Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsentgelt. Verwirkung, Rechtsmißbrauch und Wegfall der Geschäftsgrundlage
Normenkette
BUrlG §§ 1-2, 11; BGB §§ 242, 196 Nr. 8
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 08.03.1994; Aktenzeichen 7 Sa 893/93) |
ArbG Darmstadt (Urteil vom 19.01.1993; Aktenzeichen 4 Ca 115/92) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. März 1994 – 7 Sa 893/93 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Urlaubsentgeltansprüche.
Der Kläger war seit 1988 für die Beklagte als Unternehmensberater tätig, zuletzt auf der Grundlage eines Vertrages vom 4. Februar 1991. Darin wurde der Kläger als freier Mitarbeiter im Rahmen des Projekts W./Phase 1 in Wolfenbüttel bezeichnet. Der Kläger war bei der Bestimmung seines Arbeitsortes und seiner Arbeitszeit an die Weisungen der Beklagten gebunden. Eine Arbeitsverhinderung hatte er unverzüglich zu melden. Für das Projekt W. bestimmte die Beklagte, daß der Kläger seine Tätigkeit bei dem Kunden während der dortigen Arbeitszeit von 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr zu verrichten habe. Urlaub und sonstige freie Tage hatte der Kläger mit der Beklagten abzustimmen. Als Vergütung erhielt er ein Tageshonorar von 500,00 DM zuzüglich Spesen und Mehrwertsteuer. Vom 27. Juli 1991 bis 16. August 1991 war der Kläger mit Zustimmung der Beklagten im Urlaub.
Das Vertragsverhältnis der Parteien endete aufgrund ordentlicher Kündigung der Beklagten vom 6. November 1991 mit Ablauf des 31. Dezember 1991. Die Beklagte behielt vom Honorar des Klägers für den Monat Dezember 1991 5.704,12 DM ein.
Der Kläger hat gemeint, er sei Arbeitnehmer der Beklagten. Er hat zunächst mit der vorliegenden, im Februar 1992 eingereichten Klage Zahlung des restlichen Honorars begehrt. Mit Klageerweiterung vom 23. September 1992 hat er für den Urlaub vom 27. Juli bis 16. August 1991 Urlaubsentgelt in Höhe von 6.692,30 DM verlangt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn zu zahlen
- 6.692,30 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 5. Oktober 1992,
- 5.704,12 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 31. März 1992.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, der Kläger sei weder als Arbeitnehmer noch als arbeitnehmerähnliche Person tätig gewesen. Der Anspruch auf Urlaubsvergütung sei auch bei Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht durchsetzbar. Nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei eine Vertragsanpassung nur für die Zukunft möglich. Außerdem sei der Anspruch des Klägers verwirkt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage wegen des Urlaubsentgelts stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat mit Beschluß vom 8. März 1994 die Zulässigkeit des bestrittenen Rechtswegs bejaht und mit dem gleichzeitig verkündeten Urteil die Beklagte auch zur Zahlung der geltend gemachten restlichen Honorarforderung verurteilt. Die Anschlußberufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsziel nur noch hinsichtlich des Urlaubsentgelts weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Urlaubsvergütung in unstreitiger Höhe. Wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, kann der Urlaubsentgeltforderung weder Verwirkung noch Rechtsmißbrauch wegen widersprüchlichen Verhaltens entgegen gehalten werden. Dem Anspruch steht auch nicht ein Wegfall der Geschäftsgrundlage entgegen.
1. Der Kläger war Arbeitnehmer im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes. Er war von der Beklagten persönlich abhängig. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und den Senat daher bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Kläger nicht nur aufgrund der vertraglichen Bestimmungen hinsichtlich Arbeitsort und Arbeitszeit an die Weisungen der Beklagten gebunden. Auch tatsächlich bestimmte die Beklagte, daß der Kläger seine Tätigkeit bei dem vorgegebenen Kunden während der dortigen Arbeitszeit von 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr zu verrichten habe. Es wies den Kläger an, abwechselnd mit seinem Kollegen im PKW zu fahren, um den Arbeitsort aufzusuchen. Der Kläger hat auch seinen Urlaub mit der Beklagten abgestimmt. Die Durchführung eines Rechtsverhältnisses in dieser Weise macht den Beschäftigten persönlich abhängig. Er ist somit als Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes anzusehen.
2. Der Kläger hat 1991 in der Zeit vom 27. Juli bis 16. August Urlaub erhalten. Dafür kann er das nach § 11 BUrlG zu berechnende, der Höhe nach unstreitige Urlaubsentgelt erhalten.
3. Der Anspruch des Klägers ist nicht verwirkt.
a) Die Verwirkung infolge Zeitablaufs wird in der Rechtsprechung als Unterfall der „unzulässigen Rechtsausübung” behandelt (Senatsurteil vom 18. Februar 1992 – 9 AZR 118/91 – EzA § 1 BUrlG Verwirkung Nr. 1, m.w.N.). Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Die Verwirkung beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes. Mit der „Verwirkung” soll die Diskrepanz zwischen rechtlicher und sozialer Wirklichkeit durch Angleichung der Rechtslage an die soziale Wirklichkeit beseitigt werden (BAG Urteil vom 18. Februar 1992, a.a.O.). Ein Recht ist demnach verwirkt, wenn es der Berechtigte über einen Zeitraum hinweg nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre („Zeitmoment”), und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, daß dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde („Umstandsmoment”). Zum Zeitablauf müssen daher besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (Senatsurteil vom 18. Februar 1992, a.a.O.; BAG Urteil vom 30. Januar 1991 – 7 AZR 497/89 – DB 1991, 2342; BAGE 57, 329, 332 = AP Nr. 17 zu § 630 BGB).
b) Es kann dahinstehen, ob ein Anspruch auf Urlaubsentgelt im Rahmen des gesetzlichen Urlaubsanspruch überhaupt verwirken kann (Senatsurteil vom 18. Februar 1992, a.a.O., m.w.N.) oder ob eine denkbare Verwirkung des Urlaubsentgelts nicht bereits regelmäßig an der kurzen Verjährungsfrist scheitern muß. Die Verwirkung der Urlaubsvergütung für das Jahr 1991 scheitert unabhängig vom Zeitmoment jedenfalls daran, daß das Verhalten des Klägers in der Zeit ab Beendigung des Vertragsverhältnisses kein Vertrauen der Beklagten begründet hat, nicht mehr mit Urlaubsvergütung in Anspruch genommen zu werden. Ein Verhalten des Klägers, das über das bloße Nichtanfordern der Urlaubsvergütung über einen Zeitraum vom 14 Monaten signalisiert hätte, auf Dauer kein Urlaubsentgelt zu beanspruchen, konnte die Beklagte nicht darlegen. Die Revision übersieht ferner, daß der Kläger bereits mit der Klage vom 26. Februar 1992 geltend gemacht hat, Arbeitnehmer zu sein. Die Beklagte konnte seither nicht ausschließen, daß der Kläger weitere arbeitsvertragliche Ansprüche geltend machen könnte.
c) Das Vorbringen der Beklagten, sich auf den Fortfall der Urlaubsvergütung eingerichtet zu haben (Umstandsmoment), ist ohne Substanz. Im übrigen ist ihr pauschales Vorbringen, sie habe einen derartigen Anspruch des Klägers nicht in die finanzielle Disposition einbezogen, nicht schutzwert. Die Beklagte hat gesetzwidrig gehandelt. Nach § 11 Abs. 2 BUrlG steht ihren Arbeitnehmern das Arbeitsentgelts vor Urlaubsantritt zu. Ein Verhalten, das zwingendes Recht verletzt, begründet kein rechtserhebliches Vertrauen. Ebenso unerheblich ist der Vortrag der Beklagten, der Kläger habe als freier Mitarbeiter wesentlich mehr verdient als vergleichbare Angestellte. Im Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes wird nicht zwischen gut- und schlechtverdienenden Arbeitnehmern unterschieden (Senatsurteil vom 18. Februar 1992, a.a.O.).
d) Die geltend gemachte Urlaubsentgeltzahlung ist der Beklagten auch zumutbar. Sie beschränkt sich auf das letzte Jahr des Arbeitsverhältnisses. Insoweit verschafft die kurze Verjährungsfrist nach § 196 Nr. 8 BGB der Beklagten ausreichenden Schutz. Die Beklagte hat nicht vortragen, daß sie durch die Zahlung des rückständigen Urlaubsentgelts für 1 Jahr in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten werde.
4. Die Forderung des Klägers stellt auch kein rechtsmißbräuchliches Verhalten (venire contra factum proprium) dar, weil er in den Jahren zuvor seit Beginn seiner Tätigkeit im Jahr 1988 keine Urlaubsentgeltansprüche geltend gemacht hat.
a) Ein Verhalten kann nur rechtsmißbräuchlich sein, wenn es mit dem früheren Verhalten unvereinbar ist, der Gegner auf das frühere Verhalten vertrauen durfte und seine Interessen als vorrangig schutzwürdig erscheinen. In einem solchen Fall steht die Geltendmachung des „an sich” gegebenen Rechts im Widerspruch zu Treu und Glauben, § 242 BGB. Während bei der Verwirkung die Zurechenbarkeit des Umstandsmomentes von einer objektiven Seite aus zu beurteilen ist, sind beim Rechtsmißbrauch infolge widersprüchlichen Verhaltens regelmäßig subjektive Zurechnungskriterien ausschlaggebend. Der Urheber des widersprüchlichen Verhaltens muß deshalb erkennen können, daß die Gegenpartei sein Verhalten als vertrauensbegründend werten durfte. Für die Schutzwürdigkeit des Schuldners sind ebenfalls subjektive Momente maßgeblich. Ein schuldhaftes Verhalten ist nicht erforderlich. Jedoch können Verschuldenselemente von Bedeutung sein (Senatsurteil vom 18. Februar 1992, a.a.O., m.w.N.).
b) Die Tatsache, daß der Kläger mehrere Jahre kein Urlaubsentgelt von der Beklagten verlangt hat, läßt sein jetziges Verhalten, für das letzte Jahr des Arbeitsverhältnisses Urlaubsentgelt zu verlangen, nicht als rechtsmißbräuchlich erscheinen. Ein rechtsmißbräuchliches Verhalten ist nicht bereits dann gegeben, wenn jemand seine Rechtsansichten ändert und sein Verhalten danach ausrichtet. Erforderlich ist ein weitergehendes vertrauensbegründendes Verhalten in der Vergangenheit, das die Beklagte nicht dargelegt hat.
Es sind auch keine Umstände dafür ersichtlich, wonach die Inanspruchnahme der Beklagten unzumutbar wäre. Für eine unzulässige Rechtsausübung müssen Umstände vorliegen, die eine Rechtsausübung im Einzelfall als grob unbillige, mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarende Benachteiligung des Schuldners erscheinen lassen, sie also zu einem schlechthin unzumutbaren Ergebnis führt (Senatsurteil vom 18. Februar 1992, a.a.O., m.w.N.). Anhaltspunkte dafür sind nach dem Vorbringen der Beklagten nicht gegeben.
5. Die Darlegungen der Beklagten zum Wegfall der Geschäftsgrundlage hindern den Anspruch des Klägers nicht.
a) Die Revision geht ersichtlich davon aus, der Anspruch des Klägers entstehe durch rückwirkende Anpassung des ursprünglichen Vertrags über eine freie Mitarbeit wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Das ist rechtsirrig. Die arbeitsrechtlichen Ansprüche des Klägers bestanden ohne Anpassung nach § 242 BGB, weil das Rechtsverhältnis der Parteien entgegen ihrer bei Vertrags Schluß bestehenden Rechtsauffassung von Anfang an als Arbeitsverhältnis anzusehen war.
b) Zugunsten der Revision kann unterstellt werden, daß sich die Parteien jedenfalls bei Abschluß ihres letzten Vertrages in einem beiderseitigen Rechtsirrtum über die schuldrechtliche Einordnung ihres Rechtsverhältnisses befanden. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage auf diesen Fall der persönlich unzutreffenden Beurteilung einer durchaus erkennbaren Rechtslage anzuwenden sind (so wohl BAG Urteil vom 9. Juli 1986 – 5 AZR 44/85 – BAGE 52, 273 = AP Nr. 7 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage, mit ablehnender Anmerkung Mayer-Maly; ebenso ablehnend Ascheid, Änderung der Geschäftsgrundlage und wirtschaftliche Notlage, D II 1 a. E., in Hromadka [Herausgeber], Änderung von Arbeitsbedingungen). Aber auch bei Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage kann die Beklagte die Zahlung des Urlaubsentgelts nicht verweigern. Denn die bei Wegfall der Geschäftsgrundlage notwendige Anpassung erfolgt regelmäßig nur für die Zukunft (BAG Urteil vom 9. Juli 1986, a.a.O., m.w.N.). Da die Parteien ihr Arbeitsverhältnis jedoch bereits beendet haben, scheidet eine Anpassung der Vergütung und damit des Urlaubsentgelts für das Jahr 1991 aus. Umstände, die eine rechtlich denkbare rückwirkende Anpassung des Vertrages erfordern, sind nicht ersichtlich. Die fehlgeschlagene finanzielle Disposition der Beklagten (hoher Tagessatz, keine Nebenkosten wie Urlaubsentgelt) rechtfertigen sie jedenfalls nicht.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Düwell, Friedrich, Hammer, Schwarz
Fundstellen