Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Leistungsfähigkeit
Orientierungssatz
Ein Arbeitnehmer ist nicht stets schon dann leistungsunfähig iSv. § 297 BGB, wenn er aus Gründen in seiner Person nicht mehr alle Arbeiten verrichten kann, die zu den vertraglich vereinbarten Tätigkeiten gehören. Ist es dem Arbeitgeber möglich und zumutbar, dem krankheitsbedingt nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmer leidensgerechte und vertragsgemäße Arbeiten zuzuweisen, ist die Zuweisung anderer Arbeiten unbillig. Die Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers steht dann dem Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht entgegen.
Normenkette
BGB §§ 615, 297; GewO § 106
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche aus Annahmeverzug.
Die am 31. Dezember 1943 geborene Klägerin ist beim beklagten Land seit dem 19. März 1976 als “Lehrkraft im Angestelltenverhältnis” beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist die Geltung des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) einschließlich der Sonderregelungen für Angestellte als Lehrkräfte vereinbart. Sie wird nach Vergütungsgruppe Vb BAT vergütet.
Die Klägerin ist staatlich geprüfte Sportlehrerin für Freizeitpflege und besuchte die Meisterschule im Bereich Hauswirtschaft, zu deren Ausbildungsfeld “Textiles Gestalten” gehört.
Das beklagte Land setzte die Klägerin in den ersten Jahren ihrer Tätigkeit ausschließlich als Sportlehrerin ein. Seit dem Schuljahr 1989/1990 unterrichtet die Klägerin an einem Gymnasium neben Sport auch die Fächer Textilgestaltung und Kunst. Bis zum Schuljahr 2002/2003 betrug der Unterricht in anderen Fächern als Sport durchschnittlich 57,73 % der Gesamtstundenzahl.
Am 10. November 2003 wurde bei einer amtsärztlichen Untersuchung festgestellt, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen für eine Tätigkeit als Sportlehrerin nicht mehr geeignet sei. Gegen die Erteilung von Unterricht in anderen, körperlich nicht belastenden Fächern bestanden seitens des Amtsarztes keine Bedenken. Ab dem 24. November 2003 erteilte die Klägerin ausschließlich Unterricht in den Fächern Textilgestaltung und Kunst.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2003 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, es halte sie für dienstunfähig und werde sie deshalb nicht mehr im Unterricht einsetzen. Zugleich bat das beklagte Land die Klägerin, einen Rentenantrag zu stellen. Die Klägerin erhielt vom 10. Dezember 2003 bis zum 9. Juni 2004 Krankenbezüge. Der Rentenantrag der Klägerin wurde Anfang Mai 2004 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) abgelehnt.
Am Tag nach Erhalt des ablehnenden Bescheids der BfA suchte die Klägerin den Schulleiter ihrer Schule auf und teilte ihm mit, sie wolle sofort wieder arbeiten. Dies wurde vom beklagten Land abgelehnt.
Mit ihrer am 28. Juli 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin Vergütung für den Zeitraum vom 10. Juni bis zum 31. Juli 2004 verlangt.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
1. das beklagte Land zu verurteilen, an sie 2.040,62 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Juni 2004 zu zahlen,
2. das beklagte Land zu verurteilen, an sie 2.889,23 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Juli 2004 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat geltend gemacht, die Klägerin habe ihre Arbeitskraft nicht ordnungsgemäß angeboten, weil sie nur eingeschränkt leistungsfähig gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des beklagten Landes bis auf eine geringfügige Korrektur am Zinsausspruch zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.
I. Die Klägerin kann vom beklagten Land gem. § 615 iVm. § 611 Abs. 1 BGB für die Zeit vom 10. Juni bis zum 31. Juli 2004 die Zahlung von Arbeitsvergütung in Höhe von 4.929,85 Euro brutto nebst Verzugszinsen verlangen.
1. Das beklagte Land befand sich während des streitigen Klagezeitraums im Annahmeverzug. Die Klägerin hat dem beklagten Land Anfang Mai 2004 die Erbringung ihrer Arbeitsleistung tatsächlich angeboten (§ 294 BGB). Die Klägerin suchte den Leiter ihrer Schule auf und teilte ihm mit, sie wolle wieder arbeiten. Das beklagte Land nahm dieses Angebot nicht an.
2. Der Annahmeverzug des beklagten Landes war nicht nach § 297 BGB wegen Leistungsunfähigkeit der Klägerin ausgeschlossen.
a) Nach § 297 BGB kommt der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Ein Arbeitnehmer ist nicht stets schon dann leistungsunfähig iSv. § 297 BGB, wenn er aus Gründen in seiner Person nicht mehr alle Arbeiten verrichten kann, die zu den vertraglich vereinbarten Tätigkeiten gehören. Sonst bliebe außer acht, dass der Arbeitgeber gemäß § 106 GewO sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben und auch die Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen hat. Ist es dem Arbeitgeber möglich und zumutbar, dem krankheitsbedingt nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmer leidensgerechte Arbeiten zuzuweisen, ist die Zuweisung anderer nicht leidensgerechter Arbeiten unbillig. Unterlässt der Arbeitgeber die ihm mögliche und zumutbare Zuweisung leidensgerechter und vertragsgemäßer Arbeit, steht die Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers dem Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht entgegen (Senat 24. September 2003 – 5 AZR 282/02 – AP BGB § 151 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 3, zu II 2b der Gründe; BAG 4. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 – EzA SGB IX § 81 Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 2b der Gründe).
b) Das beklagte Land konnte die Klägerin außerhalb des Sportunterrichts als Lehrkraft in den Unterrichtsfächern Textilgestaltung und Kunst einsetzen.
aa) Die Klägerin unterlag für diese Fächer nach den Feststellungen des Amtsarztes, die vom beklagten Land nicht angegriffen worden sind, keinen gesundheitlichen Einschränkungen. Die Erteilung von Unterricht in diesen Fächern wäre auch vertragsgemäß gewesen. Die Klägerin war nach dem Arbeitsvertrag nicht zum Unterricht bestimmter Fächer verpflichtet. Sie wurde vielmehr ohne nähere Festlegung auf einzelne Unterrichtsfächer als “Lehrerin im Angestelltenverhältnis” eingestellt. Dementsprechend unterrichtete sie in den vergangenen Schuljahren sowohl Sport als auch die Fächer Textilgestaltung und Kunst.
bb) Die fehlende Lehrbefähigung für die Fächer Textilgestaltung und Kunst schließt den Annahmeverzug nicht aus. Der Klägerin besaß weder für das Unterrichtsfach Sport noch für die Fächer Textilgestaltung und Kunst eine Lehrbefähigung. Nach § 8 des Gesetzes über die Ausbildung für Lehrämter an öffentlichen Schulen (Lehrerausbildungsgesetz – LABG) vom 2. Juli 2002 (GV. NRW. S. 325), geändert durch Schulrechtsänderungsgesetz vom 8. Juli 2003 (GV. NRW. S. 413), erwirbt die Befähigung für das Lehramt an Gymnasien, wer ein Studium mit einer Regelstudienzeit von neun Semestern und die Erste Staatsprüfung für dieses Lehramt besteht, einen Vorbereitungsdienst von höchstens zwei Jahren leistet und die Zweite Staatsprüfung für dieses Lehramt besteht. Die Ausbildung der Klägerin zur staatlich geprüften Sportlehrerin für Freizeitpflege erfüllt diese Anforderungen ebenso wenig wie der Besuch der Meisterschule für den Bereich Hauswirtschaft.
cc) Dem Einsatz der Klägerin als Lehrkraft für Textilgestaltung und Kunst steht § 10 der Allgemeinen Dienstordnung für Lehrer und Lehrerinnen, Schulleiter und Schulleiterinnen an öffentlichen Schulen (ADO) vom 20. September 1992 (GABl. NW. I S. 235) nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung unterrichten Lehrer und Lehrerinnen “in der Regel” in den Fächern, für die sie die Lehrbefähigung erworben haben. Diese Vorschrift setzt damit voraus, dass die jeweilige Lehrkraft über eine oder mehrere Lehrbefähigungen verfügt. Auf eine Lehrkraft ohne Lehrbefähigung findet diese Anordnung keine Anwendung.
dd) Bei Ausübung billigen Ermessens gem. § 106 GewO hätte das beklagte Land der Klägerin im Klagezeitraum die Unterrichtsfächer Textilgestaltung und Kunst zuweisen müssen. Damit wäre die Klägerin vertragsgemäß beschäftigt worden. Die Klägerin hat diese Fächer über Jahre hinweg unterrichtet, zuletzt war sie sogar ausschließlich für diese Fächer eingeteilt. Das beklagte Land hat auch keine fachlichen oder betrieblichen Gründe vorgetragen, die einem Unterrichtseinsatz im streitgegenständlichen Zeitraum entgegenstanden.
3. Die Zinsentscheidung folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, § 36 Abs. 1 BAT.
II. Das beklagte Land hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Zoller, Dombrowsky
Fundstellen
Haufe-Index 1672621 |
FA 2007, 89 |
NZA 2007, 287 |
ZTR 2007, 204 |
AP, 0 |
EzA-SD 2007, 7 |
EzA |
PersV 2007, 374 |
PersV 2007, 409 |
NJOZ 2007, 875 |