damit hat es wesentlichen Streitstoff übergangen.
Das Arbeitsgericht hatte zum Inhalt des Gesprächs vom 18. Dezember 1998 den stellvertretenden Distriktmanager D. als Zeugen und den Kläger als Partei vernommen. Auf Grund dieser Vernehmungen hat das Arbeitsgericht angenommen, der Zeuge D. habe dem Kläger den Abschluß einer Betriebsvereinbarung nicht ausdrücklich verboten. Es ist vielmehr von der Richtigkeit der Aussage des Klägers ausgegangen, die durch die Vernehmung der Betriebsratsmitglieder Sch. und Ra. gestützt worden sein soll. Unter diesen Umständen hätte das Landesarbeitsgericht die Aussage des Klägers in seine Beweiswürdigung und Beurteilung des Sachverhalts einbeziehen müssen, ohne daß es darauf ankam, ob auch im Berufungsverfahren Anlaß für eine Parteivernehmung des Klägers nach § 448 ZPO bestand. Insbesondere durfte das Berufungsgericht die vor dem Arbeitsgericht gemachte Aussage des Klägers nicht mit der Begründung unbeachtet lassen, der Zeuge D. habe „im Gegenteil, sogar mit drastischen Worten, geschildert, dem Kläger den Abschluß einer Betriebsvereinbarung untersagt zu haben”, um damit zu dem Ergebnis zu kommen, daß davon auszugehen sei, der Kläger habe „einer ausdrücklichen Weisung zuwider gehandelt”. Wäre das Landesarbeitsgericht zu einer von der arbeitsgerichtlichen Beurteilung abweichenden Würdigung gelangt, hätte es den Kläger erneut vernehmen müssen. Zwar ist die Wiederholung der Beweisaufnahme nach § 398 Abs. 1 ZPO, der auch für die Parteivernehmung gilt, in das Ermessen des Rechtsmittelgerichts gestellt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs (BAG 25. Februar 1987 – 4 AZR 240/86 – BAGE 55, 78, 89; 20. Dezember 1990 – 2 AZR 379/90 – nv.; BGH 29. Oktober 1996 – VI ZR 262/95 – NJW 1997, 466) ist das Ermessen des Rechtsmittelgerichts jedoch gebunden. Das Berufungsgericht ist zur erneuten Vernehmung verpflichtet, wenn es die Glaubwürdigkeit eines im ersten Rechtszug vernommenen Zeugen abweichend von diesem Gericht beurteilen will und es hierfür auf den persönlichen Eindruck des Zeugen ankommt. Diese Grundsätze gelten für die Parteivernehmung gemäß § 451 ZPO entsprechend (BGH 16. Juli 1998 – I ZR 32/96 – NJW 1999, 363, 364). Auch von der Würdigung der Aussagen einer Partei darf das Berufungsgericht nicht abweichen, ohne die Partei erneut vernommen zu haben (BGH 24. Oktober 1973 – VIII ZR 111/72 – MDR 1974, 223; 28. September 1981 – II ZR 11/81 – MDR 1982, 297).
bb) Die Verfahrensweise des Landesarbeitsgerichts wäre nur dann nicht zu beanstanden, wenn die erstinstanzliche Vernehmung des Klägers nicht mit § 448 ZPO in Einklang gestanden hätte.
Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Die Vernehmung des Klägers als Partei war nicht ermessensfehlerhaft. Sie durfte deshalb vom Landesarbeitsgericht bei dessen Würdigung nicht übergangen werden.
Die Entscheidung über die Vernehmung einer Partei nach § 448 ZPO ist in das Ermessen des Tatsachenrichters gestellt und ist nur daraufhin überprüfbar, ob die rechtlichen Voraussetzungen verkannt oder das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt worden ist. Die Parteivernehmung von Amts wegen darf nur angeordnet werden, wenn auf Grund einer vorangegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht (st. Rspr. BAG 16. September 1999 – 2 AZR 712/98 – AP GrO kath. Kirche Art. 4 Nr. 1 = EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 45; BGH 5. Juli 1989 – VIII ZR 334/88 – LM ZPO § 448 Nr. 7). Wenn das Arbeitsgericht die Voraussetzung als gegeben erachtet hat, ist dies nicht zu beanstanden. Insbesondere ist es nicht rechtsfehlerhaft, daß es – anders als das Landesarbeitsgericht – sich auf Grund der Aussage des Zeugen D. noch keine abschließende Überzeugung von der Wahrheit der streitigen Tatsache bilden konnte. Welche Partei nach § 448 ZPO zu vernehmen ist, bestimmt das Gericht ohne Rücksicht auf die Beweislast allein danach, welche Partei zum Beweisthema eigene Wahrnehmungen bekunden kann (Zöller/Greger ZPO 22. Aufl. § 448 Rn. 5).
Die Parteivernehmung des Klägers war insbesondere auch deshalb nicht ermessensfehlerhaft, weil der Gegenstand der Beweisaufnahme der Inhalt eines „Vier-Augen-Gesprächs” war, das der Kläger mit einem Repräsentanten der Beklagten mit Vorgesetztenfunktion, nämlich dem stellvertretenden Distriktmanager, geführt hat. Steht der einen Partei ein Zeuge in der Person eines ihrer Repräsentanten zur Seite, während die Gegenseite, die selbst die Verhandlungen geführt hat, sich auf keinen Zeugen stützen kann, stellt dies in einem späteren Gerichtsverfahren eine Benachteiligung dar, die im Rahmen der Ermessensentscheidung des § 448 ZPO zu berücksichtigen ist (BGH 9. Oktober 1997 – IX ZR 269/96 – NJW 1998, 306, 307; 16. Juli 1998 aaO; zusammenfassend: Musielak/Huber ZPO 2. Aufl. § 448 Rn. 7). Nachdem das Arbeitsgericht die Parteivernehmung durchgeführt hat, kann letztlich dahingestellt bleiben, ob das erkennende Gericht die Benachteiligung der einen Partei nur über den Weg einer Parteivernehmung lösen kann (so wohl EGMR Urteil vom 27. Oktober 1993 – 37/1992/382/460 – NJW 1995, 1413; Thomas/Putzo ZPO 23. Aufl. § 448 Rn. 4) oder ob – wofür allerdings alles spricht – dem Grundsatz der Waffengleichheit auch dadurch Genüge getan werden kann, daß die durch ihre prozessuale Stellung bei der Aufklärung des „Vier-Augen-Gesprächs” benachteiligte Partei nach § 141 ZPO persönlich angehört wird (BGH 16. Juli 1998 aaO; 9. Oktober 1997 aaO; Sächs. LAG 15. September 1999 – 2 Sa 519/99 – NZA-RR 2000, 497, 498).
3. Da der Senat die von der ersten Instanz erhobenen Beweise nicht selbst würdigen kann und der Tatsacheninstanz bei der Beurteilung, ob eine verständige Arbeitgeberin bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine außerordentliche Kündigung ernsthaft hätte in Erwägung ziehen dürfen, ein Beurteilungsspielraum zukommt, in den der Senat nicht eingreifen kann, ist es ihm in der Sache verwehrt, selbst zu entscheiden. Der Rechtsstreit mußte deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden. Dabei wird das Landesarbeitsgericht auch zu berücksichtigen haben, daß der Kläger sich im Gespräch vom 29. Dezember 1998 unstreitig dahin eingelassen hat, er habe gedacht, für die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung werde noch die Unterschrift des Marktleiters benötigt. Insoweit könnte auch von Bedeutung sein, daß die vom Kläger unterzeichnete Betriebsvereinbarung im Kopf für den Arbeitgeber sowohl den stellvertretenden Marktleiter als auch den Marktleiter als Vertretungsberechtigte nennt.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert, Beckerle, Claes
Fundstellen
Haufe-Index 742907 |
BAGE, 52 |
BB 2002, 1494 |
BB 2002, 1814 |
DB 2002, 1328 |
NJW 2002, 2196 |
NWB 2002, 2037 |
ARST 2002, 210 |
FA 2002, 280 |
FA 2002, 282 |
NZA 2002, 731 |
SAE 2002, 252 |
ZAP 2002, 809 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 4 |
EzA |
NJ 2002, 500 |
AUR 2002, 239 |
KammerForum 2002, 377 |
SPA 2002, 3 |